Die Kämpfe bei Soissons 

 

Bericht aus dem deutschen Großen Hauptquartier vom 16. Januar 1915

 


v. Lochow

Wichura

Die in den letzten Tagesberichten nur kurz mitgeteilten Kämpfe nördlich Soissons haben zu einem recht beachtenswerten Waffenerfolg für unsere Truppen geführt, die dort unter Leitung des Generals der Infanterie v. Lochow und des Generalleutnants Wichura gekämpft und gesiegt haben.
Während des Stellungskrieges der letzten Monate hatten die Franzosen in der Gegend von Soissons aus einem Gewirre von Schützengräben bestehende Stellungen inne, die sich auf dem rechten Aisneufer brückenkopfartig nordwärts ausdehnten. Auf dem Westflügel des in Frage kommenden Kampffeldes steigt westlich der Bahn Soissons - Laon aus dem breiten Flußtal eine vielfach zerklüftete und reich bewaldete Höhe empor, auf deren oberstem Teil die Gräben von Freund und Feind einander dicht gegenüber lagen, beide Teile bestrebt, sich durch Sappenangriff in den Besitz des höchsten Punktes zu setzen. Östlich der Höhe liegt zu ihren Füßen im Tal das Dorf Crouy; an diesem vorbei zieht in einem tief eingeschnittenen Grunde die Bahn Soissons - Laon nordwärts. Dicht östlich der Bahn sind eine Reihe von Steinbrüchen, in denen sich unsere Soldaten meisterhaft eingebaut hatten. Die sogenannte Steinbruchstellung bildet den westlichen Ausläufer der Hochfläche von Vregny, die sich lang und breit östlich der Bahn ausdehnt und die in ihrem ganzen südlichen Teile in französischem Besitz war. Von der Flußseite her schneiden mehrere lange und tiefe Schluchten in die Hochfläche ein. In ihnen fand die schwere Artillerie der Franzosen eine sehr günstige Aufstellung. Die am Rande der Hochfläche auf Bäumen hinter Stahlblenden und Brustpanzern sitzenden Beobachter lenkten das Feuer der schweren Geschütze flankierend gegen die deutschen Stellungen auf der genannten bewaldeten Höhe. Dieses Flankenfeuer richtete sich vor allem gegen die Schützengräben des Leib-Regiments und war am ersten Weihnachtsfeiertag ganz besonders heftig. Unter ungeheurem Munitionsaufwand setzte es am 7. Januar erneut ein; die brave Truppe hatte viel zu leiden; eine Stellung, der sogenannte Maschinengewehrgraben, wurde buchstäblich vom feindlichen Feuer eingeebnet, die darin befindlichen Maschinengewehre wurden verschüttet. Nach dieser Feuervorbereitung schritt der Gegner am 8. Januar zum Angriff. Er drang auf einer Frontbreite von etwa 200 Meter in die deutschen Schützengräben ein und konnte trotz zahlreicher Versuche daraus nicht wieder vertrieben werden. Es kam hier in den Tagen und Nächten bis zum 11. Januar zu außerordentlich heftigen Nahkämpfen, wie sie erbitterter und blutiger kaum gedacht werden können; hier kämpfende Turkos fochten nicht nur mit Gewehr und Bajonett, sondern bissen auch und stachen mit dem Messer.
Die Lage drängte zu einer Entscheidung. Am 12. Januar setzten die deutschen Truppen zu einem Gegenangriff ein, der sich zunächst weniger gegen die bewaldete Hohe selbst als gegen die beiderseits anschließenden französischen Stellungen richtete. Schlag 11 Uhr erhoben sich zunächst aus der Steinbruchstellung unsere wackeren Soldaten, die in den Monaten des Harrens und Schanzens von ihrem Angriffsgeiste nichts eingebüßt hatten und entrissen in kühnem Ansturm dem Feinde seine zunächst gelegenen Schützengräben und Artillerie-Beobachtungsstellen. Sogleich ließ das französische Flankenfeuer gegen die bewaldete Höhe nach. Das Hauptziel dieses ersten Angriffs war kaum erreicht, als eine Stunde später um zwölf Uhr mittags auf dem äußersten rechten Flügel unsere tapferen Schützen sich erhoben und im siegreichen Vorschreiten einen Kilometer Gelände gewannen. Nunmehr wurde auch zum Angriff gegen die bewaldete Hohe angesetzt, der Franzose zuerst aus den deutschen, dann aus seinen eigenen Gräben hinaus- und die Höhe hinuntergeworfen, wo er sich auf halbem Hange wieder setzte.
Wie aus Gefangenenaussagen hervorgeht, glaubten die Franzosen, daß die erwartete Fortsetzung des deutschen Angriffs von der bewaldeten Kuppe, also vom rechten deutschen Flügel, ausgehen würde. In Erwartung eines Stoßes aus dieser Richtung warfen sie namhafte Verstärkungen nach dieser Stelle. Von den eroberten französischen Beobachtungsstellungen aus, wo das ganze Aisnetal samt Soissons mit Kathedrale zu Füßen liegt, konnte das Herankommen dieser Reserven auf Kraftwagen und mit Eisenbahn gut beobachtet werden. Der deutsche Angriff erfolgte am 13. Januar aber an ganz anderer Stelle. Völlig überraschend für den Gegner war es Mitte und linker Flügel der Deutschen, die sich als Angriffsziel die Besitznahme der Hochfläche von Vregny gesetzt hatten, auf der sich der Feind in einem ganzen System von Schützengräben eingerichtet hatte und ganz sicher zu fühlen schien.
Wiederum war es der Schlag der Mittagsstunde, der hier unsere Truppen zu neuen Taten aufrief. Punkt zwölf kam Leben in die deutschen Gräben, es folgte ein mächtiger Sprung; 12 Uhr 3 Minuten war die erste Verteidigungslinie der Franzosen, 12 Uhr 13 Minuten die zweite genommen, ein Flankenangriff von dem Wald von Vregny kam bei der Schnelligkeit des Vorgehens gar nicht mehr zur Wirkung, und am späten Nachmittag des 13. Januar war der ganze Hochflächenrand in deutscher Hand.
Der Feind vermochte sich nur noch in den Mulden und auf den zum Aisnetal hinabfallenden Hängen zu halten. Das Gelingen dieses deutschen Angriffs brachte die in Gegend der bewaldeten Höhe gegen den deutschen rechten Flügel vordringenden Franzosen in eine verzweifelte Lage. Denn als am 14. Januar der äußerste rechte Flügel der Deutschen seinen umfassenden Angriff wieder aufnahm, und aus der Mitte - über Crouy - deutsche Truppen westwärts einschwenkten, da blieb den gegen die bewaldete Höhe vorgedrungenen Franzosen nichts anderes übrig, als sich zu ergeben. Ein Zurück gab es jetzt nicht mehr, da die deutsche schwere Artillerie das Aisnetal beherrschte. Am gleichen Tage wurde der Feind auch von den Hängen der Höhen von Vregny hinuntergeworfen, soweit er nicht schon während der Nacht gegen und über die Aisne zurückgeflutet war. Eine Kompagnie des Leibregiments drang bei der Dunkelheit sogar bis in die Vorstädte von Soissons ein. Unsere Patrouillen säuberten das ganze Vorgelände bis zur Aisne vom Feinde. Nur in dem Flußbogen östlich der Stadt vermochten sich französische Abteilungen noch zu behaupten.
In den mehrtägigen Kämpfen bei Soissons wurde der Feind auf einer Frontbreite von etwa zwölf bis fünfzehn Kilometer um zwei bis vier Kilometer zurückgeworfen trotz seiner starken Stellungen und trotz seiner numerischen Überlegenheit. Auf seiner Seite hatten die 14. Infanterie- und 55. Reservedivision, eine gemischte Jägerbrigade, ein Territorial-Infanterieregiment, außerdem Turkos, Zuaven und marokkanische Schützen gefochten. Von dieser Truppenmacht gerieten mehr als 5000 Mann in deutsche Gefangenschaft; die Kriegsbeute war sehr ansehnlich. Es wurden erobert:
18 schwere, 17 leichte Geschütze, ferner Revolverkanonen, Zahlreiche Maschinengewehre, Leuchtpistolen, Gewehr- und Handgranaten, endlich außerordentlich große Mengen von Infanterie- und Artilleriemunition.
Diesen glorreichen Kampf führte die deutsche Truppe nach langen Wochen des Stilliegens in einem Winterfeldzuge, dessen Witterung Regenschauer und Sturmwinde waren. Auch an den Kampftagen selbst hielten Regen und Wind an. Die Märsche erfolgten auf grundlosen Wegen, die Angriffe über lehmige Felder, durch verschlammte Schützengräben und über zerklüftete Steinbrüche. Vielfach blieben dabei die Stiefel im Kot stecken, der deutsche Soldat focht dann barfuß weiter. Was unsere wundervolle Truppe zwar schmutzig anzusehen, aber prachtvoll an Körperkraft und kriegerischem Geist da geleistet hat, ist über alles Lob erhaben. Ihre Tapferkeit, ihr Todesmut, ihre Ausdauer und ihr Heldensinn fanden gebührende Anerkennung dadurch, daß ihr oberster Kriegsherr, der in jenen Stunden unter ihnen weilte, die verantwortlichen Führer noch auf dem Schlachtfelde mit hohen Ordensauszeichnungen schmückte. Bekanntlich wurde General der Infanterie v. Lochow mit dem Orden Pour le Merite und Generalleutnant Wichura mit dem Komtur des Hausordens der Hohenzollern ausgezeichnet.
Neben einer energischen zielbewußten und kühnen Führung und der großartigen Truppenleistung ist der Erfolg der Schlacht bei Soissons der glänzenden Zusammenarbeit aller Waffen, vor allem der Infanterie, Feldartillerie, Fußartillerie und der Pioniere zu verdanken, die sich gegenseitig aufs vollendetste unterstützten. Auch die Fernsprechtruppe hat nicht wenig zum Gelingen des Ganzen beigetragen.
Auf Truppen und Führer solchen Schlages kann das deutsche Volk stolz sein.

 

Berichte aus dem deutschen Großen Hauptquartier 1914-1918

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