Die Schlacht zwischen Soissons und Reims
vom 27. Mai bis 6. Juni 1918 

Trichtergelände am Chemin-des-Dames
Trichtergelände am Chemin-des-Dames

Berichte aus dem deutschen Großen Hauptquartier vom 31. August, 3., 4., 7., 12. und 13. September 1918

I.

Über den Ebenen der östlichen Pikardie und nördlichen Champagne erhebt sich nach Südwesten, von den Nebenflüssen der Oise und Aisne in ostwestlicher Richtung durchzogen, waldgekröntes Hügelland zu der beherrschenden Lage, der die Ile de France ihren Namen verdankt. Unvermittelt unterbricht die von vereinzelten Waldstücken und geringen Höhenunterschieden nur spärlich belebte Fläche südlich der Serre zunächst der einsame Kegelstumpf der Altstadt von Laon. Der von Hügelketten gebildete Halbkreis, der ihn umschließt, senkt sich im Süden allmählich zum Spiegel der Ailette und des Oise-Aisne-Kanals hinab. Zwischen Ailette und Aisne schiebt sich, zu beiden Seiten von Steilhängen begrenzt, ein zweiter Höhenzug, dessen Kämme die Hügel und Ebenen im Norden weithin beherrschend überragen. Die von Soissons in nordöstlicher Richtung gegen Laffaux ziehende Schlucht schneidet ihn in zwei Hälften. Der ausgeprägtere Ostteil wird in seiner ganzen Länge vom "Damenweg" durchzogen. Nach einem letzten Anstieg zur Hochfläche des Winterberges fällt er schroff nach Osten ab. Sanft geschwungene Kuppen trennen das Bett der Aisne von dem der Vesle. Südlich der Vesle endlich heben sich immer höhere Bodenwellen zur Wasserscheide der Oise und Marne empor, umfassen in breiter Senke das Quellgebiet des Ourcq, bilden in neuem Anstieg die waldigen Randhöhen des Marne-Beckens, um sich dann in steilem Abfall nach Süden in das geräumige Flußtal zu verlieren. So bilden die nordöstlichen Ausläufer der Ile de France mit ihren gleichlaufenden Höhenzügen und Flußtälern vier natürliche Befestigungsgürtel, die gegen Osten durch den Steilabfall südwestlich Reims, gegen Westen durch die ausgedehnten Waldungen von Compiègne und Villers-Cotterêts abgeschlossen sind.
Nach der Marne-Schlacht 1914 hatten die Armeen v. Kluck und v. Bülow befehlsgemäß zwei dieser Höhenstellungen dem Gegner überlassen, um sich aus der dritten zur Abwehr zu rüsten. In den Schlachten an der Aisne und bei Soissons hatte sich im Herbst und Winter l914/15 dort die ursprüngliche Grabenlinie herausgebildet, die von Moulin-sous-Touvent ab den Nordhängen des Flußbeckens folgte, bei Berry-au-Bac auf das Südufer übertrat und sich am Brimont auf die in deutscher Hand befindlichen Reimser Nordforts stützte. Im Frühjahr 1917 verkürzte die lang vorbereitete Siegfriedbewegung die Aisne-Front um die Hälfte ihrer bisherigen Ausdehnung. Die Kampflinie wandte sich von nun an ab bei Laffaux scharf nach Norden. Außer der ganzen Westhälfte des dritten Höhenzuges waren dem Gegner die Ränder des Aisne-Tales auch vor der Osthälfte planmäßig überlassen und die Widerstandslinie gegen den Damenweg zurückgenommen worden.
An dem Tage, der die große deutsche Rückwärtsbewegung zum Abschluß brachte, begann die große, langangekündigte gegnerische Offensive, die dem Verbande den Endsieg bringen sollte. Beiderseits von Reims brachen die Sturmwellen der Franzosen zur Doppelschlacht vor. In monatelangen Kämpfen gewann der Angreifer unter unerhörten Verlusten an der Aisne-Front die Nordhänge der dritten Höhe. Vom Damenweg aus sahen die feindlichen Beobachter in das tieferliegende Hintergelände der deutschen Linien. Seit er in Feindeshand war, begannen die französischen Batterien die umliegenden Ortschaften von Laon in Trümmer zu legen. Zu den gebrachten Opfern stand der beschränkte Geländegewinn in keinem Verhältnis. Außerdem erhob sich hinter der Chemin des Dames-Stellung als Rückhalt des Verteidigers die vierte und letzte, der Hügelkranz um Laon, gedeckt durch den Doppelgraben der Ailette und des Oise-Aisne-Kanals.
In der "Großen Schlacht in Frankreich" hatte die Armee v. Hutier Ende März 1918 die Front westlich von Laon in der alten Breite wiederhergestellt und darüber hinaus nach Westen Gelände gewonnen. Doch folgte die neugebildete Linie, statt sich bei Noyon zur Aisne zu wenden, dem Nordrand des Oise-Beckens, um bei Tergnier in spitzem Winkel abbiegend den Fluß zu überschreiten und Anschluß an die Siegfriedstellung zu finden.
Die Erfolge Hutiers machten sich an der Aisne-Front erst geltend, nachdem die Armee v. Boehn in den Kämpfen bei Amigny und Coucy-le-Chateau Anfang April ihren rechten Flügel an die Ailette und den Oise-Aisne-Kanal vorgeschoben hatte. Dies begünstigte den Plan der deutschen Heeresleitung, einen örtlich begrenzten Angriff anzusetzen, der zunächst der beherrschenden Höhe des Damenweges galt, darüber hinaus einer allgemeinen Verbesserung der Front zwischen Reims und Noyon, soweit sie sich in dem gezogenen Rahmen würde ermöglichen lassen.

II.

Der Armee v. Boehn fiel der Hauptangriff zu, der Sturm auf den Damenweg, den sie ein Jahr lang so ruhmreich verteidigt hatte. Ihre Korps bildeten die Front westlich Reims, vom Schnittpunkt mit der Aisne bis zur Mündung der Ailette. Im Zentrum, dem Damenweg gegenüber, standen auf dem rechten Ailette-Ufer die Korps Wichura zwischen Lizy und Colligis, Winckler bis Chermizy, Conta über Corbeny hinaus.
Anschließend hielt Boehns linkes Flügelkorps unter Schmettow über die Aisne-Niederung hinweg bei Berry-au-Bac Fühlung mit dem Korps Ilse der Armee v. Below, das die Vorwärtsbewegung mitmachen sollte. Nach rechts folgte auf Wichura das Korps Larisch. Zwischen Landricourt und Cuy westlich Noyon bildeten die inneren Flügelkorps der Armeen v. Boehn und v. Hutier unter François und Hofmann eine Kampfeinheit, die zunächst zurückgehalten werden sollte. Den Nordufern der Ailette und Oise angeschmiegt, reichten sie sich an deren Zusammenfluß bei Abbécourt über die Oise hinweg die Hand.
Die Bereitstellung der Angriffsdivisionen und Artilleriekampftruppen fand in den Abendstunden des 26. Mai ihren Abschluß. Langwieriger Verschleierungen hatte es bedurft, um die umfassenden Vorbereitungen vor dem Feinde geheim zu halten. Der Erfolg des Unternehmens war von dem Gelingen der Überraschung unbedingt abhängig. Ehe die örtlichen Reserven des Gegners eingreifen konnten, mußte der Damenweg überrannt sein. Die Dauer der Feuervorbereitung wurde deshalb aufs äußerste eingeschränkt. In wenigen Stunden mußte die Artillerie des Gegners niedergekämpft, die terrassenförmig einander überhöhenden und stützenden Erdwerke seiner festungsartig ausgebauten Höhenstellung sturmreif geschossen werden. Um den langen Frühlingstag voll auszunutzen, war der Beginn des Unternehmens auf die frühesten Morgenstunden angesetzt worden. Am 27. Mai 4 Uhr 40 Minuten verließen die deutschen Truppen ihre Ausgangsstellungen zwischen Landricourt und dem Brimont. Auf breiter Front überschritten die Sturmlinien der Armee v. Boehn die Ailette. Die feindliche Artillerie, die zu Beginn der Feuervorbereitung schwach erwidert hatte, war ernstlicher Abwehr nicht mehr fähig.
Die Korps in Boehns Mitte brachen in raschem Anlauf den Widerstand der feindlichen Grabenbesatzung am Nordhang des Damenwegs. Wincklers Divisionen gewannen, zum frontalen Durchstoß auf schmalem Raum zusammengefaßt, die Hochflächen beiderseits Cerny. Contas Flügel erstiegen die Kämme bei Ailles-Paissy und dem Winterberg, ermöglichten dadurch der Mitte die Überwindung der dazwischenliegenden schwer gangbaren Abfälle nördlich Hurtebise-Ferme. Das Korps Wichura traf auf einen abwehrbereiten Gegner und kämpfte sich langsam die Hänge empor. Zuerst erzwang sein verstärkter linker Flügel im Anschluß an Winckler den Zutritt zur Höhe östlich Braye, schwenkte dann mit Teilen gegen Fort Malmaison ein, das durch Umfassung fiel.
Auch auf den inneren Flügeln der Armeen v. Boehn und v. Below gewannen die Korps Schmettow und Ilse stetig Boden nach Südwesten. Im rechten Gefechtsabschnitt war es trotz des nach Westen sich verstärkenden feindlichen Widerstandes dem Korps Larisch gelungen, bei Laffaux die Paßhöhe des von Soissons nordöstlich zur Ailette ziehenden Tales zu nehmen, den Schlüsselpunkt der ganzen dritten Höhenstellung. Bei Antioche-Ferme lagen seine Sturmlinien vor zäher Verteidigung während des Vormittages fest. Sobald erst einmal die Kämme überwunden waren, drängten die Divisionen im Wettlauf zur Aisne hinab. Um die Mittagszeit war der Damenweg samt seinen Südhängen voll in deutscher Hand. Die gewonnene Linie zog über Bascule, Jouy und Chavonne zur Aisne und folgte deren Nordufer bis Berry-au-Bac. Vortruppen hatten bereits am Vormittag den Fluß an vielen Stellen überschritten. Zwischen Berry-au-Bac und dem Brimont waren die westlichen Uferränder des Aisne-Marne-Kanals erreicht. Ebenso hatte das an dem Hauptangriff zunächst nicht beteiligte Korps v. François in örtlichen Kämpfen bei Leuilly Brückenköpfe auf dem Südufer der Ailette zu schaffen vermocht.
Auf der Mitte der Angriffsfront hatte der erste Stoß die Verbände der feindlichen Grabenbesatzung völlig aufgelöst und größtenteils vernichtet. In den ersten Stunden des Nachmittags gingen die hier eingesetzten Divisionen in rascher Folge zwischen Chavonne und Berry-au-Bac über die Aisne. Weiter rechts leistete der Feind noch hartnäckigen Widerstand. Ebenso begann am Aisne-Marne-Kanal, vor den inneren Flügeln der Armeen v. Boehn und v. Below, die Gegenwehr sich mehr und mehr zu verstehen, genährt aus den örtlichen Reserven des Raumes um Reims. Es ergab sich in immer schärferer Ausprägung das Bild, daß die mittleren Korps, zu einem scharfen Keil zusammengeschweißt, in rastloser Verfolgung nach Südwesten strebten, die zurückhängenden Flügel der Angriffsfront mit scharf vorgenommener innerer Schulter Fühlung hielten. Als endlich Antioche-Ferme fiel, Vailly in hartem Kampfe genommen wurde, die Sturmlinien sich an den von Maschinengewehrnestern zäh verteidigten Nordosthängen des Höhenzuges südlich der Aisne mühsam emporrangen, standen die Divisionen der Mitte bereits südlich Longueval und Merval auf den Kämmen der zweiten Höhe und schickten sich an, in das Tal der Vesle hinabzusteigen. Vor dem Sinken der Sonne des ersten Angriffstages erreichten sie zwischen Courcelles und Magneux den Fluß. Im Schutze der Dunkelheit wurden bei Magneux die südlichen Uferhänge gewonnen, noch in der Nacht der Brückenkopf bis Villette erweitert und zwischen Courcelles und Paars ein zweiter geschaffen.

 

III.

Nur für wenige Stunden unterbrach die kurze Mainacht die Kampfhandlungen. Der Morgen des 28. Mai bot ein dem Vortage ähnliches Bild. Der hartnäckige Widerstand auf dem rechten Flügel verdichtete sich zu schweren Gegenstößen. Unsere Truppen wiesen sie stehend ab und nahmen dann den Vormarsch wieder auf. Langsam drängten ihre Linien den zähen Gegner zu beiden Seiten des von Laffaux nach Südwesten ziehenden Tales in Richtung auf Soissons zurück. Am Zusammenfluß der Aisne und Vesle leisteten mehrere französische Jägerbataillone im Fort Condé verzweifelten Widerstand. Erst nachdem die Vesle oberhalb der Mündung überschritten war, wurde der Stützpunkt im allseitig umfassenden Sturm genommen. Die Korps auf dem linken Flügel der Angriffsfront erklommen in langwierigen Gefechten die Osthänge der Höhe zwischen Aisne und Vesle und schoben dann ihre Linien an den Südhängen hinab.
Fismes, wichtig als Befehlszentrale, Flugpark und Stapelplatz, und Braisne fielen am frühen Morgen im Straßenkampf. Dann gingen die mittleren Korps auf der ganzen Front über die Vesle, gewannen den jenseitigen Höhenrand und konnten um die Mittagszeit der Oberleitung die Erreichung des zweiten, für den Fall besonders günstiger Gestaltung der Kämpfe weit gesteckten Angriffszieles melden. Im Laufe des Nachmittags gelang es auch den Anschlußkorps in die in Aussicht genommene Linie aufzurücken. Die Stürmer von Conde erstiegen in breiter Front die Höhen südlich der Vesle-Mündung und drangen unter schweren Kämpfen im Aisne-Tal nach Westen vor. Bis Jonchery wurde die Vesle auf der ganzen Linie überwunden und der Kamm der südlichen Höhen erreicht. Vor den Flügeln hemmte die verzweifelte Gegenwehr, die sich um Soissons und Reims zusammenballte, die Schnelligkeit der Vorwärtsbewegung. Doch begannen nun auch die beiden Eckpfeiler der alten Front abzubröckeln. Auf der Hochfläche zwischen der Ailette und der Schlucht bei Laffaux wurde Boden gewonnen und westlich des Aisne-Marne-Kanals der Nordrand des oberen Vesle-Tals überschritten.
Der deutsche Angriff hatte in der Mitte der Kampffront die unter Pétain gegenüberstehende französisch-englische Armee vernichtend getroffen. In die Auslösung der in vorderster Linie eingesetzten Verbände waren die örtlichen Reserven hineingerissen worden. Eine größere Anzahl von Divisionen hatte aufgehört zu bestehen. Ihre Überlebenden füllten die deutschen Gefangenensammelstellen. Ihre Feldbatterien und schweren Eisenbahngeschütze, ihre Flugzeug- und Kraftwagenparke, ihre reich ausgestatteten Lager waren in die Hand des Siegers gefallen. Unter der Beute befanden sich 20 schwerste Eisenbahngeschütze, die der Franzose zusammengefahren hatte, um sie gegen unsere gegen Paris schießenden Geschütze wirken zu lassen. Ein guter Fang, der uns später noch besondere Dienste leisten sollte.
So klaffte vor den Fronten der auf Boehns Zentrum fechtenden Korps eine breite Lücke, die Pétain durch Hineinwerfen seiner Armeereserven, seiner Arbeitskompanien und Rekrutendepots notdürftig auszufüllen strebte. Noch während des ganzen zweiten Kampftages waren die strategischen Reserven, über die der Feind verfügte, im Anrollen, war es Pétain nicht gelungen, die Verteidigung nach großen Gesichtspunkten neu aufzubauen.
Angesichts dieser Lage entschloß sich die deutsche Heeresleitung, den Angriff über das erreichte Ziel hinaus fortzusetzen, nicht um Gelände zu gewinnen, sondern weil sich hier die Aussicht bot, noch starke feindliche Kräfte zu zerschlagen. Der Befehl gab der Stoßrichtung der Korps eine leichte Verschiebung nach Westen. Dementsprechend vollzogen sie eine Rechtsschwenkung, die eine ihrer Divisionen noch am Abend nach Arcis-le-Ponsart führte.

 

IV.

Vom Morgen des 29. Mai ab machte sich das Eintreffen starker gegnerischer Reserven mehr und mehr fühlbar. Auf der ganzen Front nahm die Zähigkeit der Verteidigung und die Häufigkeit der Schwere der Gegenstöße ständig zu. Selbst die Nächte brachten keine Unterbrechung der Kämpfe mehr. Auch die mittleren Korps standen nun einem starken, ausgeruhten, mit Geschützen und Maschinengewehren reichlich versehenen Feinde gegenüber. Der Versuch, vor ihrer Front eine neue, haltbare Verteidigungslinie zu bilden, wurde von dem Ungestüm deutscher Divisionen im Keime erstickt. Auch in der stark verdrahteten Grabenstellung und dem dichten Hochwald der Höhenkämme zwischen Vesle und Ourcq vermochte der Feind ihrem Vormarsch nicht Halt zu gebieten. Um die Mittagszeit überschritten sie die Wasserscheide der Aisne und Marne und drängten durch Mulden und Seitentäler zur Senke des oberen Ourcq hinab. Das Korps Conta erreichte, nachdem es einen schweren, von Panzerwagen begleiteten Gegenstoß beiderseits Nesles zurückgeworfen hatte, bei Courmont das Quellgebiet des Flusses und rückte am Abend in Fère-en-Tardenois ein. Es hatte sich damit in dem Wettlauf an die Marne die Führung gesichert, die es bis zum Ziele behielt. In enger Anlehnung an Boehns Mitte zog sich der linke Flügel stark gestaffelt nach Südwesten vor. Am Abend hatte er bis Faverolles den Ardre-Grund überwunden und bis Champigny die Höhen südlich der Vesle gewonnen. Nördlich von Reims fielen die Vorstädte La Neuvillette bis zum Kanal und Bétheny.
An der westlichen Kampffront der Armee Boehn gingen Wichuras Divisionen bei Venizel über die Aisne. Ein geschlossenes französisches Bataillon streckte am Südufer die Waffen. Dann wurde der Crise-Grund überschritten und die Straße Soissons-Chateau-Thierry erreicht. Rechts anschließend eroberten brandenburgische Grenadiere Soissons und faßten Fuß auf den Höhen südlich der Stadt. Schon am Tage zuvor waren Pionierpatrouillen in die Vorstädte eingedrungen und hatten die Zerstörung der Brücken verhindert. Zwischen Aisne und Ailette war der Geländegewinn auf der Hochfläche westlich des Tales bei Laffaux weiter ausgebaut worden.
Die Kämpfe und Erfolge des dritten Schlachttages waren in verschiedener Hinsicht bedeutungsvoll und erfolgreich. Die rücksichtslos eingesetzten strategischen Reserven des Gegners haben den Einbruch nicht abzudämmen, nicht einmal die Schnelligkeit des Vordringens zu verringern vermocht. Der Bodengewinn des 29. Mai blieb hinter dem der beiden ersten Kampftage nicht zurück. Er umfaßte die Stapelplätze Soissons und Fère-en-Tardenois. Vergeblich hatte der Feind wenigstens eine Bergefrist für deren reiche Lager an Munition, Material, Lebensmitteln und Fahrzeugen zu erstreiten versucht. Wichtiger war, daß der deutsche Angriffskeil durch den Fall von Soissons von dem Widerstand, der seine beiden Flanken beengt hatte, auf der Westseite entlastet war. Seine Spitze strebte nun mit verdoppelter Geschwindigkeit der Marne zu. Wieder waren die von der deutschen Heeresleitung um die Mittagszeit des 28. Mai ausgegebenen Ziele nach kaum 24 Stunden erreicht und vor Eintreffen des Befehls zum weiteren Vordringen von Contas Divisionen aus eigenem Entschluß überschritten worden.

 

V.

War am 29. Mai die Reimser Nordfront, die nach links auf die Einbruchstelle folgte, bis Cernay zu Bruch gegangen, so machte sich am 30. Mai der Seitendruck auf die nach rechts anschließenden Linien an der Ailette und Oise bis Noyon in elementarer Weise geltend. In enger Fühlung mit dem weichenden Feinde gewann das Korps François auf der ganzen Front die Hänge der südlichen Uferhöhen der Ailette und des Oise-Aisne-Kanals, nahm die vorgeschobenen Kuppen um Guny und stand nach Einbruch der Dunkelheit auf der Hochfläche, die die Wasser der Oise und Aisne scheidet. In den Abendstunden schloß sich Hutiers Flügelkorps unter Hofmann mit seinen östlichsten Divisionen dem Vorgehen an, schlug sich zwischen Pontoise und Manicamp einen haltbaren Brückenkopf und nahm während der Nacht bei Camelin-et-le-Fresne Fühlung mit François auf.
An der westlichen Kampffront kam das Korps Larisch auf dem Rücken, den die Aisne und der von Nordosten ihr zufließende Hozien-Bach umschließt, schrittweise vorwärts, nahm südwestlich Soissons den Mont de Paris und hielt am Abend an der Heerstraße Paris-Soissons auf der Hochfläche südlich der Stadt. Die Truppen Wincklers und Wichuras standen am Morgen des 30. Mai vor den Hauptlinien der stark ausgebauten und verdrahteten Grabenstellungen, die von Fère-en-Tardenois über die Höhen nördlich des oberen Ourcq zum Walde von Villers-Cotterêts ziehen und die Zugänge zum Marne-Tal sperren. Dem Tale des Ourcq folgend durchbrachen sie auf breiter Front das ganze System der feindlichen Stellungen und drangen in hartnäckigen Ortsgefechten während der Nacht in die Linie Oulchy-le-Chateau-Parcy-Tigny vor. Im unteren Crife-Tal wurden ihre Linien zunächst durch schwere, von Kavallerie und Infanterie aus den Wäldern östlich Villers-Cotterêts vorgetragene Angriffe auf dem rechten Ufer festgehalten. Nach siegreicher Abwehr überschritten sie die Niederung und die Straße Soissons-Chateau-Thierry und stießen tief in die Stellungszone hinein.
Auf dem Ostteil des Schlachtfeldes schoben sich Wellmanns Divisionen beiderseits Cernay näher an die Hauptlinie der Nordostfront von Reims heran. Die Korps Ilse und Schmettow bildeten in den Kämpfen des 30. Mai eine Einheit, deren linker Flügel vor Reims festlag, während der rechte von Contas Sturmlauf an die Marne nach Süden mitgerissen wurde. Bétheny und der Hafen von La Neuvillette wurden gegen Wiedereroberungsversuche gehalten. Der Höhenrücken, der die Vesle von der Ardre scheidet, wurde von Champigny bis Sarcy in seiner ganzen Breite überwunden. Zwischen Ardre und Semoise drangen die beiden Korps bis Olizy und Passy-Grigny vor.
Der Angriff der Mitte Boehns hatte am 29. Mai zum zweitenmal den ihm gezogenen Rahmen gesprengt. Vorgepreßt in rechtem, nach Süden weisenden Winkel, schienen die deutschen Divisionen am folgenden Tage, sobald sie die Randhöhen des Marne-Tals erreicht hatten, unaufhaltsam talwärts drängen zu müssen. Der Befehl, der die Fortführung des Angriffs guthieß, zwang ihre Energie in andere Bahnen. Nach Westen beigedreht zogen sie sich, weit auseinanderfächernd, die Südhänge der Ourcq-Senke empor und durchmaßen in zähen Waldgefechten die ausgedehnten Forste südöstlich Fère-en-Tardenois. Während dann beiderseits des Ourcq die Sturmlinien, scharf nach Westen gewendet, verhielten, überschritten die Regimenter Contas die Kämme, strömten auf den nach Süden führenden Straßen, die bei Jaulgonne, Mont St. Père und Treloup die Marne erreichen, in das weite Flußbecken hinab und gewannen vor Einbruch der Dunkelheit dicht hinter dem fliehenden Feinde das Ufer in rasch sich verbreiternder Front. Während der Nacht wurde eine Linie hergestellt, die westlich Coincy und über l´Herémitage verlief, von Brasles ab dem Lauf der Marne folgend und bei Vincelles in Richtung auf Passy abbog. Die französischen Aisne-Offensiven, die den strategischen Durchbruch erstrebt, hatten im Verlaufe eines Jahres zur Gewinnung des Damenwegs geführt. Der deutsche Angriff, der der Wiedereroberung des Damenwegs gegolten hatte, ließ am vierten Kampftage vor den Augen der siegreichen Divisionen die Rundsicht des Marne-Beckens emporwachsen.
Die Zusammenarbeit der beiden Hauptwaffen und die Mitwirkung aller übrigen Truppengattungen hat den ungeheuren Erfolg möglich gemacht. Infanterieflieger haben die Schützenlinien und Sturmbatterien in geringer Höhe begleitet, Artillerieflieger und Fesselballons über den Kampflinien den schweren Geschützen die Ziele gewiesen. Abwehrzüge haben, dicht aufbleibend, die Truppe vor Luftangriffen geschützt, Jagdstaffeln den Gegner auf seinen eigenen Flugplätzen aufgesucht und zersprengt. Die Nachrichtentruppen haben Verbindung und Befehlsgebung über die stündlich sich vergrößernden Entfernungen hinweg gewährleistet, Pioniere und Baukommandos die kaum eroberten Straßen und Brücken hergestellt und so den Kolonnen die Wege gebahnt, die in unabsehbaren Reihen südwärts strebend den rechtzeitigen Nachschub des Kampfbedarfs sicherstellten.

 

VI.

Die deutsche Angriffsschlacht hatte mit der Besetzung des Marne-Ufers ihren Höhepunkt überschritten. Die weiteren Maßnahmen unserer Heeresleitung zielten auf die Festigung und Abrundung des Gewonnenen hin. Der nach Süden vorgetriebene Keil sollte in westlicher und östlicher Richtung verbreitert werden. Die Angriffsfront zerfiel damit in zwei durch die defensiv gehaltene Marne-Stellung scharf geschiedene Teile. Der veränderten Lage trug eine um die Monatswende durchgeführte Neuordnung der Befehlsverhältnisse Rechnung. Die gesamte Südostfront von Treloup bis Reims wurde der Armee Below unterstellt, die südlich der Oise stehenden Divisionen dagegen der Armee Boehn zugeteilt, die nun die Süd- und Westfront umfaßte, von der Marne bis zur Oise. Boehns Mitte brachte, entsprechend der Verschiebung der Angriffsrichtung, am 31. Mai die Frontveränderung von Süden nach Westen zum Abschluß, deren Ansänge in die ersten Tage der Schlacht zurückgehen, und die mit jedem Schritt der Marne zu deutlicher in Erscheinung getreten war.
Vom 31. Mai an warf die französische Heeresleitung die als Träger künftiger Verbandsoffensiven bisher sorgsam geschonten Kerntruppen ihrer Manövrierarmee, die marokkanischen und die "eisernen" Divisionen, zu einheitlichen Angriffen geschlossen, heran. Die daraus sich entwickelnden Kämpfe, die Tag um Tag vor größeren oder kleineren Abschnitten der Armeefronten Boehns und Belows sich abspielten, bilden in vergrößertem Maßstab das Gegenstück zu dem Ringen um die Kuppen des Damenwegs, in dem die Aisne-Offensive der Doppelschlacht gerade im Jahr zuvor auszuklingen begann. Doch bestand der Unterschied, daß diesmal, im Gegensatz zum Vorjahr, die Korps, die die Schlacht entfesselt hatten, bereits im unbestrittenen Besitz des im Hauptangriff erstrebten Geländes waren, und somit die Blutsteuer der Teilvorstöße vorwiegend dem Gegner zuschieben konnten. In seine Bereitstellungen stieß wiederholt der Angriff der deutschen Divisionen vernichtend hinein. Wo der Feind mit überlegenen Kräften anlief, wurde er stehend empfangen, nötigenfalls im Gegenstoß geworfen. Wo er Atem holte, wurde er vom deutschen Sturm emporgescheucht.
Den Auftakt der feindlichen Unternehmungen bildete am 31. Mai ein Gegenangriff großen Stiles beiderseits der Aisne in Richtung auf Soissons. Nördlich des Flusses prallten die Sturmlinien aufeinander. Der deutsche Angriff drang durch, stieß tief in die französischen Dauerstellungen des Jahres 1914 hinein, erreichte Nampcel und die Aisne bis Fontenoy. Südlich des Flusses wiesen die deutschen Divisionen den Feind unter schweren Verlusten ab, vollendeten dann ihren Aufmarsch nach Westen in der Linie Chaudun-St. Remy-Chouy-Etrépilly. Die Marne-Front wurde zunächst bis an die Hänge nordöstlich Chateau-Thierry und über Verneuil hinaus verbreitert und anschließend Boden gewonnen bis Vrigny, Tinqueux und südlich la Neuvillette.
Während der beiden ersten Junitage lag im Befehlsbereich Boehns der Hauptdruck des Gegners auf dem Frontabschnitt östlich Soissons. Am 1. Juni kämpften die dort eingesetzten Divisionen im Brennpunkt der feindlichen Angriffe ausschließlich in der Abwehr.
Nördlich der Aisne wurde die Linie über die Rücken westlich Nouvron und südlich Nampcel hinaus vorgeschoben. Boehns Mitte nahm den Ostrand des Savières-Grundes bis Corcy, anschließend die westlichen Uferhöhen bis Troësnes und die Orte Dammard und Monthiers. Der nördlich des Flusses gelegene Teil von Chateau-Thierry wurde in schweren Straßenkämpfen in die Marne-Front einbezogen.
Am 2. Juni stand der Gegner auf noch breiterem Abschnitt mit neuen Kräften zur offensiven Abwehr gerüstet. François eroberte Autrêches, zu beiden Seiten des Ortes einen Streifen des Stellungsnetzes, das die Höhen links und rechts des Nozien-Baches zu einer Widerstandslinie ersten Ranges erhebt. Wichura entriß kampfbereiten französischen Elitetruppen Chaudun und Longpont und erreichte den Ostrand des Waldes von Villers-Cotterêts. Boehns linker Flügel nahm einem defensiven Gegner die Nordhänge des Clignon-Grundes bis Vinly und Chézy ab.
Am 3. und 4. Juni trug die Hauptlast der gegnerischen Angriffe Boehns linker und äußerster rechter Flügel. Trotzdem vermochte Conta sich über die bewaldeten Kuppen südlich des Clignon-Baches vorzuarbeiten. François gewann im Nachstoß Boden bis Caisnes und beiderseits Moulin-sous-Touvent. Südlich der Aisne warfen die deutschen Divisionen, ein vorübergehendes Nachlassen des Druckes auf Soissons nutzend, am 3. Juni den Feind über die Höhenkämme bei Pernant und Missy und standen am 4. Juni nach erbitterten Kämpfen nördlich Dommiers an den Osthängen, bei Ambleny in der Niederung des Mühlbachgrundes, der bei Fontenoy die Aisne erreicht.
Im Mittelpunkt der Kämpfe der Belowschen Angriffskorps stand seit Anfang Juni der Abschnitt südlich der Ardre und die Front um Reims. Sein rechter Flügel schob sich am 1. Juni unter ständigem Wechsel von Stoß und Gegenstoß langsam über Chambrecy, den Wald von Bonval und Jonquery vor. An der Reimser Nord- und Westfront drangen die deutschen Divisionen gegen zähen Widerstand der Neger vom Senegal in die engeren Vorstädte ein. Weiter links wurde nach wechselvollen Kämpfen die Stadt von Osten eng umschlossen und bog die Butte de Tir zur alten Stellungsfront um. Von 3 Seiten umklammert, war Reims mit allen seinen Bahnlinien und Zufahrtsstraßen dem deutschen Feuer preisgegeben. Die schweren Gegenangriffe der folgenden Tage vermochten weder hier noch im Westabschnitt der Kampffront Belows die Lage zu ändern. Dennoch wurde die alte Krönungsstadt von den Franzosen aus Prestigegründen unter furchtbaren Blutopfern gehalten und damit dem unausbleiblichen Verderben preisgegeben.

Gefangene Franzosen in der Zitadelle von Laon
Gefangene Franzosen in der Zitadelle von Laon

VII.

Mit den am 3. und 4. Juni südlich der Aisne erfochtenen Erfolgen hatten die auf örtliche Frontverbesserung gerichteten deutschen Unternehmungen im wesentlichen ihren Abschluß gefunden. Die Armeen Boehn und Below richteten sich befehlsgemäß in den gewonnenen Stellungen auf Abwehr ein. Die folgenden Tage brachten die erwarteten schweren Gegenangriffe. Die Korps Wichura und François standen am 5. und 6. Juni in erbittertem Ringen. Gegen die deutschen Stellungen zwischen Chateau-Thierry und dem Wald von Villers-Cotterêts liefen vom 6. Juni ab Franzosen, Engländer und Amerikaner 3 Tage lang Sturm. Wo sie eindrangen, stellten Gegenstöße die Lage wieder her. Auch auf Belows rechtem Flügel wurde am 6. Juni hartnäckig, doch ohne Ergebnis gekämpft. Am 9. Juni zogen die Feuerwirbel, die beiderseits der Matz eine neue Schlacht einleiteten, weitere Divisionen des Feindes auf das andere Ufer der Oise.
Die Schlacht zwischen Soissons und Reims war verebbt. Der operative Erfolg, die moralische Wirkung des deutschen Schlages fand in der ganzen Welt erregten Widerhall. Zu der schweren blutigen Einbuße der feindlichen Divisionen trat der Verlust von 65000 Gefangenen. Der materielle Gewinn ließ sich erst nach längerer Zeit angespannter Sammeltätigkeit der siegreichen Armeen voll übersehen. 700 Geschütze, darunter eine bedeutende Anzahl modernster, schwerster Kaliber auf Klauenlafetten, 2500 Maschinengewehre waren größtenteils unversehrt und reichlich mit Munition versehen in deutsche Hand gefallen. Gewaltig war die Beute an jeder Art von Kriegsbedarf. Die reichen Bestände der Pionier- und Bekleidungsdepots, der Lazarette und Bahnhöfe fielen für die feindliche Kriegführung aus und kamen dem Sieger zugute.

 

Berichte aus dem deutschen Großen Hauptquartier 1914-1918

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