Der Weltkrieg am 30. Oktober 1914

DEUTSCHER HEERESBERICHT - ÖSTERREICHISCHER HEERESBERICHT

 

 Der deutsche Heeresbericht:

Fortschreitender Angriff bei Nieuport und Ypern

Großes Hauptquartier, 30. Oktober, vormittags.
Unsere Angriffe südlich Nieuport und östlich Ypern wurden erfolgreich fortgesetzt. Acht Maschinengewehre wurden erbeutet und 200 Engländer zu Gefangenen gemacht.
Im Argonnerwald nahmen unsere Truppen mehrere Blockhäuser und Stützpunkte. Nordwestlich Verdun griffen die Franzosen ohne Erfolg an.
Im übrigen ist im Westen und ebenso auf dem östlichen Kriegsschauplatz die Lage unverändert.
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Der österreichisch-ungarische Heeresbericht:

Die Kämpfe im östlichen Galizien

Wien, 30. Oktober.
Amtlich wird verlautbart:
In Russisch-Polen wurde auch gestern nicht gekämpft. Am unteren San wurden stärkere, südlich Nisko über den Fluß gegangene feindliche Truppen nach heftigen Gefechten zurückgeworfen. Bei Stary-Sambor sprengte unser Geschützfeuer ein russisches Munitionsdepot in die Luft. Alle feindlichen Angriffe auf die Höhen westlich dieses Ortes wurden abgeschlagen. Im Raume nordöstlich von Turka gewannen unsere angreifenden Truppen mehrere wichtige Höhenstellungen, die der Feind fluchtartig räumen mußte. Unser Landsturm machte in diesen Kämpfen viele Gefangene.
Die Gesamtzahl der in der Monarchie internierten Kriegsgefangenen betrug am 23. Oktober 649 Offiziere und 73179 Mann, nicht eingerechnet die auf beiden Kriegsschauplätzen sehr zahlreichen noch nicht abgeschobenen Gefangenen aus den Kämpfen der letzten Wochen.

  Der Stellvertreter des Chefs des Generalstabes.
v. Hoefer, Generalmajor.
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Der Krieg im Schwarzen Meer

Konstantinopel, 30. Oktober. (Priv.-Tel.)
Die türkische Regierung teilt amtlich mit:
Während ein kleiner Teil der ottomanischen Flotte am 28. Oktober im Schwarzen Meere Übungen vornahm, eröffnete die russische Flotte, nachdem sie längere Zeit diesen Übungen folgte und sie zu stören suchte, am Donnerstag die Feindseligkeiten, indem sie die ottomanischen Schiffe angriff.
Im Verlaufe des sich nunmehr entspinnenden Kampfes gelang es unserer Flotte durch die Gnade des Allmächtigen, den Minendampfer "Pruth", der 5000 Tonnen verdrängte und ungefähr 700 Minen trug, zu versenken. einem der russischen Torpedoboote schwere Beschädigungen beizubringen und einen Kohlendampfer zu kapern.
Ein vom türkischen Torpedoboot "Hairet Millie" abgeschossener Torpedo hat den russischen Torpedojäger "Kubanez" der 1100 Tonnen verdrängte, versenkt, und ein anderes vom
Torpedoboot "Mouavenet Millie" abgeschossenes Torpedo hat einem anderen russischen Küstenwachschiff sehr schweren Schaden zugefügt. Drei russische Offiziere und 72 Matrosen wurden von den Unseren gerettet und, da sie zur Bemannung der versenkten und zerstörten Schiffe gehörten, gefangen genommen.
Die Kaiserliche Flotte hat durch die Gnade Gottes keinerlei Schaden erlitten und der Kampf geht günstig für unsere Flotte weiter.
Die Kaiserliche Regierung wird ohne Zweifel mit äußerstem Nachdruck gegen diese feindselige Handlung Einspruch erheben, die von der russischen Flotte gegen einen geringfügigen Teil unserer Flotte unternommen worden ist.
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Beschießung von Sewastopol

Konstantinopel. 30. Oktober. (Priv.-Tel.)
Der türkische Kreuzer "Sultan Javus Selim" hat Sewastopol erfolgreich beschossen und die Stadt in Brand gesetzt.
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Die Vorgänge in Konstantinopel

Konstantinopel, 30. Oktober. (Priv.-Tel.)
Die russische Botschaft ließ heute ihre Archive in das Gebäude der italienischen Botschaft schaffen, während die englische und französische Botschaft die ihrigen der amerikanischen Botschaft übergaben.

Konstantinopel, 30. Oktober. (Priv.-Tel.)
Um 7 Uhr abends wurde heute auf dem Palais der russischen Botschaft und des Generalkonsulats die italienische Flagge gehißt.

Rom, 30. Oktober. (Priv.-Tel.)
Die Consulta wird informiert, daß der russische Botschafter in Konstantinopel den Befehl erhalten hat, abzureisen. Der Schutz der russischen Untertanen wurde der italienischen Botschaft anvertraut.

Konstantinopel, 30. Oktober. (Priv.-Tel.)
Die Kriegserklärung Rußlands an die Türkei steht bevor.

Konstantinopel, 30. Oktober. (W. B.)
Die Beiramfeier war in der ganzen Türkei von einem Gefühl freudiger Erwartung getragen und von der Empfindung, daß man am Vorabend großer Ereignisse stehe.
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Deutschlands neuer Verbündeter

Die "Frankfurter Zeitung" schrieb am 30. Oktober 1914:
Womit seit dem Beginn des großen Ringens mit wachsender Gewißheit zu rechnen war, das ist nun geschehen: die Türkei ist in den Krieg, der den Namen des Weltkrieges mit jedem Tage mehr verdient, eingetreten. Das schon jetzt ungeheure Gebiet des Kampfes vergrößert sich durch den Hinzutritt der europäischen und der asiatischen Türkei noch wesentlich, und niemand kann in diesem Augenblick schon übersehen, wie weit nach Innerasien hinein die Anstöße sich erstrecken werden, die von den Befehlen der am Goldenen Horn entscheidenden Männer ausgehen. Der Krieg aller gegen alle wird zur Wahrheit.
Mit Angst haben die Kabinette von London, Paris und Petersburg die Vorgänge, die sich in den letzten Monaten in Konstantinopel abspielten, beobachtet. Ihre diplomatische
Geschicklichkeit hat nicht hingereicht, um die Wut und die Besorgnis über das stets kühnere Auftreten der Pforte zu verbergen, aber sie war immerhin so groß, daß man die höchst verdrießlichen Maßnahmen der Türkei schweigend oder mit ohnmächtigem Proteste hinunterschluckte. Von diesen gegen den Dreiverband gerichteten Schritten war der erste und wohl folgenreichste die Aufnahme der deutschen "Goeben" und "Breslau" in den Schutz der türkischen Gewässer, nachdem es unseren Kreuzern unter der Führung des Admirals Souchon gelungen war, über die ganze Breite des Mittelländischen Meeres von Gibraltar bis zu den Dardanellen hin sich durch die ihnen auflauernde englisch-französische Riesenflotte durchzuschlagen. In der Folge hat die Pforte dann die alten "Kapitulationen" mit den christlichen Mächten abgeschafft, die ihr drückende Bestimmungen im rechtlichen Verkehr mit europäischen und amerikanischen Untertanen auferlegten. Und zuletzt hat sie die Dardanellen verschlossen und damit der Schiffahrt der gegen Deutschland verbündeten Mächte, besonders aber der englischen Getreidezufuhr aus Südrußland und der russischen Waffeneinfuhr aus England und Frankreich einen höchst empfindlichen Schlag versetzt. Alles dies hat die Politik des Dreiverbandes hingenommen, um wenn möglich durch die Maske der Sanftmut die Pforte zu beschwichtigen und die neue furchtbare Gefahr zu beseitigen. Es ist ihr nicht gelungen. Vorgestern ist die türkische Flotte in das Schwarze Meer eingedampft und schon am gestrigen Tage hat sie gegen die am andern Gestade dieses Meeres liegenden russischen Häfen Feodosia und Noworossijsk feindliche Operationen ausgeführt. Somit hat der Krieg begonnen, zunächst bloß zwischen der Türkei und Rußland, aber da Rußland mit England und Frankreich eng verbündet ist, so dürften die Westmächte ihrerseits rasch in den Kampf mit dem Osmanenreiche eingreifen und mit ihren Flotten gegen die türkische Mittelmeerküste vorgehen. Der Dreiverband hat somit einen neuen sehr ernst zu nehmenden Feind, Deutschland und Österreich-Ungarn aber haben einen überaus wertvollen Bundesgenossen erhalten.
Daß die Türkei den Ereignissen des Jahres 1912 zum Trotz ein keineswegs zu unterschätzender Gegner ist. weiß man in London wie in Petersburg sehr wohl. Nicht ihre Armee etwa hatte sich im Balkankriege schlecht bewährt, sondern es war die "Intendantur" des Heeres, die Organisation der Proviant- und Waffenzufuhr, der Verbindung der Feldarmee mit den hinten liegenden Quellgebieten ihrer Kraft und Erneuerung, die versagte. Dieser gesamte entscheidend wichtige Bestandteil des Kriegsapparates ist seitdem durch die deutsche militärische Mission in der Türkei, an deren Spitze General Liman von Sanders gestellt ist, einer gründlichen Neuordnung in allen Stücken unterzogen worden und man darf behaupten, daß eine ganz andere Armee von sehr großer Leistungsfähigkeit und Ausdauer geschaffen worden ist. Gegen diese deutsche Armeereform in der Türkei hat sich Rußland, das den osmanischen Staat immer schwächer werden lassen wollte, um ihn endlich mühelos zu verschlingen, wie bekannt nach Kräften zur Wehr gesetzt, und die Entsendung der deutschen Mission nach Konstantinopel ist ein Hauptgrund der Zuspitzung des Verhältnisses zwischen Berlin und Petersburg und mittelbar des großen Krieges geworden. Nicht so gut wie dem Heere ist es der Flotte der Türkei gegangen. Zu ihrer "Reformierung" wurde eine englische Marinemission unter dem Admiral Limpus berufen. Dieser scheint von Anfang an den Auftrag gehabt zu haben, die ihm anvertraute Seemacht nicht gesunden zu lassen, und sicher ist es, daß, sobald die Gefahr des Eingreifens der Türkei gegen Rußland und England denkbar wurde, die Engländer alles getan haben, um die türkischen Kriegsschiffe zu ruinieren.
Zum Glück ist man sie in einem frühen Stadium des Krieges aus Konstantinopel los geworden, und der unermüdlichen Arbeit deutscher Seeleute ist es von da an gelungen, die osmanische Marine auf einen viel höheren Grad der Schlagfertigkeit zu bringen, als sie ihn seit langem besessen hat. Freilich, die beiden Dreadnoughts, welche die Türkei auf englischen Werften bauen ließ und die sie bereits bezahlt hatte, sind ihr räuberischer Weise von der britischen Regierung vorenthalten worden. Aber auch ohne diesen Zuwachs ist die türkische Flotte ihrem nächsten Gegner, der russischen Marine im Schwarzen Meere, überlegen. Darf man aus der Meldung von der Beschießung von Feodosia und der Bedrohung von Noworossijsk weitergehende Schlüsse ziehen, so scheint es die Absicht der türkischen Kriegsleitung und ihres energischen und fähigen Kopfes Enver Pascha zu sein, die Einschiffung russischer Truppen in jenen Häfen zu verhindern. Wenn dies gelingt, so kann Rußland seine Korps anstatt durch die kurze Seefahrt nach Batum nur mit einem weiten Umwege auf der Bahn nach dem kaukasisch-armenischen Gebiete befördern, das zweifellos eine der Schauplätze dieses Krieges werden wird. Wie weit von hier aus der Brand nach Innerasien greifen mag, das ist für jetzt unabsehbar. In Persien hat man begriffen, daß nun oder nie die Stunde da ist, sich von der russisch-englischen Umklammerung zu befreien. Aus Afghanistan kommt die Kunde von großen Zurüstungen und Plänen, die hier das russische Gebiet, dort Indien bedrohen sollen. Die ganze Welt des Islam scheint in Gärung geraten. Anzunehmen ist, daß die türkische Armee auch im arabischen Bereiche aktiv werden, vor allem daß sie einen Vorstoß gegen Ägypten unternehmen wird. Welche Gefahren damit für England entstehen, das lehrt eine einfache Überlegung.
Die Zentralmächte begrüßen in der Türkei einen höchst wertvollen Bundesgenossen, dessen kriegerische Kraft auf hundert Schlachtfeldern der Welt bekannt geworden ist und dessen moralischer Einfluß durch die Stellung des Sultan-Kalifen in der mohammedanischen Welt weit über die Grenzen des Osmanenreiches hinausgeht. Abzuweisen aber ist die Unterstellung, die längst in London, Paris und Petersburg laut geworden ist, daß die Pforte von Deutschland in den Krieg geschickt worden sei. Die Türkei ist nicht im entferntesten ein Vasallenstaat Deutschlands, ihre Entschließungen sind frei, sie kennt ihre Gefahren und die Verantwortung. Sie weiß aber auch, daß sie für ihre Existenz kämpft, indem sie an unsere Seite tritt. Denn eine Niederlage Deutschlands müßte das Ende des selbständigen Osmanentums bedeuten, das alsdann freundlos der russischen Gier zum Opfer fallen würde. Allerdings hat unsere Diplomatie, die seit dem Kriege über Gebühr in Deutschland getadelt worden ist, hier einen wesentlichen Erfolg davongetragen, aber nicht in dem Sinne, daß
die Türkei ein blindes Instrument für unsere Zwecke geworden wäre. Sie handelt für ihre eigenen höchsten Interessen, und in freudiger Zustimmung wird heute aus dem Munde von Hunderttausenden osmanischer Soldaten der alte Ruf ertönen: Padischahim tschok jascha!
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Der Erste Seelord zurückgetreten

London, 30. Oktober. (W. B.)
Prinz Ludwig von Battenberg ist von seinem Posten als Erster Seelord zurückgetreten.
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Der russische Kreuzer "Schemtschug"
Der russische Kreuzer "Schemtschug"

Eine neue Heldentat der "Emden"

Leipzig, 30. Oktober. (W. B.)
Die "Leipziger Neuesten Nachrichten" verbreiten folgendes Extrablatt: Kopenhagen. Nach einer amtlichen Petersburger Meldung aus Tokio wurde der russische Kreuzer "Schemtschug" und ein französischer Torpedojäger auf der Reede von Pulo Penang durch Torpedoschüsse des deutschen Kreuzers "Emden" zum Sinken gebracht. Der Kreuzer hatte sich durch Anbringen eines vierten, falschen Schornsteins unkenntlich gemacht und konnte sich auf diese Weise den vernichteten Schiffen unerkannt nähern.
Der geschützte Kreuzer "Schemtschug" ist ein zur russischen Ostseeflotte gehöriges Schiff von 3180 Tonnen mit 24 Knoten Geschwindigkeit und 356 Mann Besatzung, das 1903 in Petersburg vom Stapel gelaufen ist. Es hatte acht Stück 12- und sechs Stück 4.7-Zentimeter-Geschütze. "Schemtschug" war im japanischen Kriege ein ganz neues Schiff, und die russische Flotte wartete bei ihrer Ostasienfahrt eigens darauf, damit es am Kampfe teilnehmen könne. Es nahm auch an der Seeschlacht bei Tsuschima teil und gehörte zu den wenigen übriggebliebenen russischen Schiffen, die der Vernichtung entgingen. Es flüchtete in einen Hafen auf den Philippinen, wo es entwaffnet wurde. Der Name des französischen Torpedojägers ist nicht genannt; vermutlich handelt es sich um eins der größeren Schiffe dieses Typs.

Berlin, 30. Oktober (W. B.)
Die Kriegszeitung des "Berliner Lokalanzeigers" meldet aus Kopenhagen: Der russische Marinestab teilt folgende Einzelheiten über den Untergang des russischen Kreuzers "Schemtschug" bei Penang mit: Am 28. Oktober, 5 Uhr früh, näherte sich die "Emden", die durch Aufstellung eines vierten Schornsteins unkenntlich gemacht war, den Schiffen, welche die "Emden" für ein Kriegsschiff der Verbündeten hielten. Die "Emden" fuhr mit voller Kraft gegen den "Schemtschug". Sie eröffnete das Feuer und schoß einen Torpedo ab, der am Bug des russischen Kreuzers explodierte. Der "Schemtschug" erwiderte das Feuer. Die "Emden" schoß einen neuen Torpedo ab, der den "Schemtschug" zum Sinken brachte. 85 Mann der Besatzung ertranken, 250 Mann, darunter 112 Verwundete, wurden gerettet.
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Der 1. Weltkrieg im Oktober 1914

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Textquellen:
1) Amtliche Kriegs-Depeschen nach Berichten des Wolff´schen Telegr.-Bureaus  
Band 1
Nationaler Verlag, Berlin (1915)

2) "Frankfurter Zeitung" (1914)

 

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