Behandlung
von Kriegsgefangenen
Paris,
28. September. (Priv.-Tel.)
Mit Rücksicht auf eine mögliche Belagerung von Paris, während
der Bücher zur Kontrolle der den einzelnen Familien durch die Intendantur
zu Verfügung gestellten Proviantmengen ausgegeben werden sollen,
wurde eine Zählung vorgenommen, die ergab, daß noch 761200
Familien in Paris sind, also 362434 weniger als im Jahre 1911. Ein Drittel
aller Familien hat demnach Paris verlassen. Die Einwohnerzahl beträgt
1026307, statt normal 1807044. Also nur 60 Prozent der Bevölkerung
sind in der Stadt geblieben.
Bei einem gefangenen französischen Major ist ein Schriftstück
gefunden worden, das Vorschriften über die Behandlung der Gefangenen
enthält. Es heißt darin in Übersetzung aus dem Französischen:
Sobald eine feindliche Truppe erreicht ist, wird gerufen: "Waffen
nieder! Sonst kaputt!" Diese Worte sind jedem Soldaten so lange zu
wiederholen, bis er sie seinem Gedächtnis vollständig einverleibt
hat. Die Worte bedeuten, daß die Waffen niedergelegt werden müssen,
sonst werde man getötet. Sobald ein Unteroffizier oder Soldat gefangen
ist, werden ihm sofort die Knöpfe und Schnallen abgeschnitten, die
die Hosen um den Leib befestigen; sie dürfen nicht durch Bindfaden
ersetzt werden. Der Gefangene ist so genötigt, seine Hosen mit beiden
Händen zu halten und er kann nur schwer entfliehen. Die Leute, welche
die Gefangenen eskortieren, haben es mit aufgepflanztem Bajonett und geladenem
Gewehr zu tun. Wer zu fliehen versucht, dem wird das Bajonett in den Leib
gestoßen oder, wenn er nicht nahe genug ist, eine Kugel nachgeschickt,
wobei Acht zu geben ist, daß nicht einer der Unsrigen verletzt wird.
Es braucht dazu große Kaltblütigkeit, denn mit unserm Präzisionsgewehr
kann man einen Mann leicht zwanzig und mehr Meter weit entwischen lassen,
bevor man schießt und sicher ist, ihn nicht zu verfehlen.
Die Offiziere müssen sofort Säbel und Revolver abgeben. Sie
sind sofort von ihrer Truppe zu trennen und abgesondert durch die nötige
Zahl von Mannschaften zu bewachen. Jeder feindliche Offizier, Unteroffizier
oder Soldat, der das umgekehrte Gewehr in die Höhe hält, oder
ein weißes Tuch aufpflanzt, zum Zeichen, daß er sich ergebe,
und der dann verräterischer Weise schießt, muß sofort
ohne Erbarmen erschossen werden. Aber wenn man in diesen Fällen,
wo Repressalien gestattet sind, mit äußerster Strenge handeln
muß, so dürfen wir unsere Ehre nicht etwa dadurch beflecken,
daß wir den Gefangenen und noch weniger den Verwundeten den Gnadenstoß
geben. Wenn deutsche Soldaten unter gewissen Umständen wie Barbaren
oder wilde Tiere sich benehmen, so ist das kein Grund, daß wir Franzosen
in gleicher Weise verfahren und die Grundsätze edler Menschlichkeit
vergessen. 2)
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