Der Weltkrieg am 30. Mai 1915

DEUTSCHER HEERESBERICHT - ÖSTERREICHISCHER HEERESBERICHT - TÜRKISCHER HEERESBERICHT

 

 Der deutsche Heeresbericht:

Franzosischer Nachtangriff am Yserkanal abgewiesen

Großes Hauptquartier, 30. Mai.
Westlicher Kriegsschauplatz:
Nach zehnstündiger Artillerievorbereitung griffen die Franzosen östlich des Yserkanals unsere Stellungen nördlich von D´Houdt-Ferme um Mitternacht an. Der Angriff ist auf der ganzen Front unter schweren Verlusten für den Feind abgeschlagen, eine Anzahl Zuaven von vier verschiedenen Regimentern wurde gefangengenommen.
Zwischen La Bassée-Kanal und Arras fanden nur Artilleriekämpfe statt. An der Straße Béthune-Souchez nahmen wir einige Dutzend schwarze Franzosen gefangen, die sich in einem Wäldchen versteckt hatten. Die übliche Beschießung der Ortschaften hinter unserer Front durch die Verbündeten hat unter den dort zurückgebliebenen französischen Frauen und Kindern, die an ihrer heimatlichen Scholle hängen, wieder viele unschuldige Opfer gefordert.
Östlicher Kriegsschauplatz: 
Bei Illoky, 60 Kilometer südöstlich Libau, wurde eine feindliche Abteilung durch unsere Kavallerie in nördlicher und nordöstlicher Richtung zurückgeworfen. An der Dubissa mußte eine kleinere deutsche Abteilung den Ort Sawdyniky vor überraschendem russischen Angriff aufgeben, vier Geschütze fielen in Feindeshand. Eintreffende Verstärkungen von uns nahmen das Dorf wieder und trieben den Gegner zurück. In Gegend Szawle wurden feindliche Angriffe abgewiesen. Der Gegner erlitt schwere Verluste.
Südöstlicher Kriegsschauplatz:
Bei russischen Angriffen auf deutsche Truppen am Unterlauf der Lubaczowka (nordöstlich Jaroslau) sowie in der Gegend von Stryj erlitt der Feind schwere Verluste.

    Oberste Heeresleitung. 1)

 

Die "Lusitania"
Die "Lusitania"

Antwortnote der deutschen Regierung an Amerika

Berlin, 30. Mai. 
Die Antwortnote der kaiserlich deutschen Regierung in der "Lusitania"-Angelegenheit lautet wie folgt:

Berlin, 28. Mai.
Der Unterzeichnete beehrt sich, Seiner Exzellenz dem Botschafter der Vereinigten Staaten von Amerika, Herrn James W. Gerard, auf das Schreiben vom 15. d. M. über die Beeinträchtigungen amerikanischer Interessen durch den deutschen Unterseebootskrieg nachstehendes zu erwidern:
Die kaiserliche Regierung hat die Mitteilungen der Regierung der Vereinigten Staaten einer eingehenden Prüfung unterzogen und hegt auch ihrerseits den lebhaften Wunsch, in offener und freundschaftlicher Weise zur Aufklärung etwaiger Mißverständnisse beizutragen, die durch die von der amerikanischen Regierung erwähnten Vorkommnisse in den Beziehungen der beiden Regierungen eingetreten sein könnten.
Was zunächst die Fälle der amerikanischen Dampfer "Cushing" und "Gulflight" betrifft, so ist der amerikanischen Botschaft bereits mitgeteilt worden, daß der deutschen Regierung jede Absicht fernliegt, im Kriegsgebiet neutrale Schiffe, die sich keiner feindlichen Handlung schuldig gemacht haben, durch Unterseeboote oder Flieger angreifen zu lassen, vielmehr sind den deutschen Streitkräften wiederholt die bestimmtesten Anweisungen gegeben worden, Angriffe auf solche Schiffe zu vermeiden. Wenn in den letzten Monaten infolge von Verwechslungen neutrale Schiffe durch den deutschen Unterseebootkrieg zu Schaden gekommen sind, so handelt es sich um ganz vereinzelte Ausnahmefälle, die aus den Flaggenmißbrauch der britischen Regierung in Verbindung mit einem fahrlässigen oder verdächtigen Verhalten der Schiffskapitäne zurückzuführen sind. Die deutsche Regierung hat in allen Fällen, wo ein neutrales Schiff ohne eigenes Verschulden nach den von ihr getroffenen Feststellungen durch deutsche Unterseeboote oder Flieger zu Schaden gekommen ist, ihr Bedauern über den unglücklichen Zufall ausgesprochen und, wenn es in der Sachlage begründet war, Entschädigung zugesagt. Nach den gleichen Grundsätzen wird sie auch die Fälle der amerikanischen
Dampfer "Cushing" und "Gulflight" behandeln, über diese Fälle ist eine Untersuchung im Gange, deren Ergebnis der Botschaft demnächst mitgeteilt werden wird, und die gegebenenfalls durch eine internationale Untersuchungskommission gemäß Titel III des Haager Abkommens zur friedlichen Erledigung internationaler Streitfälle vom 18. Oktober 1907 ergänzt werden könnte.
Bei der Versenkung des englischen Dampfers "Falaba" hatte der Kommandant des deutschen Unterseeboots die Absicht, den Passagieren und der Mannschaft volle Gelegenheit zu ihrer Rettung zu geben. Erst als der Kapitän der Aufforderung, beizudrehen nicht nachkam, sondern flüchtete und mit Raketensignalen Hilfe herbeirief, forderte der deutsche Kommandant zunächst die Mannschaft und die Passagiere durch Signale und Sprachrohr auf, das Schiff binnen 10 Minuten zu verlassen, tatsächlich ließ er ihnen 23 Minuten Zeit und schoß den Torpedo erst ab, als verdächtige Fahrzeuge der "Falaba" zu Hilfe eilten.
Was die Verluste an Menschenleben bei der Versenkung des britischen Passagierdampfers "Lusitania" anlangt, so hat die deutsche Regierung den beteiligten neutralen Regierungen bereits ihr lebhaftes Bedauern darüber zum Ausdruck gebracht, daß Angehörige ihrer Staaten ihr Leben bei dieser Gelegenheit verloren haben. Die kaiserliche Regierung vermag sich im übrigen dem Eindruck nicht zu verschließen, daß gewisse wichtige Tatsachen, die im unmittelbarsten Zusammenhang mit der Versenkung der "Lusitania" stehen, der Aufmerksamkeit der Regierung der Vereinigten Staaten entgangen sein könnten. Sie hält es deshalb im Interesse des von beiden Regierungen angestrebten Zieles einer klaren und vollen Verständigung für notwendig, sich zunächst davon zu überzeugen, daß die den beiden Regierungen vorliegenden Nachrichten über den Sachverhalt vollständig sind und übereinstimmen.
Die Regierung der Vereinigten Staaten geht davon aus, daß die "Lusitania" als ein gewöhnliches, unbewaffnetes Handelsschiff zu betrachten ist. Die kaiserliche Regierung gestattet sich, in diesem Zusammenhange darauf hinzuweisen, daß die "Lusitania" einer der größten und schnellsten, mit Regierungsmitteln als Hilfskreuzer gebauten englischen Handelsdampfer war und in der von der englischen Admiralität herausgegebenen "Navy List" ausdrücklich aufgeführt ist. Der kaiserlichen Regierung ist ferner aus zuverlässigen Angaben ihrer Dienststellen und neutraler Passagiere bekannt, daß schon seit längerer Zeit so gut wie alle wertvolleren englischen Handelsschiffe mit Geschützen, Munition und anderen Waffen versehen und mit Personen bemannt sind, die in der Bedienung der Geschütze besonders geübt sind. Auch die "Lusitania" hat nach hier vorliegenden Nachrichten bei der Abfahrt von New York Geschütze an Bord gehabt, die unter Deck versteckt aufgestellt waren.
Die kaiserliche Regierung beehrt sich ferner die besondere Aufmerksamkeit der amerikanischen Regierung darauf zu lenken, daß die britische Admiralität ihrer Handelsmarine in einer geheimen Anweisung vom Februar dieses Jahres empfohlen hat, nicht nur hinter neutralen Flaggen und Abzeichen Schutz zu suchen, sondern sogar unter dieser Verkleidung durch Rammen angriffsweise gegen deutsche Unterseeboote vorzugehen. Auch sind als besonderer Ansporn zur Vernichtung der Unterseeboote durch Handelsschiffe von der britischen Regierung hohe Preise ausgesetzt und auch bereits ausgezahlt worden. Angesichts dieser ihr einwandfrei bekannten Tatsachen vermag die kaiserliche Regierung englische Kauffahrteischiffe auf dem vom Admiralstabe der kaiserlich deutschen Marine bezeichneten Seekriegsschauplatz nicht mehr als  "unverteidigtes Gebiet" anzusehen; auch sind die deutschen Kommandanten infolgedessen nicht mehr in der Lage, die sonst für das Seebeuterecht üblichen Regeln zu beobachten, denen sie früher stets nachgekommen sind. Endlich muß die kaiserliche Regierung besonders darauf hinweisen, daß die "Lusitania", wie schon früher, so auch auf ihrer letzten Reise kanadische Truppen und Kriegsmaterial, unter diesem nicht weniger als 5400 Kisten Munition an Bord hatte, die zur Vernichtung tapferer deutscher Soldaten, die mit Opfermut und Hingebung ihre Pflicht im Dienst des Vaterlandes erfüllen, bestimmt war. Die deutsche Regierung glaubt in gerechter Selbstverteidigung zu handeln, wenn sie mit den ihr zu Gebote stehenden Kriegsmitteln durch Vernichtung der für den Feind bestimmten Munition das Leben ihrer Soldaten zu schützen sucht. Die englische Schiffahrtsgesellschaft mußte sich der Gefahren, denen die Passagiere unter liefen Umständen an Bord der "Lusitania" ausgesetzt waren, bewußt sein. Sie hat, wenn sie sie trotzdem an Bord nahm, in voller Überlegung das Leben amerikanischer Bürger als Schutz für die beförderte Munition zu benutzen versucht und sich in Widerspruch zu den klaren Bestimmungen der amerikanischen Gesetzgebung gesetzt, die die Beförderung von Passagieren auf Schiffen, die Explosivstoffe an Bord haben, ausdrücklich verbietet und mit Strafe bedroht. Sie hat dadurch in frevelhafter Weise den Tod so zahlreicher Passagiere verschuldet. Nach der ausdrücklichen Meldung des betreffenden U-Boot-Kommandanten, die durch alle sonstigen Nachrichten lediglich bestätigt wird, kann es keinem Zweifel unterliegen, daß der rasche Untergang der "Lusitania" in erster Linie auf die durch den Torpedoschuß verursachte Explosion der Munitionsladung zurückzuführen ist. Anderenfalls wären die Passagiere der "Lusitania" menschlicher Voraussicht nach gerettet worden.
Die kaiserliche Regierung hält die im vorstehenden angeführten Tatsachen für wichtig genug, um sie einer aufmerksamen Prüfung der amerikanischen Regierung zu empfehlen. Indem die kaiserliche Regierung sich ihre endgültige Stellungnahme zu den im Zusammenhang mit der Versenkung der "Lusitania" gestellten Forderungen bis nach Eingang einer Antwort der amerikanischen Regierung vorbehalten darf, glaubt sie schließlich an dieser Stelle darauf hinweisen zu sollen, wie sie seinerzeit mit Genugtuung von den Vermittlungsvorschlägen Kenntnis genommen hat, die seitens der amerikanischen Regierung in Berlin und London unterbreitet worden sind, um einen modus vivendi für die Führung des Seekrieges zwischen Deutschland und Großbritannien anzubahnen. Die kaiserliche Regierung hat damals durch ihr bereitwilliges Eingehen auf die Vorschläge ihren guten Willen zur Genüge dargetan. Die Verwirklichung dieser Vorschläge ist, wie bekannt, an der ablehnenden Haltung der großbritannischen Regierung gescheitert.
Indem der Unterzeichnete Seine Exzellenz den Herrn Botschafter bittet, vorstehendes zur Kenntnis der amerikanischen Regierung zu bringen, benutzt er diesen Anlaß, um dem Herrn Botschafter die Versicherung seiner ausgezeichnetsten Hochachtung zu erneuern.

gez. Jagow. 

Seiner Exzellenz dem Botschafter der Vereinigten Staaten von Amerika
  Herrn Gerard. 
1)

 

Der österreichisch-ungarische Heeresbericht:

Die Einschließungslinie um Przemysl

Wien, 30. Mai, mittags.
Amtlich wird verlautbart:
Russischer Kriegsschauplatz:
An der unteren Lubaczowka wurde nachts ein starker russischer Angriff, der bis zum Handgemenge führte, zurückgeschlagen. Übergangsversuche der Russen am San bei und abwärts Sieniawa scheiterten schon im Beginn. Östlich des San ist die Lage unverändert. Eigene schwere Artillerie hält die Bahnlinie Przemysl-Grodek bei Medyka unter Feuer. Truppen des sechsten Korps eroberten am 27. Mai neuerdings acht russische Geschütze.
Die Einschließungslinie um Przemysl wurde von den verbündeten Truppen im Norden und Süden der Festung weiter vorgeschoben. Am Dnjestr und südlich desselben dauern die Kämpfe fort. An der Pruthlinie und in Polen hat sich nichts ereignet.
Italienischer Kriegsschauplatz:
Tirol: Die Italiener haben das Geschützfeuer gegen unsere Werke aus dem Plateau von Folgaria-Lavarone wieder aufgenommen. Feindliche Abteilungen rückten in Cortina ein. Ihre Sicherungsabteilungen flüchteten jedoch auf den ersten Kanonenschuß.
An der Kärntner Grenze hat sich nichts ereignet.
Im Küstenlande griff der Feind auf den Höhen nördlich Görz nicht wieder an. Übergangsversuche über den Isonzo bei Monfalcone wurden von unseren Patrouillen mühelos abgewiesen.

Der Stellvertreter des Chefs des Generalstabes
 v. Hoefer, Feldmarschalleutnant.
1)

 

Der türkische Heeresbericht:

Die Kämpfe auf Gallipoli

Konstantinopel, 30. Mai. 
An der Dardanellenfront bei Ari Burun bemühte sich der Feind vergeblich, uns daran zu verhindern, die im Zentrum seiner Stellung gelegenen Schützengräben zu organisieren, die wir genommen hatten. Bei Sed-ül-Bahr ist der Feind anscheinend damit beschäftigt, die infolge der Kämpfe vom 23. Mai entstandenen Lücken auszufüllen. Unsere anatolischen Batterien an der Meerenge bombardierten gestern wirksam die feindlichen Truppen bei Sed-ül-Bahr. 
Auf den übrigen Fronten nichts von Bedeutung. 
1)

 

Der 1. Weltkrieg im Mai 1915

ZURÜCK   HAUPTSEITE   WEITER

 

Textquellen:
1) Amtliche Kriegs-Depeschen nach Berichten des Wolff´schen Telegr.-Bureaus  
Band 2
Nationaler Verlag, Berlin (1915)

 

© 2005 stahlgewitter.com