I.
Die
Ausgangslage für unseren ersten Stoß am 9. April bildete unsere
Grabenlinie zwischen Armentières und Festubert, die, von Südwest
nach Nordost verlaufend, die Lys-Niederung in der Weise überbrückte,
daß ein stirnwärts geführter Angriff nach Richtung und
Breitenausdehnung etwa dem Teil der flandrischen Ebene entsprach, der
zwischen dem Kemmelzuge und den Ausläufern der Kreidehochfläche
des Artois nach Nordwesten streicht.
Das Angriffsgelände war nasses Marschland, das durch Hecken und Gebüsch
unübersichtlich gemacht wurde und durch eine reiche Bewässerung
verschlammt war.
Die feindlichen Stellungsbauten waren auf dem Boden, der tiefere Grabenarbeiten
nicht zuließ, lediglich aufgesetzt und daher wenig widerstandsfähig.
Dagegen boten die zahlreichen übers Land gestreuten Gehöfte
einer beweglichen Verteidigung reichlichen Ersatz an Stützpunkten,
die im Gebiet der Stellungen überdies in jahrelanger Arbeit ausgebaut
waren. Ein natürliches Hindernis von ausschlaggebender Bedeutung
bildeten für unser Vordringen die Flußläufe der Lawe und
Lys, die in durchschnittlicher Entfernung von 6 km mit dem Hauptteile
der Angriffsfront gleichlaufend, bei Estaires ihre Wasser vereinigten
und unter dem Namen der Lys nordöstlich von Armentières in
zwei großen Schleifen schnell aufs eigentliche Stellungsgebiet und
zu uns überleiteten.
Jenseits von Lawe und Lys hob sich das Gelände allmählich in
einer Weise, daß es die Niederung, die unsere Truppen zu durcheilen
hatten, beherrschte.
Die Spannkraft unseres ersten Angriffs mußte daher so bemessen sein,
daß sie am ersten Tage den deckungslosen Raum der Tiefe nach überwand
und wenigstens mit Teilen unserer Streitkräfte Boden an den jenseitigen
Ufern der Flüsse gewann, ehe der Gegner Zeit fand, sich dort zu neuem
Widerstand einzurichten. Graben und Hürde waren in einem Sprung zu
nehmen, andernfalls liefen unsere Divisionen Gefahr, in der haltlosen
Lys-Niederung abzugleiten. Regengüsse hatten in den letzten Tagen
vor dem Angriff alle Schwierigkeiten des unwegsamen Landstriches besonders
deutlich werden lassen. Trichter, Gräben und freies Feld standen
vielfach unter Wasser, und die wenigen festen Straßenkörper
waren, soweit sie im Stellungsgebiet lagen, zerschossen. Der neubewährte
glänzende Geist unserer Truppen und die gründliche Vorbereitung
des Angriffs gaben unserer Führung gleichwohl die berechtigte Zuversicht,
ein Unternehmen zu wagen, das im Hinblick auf die Schwierigkeiten des
Geländes den Leistungen dieses Jahres gegenüber eine Steigerung
bedeutete.
Die Bereitstellung unserer Sturmregimenter wurde vom Gegner wenig gestört.
Früh 4 Uhr 15 Minuten setzte unser Vorbereitungsfeuer ein. Bei dichtem
Nebel ergoß sich 8 Uhr 45 Minuten vormittags die Sturmflut unserer
Infanterie auf den überraschten Feind. Fünf Heersäulen
waren aufgestellt, die man nach ihrer Anordnung den 5 geschlossenen Fingern
einer ausgestreckten Hand vergleichen kann. Der kleine Finger, als der
schwächste, hatte sich während der ganzen Unternehmung am linken
Flügel außerhalb des eigentlichen Angriffsraumes zu verhalten.
Die 3 mittleren Finger sollten, sich fächerförmig spreizend,
vorwärts rücken, während der Daumen zunächst an den
Zeigefinger herangezogen werden sollte, um hernach desto kräftiger
den Gegner in die Flanke zu stoßen, ohne jedoch Armentières,
das im Angriffsplane ausgespart war, anzugreifen.
Die Absicht gelang vollkommen. Das südlich La Bassée stehende
Korps beschäftigte den Gegner, ohne selbst vom Platze zu rücken,
durch seine lebhafte Feuertätigkeit und erleichterte so dem Korps
v. Kraevel den Abstoß in westlicher Richtung auf Givenchy-La Bassée,
Festubert und Richebourg l´Avoue. Die beiden mittleren Korps v.
Bernhardt und v. Carlowitz wendeten sich, ihr Ziel Lawe und Lys im Auge,
in straffem Zuge mehr und mehr nach Nordwest, während das rechte
Flügelkorps v. Stetten links ausholend hinter v. Carlowitz dreinzog,
um in kurzem Bogen mehr nördliche Hauptrichtung nach Bailleul zu
gewinnen. Die feindlichen Stellungsdivisionen wurden im ersten Anprall
so gut wie aufgerieben. Vormittags 10 Uhr hatte unsere Infanterie die
dritte feindliche Linie überall überschritten.
Aber nun begann die ungeheure Schwierigkeit, die der Schlacht von Armentières
für alle Zeiten das Gepräge leihen wird: es galt mit Fahrzeugen
und Geschützen unseren Sturmwellen über das völlig verschlammte
Trichtergelände zu folgen. Die auf den Karten verzeichneten Straßen
erwiesen sich mit vereinzelten Ausnahmen als unbenutzbar, das Trichterfeld
war Sumpf. Andererseits war jedes Geschütz für die Überwindung
der feindlichen Widerstände durch unsere Infanterie von unschätzbarem
Werte. Das Bewußtsein hiervon spornte die Willenskraft zur äußersten
Kraftleistung, ein hohes Verantwortungsgefühl bemächtigte sich
jedes einzelnen Mannes, der als Helfer in Betracht kommen konnte, und
so gelang den gemeinschaftlichen Bemühungen von Mensch und Tier,
was nach den Regeln der Erfahrung unmöglich scheinen mußte:
der zertrichterte Sumpf wurde angesichts des Gegners zunächst von
den leichten Batterien überwunden, die planmäßige Herstellung
brauchbarer Verkehrswege von den Pionieren und Armierungstruppen mit aller
Tatkraft und größter Aufopferung gefördert, so daß
noch am ersten Tage einzelne schwerere Geschütze das Stellungsgelände
überschreiten konnten. Anderwärts traten unsere Geschützbedienungen
rasch entschlossen an die Beutebatterien und beschossen den weichenden
Feind mit seiner eigenen Munition.
Die feindliche Gegenwirkung war gegen die beiden Flügel erheblich,
da hier die Sorge um den Besitz von Armentières und die Erzgruben
von Béthune besonders scharfe Wache hielt. Dies hatte auf dem äußersten
Nordflügel weniger zu besagen, da Armentières ohnedies zunächst
nicht unserem Angriffswillen unterlag. Das südliche Korps v. Kraevel
vermochte zwar mit seiner rechten Division Richebourg l´Avoué
im Sturm zu nehmen, blieb aber weiter südlich an dem überaus
empfindlichen feindlichen Widerstande aus den stark befestigten Dorfstätten
Givenchy und Festubert hängen.
Gegenüber der Mitte unserer Front war die Tätigkeit der feindlichen
Artillerie geringer. Mit um so größerem Kampfeifer trugen unsere
Regimenter den Angriff gegen die feindliche Infanterie weiter, bei deren
Erledigung ihnen die nachgezogenen Batterien und Minenwerfer wesentlich
Beistand leisteten.
Die Truppen des Generals v. Bernhardi stürmten Richebourg-St. Vaast
und Lacouture und erreichten gegen Abend bereits an mehreren Stellen die
Lawe. Im Wettlauf mit ihnen gelangten die Sturmdivisionen des Generals
v. Carlowitz über Laventie bis an die Lys, deren Übergänge
sie zwischen Sailly und Estaires gesprengt fanden. Das rechte Flügelkorps
v. Stetten endlich nahm nach Überschreiten des Trichterfeldes im
Flankenstoß nach rechts Bois-Grenier, drang in Fleurbaix ein und
erstritt, indem es sich der allgemeinen Angriffsrichtung anschloß,
bei Bac St. Maur den Zutritt zur Lys.
Hinter den jenseitigen Uferrändern von Lawe und Lys lagen abwehrbereit
die Notreserven der Engländer, die in aller Eile aus allen verfügbaren
Truppenteilen zusammengestellt und ins Gefecht geworfen waren und den
Vorteil des natürlichen Hindernisses entschlossen ausnützten.
Aufmerksame Maschinengewehre bewachten überall die gesprengten Flußübergänge
und bestrichen die freien Ufer mit ihrem Feuer. Dank der Entschlossenheit
ihres Führers gelang es der Brigade v. Höfer noch am Abend,
den Übergang über die Lys an der Schleuse östlich Sailly
durch Handstreich zu erzwingen und durch einen bis Croix du Bac vorgeschobenen
Brückenkopf zu sichern. Weitere örtliche Brückenköpfe
wurden im Laufe der Nacht erkämpft, so östlich von Estaires
über die Lys, westlich Le Maraisferme und südlich Vieille Chapelle
über die Lawe. Damit war die Voraussetzung für unser weiteres
Vordringen und das Eingreifen des Südflügels der Armee Sixt
v. Armin gegeben.
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