Erlebnisberichte aus dem 1. Weltkrieg

 

Der Durchbruch von Gorlice-Tarnow


Von Generaloberst Arthur Baron Arz v. Straußenberg, 
Kommandant des 6. Korps.

Stürzende Kreuze, verfallende Gräber kennzeichnen die Stätten, an denen vor noch kurzer Zeit die Söhne aller Länder der verbündeten Reiche gekämpft und geblutet haben, wo Helden gefallen sind in treuer Erfüllung ihrer beschworenen Pflicht.
Des Lebens Alltag, die Hast und die Not der Gegenwart lässt wenig Muße für die Erinnerung an Vergangenes, besonders in einer Zeit, in der alles Bestandene als schlecht negiert, alle Einrichtungen, die die Völker zum Reiche geeint, als verfehlt bezeichnet und die Maßnahmen zum Schutze derselben verurteilt werden.
Doch diese Schlagworte können uns nicht irremachen; der Geist, der uns geeint, der uns mit unseren Bundesgenossen siegreich über alle Schlachtfelder geführt, läßt uns die bewunderungswürdigen Taten, die die Armeen im schwierigen Ringen durch vier Jahre gegen eine Welt von Feinden vollbrachten, nicht vergessen - sie werden fortleben von Generation zu Generation.
Alle Völker des in Trümmer zerfallenen Reiches haben Anteil daran, die Erinnerung an die Heldentaten ihrer Söhne wird niemals erlöschen.
Im Sinne der in der ehrwürdigen alten Armee stets hochgehaltenen Tradition kann der Tag des Beginnes einer der bedeutendsten Operationen gegen Rußlands Riesenmacht - der Tag von Gorlice-Tarnow - nicht unbeachtet bleiben. War doch dieser Ausgangspunkt für die gewaltige Offensive, den Siegeszug Mackensens durch Galizien und Polen - ein Wendepunkt im Kriege gegen das übermächtige Zarenreich.
In aller Stille, ohne Aufsehen wurden Österreich-Ungarns Streitkräfte in Mittelgalizien umgruppiert - das 6. Korps in seinem Stellungsraume zusammengeschoben; rechts davon hinter Gorlice das 41. deutsche Reservekorps unter General der Infanterie v. Francois, das in Ostpreußen ruhmvoll gekämpft, links vom 6. Korps die prächtigen Regimenter des Gardekorps unter General der Infanterie v. Plettenberg hinter Staszkowka - nördlich davon die österreich-ungarische 4. Armee.
Vor dem 6. Korps liegt - zum mächtigen Hauptstützpunkt ausgebaut - der steil aufsteigende, alles überragende Pusztki-Berg.
Durch überwältigendes Feuer zahlloser Geschütze aller Kaliber in Staub und Rauch gehüllt, verschwindet er bald den Blicken der Beobachter, die zeitlich früh den Gefechtsstand bezogen - spannend erwarten diese den Schlag der 10. Vormittagsstunde, zu der die in den Sturmstellungen gedeckt liegende Infanterie zum Sturme vorbrechen soll.
Zielbewußte Feuerleitung verlegt zur Stunde das Feuer nach rückwärts - Rauch und Staub heben sich und das Bild der in Trümmer gelegten Stellung hält den Blick gefangen - Tod und Sterben, so weit er reicht.
Im feindlichen Artilleriefeuer arbeiten sich unsere Truppen der 12. Division an den Hang des Pusztki-Berges hinauf -, während links der 12. die Regimenter der 39. Honved-Division zum Sturme gegen die Wiatrowki-Höhe ansetzen. Schlesier und Mährer, Polen und Ruthenen dringen stürmend in die Stellungen ein, im blutigen Handgemenge dieselben erobernd und behauptend, allen voran Regiment58 und 100 unter ihrem tapferen Brigadier Generalmajor v. Metz; südlich davon durchbrechen Francois´ sturmerprobte Reserve-Regimenter die Gorlice-Stellungen, indes die Helden der Garden Staszkowka erobern. Gehobenen Gefühles verfolgt das 6. Korpskommando das siegreiche Vordringen seiner tapferen Truppen - doch welch plötzliche Wandlung! Bereits in die Gräben Eingedrungene scheinen wieder hinausgeworfen - bald rollen ganze Schwärme den Hang herunter, ein Rückschlag schien alle errungenen Erfolge zunichte zu machen.
Die Zahl der als geworfen Erscheinenden wächst - bald ist sie größer als die der Eingedrungenen und wächst immer mehr - da klärt sich die Lage - die Herbeieilenden sind - Russen; die ganze Besatzung, soweit sie noch am Leben geblieben, gerät in Gefangenschaft - bald zählen diese nach Tausenden.
Den Gipfel der Höhe überschreitend, nimmt die 12. Division, Feldmarschalleutnant Krestanek, die Verfolgung auf - mit dem rechten Flügel einschwenkend und dem beim Kamienec-Wald in Flankenfeuer geratenen Flügel des deutschen Reservekorps Luft machend. Nun hat auch die 39. Division, Feldmarschalleutnant Hadfy, die Höhe in Besitz und folgt im Anschlusse der siegreich vorstürmenden Garde.
Am Abende des 2. Mai haben die verbündeten Truppen die ganze russische Front in Westgalizien von nahe der ungarischen Grenze bis zur Mündung des Dunajec in die Weichsel durchbrochen. Hunderttausende von Gefangenen und eine unermeßliche Beute fielen in ihre Hände.
Die österreichische 12. Division hatte den Schlüssel der feindlichen Stellung - den Pusztki-Berg -, die ungarische 39. Division die anschließende Höhe erobert; das deutsche Reservekorps das Tor zum Vormarsche bei Gorlice geöffnet, die Garde die feste Wand bei Staszkowka durchbrochen - der Weg zum siegreichen Vormarsche war frei. Energische Verfolgung führte nun zur Rückeroberung Przemysls und zur Befreiung Lembergs.
Volle Bewunderung müssen wir dem kühnen Schöpfer des großzügigen Planes zollen, höchste Anerkennung aber auch der mit der Durchführung des herrlichen Planes betrauten Leitung nicht versagen, die in reichlichster Weise alles für die den Erfolg sichernde Vorbereitung der Offensive beschafft und zugewiesen, alles bedacht und erwogen hat, um Verteilung der Kraft und Einklang zu gewährleisten.
Alles aber überbot die Tapferkeit und der Heldenmut der Truppen, die den Angriff zu führen hatten.
Ich war Augenzeuge, mit welchem Todesmute, mit welcher Tollkühnheit dieselben immer wieder zum Sturm ansetzten, wie unermüdlich die Artillerie die vordringende Infanterie unterstützte, wie technische Truppen sich mühten, den Sturmkolonnen den Weg zu bahnen, wie Flieger die feindliche Artillerie schädigten.
Ich habe dieselben Truppen - fünf mährische, schlesische, polnische und vier oberungarische Regimenter - durch vier Monate an der Seite der besten Truppen der Welt im Zuge Mackensens durch Galizien und Polen geführt -, ihre Zähigkeit, Ausdauer, ihre Tapferkeit und ihr Heldenmut waren stets über jedes Lob erhaben -, der Erfolg krönte ihre Ausdauer und Kampfesfreude und die Anerkennung des ruhmgekrönten Feldmarschalls belohnte ihre zum Siege beitragende Haltung.
Der Geist, der diese braven Regimenter im Siegeszug von Gorlice bis Brest-Litowsk zu bewunderungswerten Leistungen befähigte, beseelte dieselben auch im weiteren Verlaufe des Krieges - bis ihnen der in Trümmer stürzende Staat die Waffen aus der Hand schlug.
Am Tage von Gorlice-Tarnow aber wollen wir stets all der Helden gedenken, die dort gekämpft und geblutet haben, und jener, die dort auf dem Felde der Ehre gefallen sind!

 

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