Der Weltkrieg am 1. August 1914

 

Ansprache des Reichskanzlers

Kriegsausbruch 1914: v. Bethmann Hollweg
v. Bethmann Hollweg

Berlin, 1. Aug. (W. B.)
Gestern Abend 11 ¾ Uhr bewegte sich ein großer Zug von "Unter den Linden" unter patriotischen Gesängen die Wilhelmstraße herab und machte vor dem Palais des Reichskanzlers halt. Der Reichskanzler erschien an dem Mittelfenster des Kongreßsaales und wurde mit stürmischen Rufen begrüß. Als Stille eintrat, sprach der Kanzler mit weithin schallender Stimme folgende Worte: In ernster Stunde sind Sie, um Ihren patriotischen Gefühlen Ausdruck zu geben, vor das Haus Bismarcks gekommen, Bismarcks, der uns mit Kaiser Wilhelm dem Großen und dem Feldmarschall Moltke das Deutsche Reich schmiedete. Wir wollten im Reiche, das wir in 44jähriger Friedensarbeit aufgebaut haben, auch ferner im Frieden leben. Das ganze Wirken des Kaisers war der Erhaltung des Friedens gewidmet. Bis in die letzten Stunden wirkte er für den Frieden Europas und er wirkt noch für ihn. Sollte all sein Bemühen vergeblich sein und sollte uns das Schwert in die Hand gezwungen werden, werden wir in das Feld ziehen mit gutem Gewissen und dem Bewußtsein, daß nicht wir den Krieg wollten. Wir werden dann den Kampf um unsere Existenz und unsere nationale Ehre mit der Einsetzung dem letzten Bluttropfens führen. Im Ernste dieser Stunde erinnere ich Sie an das Wort, das einst Prinz Friedrich Karl den Brandenburgern zurief: "Laßt Eure Herzen schlagen zu Gott, Eure Fäuste auf den Feind." Mit begeisterten Hochrufen auf den Kaiser und den Kanzler und unter Gesängen der Nationalhymne und der Wacht am Rhein setzte der Zug seinen Weg durch die Wilhelmstraße fort.
2)

 

Jean Jaurès ermordet

Paris, 1. Aug., früh.
Gestern Abend feuerte im Café Croissant ein Individuum mehrere Revolverschüsse auf den sozialistischen Abgeordneten Jean Jaurès, der schwer verwundet wurde. Einige Schüsse gingen in den Kopf und Jaurès starb kurz darauf.
2)

 

Ansprache des Königs von Bayern

König Ludwig III. von Bayern
König Ludwig III.

München, 1. Aug.
Als gestern die Erklärung der Verhängung des Kriegszustandes bekannt geworden war, wuchsen in den Hauptstraßen und aus den öffentlichen Plätzen die Menschenmassen so an, daß der Wagenverkehr fast unmöglich wurde. In der Nacht erfolgte auch eine große Volkskundgebung vor dem Wittelsbach-Palais. Der König hielt an die Volksmenge eine Ansprache, in der er den Segen Gottes für Deutschland und seine Verbündeten erbat. Er schloß seine Rede mit den Worten: Gehen Sie nach Hause und tun Sie Ihre Pflicht wie unsere Soldaten, die wahrscheinlich bald vor dem Feinde stehen werden. Die Menge sang darauf die Königshymne und "Deutschland, Deutschland über alles".
2)

 

Belgien mobilisiert

Kristiania, 1. Aug. (W. B.)
Wie das Ministerium des Äußern mitteilt, werden Anstalten zum Schutze der Neutralität Norwegens getroffen.
2)

 

Dänemark erklärt seine Neutralität

Petersburg, 1. Aug. (W. B.)
Ein kaiserlicher Ukas ordnet an, daß Finnland und die finnischen Gewässer im Kriegszustand gesetzt werden.
2)

 

Angriff einer russischen Grenzpatrouille bei Prostken

Berlin, 1. August.
Heute Nachmittag wurde eine deutsche Patrouille bei Prostken, 300 Meter diesseits der
Grenze, von einer russischen Patrouille beschossen. Die deutsche Patrouille erwiderte das Feuer. Auf beiden Seiten sind keinerlei Verluste zu verzeichnen.
1)

 

Mobilmachung Deutschlands

Die deutsche Mobilmachung

Die Verkündung der Mobilmachung in Berlin

Berlin, 1. Aug.
Heute Nachmittag, Punkt 5 Uhr fuhr ein Generalstabsoffizier die Linden entlang, schwang im Vorüberfahren an den wogenden Menschenmengen das Taschentuch und verkündete die am Nachmittag erfolgte Mobilisation Deutschlands. Auf Befehl des Kaisers trat kurz nach 5 Uhr auf das Portal des Schlosses ein Schutzmann und teilte der harrenden Menge mit, daß die Mobilisation beschlossen sei. Die tief ergriffene Menge stimmte unter den Klängen der Domglocken den Choral an: "Nun danket alle Gott"

Berlin, 1. Aug.
Die deutsche Mobilisierung ist zunächst nur eine innere Maßnahme zur Sicherung des Reiches. Die hier über eine bereits erfolgte Kriegserklärung verbreiteten Gerüchte sind falsch.
2)

 

Eine neue Ansprache des Reichskanzlers

Reichskanzler v. Bethmann Hollweg
v. Bethmann Hollweg

Berlin, 1. Aug.
Eine dichte Menschenmenge bevölkert immer noch die innere Stadt Berlins und namentlich die Linden und den Platz vor dem Schloß. Eine große Schar von Menschen zog auch vor das Reichskanzlerpalais und brachte dem Reichskanzler stürmische Ovationen dar. Die Menge stimmte die Lieder an "Heil Dir im Siegerkranz" und "Lobe den Herrn". Der Reichskanzler erschien an einem Fenster des ersten Stockes und richtete an die Menge folgende Worte, die politisch dadurch besonders bemerkenswert sind, daß in ihnen die Möglichkeit zum Ausdruck kommt, es könnte in letzter Stunde vielleicht doch noch der Krieg vereitelt werden:
"In Ihrem Liede haben Sie unserem Kaiser zugejubelt. Ja, für unseren Kaiser stehen wir alle ein, wer und welcher Gesinnung und welchen Glaubens wir sein mögen, für ihn lassen wir Gut und Blut. Der Kaiser ist genötigt worden, die Söhne des Volkes zu den Waffen zu rufen. Wenn uns jetzt der Krieg beschieden sein sollte, so weiß ich, daß alle jungen Männer bereit sind, ihr Blut zu lassen für den Ruhm und die Größe Deutschlands. Aber wir können nur siegen in dem festen Vertrauen auf den Gott, der die Heerscharen lenkt und der uns bisher so oft den Sieg gegeben hat. Und sollte Gott in letzter Stunde uns diesen Krieg ersparen, so wollen wir ihm dafür danken. Wenn es aber anders wird, dann mit Gott für König und Vaterland."
Stürmischer Jubel begleitete diese Rede des Reichskanzlers.
2)

 

Der Kaiser spricht!

Berlin, 1. Aug.
Unter den Linden und vor dem königlichen Schloß sammelten sich bald nach der Bekanntgabe der Mobilmachung viele Hunderttausende von Menschen. Jeder Wagenverkehr hörte auf. Der Lustgarten und der freie Platz vor dem Schloß waren dicht angefüllt von den Menschenmassen, die patriotische Lieder sangen und wie auf Kommando gleichmäßig immer wieder den Ruf erneuerten: "Wir wollen den Kaiser sehen". Gegen ½7 Uhr erschien der Kaiser am mittleren Fenster der ersten Etage, von einem unbeschreiblich starken Jubel und von Hurrarufen begrüßt. Patriotische Lieder wurden angestimmt. Nach einiger Zeit trat in der Menge Ruhe ein. Die Kaiserin trat an die Seite des Kaisers, der den Massen zuwinkte, daß er sprechen wolle. Unter tiefstem Schweigen sprach der Kaiser dann ungefähr mit weithin vernehmbarer, langsam stärker werdender Stimme: "Wenn es zum Kriege kommen soll, hört jede Partei auf, wir sind nur noch deutsche Brüder. In Friedenszeiten hat mich zwar die eine oder andere Partei angegriffen, das verzeihe ich ihr aber jetzt von ganzem Herzen. Wenn uns unsere Nachbarn den Frieden nicht gönnen, dann hoffen und wünschen wir, daß unser gutes deutsches Schwert siegreich aus dem Kampf hervorgehen wird."
An diese Worte des Kaisers schloß sich ein Jubel, wie er wohl noch niemals in Berlin erklungen ist. Die Menge stimmte begeistert erneut patriotische Lieder an.
2)

 

Die Einberufung des Reichstags

Berlin, 1. Aug. (W. B.)
Durch kaiserliche Verordnung ist der Reichstag auf den 4. August einberufen.
2)

 

Frankreich mobilisiert

Berlin, 1. Aug. (W. B.)
Wie wir erfahren ist heute Nachmittag 5 Uhr die volle Mobilisierung der französischen
Streitkräfte angeordnet worden.
2)

 

ZURÜCK   HAUPTSEITE   WEITER

 

Textquellen:
1) Amtliche Kriegs-Depeschen nach Berichten des Wolff´schen Telegr.-Bureaus  
Band 1
Nationaler Verlag, Berlin (1915)

2) "Frankfurter Zeitung" (1914)

 

© 2005 stahlgewitter.com