Der
Wortlaut der Note Wilsons
Berlin,
22. Dezember.
Der amerikanische Geschäftsträger I. C. Grew hat gestern
abend dem Staatssekretär des Auswärtigen Amts im Auftrage des
Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika eine Note überreicht,
in der es unter anderem heißt:
Der Präsident regt an, daß baldigst Gelegenheit genommen werde,
von allen jetzt kriegführenden Staaten ihre Ansichten über die
Bedingungen zu erfahren, unter denen der Krieg zum Abschluß gebracht
werden könnte, und über die Vorkehrungen, die gegen die Wiederholung
des Krieges oder die Entfachung irgendeines ähnlichen Konflikts in
der Zukunft zufriedenstellende Bürgschaft leisten könnten, so
daß sich die Möglichkeit biete, sie offen zu vergleichen.
Der Präsident nimmt sich die Freiheit, darauf hinzuweisen, daß
die Ziele, die die Staatsmänner beider kriegführenden Parteien
in diesem Kriege im Auge haben, dem Wesen nach die gleichen sind. Beide
Parteien wünschen für die Zukunft die Rechte und Freiheiten
schwacher Völker und kleiner Staaten ebenso gegen Unterdrückung
oder Verneinung gesichert zu sehen, wie die Rechte und Freiheiten der
großen und mächtigen Staaten, die jetzt Krieg führen.
Jeder wünscht sich neben allen anderen Nationen und Völkern
in Zukunft gesichert zu sehen gegen die Wiederholung eines Krieges wie
des gegenwärtigen sowie gegen Angriffe und eigennützige Störungen
jeder Art. Jeder ist bereit, die Bildung einer Liga von Nationen in Erwägung
zu ziehen, die den Frieden und die Gerechtigkeit in der ganzen Welt gewährleistet.
Ehe jedoch dieser letzte Schritt gegen werden kann, hält jede Partei
es für notwendig, zunächst die mit dem gegenwärtigen Krieg
verknüpften Fragen unter Bedingungen zu lösen, die die Unabhängigkeit,
die territoriale Integrität sowie die politische und wirtschaftliche
Freiheit der an dem Kriege beteiligten Nationen sicherlich gewährleisten.
Die Vereinigten Staaten müssen es sich versagen, die Bedingungen
vorzuschlagen, auf Grund deren der Krieg beendigt werden soll. Aber der
Präsident sieht es als sein Recht und als seine Pflicht an, das Interesse
der Vereinigten Staaten an der Beendigung des Krieges darzutun, damit
es nicht einst zu spät ist, die großen Ziele, die sich nach
Beendigung des Krieges auftun, zu erreichen. Bisher haben die verantwortlichen
Wortführer auf beiden Seiten noch kein einziges Mal die genauen Ziele
angegeben, die, wenn sie erreicht würden, sie und ihre Völker
so zufriedenstellen würden, daß der Krieg nun auch wirklich
zu Ende gefochten wäre.
Vielleicht ist der Friede näher, als wir glauben. Vielleicht sind
die Bedingungen, auf denen die beiden kriegführenden Parteien es
für nötig halten, zu bestehen, nicht so unvereinbar, als manche
fürchten. Der Präsident schlägt keinen Frieden vor; er
bietet nicht einmal seine Vermittlung an. Er regt nur an, daß man
sondiere, damit die Neutralen und kriegführenden Staaten erfahren,
wie nahe wohl das Ziel des Friedens sein mag, wonach die ganze Menschheit
mit heißem und wachsendem Begehren sich sehnt. |