Berlin,
28. Mai.
Der Unterzeichnete beehrt sich, Seiner Exzellenz dem Botschafter
der Vereinigten Staaten von Amerika, Herrn James W. Gerard, auf
das Schreiben vom 15. d. M. über die Beeinträchtigungen
amerikanischer Interessen durch den deutschen Unterseebootskrieg
nachstehendes zu erwidern:
Die kaiserliche Regierung hat die Mitteilungen der Regierung der
Vereinigten Staaten einer eingehenden Prüfung unterzogen und hegt
auch ihrerseits den lebhaften Wunsch, in offener und
freundschaftlicher Weise zur Aufklärung etwaiger Mißverständnisse
beizutragen, die durch die von der amerikanischen Regierung erwähnten
Vorkommnisse in den Beziehungen der beiden Regierungen eingetreten
sein könnten.
Was zunächst die Fälle der amerikanischen Dampfer
"Cushing" und "Gulflight" betrifft, so ist der
amerikanischen Botschaft bereits mitgeteilt worden, daß der
deutschen Regierung jede Absicht fernliegt, im Kriegsgebiet
neutrale Schiffe, die sich keiner feindlichen Handlung schuldig
gemacht haben, durch Unterseeboote oder Flieger angreifen zu
lassen, vielmehr sind den deutschen Streitkräften wiederholt die
bestimmtesten Anweisungen gegeben worden, Angriffe auf solche
Schiffe zu vermeiden. Wenn in den letzten Monaten infolge von
Verwechslungen neutrale Schiffe durch den deutschen
Unterseebootkrieg zu Schaden gekommen sind, so handelt es sich um
ganz vereinzelte Ausnahmefälle, die aus den Flaggenmißbrauch der
britischen Regierung in Verbindung mit einem fahrlässigen oder
verdächtigen Verhalten der Schiffskapitäne zurückzuführen
sind. Die deutsche Regierung hat in allen Fällen, wo ein
neutrales Schiff ohne eigenes Verschulden nach den von ihr
getroffenen Feststellungen durch deutsche Unterseeboote oder
Flieger zu Schaden gekommen ist, ihr Bedauern über den unglücklichen
Zufall ausgesprochen und, wenn es in der Sachlage begründet war,
Entschädigung zugesagt. Nach den gleichen Grundsätzen wird sie
auch die Fälle der amerikanischen
Dampfer "Cushing" und "Gulflight" behandeln,
über diese Fälle ist eine Untersuchung im Gange, deren Ergebnis
der Botschaft demnächst mitgeteilt werden wird, und die
gegebenenfalls durch eine internationale Untersuchungskommission
gemäß Titel III des Haager Abkommens zur friedlichen Erledigung
internationaler Streitfälle vom 18. Oktober 1907 ergänzt werden
könnte.
Bei der Versenkung des englischen Dampfers "Falaba"
hatte der Kommandant des deutschen Unterseeboots die Absicht, den
Passagieren und der Mannschaft volle Gelegenheit zu ihrer Rettung
zu geben. Erst als der Kapitän der Aufforderung, beizudrehen
nicht nachkam, sondern flüchtete und mit Raketensignalen Hilfe
herbeirief, forderte der deutsche Kommandant zunächst die
Mannschaft und die Passagiere durch Signale und Sprachrohr auf,
das Schiff binnen 10 Minuten zu verlassen, tatsächlich ließ er
ihnen 23 Minuten Zeit und schoß den Torpedo erst ab, als verdächtige
Fahrzeuge der "Falaba" zu Hilfe eilten.
Was die Verluste an Menschenleben bei der Versenkung des
britischen Passagierdampfers "Lusitania" anlangt, so hat
die deutsche Regierung den beteiligten neutralen Regierungen
bereits ihr lebhaftes Bedauern darüber zum Ausdruck gebracht, daß
Angehörige ihrer Staaten ihr Leben bei dieser Gelegenheit
verloren haben. Die kaiserliche Regierung vermag sich im übrigen
dem Eindruck nicht zu verschließen, daß gewisse wichtige
Tatsachen, die im unmittelbarsten Zusammenhang mit der Versenkung
der "Lusitania" stehen, der Aufmerksamkeit der Regierung
der Vereinigten Staaten entgangen sein könnten. Sie hält es
deshalb im Interesse des von beiden Regierungen angestrebten
Zieles einer klaren und vollen Verständigung für notwendig, sich
zunächst davon zu überzeugen, daß die den beiden Regierungen
vorliegenden Nachrichten über den Sachverhalt vollständig sind
und übereinstimmen.
Die Regierung der Vereinigten Staaten geht davon aus, daß die
"Lusitania" als ein gewöhnliches, unbewaffnetes
Handelsschiff zu betrachten ist. Die kaiserliche Regierung
gestattet sich, in diesem Zusammenhange darauf hinzuweisen, daß
die "Lusitania" einer der größten und schnellsten, mit
Regierungsmitteln als Hilfskreuzer gebauten englischen
Handelsdampfer war und in der von der englischen Admiralität
herausgegebenen "Navy List" ausdrücklich aufgeführt
ist. Der kaiserlichen Regierung ist ferner aus zuverlässigen
Angaben ihrer Dienststellen und neutraler Passagiere bekannt, daß
schon seit längerer Zeit so gut wie alle wertvolleren englischen
Handelsschiffe mit Geschützen, Munition und anderen Waffen
versehen und mit Personen bemannt sind, die in der Bedienung der
Geschütze besonders geübt sind. Auch die "Lusitania"
hat nach hier vorliegenden Nachrichten bei der Abfahrt von New
York Geschütze an Bord gehabt, die unter Deck versteckt
aufgestellt waren.
Die kaiserliche Regierung beehrt sich ferner die besondere
Aufmerksamkeit der amerikanischen Regierung darauf zu lenken, daß
die britische Admiralität ihrer Handelsmarine in einer geheimen
Anweisung vom Februar dieses Jahres empfohlen hat, nicht nur
hinter neutralen Flaggen und Abzeichen Schutz zu suchen, sondern
sogar unter dieser Verkleidung durch Rammen angriffsweise gegen
deutsche Unterseeboote vorzugehen. Auch sind als besonderer
Ansporn zur Vernichtung der Unterseeboote durch Handelsschiffe von
der britischen Regierung hohe Preise ausgesetzt und auch bereits
ausgezahlt worden. Angesichts dieser ihr einwandfrei bekannten
Tatsachen vermag die kaiserliche Regierung englische
Kauffahrteischiffe auf dem vom Admiralstabe der kaiserlich
deutschen Marine bezeichneten Seekriegsschauplatz nicht mehr als
"unverteidigtes Gebiet" anzusehen; auch sind die
deutschen Kommandanten infolgedessen nicht mehr in der Lage, die
sonst für das Seebeuterecht üblichen Regeln zu beobachten, denen
sie früher stets nachgekommen sind. Endlich muß die kaiserliche
Regierung besonders darauf hinweisen, daß die "Lusitania",
wie schon früher, so auch auf ihrer letzten Reise kanadische
Truppen und Kriegsmaterial, unter diesem nicht weniger als 5400
Kisten Munition an Bord hatte, die zur Vernichtung tapferer
deutscher Soldaten, die mit Opfermut und Hingebung ihre Pflicht im
Dienst des Vaterlandes erfüllen, bestimmt war. Die deutsche
Regierung glaubt in gerechter Selbstverteidigung zu handeln, wenn
sie mit den ihr zu Gebote stehenden Kriegsmitteln durch
Vernichtung der für den Feind bestimmten Munition das Leben ihrer
Soldaten zu schützen sucht. Die englische Schiffahrtsgesellschaft
mußte sich der Gefahren, denen die Passagiere unter liefen Umständen
an Bord der "Lusitania" ausgesetzt waren, bewußt sein.
Sie hat, wenn sie sie trotzdem an Bord nahm, in voller Überlegung
das Leben amerikanischer Bürger als Schutz für die beförderte
Munition zu benutzen versucht und sich in Widerspruch zu den
klaren Bestimmungen der amerikanischen Gesetzgebung gesetzt, die
die Beförderung von Passagieren auf Schiffen, die Explosivstoffe
an Bord haben, ausdrücklich verbietet und mit Strafe bedroht. Sie
hat dadurch in frevelhafter Weise den Tod so zahlreicher
Passagiere verschuldet. Nach der ausdrücklichen Meldung des
betreffenden U-Boot-Kommandanten, die durch alle sonstigen
Nachrichten lediglich bestätigt wird, kann es keinem Zweifel
unterliegen, daß der rasche Untergang der "Lusitania"
in erster Linie auf die durch den Torpedoschuß verursachte
Explosion der Munitionsladung zurückzuführen ist. Anderenfalls wären
die Passagiere der "Lusitania" menschlicher Voraussicht
nach gerettet worden.
Die kaiserliche Regierung hält die im vorstehenden angeführten
Tatsachen für wichtig genug, um sie einer aufmerksamen Prüfung
der amerikanischen Regierung zu empfehlen. Indem die kaiserliche
Regierung sich ihre endgültige Stellungnahme zu den im
Zusammenhang mit der Versenkung der "Lusitania"
gestellten Forderungen bis nach Eingang einer Antwort der
amerikanischen Regierung vorbehalten darf, glaubt sie schließlich
an dieser Stelle darauf hinweisen zu sollen, wie sie seinerzeit
mit Genugtuung von den Vermittlungsvorschlägen Kenntnis genommen
hat, die seitens der amerikanischen Regierung in Berlin und London
unterbreitet worden sind, um einen modus vivendi für die Führung
des Seekrieges zwischen Deutschland und Großbritannien
anzubahnen. Die kaiserliche Regierung hat damals durch ihr
bereitwilliges Eingehen auf die Vorschläge ihren guten Willen zur
Genüge dargetan. Die Verwirklichung dieser Vorschläge ist, wie
bekannt, an der ablehnenden Haltung der großbritannischen
Regierung gescheitert.
Indem der Unterzeichnete Seine Exzellenz den Herrn Botschafter
bittet, vorstehendes zur Kenntnis der amerikanischen Regierung zu
bringen, benutzt er diesen Anlaß, um dem Herrn Botschafter die
Versicherung seiner ausgezeichnetsten Hochachtung zu erneuern.
gez.
Jagow.
Seiner
Exzellenz dem Botschafter der Vereinigten Staaten von Amerika
Herrn Gerard. 1)