Der Weltkrieg am 12. Mai 1915

DEUTSCHER HEERESBERICHT - ÖSTERREICHISCHER HEERESBERICHT - TÜRKISCHER HEERESBERICHT

 

 Der deutsche Heeresbericht:

Vergebliche Durchbruchsversuche der Franzosen

Großes Hauptquartier, 12. Mai.
Westlicher Kriegsschauplatz:
Feindliche Flieger bewarfen gestern die belgische Stadt Brügge mit Bomben, ohne militärischen Schaden anzurichten. Östlich von Ypern nahmen wir eine wichtige, von schottischen Hochländern verteidigte Höhe. Dünkirchen wurde weiter von uns unter Feuer gehalten. Östlich Dixmuiden schossen wir ein englisches Flugzeug ab. 
Die zwischen Carency und Neuville (in der Gegend nördlich von Arras) von den Franzosen in den letzten Tagen genommenen Gräben sind noch in ihrem Besitz. Im übrigen waren auch gestern alle Durchbruchsversuche des Feindes vergeblich; seine Angriffe richteten sich hauptsächlich gegen unsere Stellungen östlich und südöstlich von Vermelles, gegen die Lorettohöhe, die Orte Ablain, Carency sowie gegen unsere Stellungen nördlich und nordöstlich von Arras. Sämtliche Vorstöße brachen unter den schwersten Verlusten für den Feind zusammen. 
Ein Versuch des Gegners, uns den Hartmannsweilerkopf wieder zu entreißen, scheiterte. Nach starker Artillerievorbereitung drangen französische Alpenjäger hier zwar in unser auf der Kuppe gelegenes Blockhaus ein, sie wurden aber sofort wieder hinausgeworfen.
Östlicher Kriegsschauplatz:
Bei Szawle ist ein noch unentschiedenes Gefecht im Gange. An der Bzura wurde ein russisches Bataillon, das einen Versuch zum Überschreiten des Flusses machte, vernichtet.
Südöstlicher Kriegsschauplatz:
Unsere Verfolgung zwischen Karpaten und Weichsel ist im vollen Zuge geblieben. Dem Feinde wurde auf der ganzen Front weiterhin schwerer Abbruch getan. So nahm ein Bataillon des 4. Garde-Regiments zu Fuß allein 14 Offiziere, darunter einen Oberst, 4500 Mann gefangen und erbeutete vier Geschütze, eine bespannte Maschinengewehrkompanie und eine Bagage. Die verbündeten Truppen überschritten den San zwischen Sanok und Dynow. Weiter nordwestlich erreichten sie die Gegend von Rzeszow-Mielec. Die in den Karpaten beiderseits des Stryj kämpfenden Truppen warfen den Feind aus seinen Stellungen.

    Oberste Heeresleitung. 1)

 

Kaiser Wilhelm an Falkenhayn

Wilhelm II.
Wilhelm II.

Falkenhayn
Falkenhayn

Berlin, 12. Mai. (W. T. B. Nichtamtlich.)
Der Kaiser hat an den Chef des Generalstabs v. Falkenhayn folgende Kabinettsorder gerichtet:

"Mit scharfem und klarem Blick und in richtiger Abwägung der Lage haben Sie die Stelle erkannt, an der das russische Heer am verwundbarsten war, und Mir die darauf zu folgenden Vorschläge zur Herbeiführung eines großen Erfolges gemacht. Der jetzige herrliche Sieg gibt Mir wiederum Gelegenheit, Ihnen Meinen und des ganzen Vaterlandes Dank auszusprechen für Ihre hingebende Arbeit, die Sie in stiller, selbstloser Art in Meinen und des Vaterlandes Dienst stellen. Unter denen, die es dem deutschen Heere ermöglicht haben, einer Welt von Feinden die Stirn zu bieten und große Erfolge über sie zu erringen, stehen Sie als Chef des Generalstabes des Feldheeres mit in erster Linie. Als Zeichen meiner Dankbarkeit verleihe Ich Ihnen Meinen Hohen Orden vom Schwarzen Adler.

........., den 12. Mai 1915.

(gez.) Wilhelm I. R." 2)

 

Die große englisch-französische Offensive

Im Raum südwestlich von Lille hat vor drei Tagen die große Offensive unserer verbündeten Gegner mit starken Kräften und Hilfstruppen aller Hautschattierungen in der Frontlinie eingesetzt, an der unsere Feinde im vergangenen Spätherbst vergeblich mit den äußersten Anstrengungen auf Lille durchzubrechen versucht haben. Die Angriffsfläche bei der neuen Offensive ist die Strecke Armentieres-Arras, in der Luftlinie etwa 33 Kilometer. Unsere Skizze zeigt den augenblicklich wichtigsten Teil dieser Front, den Raum zwischen Arras und Lens. Während auf allen übrigen Teilen der Angriffsfläche die wiederholt unternommenen Vorstöße der feindlichen Truppenmassen unter schweren Verlusten für die Gegner abgeschlagen worden sind, ist es den Franzosen in dem hier gezeigten Abschnitt gelungen, an einigen Stellen in die deutschen Gräben einzudringen. Die Kampflinie läuft von Norden (an Aix Noulette östlich vorbei) über die vielgenannte Lorettohöhe durch die Dörfer Ablain, St. Nazaire und Carency in fast südlicher Richtung, dann südöstlich nach Neuville, St. Vaast und südsüdöstlich nach St. Laurent-Blanzy, sodaß das Dorf Ecurie und Arras selbst auf der französischen Seite liegen bleiben. Auf der deutschen Seite bemerkt man den für die Verteidigung sehr wichtigen Höhenrücken hinter unseren Schützengräben vor Souchez nach Bailleul. An der Lorettohöhe ist unsere Front nach Westen vorgebogen und fest verankert. Es bewährt sich bei den jetzigen Kämpfen die eiserne Energie, mit der unsere Truppen den Besitz dieser wichtigen Stellung gegen alle Vorstöße der Franzosen in den letzten Monaten gehalten haben.
Die französischen Kriegsberichte haben einen Erfolg südlich von Carency gemeldet. Vorgestern berichteten sie, sie hätten sich in einer Frontbreite von 7 Kilometer zweier deutscher Grabenlinien bemächtigt und den Flecken La Targette, sowie die Hälfte der Ortschaft Neuville besetzt. An einzelnen Punkten seien sie bis zu 4 Kilometer in der Tiefe vorangekommen. Letzteres ist nach der bisherigen Lage der beiderseitigen Stellungen unmöglich. Die Besetzung der genannten Häusergruppen könnte stimmen, denn: "zwischen Carency und Neuville gelang es dem Gegner, sich in unserer vordersten Linie festzusetzen", sagt der deutsche Tagesbericht vom 10. Mai. Dabei ist aber zu bedenken, daß in zahlreichen Fällen Gehöfte zwischen den beiderseitigen Stellungen liegen - entweder gar nicht oder nur durch Beobachtungsposten besetzt, weil ihr Besitz taktisch wertlos ist - sodaß die "Eroberung" einer solchen Häusergruppe sich zwar literarisch ausbeuten läßt, im übrigen aber vollständig gleichgültig ist. Um die uns verloren gegangenen Grabenstücke wird noch gekämpft. Ein weiteres Vordringen zwischen Careney und Neuville würde für die Franzosen den Vorteil haben, auf unsere Stellungen auf der Lorettohöhe flankierend einwirken zu können. Darum ihr besonderer Eifer an dieser Stelle und darum auch der Gegenangriff der Deutschen.
Wir stehen erst am Beginn der großen Offensive. Wir sind gerüstet und zur Abwehr bereit. Eine Überrumpelung ist dem Gegner nicht gelungen. Sein Gewinn ist darum nur gering. Unser Geländeverlust ist minimal und wird wohl - wenn das überhaupt nötig ist - rasch wieder ausgeglichen werden können. Wenn man den französischen Berichten glauben darf, was sich aber nach den bisherigen Erfahrungen nur mit beträchtlichen Streichungen empfiehlt, haben die Deutschen einigen Verlust an Gefangenen und Kriegsgerät gehabt was bei der Erstürmung befestigter Schützengräben unvermeidlich ist für Verteidiger, die ihre Stellung nicht freiwillig verlassen. Als einziger bisher meßbarer Gewinn bei einer in so großem Stil und mit so großen Kräften in breiter Front unternommenen Offensive ist dieses Ergebnis der ersten drei Kampftage für die Verbündeten außerordentlich gering. Die Franzosen waren nicht in der Lage, ihre Fortschritte bei Neuville, von denen sie am 9. Mai berichteten, am folgenden Tag fortzusetzen. Wir haben die feste Zuversicht, daß auch diese "Frühjahrs-Offensive" ein ebenso klägliches Ende wie die großen Angriffe in der Champagne und zwischen Maas und Mosel nehmen wird: furchtbare Verluste und kein Gewinn.
2)

 

Der österreichisch-ungarische Heeresbericht:

Die dritte und achte russische Armee in völliger Auflösung

Wien, 12. Mai.
Amtlich wird verlautbart:
Die Niederlage der russischen dritten und achten Armee vergrößert sich von Tag zu Tag. In regellosen Kolonnen, zum Teil in Auflösung, flüchten die russischen Truppen und Trains dieser Armeen in der Richtung auf Jaroslau, Przemysl und Ghyrow zurück. Die aus dem Raum Sanok-Lisko nach Ost flüchtenden starken feindlichen Kräfte werden vom Süden her durch die über Baligrod und Polana vorgedrungenen eigenen Kolonnen angegriffen. 
Die siegreichen Truppen haben in weiterer Verfolgung die untere Wisloka überschritten, Rzeszow erobert, Dynow, Sanok und Lisko sind in unserem Besitz. Durch den bisherigen außerordentlichen Erfolg in West- und Mittelgalizien beginnt nun auch die russische Karpathenfront östlich des Uzsoker Passes zu wanken. Die deutschen und österreichisch ungarischen Truppen sind nun auch hier auf der ganzen Front im Angriff, der Feind im Raum bei Turka, im Orawa- und Oportale im Rückzug. 
Nördlich der Weichsel sind unsere Truppen über die Nida vorgedrungen. 
In Südostgalizien sind starke russische Kräfte über den Dnjestr in Richtung auf Horodenka vorgestoßen. Zaleszczyki wurde von uns geräumt. Die Kämpfe dauern fort.

Der Stellvertreter des Chefs des Generalstabes
 v. Hoefer, Feldmarschalleutnant.
1)

 

Ein Armeebefehl des Erzherzogs Friedrich

Der 1. Weltkrieg: Erzherzog Friedrich

Feldmarschall Erzherzog Friedrich von Österreich

Wien, 12. Mai. (W. B.)
Aus dem Kriegspressequartier wird gemeldet:
Der Armeeoberkommandant Erzherzog Friedrich hat folgenden Befehl erlassen:

"Die vergangenen acht Kampftage bilden ein neues Ruhmesblatt in der Geschichte der deutschen und österreichisch-ungarischen Artillerie. Die mit großer Mühe verbundene zielbewußte Etablierung sowie das vorzüglich geleitete und mit hervorragender Schießtechnik zu höchster Wirkung gesteigerte Feuer haben den Angriff der verbündeten Truppen mit überwältigender Kraft vorbereitet und ihn in aufopfernder waffenbrüderlichster Weise bis zum vollen Gelingen unterstützt. Mehrere Reihen stark ausgebauter feindlicher Befestigungen sind in unserem Besitze und sind Zeugen sowohl des Heldenmutes unserer Infanterie wie der vernichtenden Wirkung unserer Artillerie. Seither begleitet diese ohne Rücksicht auf die Strapazen, Entbehrungen und unter schwierigsten Verhältnissen die rastlose Verfolgung des weichenden Gegners durch Infanterie, um seine Niederlage zu vervollständigen und ihm jeden neuen Widerstand unmöglich zu machen. Ich sage der gesamten Artillerie der 11., 4., 3. und 2. Armee für ihr bisheriges hingebendes und aufopferungsvolles Zusammenwirken mit der Infanterie meinen Dank und meine vollste Anerkennung in der festen Zuversicht, daß die rücksichtslose Infanterieverfolgung, enge gepaart mit unablässiger, kein Opfer scheuender Unterstützung durch die bewährte verbündete Artillerie, zu einem vollen Siege führen und die Kampfkraft unseres zähen Gegners vernichten werde."2)

 

Der türkische Heeresbericht:

Der Kampf um die Dardanellen

Konstantinopel, 12. Mai. (W. B.)
Das Hauptquartier teilt mit:
An den Dardanellen unternahm der Feind vom Meere aus keinen Angriffsversuch mehr. Da die feindlichen Angriffe zu Lande gestern unter großen Verlusten zusammengebrochen waren, unternahm der Feind heute auch zu Lande keine ernsthafte Aktion. Gestern Morgen näherte sich die russische Flotte, die aus fünf Schlachtschiffen, zwei Kreuzern und zwölf Torpedobootszerstörern sowie einigen Transportschiffen bestand, dem Eingang der Meerenge des Bosporus und wollte die ergebnislose Demonstration, die sie schon früher gemacht hatte, erneuern. Während sie sich dazu anschickte, eröffnete unser Panzerkreuzer "Sultan Jawus Selim" ein heftiges Feuer gegen diese Schiffe. Die russische Flotte entfloh hierauf in eiliger Unordnung in der Richtung auf Sebastopol. Das führende Schlachtschiff wurde schwer beschädigt. Die feindliche Flotte konnte sich der Verfolgung des "Sultan Jawus Selim" nur dadurch entziehen, daß sie in den befestigten Hafen von Sebastopol flüchtete. An den anderen Fronten ereignete sich nichts von Bedeutung.
2)

 

Italien vor der Entscheidung


Giolitti


Sonnino


Giers

Mailand, 12. Mai. (Priv.-Tel.)
In der Turins "Stampa" schreibt der Abgeordnete Cirmeni, bekanntlich ein persönlicher Freund Giolittis, folgendes: "Die österreichische Regierung hat der italienischen in freundschaftlicher Form folgendes Angebot gemacht: Abtretung des italienischen Teils von Tirols, des sogenannten Trentino: Abtretung am Isonzo, mit Einschluß Gradiscas; vollständige Autonomie für Triest und Gewährung einer italienischen Universität und eines Freihafens, Desinteressement Österreichs zugunsten Italiens in Südalbanien nebst sofortiger Anerkennung des Besitzes von Valona. Endlich Prüfung der Abtretung der Stadt Görz sowie einiger Inseln nahe der dalmatinischen Küste."

Rom, 12. Mai. (Priv.-Tel.)
Nachdem auch der heutige Ministerrat keine Klarheit in die Situation gebracht hat, ist es schwerer denn je, den Ausgang dieser Krise vorauszusagen, die immer mehr einen inneren Charakter annimmt. Bis gestern konnte man noch glauben, daß eine Einigung zwischen der Regierung und Giolitti möglich sei. Nach dem gestrigen heftigen Angriff des "Giornale d´Italia" auf Giolitti ist jedoch klar, daß der Gegensatz unüberbrückbar ist. Dieser Artikel wird allgemein auf Sonnino zurückgeführt und dient heute allen Blättern der Kriegsparteien als Leitmotiv zu den stärksten Ausfällen auf Giolitti und dessen Aktion, so daß sich dieser genötigt sieht, in einem Brief an die "Tribuna" dagegen zu protestieren, daß er in einer Versammlung der Reformsozialisten als Feind des Vaterlandes in Acht erklärt worden sei, während er doch nur das Bürgerrecht der freien Meinungsäußerung ausgeübt habe. Die Änderung, die in der Lage seit gestern eingetreten ist, besteht darin, daß die Interventionsfrage, welche bisher nur von der Regierung behandelt wurde, nun zum Gegenstand von Parteikämpfen geworden ist. Die Regierung hat dem offenbar Rechnung getragen, indem sie beschloß, die Entscheidung dem Parlament zu überlassen. Unterdessen werden die diplomatischen Verhandlungen weitergeführt. Zwar sind die Anträge Österreich-Ungarns an Italien jetzt amtlich bekannt gegeben und auch im ganzen durch die Presse veröffentlicht worden. Es bleibt jedoch für Verhandlungen noch Raum, da einige Zugeständnisse nur allgemein benannt, aber nicht fixiert sind. Daneben dauern aber auch Unterredungen mit den Botschaftern der Entente an. Der neue russische Botschafter von Giers, der heute angekommen ist, wurde sofort von Sonnino empfangen.

Rom, 12. Mai. (Priv.-Tel.)
Die sozialistische Fraktion faßte nach zweitägiger Beratung folgenden Beschluß: Sie erachte es nicht nur im Interesse des Proletariats, sondern der Mehrheit des ganzen Landes für ihre Pflicht, gegen die jeden Tag kühner auftretenden Interventions-Parteien Front zu machen. Auch im Parlament wachse die Opposition gegen die Regierung, die sich in ein diktatorisches Stillschweigen hülle. Das Parlament habe der Regierung das Vertrauen ausgesprochen, zu verhandeln, nicht Krieg zu führen. Keine Regierung dürfe das Land, ohne es zu befragen, in den Krieg stürzen. Deshalb wird die sozialistische Fraktion in Rom versammelt bleiben und die Politik unterstützen, die entschieden gegen den Krieg gerichtet ist.
2)

 

Der 1. Weltkrieg im Mai 1915

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Textquellen:
1) Amtliche Kriegs-Depeschen nach Berichten des Wolff´schen Telegr.-Bureaus  
Band 2
Nationaler Verlag, Berlin (1915)

2) "Frankfurter Zeitung" (1915)

 

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