Erlebnisberichte aus dem 1. Weltkrieg 

 

Der Kampf um Gallipoli 1915-16


Von Otto Liman von Sanders
(1855-1929)

Eine der ersten Ursachen des Weltkrieges ist das Streben Rußlands nach dem Besitz von Konstantinopel und der Meerengen.
Nachdem die Fackel des Krieges auf dem Balkan entzündet war, hatten England und Frankreich das dringende Interesse, durch die Dardanellen und den Bosporus eine kurze und direkte Verbindung mit ihrem mächtigen Verbündeten Rußland zu gewinnen. Nur dann konnten die ungeheuren Hilfsmittel Rußlands an Menschen, Getreide und Erzen für die Entente nutzbar gemacht, nur dann konnte Rußland von der Entente beliebig mit Kriegsmaterial versorgt werden.
Gelang es der Entente die Meerengen und Konstantinopel in Besitz zu nehmen, so war die Türkei von Deutschland und Österreich-Ungarn abgesprengt!
Der hohe Preis, der in Aussicht stand, bildet die Erklärung dafür, daß England, unter beschränkter Hilfe von Frankreich, Hunderttausende seiner Soldaten zu der großen Offensive auf der Halbinsel Gallipoli einsetzte.
Am 18. März 1915 war der Durchbruchsversuch der englisch-französischen Flotte durch die Dardanellen an dem wirksamen Feuer der Festungsbatterien und an den in der Meerenge gelegten Minenreihen gescheitert. Die alliierte Flotte hatte mehrere große Kampfschiffe und verschiedene kleinere Schiffe verloren. Der Versuch ist nicht mehr erneuert worden.
Jetzt sollten die Schlüssel zur Meerenge, die Halbinsel Gallipoli, und das asiatische Ufer südlich der Dardanellenmündung, durch eine große Landungsarmee erobert werden.
Zuerst wurden 80-90000 Mann englische und französische Truppen auf den den Dardanellen vorgelagerten Inseln Imbros und Lemnos für die Landung bereit gestellt, und eine große Transportflotte versammelt. Großartige Depots aller Art wurden dort errichtet. Den Oberbefehl über sämtliche Ententetruppen übernahm der englische General Sir Ian Hamilton.
Angesichts der drohenden Landung hatte Enver am 25. März 1915 die beiderseits der Dardanellen stehenden fünf türkischen Divisionen als 5. Armee unter den Oberbefehl des Chefs der Deutschen Militärmission, des Marschalls Liman von Sanders gestellt. Zu Beginn des April trat noch die mit Schiff aus Konstantinopel herangeführte 3. Division hinzu, die unter dem Befehl des sächsischen Oberstleutnants Nicolai stand, und in der ein weiterer sächsischer Offizier, der Major Schierholz ein Infanterieregiment und der preußische Major Bienhold die Feldartillerie befehligte.
Deutsche Truppenteile gab es damals nicht in der Türkei, nur die etwa 70 Offiziere, Sanitätsoffiziere und Beamten der Militär-Mission, sowie einige wenige deutsche Unteroffiziere. - Von ihnen allen wurde ein Teil zur 5. Armee herangezogen.
In den drei Abschnitten, die dem Feinde bei einer Landung am ehesten einen Erfolg versprachen, wurden je zwei Divisionen bereit gestellt, mit leichten Postierungen an der Küste. Es waren dies der obere Sarosgolf, der Südabschnitt der Halbinsel Gallipoli und das asiatische Ufer. - Auf letzterem übernahm der deutsche Oberst Weber den Befehl.
Genau einen Monat nach Bildung der 5. Armee, im Morgengrauen des 25. April, begann die große Landung der Entente.
Unter stundenlangem ununterbrochenem Hagel von Stahl und Eisen aus den schwersten Kalibern der Flotte lagen seit frühester Morgenstunde der Strand bei Kumkale, die gesamte Südspitze der Halbinsel und die Uferstrecken bei Kabatepe und Ariburnu. - In der Besika-Bucht und am oberen Sarosgolf täuschten Flottenabteilungen mit Transportschiffen unter lebhaftem Schiffsfeuer einen Angriff vor.
Als der Feind glaubte, daß nach dem furchtbaren Artilleriefeuer kaum noch ein lebendes Wesen am Strande vorhanden sein könne, begann er mit der Ausschiffung. - Über 200 Kriegsschiffe und Transportschiffe wurden von den türkischen Artilleriebeobachtern gezählt, und die Anzahl der Insassen und kleinen Boote war gar nicht zu bemessen.
Jetzt lösten sich die türkischen Postierungen mit zahlreichen Maschinengewehren aus ihren durch Klippen und Felsen geschaffenen Deckungen und nahmen die Landungsboote unter vernichtendes Feuer. Die bereit gestellten Divisionen eilten nach den Landungswellen. - Nach stundenlangen erbitterten und für den landenden Feind überaus verlustreichen Kämpfen gelang es den Franzosen in Kumkale Fuß zu fassen. Durch vier Tage wechselten dort Tag und Nacht Angriffe mit Gegenangriffen, bis es der 3. Division unter Oberstleutnant Nicolai gelang, in der Nacht zum 29. April die Franzosen endgütig auf die Schiffe zurückzutreiben und das asiatische Ufer vom Feinde zu säubern.
An der Südspitze der Halbinsel Gallipoli, in der Gegend von Seddulbahr waren es englische Elitetruppen, die sich nach hin- und herwogenden Kämpfen unter ungeheuren Verlusten schließlich am Strande festsetzen konnten. Durch dauernd eintreffende Verstärkungen gewannen sie unter dem Schutze der Schiffsgeschütze in der nächsten Zeit etwas Gelände nach Norden. Hier baute sich eine Kampffront der Entente auf, die bald quer über die schmale Spitze der Halbinsel von West nach Ost führte. Ihr gegenüber, nur durch wenige Schritte Entfernung getrennt, waren die türkischen Gräben entstanden. Auf diesen Kampfplatz waren die beiden Divisionen vom Sarosgolf und dann auch der größere Teil der Truppen des Obersten Weber geführt worden, für Freund wie Feind trafen bald weitere Verstärkungen ein, und viele Monate währende Kämpfe entwickelten sich auf der leicht gewellten Ebene südlich des Eltschitepe, die von drei Seiten vom feindlichen Schiffsfeuer beherrscht wurde.
Weiter nördlich, bei Kabatepe, war die feindliche Landung am 25. April abgewiesen worden. Dagegen hatte das Anzakkorps - australische und neuseeländische Truppen - auf den östlich der Bucht von Ariburnu gelegenen Höhen sich festsetzen können. Durch das Feuer der Schiffsgeschütze gestützt, konnten diese tapferen englischen Kolonialtruppen einen schmalen Streifen dicht an der Küste behaupten. - Hier entwickelte sich die zweite große Kampffront auf der Halbinsel Gallipoli.
Trotz ungezählter Angriffe auf den beiden genannten Fronten konnte die Entente in den nächsten Monaten keine irgendwie entscheidenden Fortschritte erzielen.
Aus der Unzulänglichkeit der bisherigen Erfolge entstand bei den Engländern der Plan einer neuen großen Landung in dem Anaforta-Abschnitt nördlich der Ariburnufront. Mit dem Abend des 6. August 1915 beginnend, wurden fünf neue englische Divisionen an der flachen Küstenstrecke an Land gebracht, die im Norden in der Suvla-Bucht endigt. Gegen sie war zuerst nur die schwache Abteilung des bayerischen Majors Wittmer verfügbar, dem der Küstenschutz hier anvertraut war. Nach tapferem Widerstände wurden die Truppen des Majors Willmer allmählich zurückgedrückt, aber die durch die 5. Armee vom oberen Sarosgolf, von der asiatischen Seite und aus den anderen Fronten herangeführter Verstärkungen trafen rechtzeitig ein! - In schweren elftägigen Kämpfen kam der englische Angriff zum stehen. Alle beherrschenden Höhen blieben in türkischer Hand! - Statt der beabsichtigten Überflügelung der 5. türkischen Armee hatte sich für die Engländer nur eine etwa 11 km lange Verlängerung der Ariburnufront - entlang der Küste - ergeben.
Nach den englischen Angaben hatten die gelandeten Truppen in jenen Tagen gegen 15000 Tote und 45000 Verwundete zu verzeichnen.
Viele Deutsche hatten sich in diesen Kämpfen ausgezeichnet. Zu der im Anfange des Feldzuges so geringen Zahl waren in den Sommermonaten viele deutsche Artillerieoffiziere, Offizierstellvertreter, Geschützführer, eine deutsche Pionierabteilung und zwei Maschinengewehr-Abteilungen der Marine hinzugetreten. So daß ihre Gesamtzahl auf zirka 500 Köpfe gestiegen war. Mancher von ihnen hat in diesem Feldzuge an der fremden Küste, fern von der Heimat, zur Ehre des deutschen Namens sein Leben gelassen, viele sind verwundet worden.
Viele andere sind auf den kahlen, sonnendurchglühten Kampffeldern ohne Baum und Strauch, auf denen oft das Wasser mangelte und die schmale türkische Kost zu Entbehrungen zwang, von Krankheiten ergriffen worden. Oft hieß es hungern, wenn wieder einmal die Verpflegungsschiffe im Marmara-Meere von den feindlichen Unterseebooten torpediert waren, oder wenn die Kamelzüge, die die Verpflegungslasten von den Dardanellen-Häfen zur Front bringen sollten, durch das Artilleriefeuer der Schiffe oder durch Fliegerbomben vernichtet wurden.
Die ganze schmale Halbinsel lag ja doch unter dem Feuer der schweren englischen und französischen Schiffsgeschütze, das durch die Fesselballons der Schiffe und durch Flieger geleitet wurde.
Eine schwüle windlose Hitze brütete den ganzen Sommer über der Halbinsel, fast fünf Monate ohne jeden Regen, und die Tage wollten kein Ende nehmen.
Diese beschränkte Zahl an Deutschen, unter hunderttausenden Türken verstreut, aber immer an gefährdeten und wichtigen Punkten eingesetzt, haben ebenso wie unsere vordersten Kämpfer im Westen und Osten den Ruhm deutscher Tapferkeit und Zähigkeit gegen eine Welt von Feinden bekräftigt.
Nach der Anaforta-Landung dauerten die Kämpfe auf der Halbinsel ohne jede Unterbrechung den ganzen Spätsommer und Herbst bis in die zweite Hälfte des Dezember, ohne daß es dem Feinde gelang, irgendwelche nennenswerten Fortschritte zu machen. Die Engländer hatten erkannt, daß der Feldzug aussichtslos sei und ungezählte Opfer kostete. Zudem war durch den Serbischen Feldzug der Schienenweg von den Mittelmächten zur Türkei für das bis dahin knappe Kriegsmaterial, aber auch für aktive Hilfe, frei geworden,
Die Engländer entschlossen sich zum Rückzuge von der Halbinsel und damit zur Aufgabe des ganzen Gallipoli-Feldzuges, an den sie die höchsten Hoffnungen geknüpft hatten.
In der Nacht vom 19./20. Dezember 1915, in der dichter Nebel über der ganzen Halbinsel lag, räumten sie die Anaforta- und Ariburnufront und gingen auf die Schiffe, ihre gesamten Zeltlager und ungeheures Kriegsmaterial zurücklassend.
Sobald in den ersten türkischen Linien erkannt wurde, daß das Feuer aus den vordersten englischen Gräben nur vereinzelt erwidert wurde oder ganz schwieg, gingen die Türken vor und besetzten die zunächst liegenden englischen Verschanzungen. Allmählich kam, auf höheren Befehl, das Vorgehen der gesamten türkischen Front gegen das Meeresufer hin in Gang. - An vielen Stellen wurde es durch Sperren von Stacheldraht und durch große Felder von Tretminen aufgehalten. - Die nebelige Nacht verhinderte jede Übersicht, und die feindliche Schiffsartillerie streute in das zu durchschreitende Gelände - so hatten auch die letzten Teile der Engländer einen Vorsprung gewonnen, der ihr an vielen Stellen vorbereitetes Einschiffen ermöglichte. - Der Weg zum Ufer war ja auch nur sehr kurz gewesen.
In der Nacht vom 8./9. Januar 1916 räumte der Feind in ähnlich geschickter Weise die letzte ihm verbliebene Front, die von Seddulbahr, nachdem ihm ein größerer türkischer Angriff auf seinem äußersten linken Flügel am 7. Januar noch ernste Verluste gebracht hatte.
Auch hier hatte er die gesamten Zelt- und Baracken-Lager preisgegeben, und alles Kriegsmaterial, was die Einschiffung verzögern konnte.
Nach 8 1/2 monatlichen schweren Kämpfen war die Halbinsel frei vom Feinde, der Feldzug war gewonnen!
Die 5. Osmanische Armee hatte 218 000 Mann Verluste, darunter 66 000 Tote zu verzeichnen.
Der Entente war die direkte Verbindung zu Rußland verwehrt geblieben. So konnte Rußland später der Revolution anheimfallen. Die Türkei aber war nicht abgesprengt worden und konnte an der Seite der Mittelmächte weiterkämpfen!
Dies ist die weltgeschichtliche Bedeutung des Gallipolifeldzuges.
Der Versuch, die Dardanellen und Konstantinopel zu gewinnen, ist von der Entente nicht mehr erneuert worden, bis der Waffenstillstand beide ihr kampflos überließ.

 

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