Die
Herrschaft der Russen in Czernowitz
Czernowitz,
5. März.
Während der zweiten russischen Invasion wurde die Bukowina dem russischen
Gouvernement Bessarabien zugeschlagen. Gouverneur der Bukowina wurde der
kaiserliche Kammerjunker Evreinov, der es als seine Hauptaufgabe betrachtete,
der Bevölkerung durch Quälereien den Aufenthalt in Czernowitz möglichst
zu verleiden und sich besonders in der Verfolgung der Juden hervortat.
Als sein Sekretär fungierte der frühere Czernowitzer Advokaturkandidat
Dr. Alexander Gerowski, ein früherer Österreicher, der vor dem Kriege
die russophile Propaganda in Österreich geleitet hatte, wegen Hochverrats
in gerichtlicher Untersuchung stand und aus dem Gefängnis entfloh. Er
kam nach Rußland, wo er bei Ausbruch des Krieges durch einen Beschluß
des russischen Ministerrats naturalisiert und gleichzeitig zum russischen
Staatsbeamten ernannt wurde.
Der Gouverneur hatte auch Polizeibeamte nach Czernowitz gebracht, die
sofort die russische Polizei organisierten. Sie führten sofort all ihre
russischen Verwaltungsmaßnahmen, die Drangsalierungen der Bevölkerung,
Erpressungen, ungerechtfertigte Verhaftungen, Folterungen und Ähnliches
ein. Auch eine eigene Gerichtsbarkeit richteten die Russen in Czernowitz
ein; außerdem den Post- und Eisenbahnverkehr nach Rußland und den von
ihnen besetzten Teilen Galiziens. Von Czernowitz hatten sie eine direkte
Eisenbahnverbindung mit Lemberg über Stryj geschaffen. Alle diese Einrichtungen
wurden schon in der ersten Zeit nach der russischen Invasion eingerichtet.
Die Russen betrachteten die Bukowina als festen Besitz, obwohl sie doch
eigentlich nur reines Operationsgebiet war. Die Russen spielten sich als
die dauernden Herren von Czernowitz heraus und richteten sich auch demgemäß
ein. Selbst äußerlich suchten sie jede Erinnerung an die österreichische
Herrschaft zu verwischen. Alle österreichischen Adler wurden herabgenommen,
sogar der Rathausadler von der Spitze des Rathausturmes. Jeder schwarz-gelbe
Anstrich an den Trasiken mußte schwarz überstrichen werden. Die Bevölkerung
mußte alle russischen Feiertage mitfeiern; wie eine Zarenfeier in Czernowitz
ausfiel, ist vor einiger Zeit in der "Frankfurter Zeitung" geschildert
worden.
Die Russen fühlten sich so sicher, daß sie später sogar junge Rekruten
aus Rußland hereinbrachten und sie erst hier auszubilden begannen. Diese
unausgebildeten Rekruten haben sie im Momente der Gefahr in die Schanzgräben
vor Czernowitz entsendet. Außerdem schickten sie sich auch an, einen Lehrkurs
für die russische Sprache in der Lehrerbildungsanstalt zu errichten. Alle
Volksschullehrer sollten veranlaßt werden, diesen Kurs zu besuchen, um
dann den Unterricht in russischer Sprache zu erteilen.
Außer den zahlreich verschleppten Juden wurden auch zwanzig Nicht-Juden
grundlos verhaftet und nach Rußland geführt, darunter der Führer der Christlich-Sozialen,
der Religionsfondsbeamte Dr. Adelsberger, weil er die Güter des griechisch-orthodoxen
Reltgionsfonds nicht angeben wollte, der Reichsdeutsche Lenig, Direktor
der Czernowitzer Wach- und Schließgesellschaft, zwei Frauen und einige
deutsche Kolonisten aus der Vorstadt Rosch. Die Russen begannen auch,
die Güter des Religionsfonds und die jüdischen Privatgüter zu konfiszieren.
Der von den Russen für Galizien eingesetzte Gouverneur Graf Bobrinski
war nach Czernowitz gekommen, hatte die Bauern der benachbarten Gemeinden
zusammengerufen und ihnen gestattet, vom Frühjahr an die Güter des Religionsfonds
und der Juden zu bebauen, da diese von nun an russisches Staatsgut seien.
Der Gouvernementssekretär Gerowski bot schon einige den Juden gehörige
Häuser in Czernowitz zum Kaufe an, weil er alle jüdischen Häuser als konfisziert
erklärte.
Neben der Czernowitzer Bevölkerung hatte auch die deutsche Vorstadtkolonie
Rosch unter den Verfolgungen schwer zu leiden. Den "Roscher Schwaben"
wurde viel Vieh, große Heuvorräte und viele Nahrungsmittel weggenommen.
Die in einem Wiener Blatte gebrachte Meldung von einem Aufstand der Schwaben
gegen die Russen und vom Wegstehlen einiger russischer Kanonen durch die
Roscher sind pure Erfindungen. Die Kolonisten waren viel zu schwach dazu;
der geringste Widerstand wäre ihnen sehr übel bekommen. Im übrigen wurden
alle Deutschen ebenso schlecht wie die Juden behandelt. Auch die Ukrainer
und Polen erfreuten sich nicht der Gunst der Russen. Nur die Rumänen wurden
mit Rücksicht auf das benachbarte Königreich anders behandelt, doch lange
nicht so, daß die Behandlung eine gute genannt werden könnte.
Unter der Bevölkerung herrschte große Not. Infolge des Stockens des gesamten
Erwerbslebens war keine Verdienstmöglichkeit gegeben, und die meisten
besaßen keine flüssigen Geldmittel. Zunächst litten auch die in Czernowitz
zurückgebliebenen Staatsbeamten. Später wurde ihrer Not teilweise abgeholfen.
Der Sekretär des Konsistoriums Dr. Nesciuk wurde mit Wissen des Gouverneurs
als Parlamentär über Rumänien nach Österreich entsendet. Auf Grund der
Gehaltslisten übernahm er mehrere hunderttausend Kronen und verteilte
sie unter die Czernowitzer Beamtenschaft. Dieser Vorgang dürfte in Zukunft
als Völkerrechtsbrauch für die Versorgung der Staatsbeamten eines vom
Feinde besetzten Gebietes angewendet werden. Die andern Bürger hungerten.
Es waren zehn Volksküchen errichtet worden, in denen Suppe und Brot verteilt
wurde. Reichere Bürger hatten aus Wien die Mittel dazu gesendet. Trotzdem
aber diese Volksküche für alle Nationen gespendet worden war, ließen die
Russen keine Deutschen und Juden hinein.
Während ihrer Herrschaft haben die Russen eine Unmasse von Ukasen in russischer
und rumänischer Sprache erlassen. Der letzte wurde auch deutsch veröffentlicht.
Er behandelte das Verhalten der Bevölkerung während des Abzuges der russischen
Truppen. Als die Russen ihren Abzug verschleiern und den Bürgern verbieten
wollten, sich in den Straßen aufzuhalten, da bedienten sie sich auch der
deutschen Sprache zur Verständigung.
|