Im
eroberten Antwerpen
Der
Berichterstatter der "Frankfurter Zeitung" schrieb aus dem Großen
Hauptquartier am 12. Oktober 1914:
Die Nachricht vom Fall Antwerpens ließ auch uns keine Ruhe im
Hauptquartier, und mit frohem Herzen traten wir die Fahrt nach Antwerpen
an. Am Eingang von Fort Waelhem machten wir Halt. Hier haben unsere 30.5
cm Mörser gearbeitet, und gleich neben der Eingangspforte zur Kehle
zeigt ein mächtiger Haufen Mauerwerk, wo ein Volltreffer Erd- und
Betonschicht durchschlug. Fort Waelhem ist ohne Sturm genommen worden.
Nachdem unsere Mörser im Verein mit 21 und 15 cm-Kaliber das Fort
eine Zeitlang intensiv bearbeitet hatten, wurde es von dem Hauptteil der
Besatzung geräumt. Der Rest der Besatzung, etwa 100 Mann, hißte
die weiße Flagge und ergab sich. Die erste Zeit für die tapferen
neuen Herren des Forts war nicht gerade angenehm, denn die Belgier versuchten
ganz kurze Zeit nach der Besetzung durch die deutschen Truppen das Fort
durch einen Angriff vom Dorf Waelhem aus wieder zu erobern, wobei ihre
Batterien über die Köpfe der Belgier hinweg das nunmehr in deutschem
Besitz befindliche Fort ganz gehörig eindeckten. Kaum eingetroffen,
mußte die Besatzung gleich an die Brustwehr. Sie hielt aber in diesem
Geschoßhagel wacker aus, und zu ihrer Unterstützung feuerten
die schweren Batterien scharf in die Zwischenstellung und beschossen auch
das Dorf Waelhem gründlich, so daß die Belgier nicht über
den Dorfsaum mit ihrem Angriff herauf kamen.
In welcher Unordnung der Rückzug erfolgt sein muß, bewiesen
die vielen zurückgelassenen Maschinengewehre. Bei Waelhem war übrigens
interessant, daß während des ersten Angriffs auf Dorf Waelhem
der Wassereinbruch erfolgte, so daß einzelne Leute auf einmal bis
zum Gürtel im Wasser standen.
Von diesem denkwürdigen Kampfgelände fahren wir weiter nach
Antwerpen zu. Singend kommen uns Truppen entgegen. Sie marschieren nach
dem Westen. Gar manchem funkelt das neue Eiserne Kreuz im Knopfloch, ein
Zeichen für besondere Bravour. Wenn es darauf ankäme und man
alle die dekorieren wollte, die mit hervorragendem Schneid ihre Pflicht
taten, so wäre es eigentlich das Beste, man ließe ein einziges
großes Eisernes Kreuz mit den Namen all derer machen, die in diesem
Feldzug mitgefochten haben, denn brav und tapfer sind sie alle, und wenn
je ein Truppenteil im Feuer ausgerissen ist, dann geschah es nach vorne
gegen den Feind, um ihn möglichst rasch vor die blanke Waffe zu bekommen.
Dann fuhren wir in den Fortgürtel der zweiten Linie ein und bald
sahen wir Fort 4 vor uns, von dem stolz die deutsche Flagge weht. Das
Schußfeld vor dieser zweiten Verteidigungslinie ist gut freigemacht.
Vor allem überrascht aber der Aufwand an Hindernissen, den sich die
Belgier in dieser zweiten Stellung geleistet haben. Zuerst ein dichtes
Drahthindernis, dann noch Wolfsgruben mit spitzen Holzpfählen in
der Mitte, dazu aber ein total veraltetes Fort mit einem ziemlich schwachen
Panzerturm. Geschossen haben die Belgier auch von hier mit Artillerie,
worauf ist nicht ganz klar, es ist also eher wahrscheinlich, daß
sie ohne festes Ziel mit größten Schußweiten das Gelände
beliebig abgestreut haben. Das Fort selbst ist mit enger Vereinigung von
Infanterie- und Artilleriestellung gebaut und ein Schuß der "Berta"
hätte genügt, um das ganze Fort zu zertrümmern.
Dann ging es nach Antwerpen hinein. Die Beschädigung der Stadt ist
bekanntlich im Verhältnis zur Größe Antwerpens nicht der
Rede wert. Die Antwerpener Feuerwehr hat an ihrer Erhaltung großen
Anteil, da sie selbst während des Bombardements ihre Pflicht tat.
Antwerpen ist nur von unseren 15 cm-Geschützen befeuert worden. Man
hatte zuerst die 42 cm-Mörser in Aussicht genommen und das erste
Geschoß bei einer dieser Batterien war auch bereits mit einer Aufschrift
versehen, laut deren der Richtkanonier des ersten Geschützes den
Antwerpenern einen fröhlichen Morgengruß sandte.
In dichten Rauchschwaden lagen die Petroleumtanks. Aus der Erde heraus
lohte eine dunkelrote Flamme, wo eine Petroleumleitung durch ständigen
Zufluß neue Nahrung lieferte. Es sah wie der Eingang zur Hölle
aus. Der Boden um die Tanks war teilweise mit Petroleum bedeckt, das man
vermutlich hatte auslaufen lassen, das aber auch in Brand geraten war.
In dem Innern des Tankbezirks sah es fürchterlich aus. Die großen
Tankbehälter lagen wie zerknickte Streichholzschachteln zerknittert
am Boden, durch die gewaltige Hitze geschmolzen und dann in sich zusammengesunken.
Aus dem Innern wirbelten noch immer dichte Rauchwolken empor. Es ist ein
Glück, daß hier nicht auch Benzinvorräte gelegen haben,
sonst wären die Folgen gar nicht auszudenken gewesen. Auch hier sind
Millionenwerte vernichtet, vorwiegend amerikanischer Besitz.
Am anderen Morgen wanderte ich nach dem Rathause. Die Rückwanderung
hatte begonnen und Tausende standen in dichten Reihen vor der Tür,
um sich den Aufenthaltsschein zu holen. In dichten Zügen wurden neue
Scharen, auf beiden Seiten von deutschen Soldaten eskortiert, herangeführt
und den bereits Wartenden angehängt. Auch eine Anzahl Geschäfte
öffnete schüchtern ihre Pforten. Ich glaube, daß Antwerpen
eher als jede andere Stadt ihr gewöhnliches Aussehen wieder gewinnen
wird, und als ich meinem Friseur in Brüssel, übrigens einem
Stockbelgier, mein Erstaunen über diese so aussagend freundliche
Haltung der Bevölkerung aussprach, sagte er resigniert: "Was
wollen Sie, Antwerpen ist eine deutsche Stadt, mich wundert nur, daß
die Flamen den Deutschen zuliebe keine Fahnen herausgehängt haben!"
Die Fahrt ging weiter nach dem Fort Lier, gegen das vor allem unsere 42
Zentimeter-Mörser gefeuert hatten. Das Fort Lier ist ein ganz modernes
Fort mit guten Panzern, mit Eisenbeton, und von einem breiten Straßengraben
umgeben. Die Flankierungsgeschütze des Grabens waren auch als Zwischenstreifen
ausgebaut, d. h. es war ihnen durch Freimachen des Schußfeldes vor
ihnen ermöglicht, einen bestimmten Teil des Zwischenraumes zum Nachbarwerk
unter Feuer zu nehmen. In dem Fort selbst sahen wir einen Treffer der
"Berta", den ich überhaupt als den interessantesten bezeichnen
möchte, den ich in diesem Feldzuge gesehen habe. Die Granate war
auf der Erddeckung direkt vor einem Panzerturm aufgeschlagen, hatte die
7 Meter dicke Erddecke sowie eine Betonschicht von 2,2 Meter durchschlagen,
hatte den Panzerturm in Höhe der Maschinerie getroffen, war quer
durch denselben durchgegangen und hatte hinter ihm ein großes Loch
gerissen, in dem man ein gewaltiges Stück des Geschosses liegen sah.
Durch die Gewalt der Explosion dieses einen Schusses war die Betondecke
bis zu den nächsten Türmen infolge der plötzlich auftretenden
seitlichen Verschiebung gerissen. Es ist eine ganz enorme Wirkung, die
wir hier vor Augen hatten.
Ich möchte bei dieser Gelegenheit gleich einmal die Frage berühren,
welche Einwirkung die Erfahrungen dieses Krieges auf den modernen Festungsbau
haben wird. Zunächst wird wohl der Bau von Forts vermutlich ganz
aufhören. Sie sind zu große Zielobjekte und der modernen schweren
Artillerie nicht mehr gewachsen. Durch deren enormen Fortschritt ist man
gezwungen, Infanterie- und Artilleriestellung noch mehr als bisher zu
trennen. Wir haben bei allen bisherigen Festungskämpfen, Maubeuge,
Verdun, Antwerpen, die Erfahrung gemacht, daß der Hauptkampf nicht
in der Fortlinie mit deren genau markierten Zielen, sondern in der Zwischenstellung
stattfand, wo uns geschickt aufgestellte Zwischenbatterien bis zuletzt
das Leben herzlich sauer machten. Das Kernbild des modernen Kampfes ist
die mit allen Hilfsmitteln der Technik ausgebaute Feldstellung, wie wir
sie deutscherseits an der Aisne, beim Gegner teilweise bei Verdun und
Maubeuge, an einzelnen Stellen auch bei Antwerpen antrafen.
Bei Fort Lier sahen wir auch eine Anschlußstellung für Infanterie
mit gedeckten Annäherungswegen, die wirklich ganz ausgezeichnet angelegt
war und sehr gute Deckung gewährte. Sehr zu loben war auch die Enge
der ganzen Grabenanlage, da von diesem Faktor zum großen Teil mit
die Deckung abhängt, die eine solche Anlage gegen Sprengstücke
bietet. Auch die vorderste Infanterielinie war sauber und gut angelegt
und unterschied sich im besten Sinne von den anderen belgischen und englischen
Anlagen, die wir am Netheabschnitt und bei Contich zu Gesicht bekommen
hatten.
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