Der Weltkrieg am 1. August 1914

 

Sitzung des Reichstages zum Kriegsausbruch

Rede des Kaisers zur Eröffnung des Deutschen 
Reichstages am 4. August 1914.

Rede des deutschen Reichskanzlers von Bethmann Hollweg
vor dem Reichstag zum Kriegsausbruch

 

Zweite Sitzung des Reichstages

Erklärung des sozialdemokratischen Abgeordneten Haase

Hugo Haase (SPD)
Hugo Haase

Meine Herren! 
Im Auftrage meiner Fraktion habe ich folgende Erklärung abzugeben: 
Wir stehen vor einer Schicksalsstunde. Die Folgen der imperialistischen Politik, durch die eine Ära des Wettrüstens herbeigeführt wurde und die Gegensätze zwischen den Völkern sich verschärfen, sind wie eine Sturmflut über Europa hereingebrochen. Die Verantwortung hierfür fällt den Trägern dieser Politik zu; wir lehnen sie ab. Die Sozialdemokraten haben diese verhängnisvolle Entwicklung mit allen Kräften bekämpft, und noch bis in die letzten Stunden hinein haben sie durch machtvolle Kundgebungen in allen Ländern, namentlich im innigen Einvernehmen mit den französischen Brüdern, für die Aufrechterhaltung des Friedens gewirkt. Ihre Anstrengungen sind vergeblich gewesen. Jetzt stehen wir vor der ehernen Tatsache des Krieges. Uns drohen die Schrecknisse feindlicher Invasionen. Nicht für oder gegen den Krieg haben wir jetzt zu entscheiden, sondern über die Frage der für die Verteidigung des Landes erforderlichen Mittel. Nun haben wir zu denken an die Millionen Volksgenossen, die ohne ihre Schuld in dieses Verhängnis hineingezogen worden sind und die von den Verheerungen des Krieges am schwersten getroffen sind. Heiße Wünsche begleiten unsere zu den Fahnen gerufenen Brüder ohne Unterschied der Partei. Wir denken an die Mütter, die ihre Söhne hergeben müssen, an die Frauen und die Kinder, die ihrer Ernährer beraubt werden und zu der drohenden Schrecken des Hungers werden noch die Zehntausende verwundeter und verstümmelter Kämpfer kommen. Ihnen allen beizustehen und ihr Schicksal zu erleichtern, diese ungeheuren Schrecken zu lindern, erachten wir als eine zwingende Pflicht. Für unser Volk und seine freiheitliche Zukunft steht bei einem Siege des russischen Despotismus, der sich mit dem Blute des eigenen Volkes befleckt hat, viel, wenn nicht alles auf dem Spiel. Es gilt, diese Gefahr abzuwehren, die Kultur und Unabhängigkeit unseres eigenen Landes sicherzustellen. Da machen wir wahr, was wir immer betont haben: Wir lassen in der Stunde der Gefahr das eigene Vaterland nicht im Stich. Wir fühlen im Einvernehmen mit der Internationale, die das Recht jedes Volkes auf nationale Selbständigkeit und Selbstverteidigung jederzeit anerkennt, wenn wir in Übereinstimmung mit ihr jeden Eroberungskrieg verurteilen. Wir fordern, daß dem Kriege, wenn das Ziel der Sicherung erreicht ist und die Gegner zum Frieden geneigt sind, ein Ende gemacht wird. Ein Ende, daß die Freundschaft mit den Nachbarvölkern ermöglicht. Das fordern wir nicht nur im Interesse des deutschen Volkes. Wir hoffen, daß die grausamen Stunden der Kriegsleiden in Millionen den Abscheu vor dem Kriege wecken und sie für das Ideal des Völkerfriedens und des Sozialismus gewinnen werden. Von diesem Grundsatz geleitet, bewilligen wir die geforderten Kredite.
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Das reichstreue Lothringen

Metz, 4. Aug. (W. B.)
Der Gouverneur macht ein Schreiben einer Anzahl hervorragender Vertreter der einheimischen Bürgerschaft, meistens Gemeinderatsmitglieder, bekannt, in dem diese elementar unbeeinflußt erklären, daß die loyale Bürgerschaft mit Abscheu sich von denjenigen abwenden und die Gemeinschaft mit denjenigen ablehnen würde, welche verbrecherische Handlungen vornehmen oder ihnen irgendwie Vorschub leisten sollten. Die Bürgerschaft sehe es vielmehr als hohe, heilige Pflicht an, ihr Solidaritätsgefühl mit dem
zum Schutze und zur Ehre des geeinigten Vaterlandes zu den Fahnen berufenen Söhnen und Brüdern dadurch zum Ausdruck zu bringen, daß sie die von den Militärbehörden getroffenen Maßnahmen mit allen Kräften nachdrücklichst unterstützt und in ernster Stunde von allen Bevölkerungsschichten ein treues Hand-in-Hand-Arbeiten mit den Militärbehörden verlangt.
Ferner gibt der Gouverneur eine Mitteilung der bischöflichen Behörde bekannt, nach der es sämtlichen Geistlichen verboten ist, sich in französischer Sprache zu unterhalten, und
daß angeordnet ist, daß täglich 20 Geistliche zur Hilfeleistung bei Verproviantierungsarbeiten zur Verfügung gestellt werden. Der Gouverneur freut sich, diesen Beweis patriotischer Gesinnung der lothringischen Geistlichkeit der Öffentlichkeit zur Kenntnis bringen zu können.
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Deutsche Fürsten im Kriege

München, 4. Aug. (W. B.)
Der König verabschiedete sich heute Vormittag von allen Beamten und Bediensteten des Königshauses, die zu den Fahnen einrückten. Der König richtete an die Erschienenen eine herzliche Ansprache.
Von den Prinzen übernimmt der Kronprinz eine hohe Kommandostelle. Am Krieg nehmen ferner teil Prinz Franz als Kommandeur des zweiten Infanterieregiments "Kronprinz", Prinz Heinrich als Eskadronschef im ersten schweren Reiterregiment, Prinz Georg im Freiwilligen Automobilkorps, Prinz Konrad als Rittmeister und Zugführer im ersten schweren Reiterregiment, Prinz Adalbert im ersten Feldartillerieregiment, Herzog Ludwig Wilhelm als Zugführer im beritten Cheveauxlegerregiment. Außerdem bewarben sich Prinz Alfons und mehrere andere Prinzen um Verwendung. Prinz Ludwig Ferdinand tut als Militärarzt Dienst

Berlin, 4. Aug. (W. B.)
Wir erfahren soeben, daß zwei regierende Fürsten während des Feldzuges in aktiven Kommandostellen Verwendung finden werden. Der Herzog von Altenburg tritt als Kommandeur an die Spitze seines Infanterieregiments Nr. 153. Bemerkenswert ist dabei daß, obgleich er im Dienstgrade eines Generalleutnants steht, er trotzdem sich unter den Befehl eines im Dienstrange jüngeren Brigadekommandeurs stellt. In gleicher Weise wird sich der Fürst zu Schaumburg-Lippe betätigen, der zum Kommandeur des Husarenregiments Nr. 14 in Kassel ernannt ist.
Über die weitere Teilnahme deutscher Fürsten am Kriege können wir noch berichten, daß Herzog Ernst Günther von Schleswig-Holstein die holsteinischen Truppen begleiten wird,
daß sich Fürst Karl Anton von Hohenzollern zum Generalkommando des Gardekorps begibt, daß sich insbesondere auch die Mitglieder fürstlicher und reichsunmittelbarer Familien in großer Zahl der Heeresverwaltung zur Verfügung stellten.

Schwerin, 4. Aug. (W. B.)
Die Herzöge Paul Friedrich und Adolf Friedrich von Mecklenburg werden sich persönlich mit ins Feld begeben. Sie sollen dem Generalkommando des 9. Armeekorps zugeteilt werden.

Meiningen, 4. Aug. (W. B.)
Nach einem uns zugegangenen Telegramm wird sich das Meiningische Fürstenhaus mit mehreren seiner Mitglieder am Kriege beteiligen. Es werden die Prinzen Georg und Ernst, Leutnants à la Suite des Infanterie-Regiments Nr. 95, in der Front mitkämpfen. Sie sind beide in das Dragoner-Regiment Nr. 16 in Lüneburg versetzt worden. Ferner begleitet Prinz Ernst von Sachsen-Meiningen, der ebenfalls beim Infanterie-Regiment Nr. 15 à la Suite geführt wird, dieses Regiment persönlich ins Feld.

Karlsruhe, 4. Aug. (W. B.)
Man drahtet uns: Prinz Max von Baden, Generalleutnant, ist für den Feldzug dem Generalkommando des Armeekorps zugeteilt, um auf seinen Wunsch die badischen Truppen ins Feld zu begleiten.

Darmstadt, 4. Aug. (W. B.)
Wie die "Darmstädter Zeitung" mitteilt, hat der Großherzog von Hessen dem Kaiser telegraphisch den Wunsch zu erkennen gegeben, ins Feld zu rücken, um seinen Truppen nahe zu sein. Der Kaiser hat dieser Absicht zugestimmt und wird demnächst durch besonderes Handschreiben weitere Bestimmungen für die Zeit unmittelbar nach Beendigung der Truppentransporte in Aussicht stellen.
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Ein Manifest des Bayernkönigs

König Ludwig III. von Bayern
König Ludwig III. von Bayern

München, 4. Aug.
Die "Korrespondenz Hoffmann" meldet: König Ludwig hat folgendes Manifest herausgegeben:

An meine Bayern!

Deutschland hat den Kampf nach zwei Fronten ausgenommen. Der Druck der Ungewißheit ist von uns gewichen, das deutsche Volk weiß, wer seine Gegner sind. In ruhigem Ernst, erfüllt von Gottvertrauen und Zuversicht, scharen sich unsere wehrhaften Männer um die Fahnen. Es ist kein Haus, das nicht teil hätte an diesem uns frevelhaft aufgedrungenen Kriege; gewissenhaft sehen wir unsere Truppen ins Feld ziehen. Der Kampf, der unser Heer erwartet, geht um die heiligsten Güter, um unsere Ehre und Existenz. Gott hat das deutsche Volk in vier Jahrzehnten rastloser Arbeit groß und stark gemacht. Er hat uns das Friedenswerk sichtbar gesegnet, er wird mit unserer Sache sein, die gut und gerecht ist. Wie unsere tapferen Soldaten draußen vor dem Feind, so stehe auch zuhause jeder seinen Mann, sollen wir jeder nach seiner Kraft dem eigenen Lande Helfer sein für die, die hinausgezogen sind, um mit starker Hand den Herd der Väter zu verteidigen. Tu jeder freudig die Pflicht, die sein vaterländisches Empfinden ihn übernehmen heißt. Unsere Frauen und Töchter sind dem Lande mit tatkräftigem Beispiele vorangegangen.
Bayern! Es gilt das Reich zu schützen daß wir in blutigen Kämpfen miterstritten haben. Wir kennen unsere Soldaten und wissen, was wir von ihrem Mut, ihrer Manneszucht und Opferwilligkeit zu erwarten haben. - Gott segne unser tapferes Heer, unsere machtvolle Flotte und unsere treuen österreichisch-ungarischen Brüder. - Er schütze den Kaiser und das große deutsche Vaterland, unser geliebtes Bayern.

    München, 4. August 1914.

Ludwig. 2)

 

Von der russischen Grenze

Berlin, 4. Aug. (W. B.)
Teile der Besatzung von Memel schlugen gestern einen Vorstoß feindlicher Grenzwachen aus der Richtung von Krottingen zurück.

Königsberg, 4. Aug. (W. B.)
Deutsche Truppen haben Kibarty (hart hinter der Grenze, vor Wirballen gelegen.) gestürmt. Die Russen gingen unter Zurücklassung von Gefangenen nach Osten zurück. Die deutschen Verluste sind gering.

Königsberg, 4. Aug. (W. B.)
Bei Lengwethen wurden acht Mann einer russischen Ulanenpatrouille von unserem Landsturm gefangen genommen. Man brachte sie nach Königsberg.
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Beschlagnahme der russischen Staatsguthaben

Berlin, 4. August. (Priv.-Tel.)
Die Reichsregierung hat die beim Bankhaus Mendelssohn u. Co. und anderen hiesigen Firmen und Banken ruhenden Guthaben der russischen Regierung heute mit Beschlag belegt. Zurzeit schweben Erwägungen, ob daraus die Kouponrückstände und der in der nächsten Zeit fällig werdende Koupon der russischen Staatsfonds noch bezahlt werden. Die Guthaben sind schon frühzeitig und zuletzt noch stark reduziert worden. Von dem gesamten Umfang hat man keine Vorstellung, also auch nicht darüber, ob er ausreichend wäre, um den wichtigsten Kupontermin, den 10. Oktober, für die in Deutschland plazierten Anleihen usw. zu bestreiten.
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Deutsche Kriegserklärung an Rußland

Wie die Pariser Agentur Havas meldet, übergab der deutsche Botschafter in Petersburg Graf Pourtales die deutsche Kriegserklärung dem dortigen Ministerium des Äußern am Samstag abends 7 Uhr 30 Min.

Abreise unserer Botschafter

Stockholm, 4. Aug. (W. B.)
Der deutsche Botschafter in Petersburg Graf Pourtales mit dem Personal der Gesandtschaft und des Konsulats ist gestern Nachmittag mit einem Dampfer, der die amerikanische Flagge führte, hier angekommen und hat abends die Reise mit Sonderzug nach Trelleborg fortgesetzt.

Paris, 4. Aug. (W. B.)
Über Kopenhagen wird gemeldet: Der deutsche Botschafter hat gestern Abend 10 Uhr mit dem Botschaftspersonal, dem deutschen Konsulat und den Mitgliedern der bayerischen Gesandtschaft Paris verlassen Die französische Regierung hat den französischen Botschafter in Berlin angewiesen, Berlin zu verlassen und das Archiv der Botschaft und den Schutz der französischen Interessen dem amerikanischen Botschafter anzuvertrauen. Freiherr v. Schön hat den Botschafter der Vereinigten Staaten in Paris gebeten, die Sorge für die Interessen der Deutschen in Frankreich zu übernehmen.
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Schwedens Neutralität

Stockholm, 4. Aug. (W. B.)
Die schwedische Regierung hat Schwedens absolute Neutralität während der gegenwärtigen Kriege zwischen fremden Mächten erklärt.
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Die Italiener

Rom, 4. Aug. (W. B.)
Die "Agenzia Stefani" veröffentlicht eine Erklärung des Ministerrates, die hervorhebt, daß,
da einige Mächte sich im Kriegszustand, Italien sich aber im Friedenszustand mit allen kriegführenden Mächten befinde, die Regierung und die Bürger verpflichtet seien, die Pflichten der Neutralität zu beobachten.
Die genannte Agentur kündigt sodann die Einberufung der ersten Kategorie der Jahrgänge 1889 und 1890 der Armee für den 8. August, sowie der Jahrgänge 1889 und 1890 der
Marine an. Außerdem werden einberufen sieben Jahrgänge der Unteroffiziere, und zwar der Maschinisten, Heizer, Steuerleute und Elektriker der Marine und das ganze kriegsdienstpflichtige Signalpersonal.
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Sperrung der Dardanellen

Konstantinopel, 4. Aug. (Priv.-Tel.)
Die Regierung hat die Sperrung der Dardanellen angeordnet zur Aufrechterhaltung der Neutralität der Türkei.
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England erklärt den Krieg

Berlin, 4. Aug. (W. B.)
Kurz nach 7 Uhr erschien der englische Botschafter Goschen auf dem Auswärtigen Amt, um den Krieg zu erklären und seine Pässe zu fordern.

Berlin, 4. August. (Priv.-Tel.)
Der englische Botschafter Goschen war heute Nachmittag im Reichstage und hatte dort eine Unterredung entweder mit dem Reichskanzler oder mit dem Staatssekretär v. Jagow. Man muß annehmen, daß die diplomatischen Beziehungen zwischen Deutschland und England unmittelbar vor dem Abbruch stehen.

Berlin, 4. August (Priv.-Tel.)
Die von uns schon erwähnte Unterredung des englischen Botschafters Goschen mit dem Staatssekretär v. Jagow im Reichstage gestaltete sich so, daß der englische Botschafter ein Ultimatum stellte, Deutschland solle bis nach 12 Uhr erklären, daß es seinen Vormarsch durch Belgien einstellen werde. Diese Forderung wurde a limine abgelehnt. Daraufhin verlangte der englische Botschafter seine Pässe die ihm alsbald zugestellt wurden. Um 7 Uhr erfolgte die Kriegserklärung Englands an Deutschland.
Die alsbald durch Extrablätter bekanntgegebene Nachricht fand in der Bevölkerung starken Widerhall. Allgemein war die Erregung über diesen Schritt des germanischen England zu Gunsten des russischen Zarismus. Die Erregung der Bevölkerung gab sich in lebhaften Demonstrationen kund. Während die berittene Polizei den französischen Botschafter Herrn Cambon von seinem Botschafterpalais am Pariser Platz nach dem Bahnhof begleitete, wo er kurz nach 9 Uhr abfuhr, zog ein großer Volkshaufen vor die englische Botschaft in der Wilhelmstraße und warf dort einen großen Teil der Fensterscheiben ein. Die berittene Polizei erschien alsbald und sperrte das Botschafterpalais gegen die Menge ab. 

New York. 4. Aug. (Priv.-Tel.)
Das englische Unterhaus bewilligte für außergewöhnliche Maßnahmen 100 Millionen Pfund (zwei Milliarden Mark).
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Der 1. Weltkrieg im August 1914

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Textquellen:
1) Amtliche Kriegs-Depeschen nach Berichten des Wolff´schen Telegr.-Bureaus  
Band 1
Nationaler Verlag, Berlin (1915)

2) "Frankfurter Zeitung" (1914)

 

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