Aus
dem Großen Hauptquartier wird geschrieben:
I.
Im
Kriege 1870 haben die Argonnen keine Rolle gespielt. Das Waldgebirge
wurde zwar bei dem Marsche auf Sedan von deutschen Truppen
durchzogen, die dabei wegen der spärlichen Ortschaften und des
wenigen Wassers Mangel litten, es fanden darin aber keinerlei Kämpfe
statt. Solche gab es auch nicht, als die Armee des Kronprinzen von
Preußen zu Anfang September 1914 zwischen Argonnen und Verdun südwärts
gegen die Marne vorrückte. Auch Mitte September noch war der Wald
frei vom Feinde gewesen. - Die Sache änderte sich, als zu Beginn
des sich nunmehr entwickelnden Stellungskampfes das deutsche
Westheer eine Linie eingenommen hatte, die von Reims her in westöstlicher
Richtung nach der Maas bei Consenvoye führte. Zwar erwartete man
anfänglich auch jetzt noch keine Waldkämpfe, die deutschen Truppen
führten vielmehr bei Binarville auf der Westseite und bei Chatel
auf der Ostseite der Argonnen ihre Stellungen bis dicht an die Waldränder
heran, während man das Gebirge selbst durch Detachements sperrte.
Als aber die Franzosen namhafte Kräfte in den Wald führten, in der
augenscheinlichen Absicht, aus diesem heraus eine umfassende
Bewegung gegen einen der am Walde angelehnten deutschen Flügel
einzuleiten, da war der Augenblick gekommen, wo die Argonnen eine
neue militärische Bedeutung gewinnen mußten.
II.
Der
Beschreibung der Kämpfe sei eine kurze Charakteristik der Argonnen
vorausgeschickt:
Das Waldgebiet erstreckt sich in einer Tiefe von etwa 40 Kilometer
in nordsüdlicher Richtung und hat eine wechselnde Breite von 8-12
Kilometer. Es wird durch das Tal der Biesme in eine nordöstliche
und südwestliche Hälfte von annähernd gleicher Größe geteilt
und außerdem durch Bahn und Straße Clermont en Argonne - Ste.
Menehould in einen kleineren Südteil und einen größeren Nordteil
zerlegt. Für den Argonnenkampf kommt nur der nördlichste Teil des
Waldes in Betracht; mit ihm die beiden Straßen Clermont - Fléville
und Clermont - Le Four de Paris - Vienne le Chateau, von denen
erstere außerhalb der Argonnen, letztere im Tale der Biesme führt.
An besseren Querverbindungen durch den Nordostteil der Argonnen
bestehen nur die Sträßchen Montblainville - Servon und Varennes -
Le Four de Paris, als Nord-Süd-Verbindung nur die auf dem Kamme des
Waldgebirges laufende alte Römer-Straße. Außerdem sind natürlich
eine Unmenge von Holzabfuhrwegen vorhanden von mehr oder weniger
fragwürdiger militärischer Brauchbarkeit. Diese ist von der
Witterung sehr bedingt. Bei feuchtem regnerischen Wetter verwandeln
sich die Wege wegen der lehmigen Bodenbeschaffenheit bald in
grundlose Sümpfe.
Das Waldgebiet ist eine Mittelgebirgslandschaft, die etwa den
flacheren Teilen des Thüringer Waldes entsprechen dürfte. Nach
Osten fällt es steil und plötzlich zur Aire ab, im Innern weist es
zahlreiche tiefeingeschnittene Täler und Schluchten auf; hier tritt
überall der kahle Fels zutage. Die Argonnen sind ein echt französischer
Wald, der bekanntlich vorwiegend aus dichtem Busch von Buchen,
Erlen, Eichen und Birken besteht, und alle 15 Jahre geschlagen wird,
wobei das gewonnene Krüppelholz in den Kamin wandert. Nur einzelne
Eichen und Buchen läßt der Franzose stehen und sich zu vollem
Wachstum entfalten. Um diese Stämme schlingen sich die im französischen
Walde so zahlreichen Kletterpflanzen, wie der Efeu und die Waldrebe.
Ersterer bedeckt große Flächen des Waldbodens, und diesem entwächst
in den Argonnen auch besonders schön und zahlreich ein kleiner,
immergrüner Strauch, die sogenannte Stechpalme, und der
Besenginster. Der Wald ist wenig bewohnt. Nur Köhler, Holzhauer und
Jäger gehen dort ihrer Beschäftigung nach. Das Innere des Waldes
wird, schon seiner Undurchdringlichkeit wegen, von der Bevölkerung
gemieden. Auch die Namen "Ruisseau de Meurissons",
"la Fille morte", "Moulin de l´Homme Mort"
weisen darauf hin.
So sieht der Wald aus, der seit nunmehr vier Monaten Tag und Nacht
widerhallt vom Lärm der Waffen und der durch die Erdarbeiten der
Soldaten und die Verwüstungen der Feuerwaffen ein ganz neues Gepräge
erhalten hat.
III.
Als
Ende September die ersten deutschen Truppen aus dem Aire-Tal in
westlicher Richtung in die Argonnen vorgeschoben wurden, hatten die
Franzosen, nachdem sie aus den östlichen Waldteilen zurückgeworfen
worden waren, den südlich Binarville gelegenen Waldteil stark
besetzt und namhafte Kräfte aus dem Tale der Biesme nach Barricade
Pavillon, St. Hubert Pavillon und Bagatelle Pavillon vorgesandt.
Diese Truppen legten bei den dortigen Waldhütten Verhaue und Schützengräben
an und richteten sich darinnen zur Verteidigung ein. Vor diesen
Sperren fanden die deutschen Jägerabteilungen Ende September
ernsthaften Widerstand, so daß Verstärkungen in den Wald geschickt
wurden und den Feind zurückwarfen. Da aber auch diese weitere
Truppen dem Walde zuführte, so entspannen sich hier lebhafte Kämpfe,
die auf beiden Seiten mehr und mehr den Charakter des
Stellungskrieges annahmen. Mitten im Walde entstand Schützengraben
hinter Schützengraben, die durch Laufgräben untereinander
verbunden wurden. Es wurden Unterstände gebaut, und als das Laub
fiel, auch Geschütze in den Wald gebracht. Neben der natürlichen
Beschaffenheit des Waldes erschwerten Verhaue und Drahthindernisse
dem Gegner die Annäherung an die künstlich geschaffenen Anlagen.
Es begann nun ein Kampf von Graben gegen Graben, vielfach von
Schritt zu Schritt. Um unnötige Verluste zu vermeiden, griff man
zur Sappe. Mit ihr stellten sich auch die starken Kampfmittel des
Festungskrieges, wie Minenwerfer, Handgranaten, Revolverkanonen,
Stahlblenden, Sandsackpackungen usw. ein, und die Tätigkeit der
Pioniere gewann eine erhöhte Bedeutung. Diese Waffe schritt dann
auch zum Minenangriff, wenn andere Mittel nicht zum Ziele führten.
Aus allem ergab sich ein sehr langsames Vorschreiten des Angriffs
und ein ungewöhnlicher Zeitverbrauch, da nur sorgfältige, wohlüberlegte
Vorbereitungen zum Erfolge führten. Zuerst hatte man keine
Artillerie im Walde, dann ließ man sie auf Wegen und Schneisen
vorkommen, endlich lernte man es, sie überall im Walde zu
verwenden. Eine Sonderheit bildeten bei den Franzosen die
sogenannten "Eselsbatterien" (Gebirgsgeschütze), eine
Bespannungsart, die unseren Soldaten neu war. Die Bevölkerung
leistete den Franzosen Vorschub: in deutsche Uniformen verkleidete
Soldaten machten sich an unsere Leute heran und versuchten diese
auszuhorchen. Der deutsche Soldat und Argonnenkämpfer entwickelte
sich bald zu größter Vielseitigkeit. Schnell und gut paßte er
sich den neuen Verhältnissen an. Da wir bald den Franzosen überlegene
Angriffsmittel zur Anwendung brachten, und unsere Soldaten, was Zähigkeit,
Beharrlichkeit und Angriffslust betrifft, unübertrefflich waren, so
bildete sich im Waldkampfe ein starkes Überlegenheitsgefühl über
den Feind heraus, der, abgesehen von gelegentlichen Gegenstößen,
in die Defensive gedrängt wurde. Der Feind vermochte unseren
Angriffen nicht zu widerstehen, so daß unsere Truppen in zwar
langsamem, aber ununterbrochenen Vorrücken geblieben sind, trotz
der starken Kräfte, die der Feind uns nach und nach
entgegenstellte.
IV.
Um
die Wende der Monate September und Oktober setzte der Beginn der größeren
deutschen Angriffe ein. Auf dem rechten Flügel drangen unsere
Truppen von Binarville aus in die Westargonnen ein und warfen hier
den Feind allmählich südwärts zurück. In der Mitte des
Waldgebietes wurden Mitte Oktober dem Feinde Barricade Pavillon und
St. Hubert entrissen, nachdem um die letztere heftig gekämpft
worden war. In den nächsten Tagen drang man von hier aus weiter
nach Westen vor und näherte sich dem Biesme-Tale in Richtung auf Le
Four de Paris, an welchen Ort man bis auf 400 Meter herankam und wo
man sich festsetzte und sich hielt trotz aller Gegenangriffe, welche
die Franzosen seitdem hierher gerichtet haben. Auch Bagatelle
Pavillon, einer der stärksten Stützpunkte der Franzosen im Walde,
mußte vom Feinde am 12. Oktober
aufgegeben und dem deutschen Angreifer überlassen werden. Die
Wegnahme der drei erwähnten Pavillons war ein großer moralischer
Erfolg. Man begnügte sich nicht mit ihrem Besitze, sondern trug die
Offensive weiter vorwärts. Aber auch für diese blieb, wie bei den
bisherigen Kämpfen, der schrittweise Angriff bestehen. Die
Infanterie sappte und schanzte unentwegt, vielfach bei Nacht, um unnötige
Verluste an Menschenleben zu vermeiden. Dem Infanteristen reichte
der Pionier die Hand, der den ersteren lehrte, Bergmannsarbeit im
felsigen Boden zu leisten und den Stollen unterirdisch
weiterzutreiben. Bei den Kämpfen und Stürmen kämpften und stürmten
beide Schulter an Schulter. Auch der Artillerist stellte sich im Schützengraben
ein. So entstand ein enges kameradschaftliches Verhältnis, wie es
selbst im Frieden kaum zustande gekommen war, einer dem Andern
vertrauend, jeder auf die Unterstützung des Andern bauend, sie alle
jederzeit dem Tode ins Auge schauend.
Graben um Graben war so gewonnen. Bald war es einer, bald stürmte
man eine ganze Gruppe von Schützengräben hintereinander.
Dementsprechend schwankte der Raumgewinn zwischen 25 und 1000 Meter.
Manchmal wurden selbst größere Fortschritte gemacht, hier und da
gelang es auch dem Feinde, vorübergehende kleine Erfolge zu
erzielen oder unser Vorgehen durch Gegenangriffe zeitweise
aufzuhalten. Beides vermochte jedoch nicht zu verhindern, daß die
deutschen Truppen im Argonner Walde in unausgesetzter
Angriffsbewegung, und zwar in langsamen, aber ununterbrochenem Vorwärtsschreiten
begriffen sind.
Wie langwierig diese Angriffe sind, mag aus der kurzen Schilderung
des Angriffes einer Pionierkompagnie gegen eine im Walde gelegene
beherrschende Hohe hervorgehen. Es galt, eine feindliche Stellung
wegzunehmen, von der aus die rückwärtigen Verbindungen eines
deutschen Abschnittes dauernd gefährdet wurden. Hierzu wurden am 7.
Dezember aus dem deutschen Schützengraben drei Sappen vorwärts
getrieben, am 12. Dezember war die linke Sappe bis auf etwa 8 Meter
an die feindliche Sappe herangekommen, als die Spitze durch eine
französische Minensprengung auf 10 Meter Länge wieder eingeworfen
wurde. Die beiden anderen Sappen waren am gleichen Tage bis auf etwa
20 Meter an den feindlichen Schützengraben vorgetrieben. Bis zum
19. Dezember war die linke Sappe wieder aufgeräumt und die beiden
anderen bis auf etwa 6 - 8 Meter an den Gegner getrieben. Von den
Sappenspitzen aus wurden jetzt 3 Meter lange Stollen zur Aufnahme
von Sprengladungen vorgetrieben, die am 20. zündfertig waren. 8 Uhr
vormittags wurden die Minen gezündet. Gleich darauf stürzten die
in den Sappen und den angrenzenden Teilen der Schützengräben
aufgestellten Sturmabteilungen gegen den Feind vorwärts, ihnen
voraus Pioniere, mit Handgranaten, Drahtscheren und Äxten ausgerüstet.
Der durch die Sprengungen kopflos gewordene Feind wurde aus seinen
Stellungen geworfen. Die Sturmtruppen folgten über ein feindliches
Lager hinweg dem fliehenden Feinde noch etwa 800 Meter, bis dichtes
Gestrüpp sie zwang, von der weiteren Verfolgung Abstand zu nehmen
und sich einzugraben. Durch die Sprengungen und die geworfenen
Handgranaten hatte der Feind eine größere Anzahl Toter, außerdem
wurden 200 Gefangene gemacht, 4 Maschinengewehre, l Revolverkanone
und 8 Minenwerfer erbeutet. Die Besichtigung der genommenen
feindlichen Gräben ergab, daß der Feind ebenfalls mit Minen gegen
die deutschen Stellungen vorgehen wollte. Er hatte vier Schächte,
je 4-5 Meter tief mit einem Durchmesser von 1,5 Meter abgeteuft und
von diesen aus Schleppschächte angesetzt, mit deren Fertigstellung
nach Aussage eines gefangenen Genieoffiziers in den nächsten Tagen
gerechnet worden war.
Diese Erfolge unserer Truppen sind natürlich unter mancher
Schwierigkeit, Gefahr und allerlei Entbehrung erzwungen worden. Aber
die Schwierigkeiten wurden überwunden, den Gefahren keck ins Auge
gesehen und die Entbehrungen wurden freudig ertragen. Wo die Wege
schlecht, ungenügend oder nicht vorhanden waren, wurden neue
angelegt oder die alten ausgebessert; wo auch dies dem Bedürfnisse
nicht genügte, Schritt man zum Bau von Bahnen. Drang Wasser in die
Gräben und Sappen ein, so erfand man bald Mittel und Wege, um den
unerwünschten Eindringling zu beseitigen. Eine ausgezeichnete und
reichliche Verpflegung sorgte dafür, daß die Widerstandskraft
unserer Truppen andauernd auf der gleichen Hohe blieb; eine Reihe
hygienischer Maßnahmen verhinderte das Ausbrechen von Krankheiten
und Epidemien. In Hüttenlagern, in bequemen und wohldurchwärmten
Erdhöhlen und Unterständen richtete sich die Truppe vorn am Feinde
ein. Jeder Schützengraben erhielt seinen Namen, überall entstanden
Bezeichnungen für die unterirdischen Dörfer, die sich da
entwickelten. Neben einem fröhlichen Humor, dem unsere Soldaten so
gerne die Zügel schießen lassen, kommt bei diesen Bezeichnungen
auch religiöse Gesinnung und ernste Entschlossenheit zum Ausdruck.
Da lesen wir vor einem Unterstande "Ordonnanzen- und
Burschenstube" und darunter steht "Eine feste Burg ist
unser Gott" oder eine andere Aufschrift:
"Treu leben,
Tod trotzend kämpfen,
Lachend sterben."
Die
deutschen Führer leben in unmittelbarster Gemeinschaft mit ihren
Soldaten. Brigade- und Divisionsstäbe haben mitten im Walde ihre
Erdhöhlen, über die bei Tag und Nacht die feindlichen Infanterie-
und Artilleriegeschosse hinwegpfeifen. Tagtäglich zeigen sich die höheren
Führer bei der Truppe in den vordersten Linien der Schützengräben,
während alle Truppenoffiziere bis zu den Regimentskommandeuren in
den Unterschlupfen der Kampflinie nächtigen. Der Oberbefehlshaber,
General der Infanterie v. Mudra, erscheint gleichfalls mehrmals die
Woche in den vordersten Linien. Im Hauptquartier ist auch der Armeeführer,
seine Kaiserliche Hoheit der Kronprinz des Deutschen Reiches und von
Preußen, kein seltener Gast; auch Seine Majestät der Kaiser ist
hier wiederholt gewesen. Vor kurzem erst hat er General v. Mudra für
die hervorragenden Leistungen der deutschen Truppen im Argonner
Walde durch die Verleihung des Ordens Pour le Merite ganz besonders
ausgezeichnet. In einem kleinen Häuschen eines unansehnlichen
Argonnerdorfes lebt inmitten der Truppen der greise Feldmarschall
Graf Haeseler. Tagtäglich muß sein Adjutant ihm berichten über
den augenblicklichen Stand des Waldkampfes, den der greise General
mit unermüdlichem Interesse verfolgt.
V.
Rein zahlenmäßig lassen sich die bisherigen deutschen Erfolge in
den Argonnen wie folgt ausdrücken. Bis Ende November hat der Feind
eingebüßt:
1300 Gefangene,
4000 Tote,
13000 Verwundete.
Im
Monat Dezember betrug die Zahl der Gefangenen 3000, jene der Toten
und Verwundeten 8000. An Trophäen wurden in diesem Monate allein 21
Maschinengewehre, 14 Minenwerfer, 2 Revolverkanonen und l Bronzemörser
erbeutet.
Rechnet man die bisher im Januar gemachten 2500 Gefangenen und zählt
man etwa 4 - 5000 Tote hinzu so ergibt sich französischerseits ein
Gesamtverlust in den Argonnen von etwa 36000 Mann. Ein ganzes
Armeekorps ist also so gut wie aufgerieben, während die Verluste
auf deutscher Seite nicht einmal den dritten Teil betragen. Wie sehr
die Franzosen in den Waldkämpfen gelitten haben, geht allein schon
aus der Tatsache hervor, daß sie immer neue Verbände in die
Argonnen geschickt haben. Kämpften dort zuerst die Truppen des 2.
und 5. Armeekorps, so wurden diese bald verstärkt durch
Kolonialtruppen und Marineinfanterie. Im Januar tauchten vorübergehend
Truppen des 1. Armeekorps und Garibaldianer auf; endlich wurden
Mitte Januar neue, bisher bei Ypern verwendete Verbände in den Wald
geschickt, um das anscheinend völlig zusammengebrochene 2.
Armeekorps abzulösen.
Wie es mit der Verfassung der französischen Truppen in den Argonnen
bestellt ist, das zeigen am besten jene Dokumente, welche den französischen
Gefangenen in Gestalt von Anordnungen, Befehlen, geheimen Erlassen,
Briefen und Tagebuchaufzeichnungen abgenommen wurden.
Da erwidert General Gourand, Kommandeur der 10. Division, in einem
Zusatze zu dem Tagesbefehl vom 28. Dezember die Klagen seiner
Untergebenen mit den Worten: "Sie werden daraus entnehmen, daß
sich der Gegner bei der Wegnahme einer Stellung mit den gleichen
Schwierigkeiten abzufinden hat wie wir. Das gibt zu denken, denn man
denkt oft wegen der eigenen Schwierigkeiten, Anstrengungen und
Verluste nicht an jene, die auch der Gegner hat."
Die Schwierigkeiten erweisen sich aber auf französischer Seite als
recht erhebliche, sonst würden die höheren Führer nicht so oft über
die Untätigkeit und Passivität der ihnen unterstellten Truppen
Beschwerde führen. So enthält ein Mitte Dezember abgenommenes
Befehlstagebuch folgende Weisungen: "Es ist von der größten
Wichtigkeit, auf der ganzen Front die Tätigkeit zu erhöhen. Die
bisherige ist nach Ansicht der Divisionsgeneräle unzulänglich. ...
Es muß eine größere Angriffstätigkeit entfaltet werden. Wenn es
weiter geht, wie bisher, werden die Deutschen uns zuvorkommen."
Eine geheime persönliche Anweisung des kommandierenden Generals des
2. Armeekorps enthält folgende Sätze:
"Der kommandierende General stellt mit Bedauern fest, daß die
Gefechtstätigkeit sich ausschließlich auf starre Verteidigung
beschränkt, während die Deutschen bei gleichen Verlusten wie die
Franzosen immer erneut angreifen und durch Teilerfolge angefeuert
werden. . . . Man hat sich an Untätigkeit gewöhnt und wartet rein
passiv auf den feindlichen Angriff. Der Mann übernimmt seinen
Wachtposten im Schützengraben wie im Frieden vor einem
Pulvermagazin oder Proviantamt. . . . Die Führer bleiben in ihren
Gefechtsständen sitzen; sie suchen die Posten viel zu selten auf
und geben ihnen keine bestimmten Aufträge. Alle Führer bringen
ihre Zeit in vorderer Linie in Langeweile oder Angst zu. ... Es ist
unbedingt notwendig, daß dies anders wird. . . . Alle
Abschnittskommandeure, die Bataillons- und Kompagnieführer müssen
jeden Tag in den vordersten Schützengräben ihre Leute aufsuchen. .
. . Alle Truppenkommandeure haben ihre Untergebenen mit
Angriffsgeist zu erfüllen." Zum Schluß heißt es: "Der
kommandierende General will merken, daß die Franzosen den Deutschen
das Gesetz vorschreiben. Wenn sie fühlen, daß wir ihnen überlegen
sind, dann werden die Deutschen weichen und die bisherige schwere
Arbeit wird leichter werden." Wie erwähnt, mußte inzwischen
das 2. französische Armeekorps aus den Argonnen zurückgenommen
werden.
Dem Brigadegeneral Gossart (5. französisches Armeekorps) fällt es
auf - Befehl vom 30. November - "daß der Dienst in den Schützengräben
in bezug auf deren Einrichtung und auf Feuerdisziplin viel zu wünschen
übrig läßt". General Fouborge (3. Division) "kennt
genau die schwierige Lage, in der sich die Truppen befinden,
zweifelt aber nicht daran, daß sie diese überwinden werden (13.
November). Der Armeeführer will keinen Zoll zurückweichen. Er wird
unerbittlich gegen jeden Offizier und Mann einschreiten, der nicht
bis zum Äußersten die Stellung und den ihm anvertrauten Posten hält."
Inzwischen gewannen aber die deutschen Truppen erneut Boden, und auf
französischer Seite stieg die Unlust am Kriege, die Zahl der dem
Feinde in die Hand fallenden Soldaten und Maschinengewehre. Dagegen
versuchte nun der Oberbefehlshaber der 4. Armee und das französische
Große Hauptquartier der Ostarmee einzuschreiten. Anfangs Januar
erschien, von der erstgenannten Stelle ausgegeben, ein Erlaß gegen
die zunehmende Selbstverstümmelung bei den Leuten. "Seit
einiger Zeit," lautet dieser, "sind eine Anzahl verdächtiger
Verwundungen bei Mannschaften verschiedener Truppenteile, vor allem
bei der Infanterie, bemerkt worden. Es hat sich ergeben, daß es
sich um Fälle freiwilliger Verstümmelung handelt zu dem alleinigen
Zweck, sich seiner Militärpflicht zu entziehen." In Anlage 3
des Erlasses wird erläuternd hinzugesetzt: "Durch
Kriegsgericht der 4. Armee vom 18. Dezember 1914 sind wegen
Selbstverstümmelung zwecks Verlassens des Schlachtfeldes verurteilt
worden je ein Mann der Regimenter 151, 34, 7, 149, 247, 336, 135,
88, Jäger 21 und je 2 Mann von Kolonialregiment 24 und Jäger 19.
Das Urteil ist am 19. vollstreckt worden."
Eine Verfügung des Generals Joffre stellt fest, daß allein in der
Zeit vom 20. November bis 15. Dezember der Ersatz von 315 Stück
Maschinengewehren angefordert worden sei. Nachdem der
Oberbefehlshaber kurz die Schwierigkeiten betont, die ein derartig
umfangreicher Ersatz bereitet, weist er darauf hin, daß wohl nur
ein Teil der Gewehre aus Mangel an Sorgfalt unbrauchbar geworden, daß
dagegen aus den verhältnismäßig hohen Verlusten ganzer
Maschinengewehrzüge der Schluß zu ziehen sei, daß viele
Maschinengewehre in Feindeshand gefallen seien. Dazu bemerkt der
Generalstab des 5. Armeekorps: "Diese Verfügung kommt zu
gelegener Stunde, da die schmachvolle Panik der 5. Kompagnie des
Regiments 46 den Verlust von 2 Maschinengewehrzügen gekostet
hat."
Ein anderer Joffrescher Erlaß richtet sich endlich dagegen , daß
so zahlreiche französische Soldaten in deutsche Gefangenschaft
geraten, und verfügt, "daß jeder gefangen gewesene, nicht
verwundete Soldat bei seiner Rückkehr aus der Gefangenschaft einer
Untersuchung unterworfen wird".
Dieser und der vorher genannte Erlaß haben nicht zu verhindern
vermocht, daß die Zahl der Gefangenen in den Argonnen ständig
zunimmt, so daß unmittelbar nach der Ablösung des 2. Armeekorps
den frischen Truppen sogleich 2 Offiziere, 250 Mann und 5
Maschinengewehre abgenommen wurden.
Aus den Gefangenenaussagen klingt starke Kriegsmüdigkeit hindurch,
die wir aber nicht ohne weiteres verallgemeinern wollen, da der
Gefangene ja nur allzusehr dazu neigt, dem Sieger zu Gefallen zu
reden, um sich dadurch in eine günstigere Lage zu versetzen. Weit
schärfere Schlüsse vermag man aus dem Briefwechsel zwischen den
Soldaten und ihren Angehörigen zu ziehen. Wie aus zahllosen Briefen
und Tagebuchaufzeichnungen hervorgeht, betrachten die Angehörigen
den in die Argonnen entsandten französischen Soldaten als
Todeskandidaten und den aus diesen Kämpfen heil Entkommenen als
einen, über dessen Haupt die Vorsehung gewaltet haben müsse.
Ein Mitte Januar bei einem größeren erfolgreichen Angriffsgefecht
gefangen genommener französischer Stabsoffizier (Major Guinard)
Sagte aus: "Der Angriff der Deutschen wurde mit bewunderungswürdiger
Energie durchgeführt. Unsere Stellung war schnell durchbrochen.
Meine Kompagnien hatten den Befehl, sich bis zum Äußersten zu
halten. Darum wurden alle, die nicht fielen, gefangen genommen. Ich
selbst bekam einen Schuß in den Kopf und weiß von diesem
Augenblicke an nichts mehr. Ich bin zufrieden, daß ich verwundet
bin, denn nun brauche ich den Fortgang dieses Krieges nicht mit zu
erleben. Wir waren sehr schlecht orientiert über die Qualität des
deutschen Heeres. Derartige Leistungen hatten wir ihm nicht
zugetraut. Anderseits hat man die Russen weit überschätzt; für
die von Joffre befohlene Offensive haben die Franzosen noch einmal
ihre beste und äußerste Kraft an allen Punkten eingesetzt. Nachdem
nun auch dieser Stoß keinen Erfolg gebracht hat, könnte höchstens
nur noch ausländische Hilfe den Feldzug günstig entscheiden. Von
wem sollte diese Hilfe aber kommen? Rußland ist fertig und England
hat wohl Menschen, aber kein Kriegsmaterial mehr einzusetzen. Der
Krieg kann zwar noch lange dauern, aber an eine Besserung unserer
Lage glaube ich nicht mehr. Diese Auffassung verbreitet sich immer
mehr, und deshalb ist es kein Wunder, wenn wir alten Soldaten
traurig und deprimiert sind."
Mögen die Franzosen in ihren Bulletins immerhin weiter von
angeblichen Erfolgen in den Argonnen berichten, mögen sie
fortfahren zu behaupten, daß sie bei St. Hubert und im Bois de
Gruie Stellungen innehätten, die schon längst einen Kilometer
hinter der vorderen Linie der Deutschen liegen, durch alle diese
Mittel wird sich auf die Dauer nicht verheimlichen lassen, wer der
Sieger in den Argonnen ist, ob derjenige, der unaufhaltsam vorwärts
schreitet, oder derjenige, der gezwungen ist, Erlasse herauszugeben,
von der Art, wie sie im Auszuge soeben vorgeführt wurden. |