Die Ereignisse auf dem östlichen Kriegsschauplatz
seit Mitte September 1914 

 

Veröffentlicht durch Wolffs Telegraphisches Büro am 16. Januar 1915

Nach der Vernichtung und Vertreibung der in Ostpreußen eingefallenen russischen Armeen waren erhebliche Teile der deutschen Streitkräfte zu neuer Verwendung frei geworden. Da die österreichisch-ungarischen Armeen, von stark überlegenen russischen Kräften angegriffen, um diese Zeit im Zurückgehen über den San hinter die Wisloka sich befanden, wurden die freigewordenen deutschen Kräfte nach Südpolen befördert, mit der Aufgabe, die Verbündeten durch eine Offensive durch Südpolen über die Weichsel gegen den Rücken der über den San folgenden russischen Kräfte zu unterstützen. Unsere Bundesgenossen schoben alle südlich der Weichsel entbehrlich gewordenen Teile auf das nördliche Weichselufer, um sich dann mit ihrer gesamten Macht der deutschen Offensive anzuschließen. Noch um die Mitte des September standen die deutschen Truppen im russischen Grenzbezirk, und schon am 28. September konnte die neue Offensive aus der Linie Krakau - Kreuzburg in allgemein östlicher Richtung beginnen, eine gewiß achtungswerte Leistung unserer Bahnverwaltung.
Auf dem linken Weichselufer war zunächst nur starke russische Kavallerie - etwa sechs Kavallerie-Divisionen - gemeldet, die vor dem deutschen Anmarsch zum Teil unter schweren Verlusten zurückwich.
Die Ende September über den Feind eingehenden Nachrichten ließen erkennen, daß der unmittelbare Zweck der deutschen Offensive, die Entlastung der zwischen den Karpathen und der Weichsel zurückgehenden verbündeten österreichisch-ungarischen Armeen, bereits voll erreicht war. Starke russische Kräfte hatten von den Österreichern abgelassen und wurden östlich der Weichsel im Vormarsch und Abtransport in nördlicher Richtung gegen die Linie Lublin - Kazimierz gemeldet.
In den ersten Tagen des Oktober schickten sich die Russen an, mit Teilen die Weichsel zwischen Sandomierz und Josefow zu überschreiten, anscheinend in der Absicht, mit diesen Kräften die nördlich und südlich Opatow gegen die Weichsel vorrückenden Verbündeten in der Front zu fesseln und, mit allem übrigen über Iwangorod vorgehend, den deutschen linken Flügel umfassend anzugreifen. Diese Absicht wurde durch den überraschenden Angriff überlegener deutscher Kräfte vereitelt, welche die über die Weichsel bereits vorgeschobenen russischen Vorhuten am 4. Oktober östlich Opatow über den Fluß zurückwarfen. Die Russen gaben indes in der ihnen eigenen Zähigkeit ihre Absicht nicht auf. Weiter stromabwärts wurden in der Zeit zwischen dem 8. und 20. Oktober bei Kazimierz, Nowo-Aleksandria, Iwangorod, Pawlowice und Ryczywol neue Übergangsversuche unternommen , die sämtlich und zum Teil unter sehr schweren Verlusten für die Russen von uns verhindert wurden.
Inzwischen war es den österreichisch-ungarischen Armeen gelungen, die in Galizien eingedrungenen russischen Kräfte bis über den San zurückzuwerfen und Przemysl zu entsetzen; ein weiteres Vordringen, das sie in die linke Flanke der den Deutschen gegenüberstehenden russischen Kräfte führen mußte, fand zähen Widerstand am San und hart nordöstlich Przemysl. Hierdurch gerieten die an der Weichsel stehenden deutschen und österreichischen Kräfte, deren Aufgabe es jetzt geworden war, ein Vorbrechen der Russen über die Weichsel zu verhindern, bis die von Süden auf dem rechten Weichselufer vordringenden österreichisch - ungarischen Armeen den Stoß in des Feindes Flanke führen konnten, in eine schwierige Lage.
Nachrichten über den Abtransport starker russischer Kräfte nach Warschau, sowohl vom San her wie aus dem Innern des Reiches, sowie Meldungen über den Ausbau einer starken, brückenkopfartigen Stellung zwischen Lowicz - Skierniewice - Grojec - Pilica-Mündung ließen vermuten, daß die Russen eine große Offensive gegen den deutschen linken Flügel aus Richtung Warschau beabsichtigen. Bestätigt wurde diese Vermutung später durch wertvolle, unter den Papieren eines gefallenen russischen Offiziers gefundene Nachrichten; hiernach verfolgten die Russen den Plan, mit etwa fünf Armeekorps die Deutschen an der Weichsel ober- und unterhalb Iwangorod zu fesseln, während die Masse, mehr als zehn Armeekorps, mit zahlreichen Reserve-Divisionen, über Warschau - Nowo-Georgiewsk vorbrechend, den deutschen linken Flügel eindrücken sollte. Diese Absicht konnte nur durch schleunigen Vorstoß auf Warschau vereitelt werden. Gelang es, hier die Russen am Überschreiten der Weichsel zu verhindern, so gewannen die immer noch um den San-Abschnitt kämpfenden österreichisch-ungarischen Armeen Zeit, ihren auf dem rechten Weichselufer geplanten Vorstoß in die linke Flanke der um den Stromübergang ringenden Russen auszuführen.
Unter Belassung schwächerer Kräfte zur Sperrung der Weichsel ober- und unterhalb Iwangorod wurde mit den Hauptkräften unverzüglich auf Warschau aufgebrochen. In raschem, rücksichtslosem Angriff gelang es, schwächere, bereits in der ausgebauten Stellung stehende feindliche Kräfte zurückzuwerfen und bis dicht an die Tore Warschaus vorzudringen, während die oberhalb und unterhalb Iwangorod stehenden Truppen in längeren erbitterten Kämpfen, die sich bis zum 20. Oktober hinzogen, die inzwischen bereits unterhalb Iwangorod über die Weichsel vorgedrungenen russischen Kräfte trotz der feindlichen Überlegenheit festhielten.
Gegen die vor Warschau kämpfenden Korps entwickelten die Russen indes, über Nowo-Georgiewsk ausholend, allmählich eine fast vierfache Überlegenheit. Die Lage der Deutschen wurde schwierig, zumal der zähe Widerstand der bei Przemysl und am San stehenden russischen Kräfte ein Vordringen der österreichisch-ungarischen Armee gegen die linke Flanke des russischen Heeres vereitelte, und damit die Aussicht auf die Mitwirkung der verbündeten Armee auf dem rechten Weichselufer schwand. Ein Vordringen der Russen über die Weichsel war jetzt nicht mehr zu verhindern. Ein neuer Plan mußte gefaßt werden; man beschloß, den bei und westlich Warschau übergegangenen Feind anzugreifen, unter Heranziehung der ober- und unterhalb Iwangorod sperrenden deutschen Korps, die hier durch die auf das linke Weichselufer geschobenen, inzwischen herangerückten österreichisch-ungarischen Truppen abgelöst werden sollten. Hierzu wurden die dicht vor Warschau stehenden Truppen in eine starke Stellung in Linie Rawa - Skierniewice zurückgenommen, während die bei Iwangorod freigewordenen Kräfte über die Pilica vordringen, die in westlicher Richtung nachdringenden Russen von Süden angreifen und die Entscheidung bringen sollten. Es gelang auch, die Masse der russischen Kräfte bei Warschau in die gewollte Richtung zu ziehen. Mit Ungestüm griffen die Russen die sehr starke deutsche Stellung an, aber alle ihre Angriffe wurden unter blutigen Verlusten abgewiesen. Schon sollten die von Süden gegen die Flanke der Russen bestimmten deutschen Kräfte die Pilica überschreiten, als die Nachricht eintraf, daß die Verbündeten, die ihrerseits die unterhalb Iwangorod über die Weichsel vorbrechenden Russen von Süden her angegriffen hatten, ihre Stellungen in Gegend Iwangorod gegenüber der immer mehr anwachsenden feindlichen Überlegenheit nicht mehr zu behaupten vermochten. Gleichzeitig entwickelten die Russen sehr starke Kräfte gegen den deutschen linken Flügel bei Skierniewice, der bei der drohenden Umfassung in südwestlicher Richtung zurückgenommen werden mußte.
Die an der Pilica und Radomka stehenden deutschen Kräfte waren ernstlich gefährdet. Von Iwangorod her entwickelte der Feind in Richtung auf die Lysa Gora immer stärkere Kräfte. Bei Przemysl und am San stand der Kampf. Unter diesen Umständen mußte das verbündete Heer den schweren, aber der Lage nach gebotenen Entschluß fassen, die ganze Operation an der Weichsel und am San, die bei der fast dreifachen Überlegenheit des Feindes keine Aussicht auf einen entscheidenden Erfolg mehr bot, abzubrechen; es galt, sich zunächst die Freiheit des Handelns wieder zu sichern und demnächst eine völlig neue Operation einzuleiten. Die gesamten zwischen Przemysl - Warschau stehenden Kräfte wurden vom Feinde losgelöst und bis Ende Oktober in Richtung auf die Karpaten und in die Linie Krakau - Czenstochau - Sieradz zurückgenommen, nachdem zuvor sämtliche Bahnanlagen, Straßen- und Telegraphenverbindungen nachhaltig zerstört worden waren. Dieses Zerstörungswerk wurde so gründlich ausgeführt, daß die feindlichen Massen nur sehr langsam zu folgen vermochten, und sich die ganze Bewegung der Verbündeten, nachdem einmal die Loslösung gelungen war, planmäßig vollziehen konnte.
Die Russen drangen nur mit Teilen in Galizien ein, ihre Hauptkräfte folgten im Weichselbogen in südwestlicher und südlicher Richtung, schwächere Kräfte rückten vom Narew beiderseits der Weichsel in westlicher Richtung auf Thorn vor.
Das Ziel der weiteren Operation der Verbündeten mußte es sein, die Kraft der großen Offensive der russischen Masse unter allen Umständen zu brechen. Dies konnte trotz der großen zahlenmäßigen Überlegenheit des Feindes nur durch den Angriff erreicht werden; eine starre Verteidigung konnte nur Zeitgewinn bringen, mußte aber von den gewaltigen feindlichen Massen über kurz oder lang erdrückt werden. Der Operationsplan der Verbündeten war folgender: Die Entscheidung sollte in Polen und Galizien durch Angriff gegen die im Weichselbogen und östlich Krakau vorrückenden russischen Hauptkräfte gesucht werden, während auf den Flügeln in Ostgalizien und Ostpreußen die Verbündeten sich gegen die gegenüberstehenden erheblichen feindlichen Kräfte defensiv verhalten sollten, für die Entscheidung in Polen galt es, alle an anderer Stelle irgend entbehrlichen Kräfte zusammenzufassen. Das äußerst langsame Folgen der Russen gab die Zeit zu der notwendigen neuen Versammlung der Kräfte. In Galizien standen starke Kräfte der österreichisch-ungarischen Armee.
In Südpolen wurden in der Gegend von Krakau und der oberschlesischen Grenze eine starke, aus österreichisch-ungarischen und deutschen Truppen bestehende Gruppe gebildet; eine zweite starke, nur aus deutschen Truppen gebildete Gruppe unter Befehl des Generals von Mackensen wurde teils durch Fußmarsch, teils durch Bahntransport an der Grenze zwischen Wreschen und Thorn versammelt. Ihre Aufgabe war es, die unmittelbar südlich der Weichsel zwischen dieser und dem Ner-Warta-Abschnitt vordringenden schwächeren russischen Kräfte zu schlagen, um dann von Norden her gegen die rechte Flanke der russischen Hauptkräfte vorzugehen, deren Fesselung Aufgabe der südlichen Gruppe war. Eine schwächere Gruppe war zum Schutze Westpreußens nördlich der Weichsel in der Gegend Strasburg - Soldau versammelt.
Gegen Mitte November waren die an der ostpreußischen Grenze, im Weichselbogen und in Galizien versammelten russischen Streitkräfte etwa folgendermaßen verteilt:
Acht bis neun Armeekorps - die 10. Armee - standen an der ostpreußischen Grenze zwischen Schierwindt und Biala, schwächere Kräfte, drei bis vier Armeekorps, mit einigen Kavallerie-Divisionen, rückten zwischen der ostpreußischen Südgrenze und der Weichsel gegen Mlawa und Thorn vor, südlich der Weichsel standen gegen Thorn beobachtend zwischen Wloclawek und Dombie zwei bis drei Armeekorps; diese beiderseits der Weichsel vorgegangenen Kräfte gehörten zur ersten russischen Armee. Anschließend an diese hatten die russischen Hauptkräfte, und zwar die 2., 5., 4. und 9. Armee, etwa 25 Armeekorps mit zahlreichen Kavallerie-Divisionen die Linie Uniewo - Zdunska - Wola - Nowo-Radomsk - Gegend nördlich Krakau erreicht und begannen mit den nördlichen beiden Armeen nach einem längeren Halt an der Warta diesen Abschnitt zu überschreiten. Südlich der Weichsel in Galizien gingen die übrigen russischen Armeen vor. Sämtliche im Innern noch verfügbaren Kräfte, vor allem die sibirischen und kaukasischen Korps, waren herangezogen, so daß die Gesamtstärke der zu der großen Offensive gegen Deutschland und Österreich - Schlesien bestimmten russischen Streitkräfte auf annähernd 45 Armeekorps mit zahlreichen Reserve-Divisionen geschätzt werden kann.
Mitte November begannen die Russen auf der ganzen Linie ihre groß angelegte Offensive; Angriffe gegen die ostpreußische Grenze, insbesondere bei Stallupönen, Eydtkuhnen und Soldau, wurden indes nach sehr heftigen Kämpfen abgewiesen. Der russischen Offensive in Polen kam der etwa gleichzeitig einsetzende Angriff der Deutschen zuvor. Am 13. und 14. November wurde ein russisches Armeekorps bei Wloclawek geschlagen und ihm zahlreiche Gefangene abgenommen. Zwei weitere zu Hilfe eilende Korps erlitten am 15. bei Kutno eine entscheidende Niederlage. 28000 Gefangene wurden gemacht und zahlreiche Geschütze und Maschinengewehre erbeutet. Während schwächere deutsche Kräfte unter General von Morgen die Verfolgung dieser in östlicher Richtung ausweichenden Kräfte übernahmen, schwenkte die Masse der Armee Mackensen nach Süden ein und ging beiderseits Lenczyca über den Ner-Abschnitt vor, nachdem es zuvor gelungen war, ein bei Dombie stehendes russisches Korps zu schlagen. Infolge dieser Bedrohung ihrer rechten Flanke waren die Russen gezwungen, ihren rechten Flügel (die 2. Armee) in die Linie Strykow - Kasimierz - Zdunska-Wola, Front nach Nordwesten, zurückzuschwenken; in diese Linie wurde nach und nach auch noch die Masse der von Süden herangeholten 5. Armee gezogen, so daß nunmehr in der Mitte der russischen Linie eine erhebliche Lücke zwischen der 5. und 4. Armee entstand.
Den über den Ner-Abschnitt in der allgemeinen Richtung Lodz unaufhaltsam vordringenden Deutschen gelang es, schon am 17. November den wichtigen Straßenknotenpunkt Zgierdz zu nehmen; am 18. wurde der feindliche rechte Flügel von Strykow bis gegen die Straße Brzeziny - Lodz zurückgeworfen. Die um Lodz auf engem Räume vereinigte 2. und 5. russische Armee wurden in den nächsten Tagen von dem zunächst über Brzeziny in südlicher Richtung, dann über Tuszyn in südwestlicher Richtung vordringenden linken deutschen Flügel zuerst von Osten, dann auch von Südosten eingeschlossen, während schwächere, von Posen und Breslau herangezogene Teile und Kavallerie den Feind von Westen und Südwesten umfaßten.
Fast schien es jetzt, als ob die Verbündeten das Ziel ihrer ursprünglich nur auf die Abwehr der feindlichen Offensive gerichteten Operationen trotz der großen Überlegenheit des Gegners höher stecken könnten, als ob die Vernichtung des Feindes erreicht werden könne, da trat unerwartet ein Rückschlag ein: es gelang den Russen, den umklammerten Armeen im letzten Augenblick von Osten und Süden Hilfe zuzuführen. Teile der an der ostpreußischen Grenze befindlichen russischen Kräfte, sowie die nördlich der Weichsel zurückgehenden Korps der russischen 1. Armee waren teils durch Fußmarsch, teils durch Bahntransport über Warschau - Skierniewice in der Gegend westlich Skierniewice vereinigt. Diese Kräfte gingen jetzt im Verein mit stärkeren, von Süden anrückenden Truppen (anscheinend Teile vom rechten Flügel der 4. Armee) gegen den Rücken der mit der Front nach Westen und Nordwesten im Kampfe stehenden deutschen Truppen vor, drohend, diese ihrerseits zu umklammern, nachdem sie die nach Osten und Südosten entsandten deutschen Sicherungstruppen zurückgeworfen hatten.
Die Lage der Deutschen war ernst; von den in Richtung Lowicz vorgedrungenen Truppen des Generals von Morgen war Hilfe nicht zu erwarten, da diese nach mehreren glücklichen Kämpfen westlich Lowicz auf stark überlegenen Feind gestoßen waren. Das Schicksal der von mehrfacher Überlegenheit umzingelten deutschen Truppen östlich Lodz ließ Ernstes befürchten. Allein die tapfere kleine deutsche Schar gab ihre Sache keineswegs verloren; eine kühne, in der Kriegsgeschichte bisher einzig dastehende Tat sollte sie retten; sie sprengte den eisernen Ring. In der Nacht vom 24. zum 25. November schlugen sich die Truppen in der Richtung auf Brzeziny durch, wobei es ihnen gelang, den sie hier einschließenden Feind gefangen zu nehmen. Über 12000 Gefangene und zahlreiche Geschütze und Maschinengewehre fielen ihnen in die Hände. Die eigenen Verluste waren verhältnismäßig gering; fast sämtliche Verwundeten konnten mitgeführt werden. Durch diese Heldentat, deren Gelingen neben der unvergleichlichen Tapferkeit der Truppen das bleibende Verdienst einer entschlossenen und tatkräftigen Rührung ist, wurde die scheinbar verlorene Lage zu einer für die deutschen Waffen siegreichen. Es gelang den umklammert gewesenen Truppen, bis zum 26. November zwischen Lowicz und Lodz den Anschluß an den linken Flügel der Lodz von Norden umschließenden Truppen des Generals von Mackensen wiederzugewinnen.
Die deutsche Front erstreckte sich jetzt von Szadek über Kasimierz - nördlich Lodz - Glowno bis in die Gegend nordwestlich Lowicz. Gegen diese Front richtete sich nunmehr eine allgemeine Gegenoffensive der auf engem Räume vereinigten russischen Massen; trotz blutigster Verluste, wie sie in solchem Umfange die bisherigen Kämpfe noch nicht aufgewiesen hatten, erneuerten sie in den letzten Novembertagen mit äußerster Hartnäckigkeit immer wieder ihre Anstürme, die indes von den mit Todesverachtung ausharrenden deutschen Truppen sämtlich abgewiesen wurden.
Anfang Dezember gingen nun die Deutschen nach dem Eintreffen von Verstärkungen trotz der großen Erschöpfung ihrer seit drei Wochen fast ununterbrochen im Kampfe stehenden Truppen ihrerseits von neuem auf der ganzen Front zum Angriff über; es gelang ihrem starken rechten Flügel, in die in der Mitte der russischen Linie bestehende Lücke einbrechend, Lask zu nehmen und in der Richtung auf Pabianice vordringend die russische Stellung südwestlich Lodz zu umfassen. Hierdurch wurden die Russen gezwungen, in der Nacht vom 5. zum 6. Dezember ihre so zähe behaupteten Stellungen um Lodz und dieses selbst zu räumen und hinter die Miazga zurückzugehen. Alle Versuche der Russen, die Lücke durch nach Norden gezogene Truppen der in Südpolen kämpfenden Armeen zu schließen, waren dank den energischen Angriffen der südlichen Gruppe der Verbündeten - namentlich ihres in Richtung Nowo Radomsk siegreich vorgehenden linken Flügels - mißlungen.
Auch der linke Flügel der nördlichen deutschen Gruppe, der sich inzwischen über Ilow bis zur Weichsel ausgedehnt hatte, machte erhebliche Fortschritte und gelangte bis dicht vor Lowicz und an den Bzura-Abschnitt.
Gleichzeitig mit der Offensive in Nordpolen waren die verbündeten österreichisch-ungarischen Truppen von den Karpathen und in Westgalizien zum Angriff übergegangen. Auch hier wurden erhebliche Fortschritte gegen den linken russischen Flügel gemacht. Die nunmehr mit erhöhtem Nachdruck auf der ganzen Front, namentlich gegen die Flügel des russischen Heeres, gerichteten Angriffe brachten um Mitte Dezember die feindlichen Massen ins Wanken; zuerst in Westgalizien, dann im südlichen und nördlichen Polen gingen sie auf der ganzen Front in östlicher Richtung zurück. Hinter dem Dunajec, der Nida, Rawla und Bzura leisteten sie indes von neuem zähen Widerstand; um diese Abschnitte wird zurzeit noch erbittert gekämpft.
Das ursprüngliche Ziel der Operationen ist indessen schon heute erreicht: Die schon seit Monaten mit so hoch tönenden Worten angekündigte russische Offensive großen Stils, die das ganze östliche Deutschland überfluten sollte, kann als völlig niedergeworfen bezeichnet werden. Ostpreußen, Westpreußen, Posen und Schlesien werden für absehbare Zeit keinen russischen Einfall mehr zu befürchten haben. Über 130000 Gefangene, zahlreiche Geschütze, Maschinengewehre und sonstiges Kriegsmaterial sind die Siegesbeute der Verbündeten.
Eine Kraftprobe ersten Ranges, an der vom obersten Führer bis zum jüngsten Kriegsfreiwilligen die ganze in Ostpreußen, Polen und Galizien fechtende Heeresmacht der Verbündeten ruhmreichen Anteil hat, hat einen für die Verbündeten günstigen Ausgang genommen.
Der von ihnen errungene Erfolg ist ein Ergebnis des starken Vertrauens, das sie zu zielbewußtem, gemeinsamem Wirken zusammengeschweißt hat. Die Geschichte der Koalitionskriege ist nicht reich an Beispielen wirklich hingebender Bundestreue; hier in diesem gewaltigen Ringen aber sehen wir ein besonders glänzendes Beispiel solcher Art vor Augen. Die Anlage und Durchführung der geschilderten Operationen stellte besonders hohe Ansprüche an die Führung. Diese konnte ihre Entschlüsse um so zuversichtlicher fassen, als sie eine Truppe hinter sich wußte, von der sie das Höchste fordern durfte, und die freudig und willig alles leistete, die im Geiste des Vertrauens zu einer solchen Führung ihr Bestes, ja ihr Herzblut hergab. Ihre Tapferkeit, ihre Ausdauer und Hingebung bedürfen keines Wortes lobender Anerkennung. Seit 5 Monaten im Kampfe mit einem an Zahl überlegenen Feind erst in Ostpreußen, dann in Polen stehend, hat diese Truppe kaum einen Tag der Ruhe gefunden. Sie hat ununterbrochen marschiert und gekämpft, und zwar in den letzten Monaten auf einem Kriegsschauplatz, der, an sich schon arm und verwahrlost, jetzt völlig ausgesogen ist. Dazu kamen die bei der Ungunst der Witterung fast grundlosen Wege, auf denen jeder Marsch die doppelte Kraftanstrengung für die Truppen, namentlich auch für die nachfolgenden Kolonnen, bedeutete. Aber trotz all dieser fast übermenschlichen Anstrengungen, trotz aller Not und Entbehrungen, trotz des jetzt schon fast 5 Wochen ununterbrochen anhaltenden Ringens ist die Angriffskraft dieser herrlichen Truppe ungebrochen, ihr Wille zum Sieg unerschüttert. Wahrlich! Das dankbare Vaterland kann mit Stolz und Vertrauen auf seine tapferen Söhne im Osten blicken, die wie Helden zu kämpfen, zu leiden, zu sterben und trotz der überwältigenden Überlegenheit des Feindes zu siegen verstehen.

 

Berichte aus dem deutschen Großen Hauptquartier 1914-1918

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