Unterbrechung
der Verhandlungen von Brest-Litowsk
Deutschland lehnt die
Verlegung nach Stockholm ab
Graf Hertling
Berlin,
4. Januar.
Im Hauptausschuß des Reichstags erklärte der Reichskanzler
Graf Hertling: Die russische Regierung schlägt eine Verlegung der
Verhandlungen von Brest-Litowsk nach Stockholm vor. Ganz abgesehen
davon, daß wir nicht in der Lage sind, uns von den Russen
Vorschriften über den Ort machen zu lassen, wo wir die
Verhandlungen weiterführen sollen, darf ich darauf hinweisen, daß
eine Verlegung nach Stockholm zu außerordentlich großen
Schwierigkeiten führen würde. Ich will nur die eine Schwierigkeit
anführen, daß die direkte Verbindung, die die verhandelnden
Delegierten mit ihren Hauptstädten Berlin, Wien, Sofia,
Konstantinopel und Petersburg haben müssen - die direkten
Verbindungen, die in Brest-Litowsk angelegt sind, funktionieren gut
-, in Stockholm auf die größten Schwierigkeiten stoßen würde.
Schon dieser eine Punkt führt dazu, daß wir nicht darauf eingehen
können. Dazu kommt, daß die Machenschaften der Entente, Mißtrauen
zu säen zwischen der russischen Regierung, ihren Vertretern und
uns, dort neuen Boden gewinnen würden.
Ich habe daher den Herrn Staatssekretär v. Kühlmann beauftragt,
diesen Vorschlag abzulehnen. (Bravo!)
Inzwischen sind in Brest-Litowsk Vertreter der Ukraine eingetroffen,
und zwar nicht nur als Sachverständige, sondern mit Vollmachten zu
Verhandlungen ausgestattet Wir werden ganz ruhig mit den Vertretern
der Ukraine weiterverhandeln.
Ich füge noch hinzu, daß von Petersburg mitgeteilt worden ist, die
russische Regierung könne auf Punkt 1 und 2 unserer Vorschläge
nicht eingehen. Diese beiden Punkte beziehen sich auf die
Modalitäten der Räumung der Gebiete und die Vornahme der
Volksabstimmungen. In der russischen Presse wird uns insinuiert,
daß in diesen Punkten 1 und 2 ausgedrückt sei, wie wir uns in
illoyaler Weise unserer Zusage betreffend das Selbstbestimmungsrecht
der Völker entziehen wollen. Ich muß diese Insinuation
zurückweisen. (Bravo!) Punkt 1 und 2 sind lediglich durch
praktische Erwägungen bestimmt. Wir können davon nicht abgehen.
Ich glaube, meine Herren, wir können getrost abwarten, wie dieser
Zwischenfall weiter verlaufen wird. Wir stützen uns auf unsere
Machtstellung, auf unsere loyale Gesinnung und auf unser gutes
Recht. (Lebhaftes Bravo!)
Brest-Litowsk, 4. Januar.
Der Vorsitzende der russischen Delegation hat am 3. d. M. aus
Petersburg an die Bevollmächtigten der Vierbundmächte in
Brest-Litowsk eine Depesche gerichtet, in der er unter Berufung auf
einen Beschluß der Regierung der Russischen Republik vorschlägt,
die Verhandlungen im neutralen Auslande fortzusetzen.
In Erwiderung hierauf haben die Delegationen der vier verbündeten
Mächte an Herrn Joffe am 4. d. M. telegraphiert, daß sie jede
Verlegung des Verhandlungsortes ablehnen, da bindend verabredet
worden sei, die Verhandlungen spätestens am 5. d. M. in
Brest-Litowsk wieder aufzunehmen. 1) |