Graf
Tisza über den Krieg mit Italien
Graf Tisza
Budapest,
26. Mai.
Im Abgeordnetenhause führte Ministerpräsident Graf Tisza u. a.
aus:
"Die Ereignisse, welche sich seit der letzten Sitzung des
Hauses abgespielt haben, veranlassen mich, Aufklärungen über die
Vorgänge zu geben, welche der gegenwärtigen Lage vorausgegangen
sind. Der italienische Ministerpräsident führt in seiner letzten
Rede die jetzige feindliche Haltung Italiens auf das von der
Monarchie an Serbien gestellte Ultimatum zurück. In dieser Rede
Salandras sind drei konkrete Anfragen enthalten, zunächst jene, daß
das Ultimatum das Gleichgewicht auf dem Balkan erschüttert habe.
Nun ist es eine allgemeinbekannte Tatsache, daß wir sowohl unserem
Bundesgenossen als auch den anderen Großmächten gegenüber die
Erklärung abgegeben haben, daß die Monarchie keinerlei
territoriale Änderungen wünscht. Die Behauptung des italienischen
Ministerpräsidenten ist daher eine offenkundige Unwahrheit. (Stürmischer
Beifall im ganzen Hause.) Die zweite Anklage des italienischen
Ministerpräsidenten besagt, daß wir die Einflußsphären auf dem
Balkan verändert hätten. Diese Behauptung ist ziemlich unverständlich.
Wohl bestanden gewisse Vereinbarungen bezüglich Albaniens, was aber
den ganzen Balkan betrifft, so haben wir von jeher den Standpunkt
vertreten, daß keine Teilung der Einflußsphäre möglich sei, daß
wir an dem ganzen Balkan interessiert sind, jedoch keinerlei
Hegemonie auf dem Balkan beanspruchen. Die dritte Anklage Salandras
besteht in der Behauptung, daß die Monarchie den Vertrag verletzt
habe, weil sie es verabsäumte, vorher mit Italien ein Einvernehmen
zu treffen. Graf Tisza verweist darauf, daß ausschließlich in
Artikel VII des Dreibund-Vertrages von einem vorhergehenden
Einvernehmen mit Italien die Rede sei, jedoch nur für den Fall
einer Änderung des status quo auf dem Balkan. Bis in die
allerletzte Zeit habe denn auch kein einziger italienischer
Staatsmann die Behauptung aufgestellt, daß die Monarchie durch
Verabsäumung eines vorhergehenden Einvernehmens den Vertrag
verletzt hätte. Graf Tisza beruft sich hierbei auf die
Unterredungen und den Schriftenwechsel zwischen der Leitung der auswärtigen
Politik der Monarchie und der italienischen Regierung in den auf das
Ultimatum folgenden Monaten. Niemals ist auch nur ein Gedanke
aufgetaucht, als hätte Italien in dem Vorgehen Österreich-Ungarns
eine Vertragsverletzung gesehen. Alle in Italien führenden Persönlichkeiten
haben wiederholt und in den wärmsten Worten der Bereitwilligkeit
Italiens Ausdruck gegeben, wenn es auch nicht tätig am Kriege
teilnehme, doch ein treuer Bundesgenosse zu sein. (Große
Bewegung und Rufe: Eidbrüchige.)
Der Ministerpräsident verlas sodann das Telegramm, welches der König
von Italien am 2. August an den Kaiser und König Franz Josef
gerichtet hat (große Bewegung), und fuhr fort: Der König
von Italien hätte nicht in solchem Tone sich geäußert, wenn er
geglaubt hätte, daß unsere Monarchie den Vertrag mit Italien
verletzt habe.
Graf Tisza behandelte darauf eingehend die Erörterungen, in welchen
Österreich-Ungarn den Standpunkt vertreten hätte, daß der Bündnisfall
für Italien gegeben sei, während Italien dies verneinte. Er
schilderte weiter einzelne Phasen der Verhandlungen betreffend eine
Kompensation, in welcher Österreich-Ungarn auf Grund der
Vermittlung Deutschlands schließlich den Standpunkt akzeptierte, daß
Italien Kompensationen aus den der Monarchie angehörenden
Territorien angeboten werden
sollten. Es war ein schwerer Entschluß, durch den die Monarchie als
Großmacht sich dazu verstehen mußte, Territorien, die ihr angehören,
an den Verbündeten im Interesse der Sicherstellung seiner Neutralität
abzutreten. Wir gingen jedoch davon aus, daß die Lebensinteressen
der österreichisch-ungarischen Monarchie und Italiens identisch
seien, und daß wir dieses Opfer bringen müßten. Die Gegenvorschläge
Italiens waren jedoch unannehmbar. Wir führten die Verhandlungen in
dem Glauben, daß es im 20. Jahrhundert unmöglich wäre, daß ein
sich zivilisiert nennender Staat, der unser Bundesgenosse ist, uns,
während wir im Kriege stehen, angreifen würde, um so mehr, als wir
ihm ja alles angeboten hatten, was er ernstlich wünschen konnte.
Die italienische Regierung hatte aber mit einem in der
Weltgeschichte beispiellos dastehenden Terrorismus verhindert, daß
die gesunde Vernunft in der öffentlichen Meinung zur Geltung käme.
(Stürmischer Beifall.) Die italienische Kriegserklärung
spricht vom Schutze der italienischen Interessen gegen jede
Bedrohung. (Gelächter.) Diese Behauptung verdient keine
Widerlegung.
Der Ministerpräsident schloß: "Wir haben jetzt nur noch die
Aufgabe, den Ereignissen ins Auge zu sehen. (Beifall.) Vor
zehn Monaten sahen wir uns einer ungeheuren Übermacht gegenüber.
Wir haben diese Übermacht zum Stillstand gebracht, sie
zerschmettert und in siegreichen Kämpfen gebrochen. (Stürmischer
Beifall und Händeklatschen.) Wenn Italien es jetzt für richtig
hält, uns um die
Früchte unserer Siege bringen zu wollen, so werden wir uns auch ihm
entgegenstellen. (Langanhaltender Beifall im ganzen Hause.)
Diese Monarchie, welche die ganze Welt durch ihre Kraft überrascht
hat, wird jetzt erst recht die ganze Welt überraschen durch ihre
Aktionskraft, Einheit und männliche Entschlossenheit. (Stürmischer
Beifall, Händeklatschen.) Die Zeit Maria Theresias erneuert
sich wieder. Ihre Gefühle und Kräfte sind in der Nation nicht
verschwunden. Das Gefühl Moria pro rege nostro! lebt auch heute in
jedem Ungarn. (Langanhaltender Beifall.) Die ungarische
Nation wird vereint mit sämtlichen Völkern der Monarchie diesen
Kampf bestehen (stürmischer Beifall) und vereint mit unserem
mächtigen Bundesgenossen (stürmischer Beifall und Ekjenrufe, Händeklatschen,
"Es lebe Deutschland!") im gegenfertigen Vertrauen
diesen Kampf bis zum letzten Atemzug führen gegen alle Teufel der Hölle
(stürmischer Beifall) und dem Schicksal dem Sieg
abzwingen." 1)
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