Der Weltkrieg am 18. Oktober 1914

DEUTSCHER HEERESBERICHT

 

 Der deutsche Heeresbericht:

Die Kämpfe bei Warschau

Großes Hauptquartier, 18. Oktober, mittags.
Auf dem westlichen Kriegsschauplatz ist der gestrige Tag im allgemeinen ruhig verlaufen. Die Lage ist unverändert.
Auf dem östlichen Kriegsschauplatz sind unsere Truppen in der Gegend von Lyck im Vorgehen. Der Kampf bei und südlich Warschau dauert an.
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Vier deutsche Torpedoboote der Übermacht erlegen

Berlin, 18 Oktober.
Am 17. Oktober nachmittags gerieten unsere Torpedoboote "S 115", "S 117, "S 118" und "S 119" unweit der holländischen Küste in Kampf mit dem englischen Kreuzer "Undaunted" und vier englischen Zerstörern. Nach amtlichen englischen Nachrichten wurden die deutschen Torpedoboote zum Sinken gebracht und von ihrer Besatzung 31 Mann in England gelandet.

Der stellvertretende Chef des Admiralstabes.
gez. Behncke.
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Die Entsetzung von Przemysl

Kriegspressequartier, 18. Oktober.
Gestern konnte ich eine Reihe authentischer Mitteilungen über den Verlauf der Einschließung Przemysls erfahren, die ein ziemlich vollständiges und verläßliches Bild des Ganzen geben. Am 16. September zeigten sich die ersten Kosakenpatrouillen im weiteren Umkreise der Festung, das heißt, ihre Anwesenheit wurde von unseren Kavalleriepatrouillen gemeldet. Am 17. September verließ der letzte Eisenbahnzug mit dem Bahnpersonale die Stadt, ohne irgendwie auf den Gegner zu stoßen. Erst am 18. September zeigten sich neuerlich Kosakenabteilungen, die sich sehr vorsichtig näherten. Später folgten bereits gemischte Detachements auf allen Anmarschlinien. Ihre Verteilung und Instradierung zeugte von sorgfältiger und wohldurchdachter Vorbereitung, ebenso die Art der in den Tagen bis zum 22. September so ziemlich beendeten weiten Einschließung des Festungsgebietes. Es waren von den Russen hierzu etwa fünf Armeekorps verwendet worden, die sich in der letzten Septemberwoche allseits vorzuarbeiten suchten. Die ungemein offensiv geführte Verteidigung Przemysls erschwerte dies, jedoch außerordentlich durch zahlreiche Ausfälle und sehr wirksames Feuer aus den vorgeschobenen Stellungen. Hiermit begann bereits die Periode sehr schwerer Verluste für die Russen, die sich schließlich auf mindestens vierzigtausend Mann mit einem abnormen Prozentsatz an Toten beliefen.
Am 2. Oktober sandte der Kommandant der Belagerungsarmee, der frühere bulgarische Gesandte in Petersburg, General Radko Dimitriew, einen Oberleutnant des Generalstabes als Parlamentär mit der Aufforderung zur Übergabe in die Festung. Der Festungskommandant Feldmarschalleutnant Kusmanek von Burgneustätten erteilte die bereits bekannt gewordene Antwort, die es überhaupt ablehnte, auf das russische Ansinnen einzugehen. In der Festung herrschte Stimmung, als diese gebührende Antwort bekannt wurde und zwar nicht allein bei der Besatzung, sondern auch in der Bevölkerung, die sich überhaupt musterhaft benahm, da alle verdächtigen Elemente abgeschoben worden waren.
Tags darauf begann die Beschießung der Festung mit den schweren Kalibern, die mittlerweile mit großer Umsicht in Stellung gebracht worden waren. Es wird erzählt, daß sich die Russen im Besitze ausgezeichneter Informationen über alle Einzelheiten der Befestigungsanlagen befunden haben müssen, da sie ihre Batterien nicht nur fast durchwegs mustergültig und mit ihren Kalibern genau den zu bekämpfenden Zielen entsprechend eingebaut hatten, sondern auch Objekte beschossen, deren genaue Lage und Bestimmung ihnen sonst unmöglich bekannt sein konnten. Die russischen Stellungen waren durchweg vorzüglich maskiert und nur mit größter Mühe zu entdecken. Es soll nun an General Dimitriew der Befehl ergangen sein, die Festung unbedingt bis 8. Oktober zu nehmen. Tatsächlich begann am 5. Oktober ein allgemeiner Angriff gegen alle Fronten, der sich schließlich gegen die Südostfront der Festung am entschiedensten aussprach. Man gewann den Eindruck, daß General Dimitriew, vielleicht noch angeregt durch den raschen Erfolg bei Lüttich, seinen vor Adrianopel erworbenen Ruhm hier auch durch einen gewaltsamen Angriff, wie der Fachausdruck lautet, krönen wollte. Es wurden nämlich vom 6. Oktober an durch volle 72 Stunden alle Mittel in rücksichtslosester Weise aufgeboten, um die Festung zu Fall zu bringen. Artilleristisch waren die Russen sehr gut vorgesehen, sie hatten außer ihrer ohnehin sehr zahlreichen und guten Feldartillerie noch einen reichen Belagerungspark von 15, 18, 21 und 24-Zentimeter-Kaliber, ferner eine Menge von Marinegeschützen in Tätigkeit, die alle Werke mit größter Präzision ununterbrochen unter Feuer hielten, um das Herankommen der Infanterie auf Sturmstellung zu ermöglichen und unsere Verteidigungsmittel bis dahin möglichst zu vernichten oder ihre Wiederherstellung unmöglich zu machen. Alles scheiterte aber an der wirklich überlegenen Ruhe unserer Offiziere und Mannschaften in der Verteidigung. Die Leute schossen sorgfältig wie nach Scheiben, sodaß sogar das Infanteriefeuer enorme Erfolge hatte, von der Wirkung der Geschütz- und Maschinengewehre gar nicht zu reden. Gefährlich wurde die Situation nur an der Südostfront, wo die Russen mit wahrhaft verzweifeltem Mute unter entsetzlichen Opfern vorgingen. Gegen ein einziges Fort daselbst, das schwächste dieses Abschnittes, wurden elf Bataillone angesetzt, von denen sich etwa 150 Mann schließlich einzeln kriechend ungesehen bis zur Kehle schlichen und plötzlich oben auf dem äußeren Wall auftauchten. Unsere geringe Besatzung an dieser Stelle mußte sich in die Kehlkoffer und Kasematten zurückziehen. Die Russen drängten sofort nach und es begann ein wahres Schlachten mit Bajonetten und Kolben, da Feuerwaffen in diesem Handgemenge nicht anwendbar waren. Unsere ganze Besatzung zählte nur hundert Mann und wehrte sich verzweifelt, so daß schließlich alle eingedrungenen Russen tot oder gefangen waren. Alle Gräben des Forts und die Drahthindernisse vor ihm waren mit Haufen von Leichen bedeckt. Ein einziger Mann namens Suchy schoß allein zuerst den kommandierenden Major und noch über 40 Russen nieder. Ein anderer, der sich gleichfalls an einer günstigen Stelle befand, arbeitete ähnlich mit Handgranaten. Schließlich, nach mehr als dreistündigem Kampfe, hörte das Nachfluten der Eindringlinge auf und das kleine Vorwerk war endgültig frei.
Am stärksten war ein Fort der Nordfront mitgenommen worden. Etwa 250 Treffer wurden darin erzielt. Merkwürdigerweise war aber die Wirkung relativ gering trotz der schweren Kaliber. Zwei auf offenem Wall stehende leichte Geschütze waren demontiert, die Erde war vielfach durch tiefe Trichterbildungen aufgewühlt, Betonbauten und Panzerkuppeln aber blieben völlig unversehrt, sodaß die Kampffähigkeit des Werkes nicht gelitten hatte. Ich sah dort einen sehr merkwürdigen Zufallstreffer. Eine Granate war direkt in eine Scharte eingedrungen und hatte einen Mann getötet. Dies war der einzige Tote in jenem Werke, wo überhaupt sonst nur einige Dutzend Mann verwundet wurden. Ein Beweis für die Schußpräzision war das Trefferbild, das vom Walle aus sehr gut zu sehen war. Alle Schüsse saßen symmetrisch zu beiden Seiten der Mittellinie, die Flanken wiesen fast keine Treffer auf. Die aus Honvedtruppen bestehende Besatzung erzählte, daß die in den Kasematten dienstfrei ruhende Mannschaft nur in der ersten Nacht wegen der ungeheuren Detonationen der einschlagenden Bomben nicht schlafen konnte. Später gewöhnten sich die Leute daran und schliefen ruhig, da sie sich von der Widerstandsfähigkeit der Decken überzeugt hatten.
Am 8. Oktober ließ der russische Angriff an Heftigkeit nach. Der Rückzug begann. Er artete an manchen Stellen bald zur Flucht aus, da die Besatzung heftig nachdrängte und unsere eigenen Entsatzkräfte von Westen fühlbar wurden. Es wurden eine Menge von schweren Geschützen erbeutet, die von den Russen nicht mehr mitgenommen werden konnten, auch zahlreiche Gefangenen wurden bei den verschiedenen Ausfällen gemacht.
Die Verluste der Besatzung Przemysl betrugen insgesamt etwa 600 Mann, sind also minimal. Am 11. Oktober fanden noch feierliche Dankgottesdienste statt und zahlreiche Abordnungen erschienen beim kommandierenden General, um ihm den Dank für die rasche Aufhebung der Belagerung auszusprechen.
Es wird nunmehr in der Umgebung der Festung, hauptsächlich im Osten gekämpft, wo die Russen mit größter Zähigkeit Widerstand leisten. Man hört den Kanonendonner sehr deutlich. Gestern Abend fand noch ein Rückzugsgefecht im Norden der Festung statt, da die Russen ihre nächst Radymno geschlagene Brücke über den San verteidigten. Ich stand auf dem Kirchturme von Radymno, doch war wegen der einbrechenden Dunkelheit außer einigen Schwarmlinien unserer Infanterie und dem Aufblitzen des Geschützfeuers nicht viel zu sehen. Der Ort selbst hatte arg gelitten. Bei der Rückkehr nach Przemysl konnte ich mich neuerlich von der guten Stimmung unserer braven Soldaten überzeugen. Sie waren den ganzen Tag marschiert und schritten noch am Abend raumgreifend und in tadelloser Marschordnung aus, obwohl man vielen die Ermüdung ansah. Keiner von den vielen wollte zurückbleiben.

Freiherr K. v. Reden,
Kriegsberichterstatter.
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Der 1. Weltkrieg im Oktober 1914

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Textquellen:
1) Amtliche Kriegs-Depeschen nach Berichten des Wolff´schen Telegr.-Bureaus  
Band 1
Nationaler Verlag, Berlin (1915)

2) "Frankfurter Zeitung" (1914)

 

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