Der Weltkrieg am 4. September 1914

DEUTSCHER HEERESBERICHT - ÖSTERREICHISCHER HEERESBERICHT

 

 Der deutsche Heeresbericht:

Die Kriegsbeute in Frankreich

Großes Hauptquartier, 4. September.
Reims ist ohne Kampf besetzt worden.
Die Siegesbeute der Armeen wird nur langsam bekannt. Die Truppen können sich bei ihrem schnellen Vormarsch nur wenig darum kümmern. Noch stehen Geschütze und Fahrzeuge im freien Feld verlassen da. Die Etappentruppen müssen sie nach und nach sammeln. Bis jetzt hat nur die Armee des Generalobersten v. Bülow genauere Angaben gemeldet. Bis Ende August hat sie sechs Fahnen, 233 schwere Geschütze, 116 Feldgeschütze, 79 Maschinengewehre und 166 Fahrzeuge erbeutet und 12934 Gefangene gemacht.

Generalquartiermeister v. Stein. 1)

 

Ein Tagesbefehl Joffres

Frankreich Erster Weltkrieg: General Joffre
General Joffre

Paris, 4. Sept. (Priv.-Tel. Indirekt.)
General Joffre erließ einen Tagesbefehl über die Fehler der bisherigen Kampfesweise der Franzosen. Der Grund der starken französischen Verluste sei ihr Vorgehen in zu dichter Ordnung ohne genügende Artillerievorbereitung. Sofort nach Eroberung eines Stützpunktes muß dieser befestigt und mit Artillerie besetzt werden, auch müßte die Reiterei beim Vorgehen durch Infanterie gestützt werden, wie dies bei den Deutschen geschieht, welche die Infanterie auf Automobilen der Reiterei vorausführen.
2)

 

Die Flucht aus Paris

Bordeaux 4. Septbr. (W. B. Nichtamtlich.)
Der Extrazug mit Poincaré und den Ministern ist gestern Mittag hier eingetroffen. Die Menge schrie begeistert: "Vive Poincaré, Vive la France! " Poincaré hat die Präfektur bezogen. Der Dienst der Ministerien des Krieges und des Innern ist bereits eingerichtet.

Paris, 4. Septbr. (Priv.-Tel., indirekt.)
Zusammen mit der französischen Regierung sind auch die Staatsarchive und der Metallbestand der Banque de France nach Bordeaux übergesiedelt. Auch die großen Zeitungen werden dort ihren Wohnsitz aufschlagen. Der Redaktions- und Administrationsstab des "Temps", der 1870 in Paris blieb, wo die Zeitung während der ganzen Zeit der Belagerung erschien, reisen heute ab, nur ein Redakteur und vier Drucker bleiben zur Herstellung der letzten Nummer in Paris zurück.

Paris, 4. Septbr. (Priv.-Tel., indirekt)
General Gallieni hat folgende Proklamation an das Heer in Paris und die Einwohner von Paris erlassen:
"Die Mitglieder der Regierung der Republik haben Paris verlassen, um aufs neue die Landesverteidigung zu entflammen. Ich habe den Auftrag, Paris gegen den Eindringling zu verteidigen, und werde diesen Auftrag bis zum äußersten ausführen."
2)

 

Räumung von Amiens

Berlin, 4. Septbr. (Priv.-Tel.)
Wie der "Lokalanzeiger" aus Rotterdam erfährt, hat der Berichterstatter der "Times" folgendes an sein Blatt gemeldet: Das Sommetal wurde von den Franzosen aufgegeben. Amiens ist in deutschen Händen. Nachdem ein blutiger Kampf geliefert und die Engländer aus La Fère zurückgezogen worden waren, wurde dieses Fort von den Deutschen genommen. Der dreitägige Kampf bei Amiens erreichte seinen Höhepunkt in einem blutigen Gefecht bei Moreul, wo der Erfolg wieder auf deutscher Seite war. Die Verbündetem zogen sich in guter Ordnung zurück.
Der "Daily Chronicle" meldet, daß sich deutsche Truppen schon bei Creil zeigten, und sogar bei Senlis, so daß der Kanonendonner bereits in Paris zu vernehmen sein dürfte.
2)

 

Löwen nicht zerstört

Berlin, 4. Septbr. (W. B. Amtlich.)
Belgien verbreitet amtlich falsche Darstellungen über die Vorgänge, denen die Stadt Löwen zum Opfer fiel. Deutsche Truppen seien durch einen Ausfall aus Antwerpen zurückgeworfen und von der deutschen Besatzung Löwens irrtümlich beschossen worden. Dadurch sei ein Kampf in Löwen entstanden. Die Ereignisse beweisen einwandfrei, daß die Deutschen den belgischen Ausfall zurückgewiesen haben. Während dieses Kampfes vor Antwerpen erfolgte in Löwen an vielen Stellen ein zweifellos organisierter Überfall auf deutsche Zurückgebliebe, nachdem bereits über 24 Stunden ein scheinbar freundlicher Verkehr zwischen den deutschen Truppen und den Stadtbewohnern sich angebahnt hatte. Der Überfall traf zunächst hauptsächlich ein Landsturmbataillon, also ältere, ruhige Leute, selbst Familienväter, ferner zurückgebliebene Teile des Stabes eines Generalkommandos sowie Kolonnen. Die Deutschen hatten zahlreiche Verwundete und Tote. Sie gewannen indes die Überhand durch neue mit der Bahn eintreffende Truppen, die bei der Einfahrt und auf dem Bahnhofsplatz mit Feuer empfangen wurden. Die Untersuchung über Einzelheiten ist im Gange, das Ergebnis wird veröffentlicht werden. Die Wahrheit des vorstehend Mitgeteilten ist über jeden Zweifel erhaben. Das Rathaus ist vor der Feuersbrunst gerettet worden. Weitere Versuche, zu löschen, blieben erfolglos.

Berlin, 4. Septbr. (W. B. Amtlich.)
Die "Norddeutsche Allgemeine Zeitung" schreibt über die Vorgänge in Löwen: Gegenüber den verleumderischen Darstellungen der Vorgange in Löwen waren die diplomatischen Vertreter des Reiches bei den neutralen Staaten mit Material zur Widerlegung der gegen die deutsche Kriegführung erhobenen Anklagen versehen worden. Der Kaiserliche Gesandte im Haag war überdies beauftragt, die niederländische Regierung zu bitten, sie möge im Interesse der Menschlichkeit der belgischen Regierung dringend nahelegen, daß sie die Zivilbevölkerung von ihrem gänzlich aussichtslosen Widerstand zurückhalte. Der niederländische Minister des Äußern machte daraufhin dem belgischen Gesandten im Haag entsprechende Mitteilung, die dieser an seine Regierung weiterzugeben versprach.
2)

 

Die belgische Kriegskontribution

Amsterdam, 4. Septbr. (Priv.-Tel.)
Hierher gelangte Nachrichten sagen, daß die reichsten Belgier, Warocque, Solvay, Baron Empain und Baron Lambert-Rothschild sich für die Kriegskontribution verbürgt haben. Bei dem jetzigen häufig von der Linken angegriffenen Steuersystem, das keine Einkommens- und Vermögenssteuer kennt und große Kapitalien vollkommen schont, ist es nicht zu verwundern, daß die öffentlichen Kassen, vor allem die Staatskasse, leer sind.
2)

 

Der österreichisch-ungarische Heeresbericht:

Die Kämpfe im Südosten

Wien, 4. Septbr. (W. B.)
Aus dem Bereich der Armeen Dankl und Auffenberg wurden bisher 11600 Kriegsgefangene abgeschoben, etwa 7000 sind vorerst noch angekündigt. In der Schlacht an der Huczwa wurden, soweit bisher bekannt, 200 Geschütze, sehr viel Kriegsmaterial, zahlreicher Train, vier Automobile und die Feldkanzleien des 9. und 10. russischen Armeekorps mit wichtigen Geheimakten erbeutet. Der Feind ist in vollem Rückzuge. Unsere Armee verfolgt ihn mit ganzer Kraft.
Auf dem Kriegsschauplatz am Balkan drang die von Generalmajor Pongracz befehligte 3. Gebirgsbrigade, die schon einmal einen kühnen Vorstoß in das rauhe, kriegerische Montenegro erfolgreich durchgeführt hat, vor einigen Tagen von neuem gegen die auf den Grenzhöhen bei Bilek stehenden Montenegriner vor und warf die an Zahl überlegenen feindlichen Kräfte in mehrtägigem Angriff zurück, nahm ihnen dabei auch schwere Geschütze ab und degagierte durch die kühne Tat die von den Montenegrinern bedrängte Grenzbefestigung.

Der Stellvertreter des Chefs des Generalstabes.
v. Hoefer, Generalmajor.

Österreichisches Kriegspressequartier, 4. Septbr. (Priv.-Tel.)
Während heute in dem ungeheuren Ringen um Lemberg eine Kampfpause eingetreten ist, nützt die Armee Auffenberg ihren nach achttägigem schweren Kampfe errungenen Sieg nach Kräften weiter aus. Der Armee Auffenberg war nämlich die schwerste Aufgabe zuteilgeworden, da der mit weit überlegenen Kräften unternommene Vorstoß der Russen aus dem Versammlungsraume um Cholm direkt von Norden nach Süden auf Lemberg, also in die Flanke und in den Rücken der östlich hiervon stehenden österreichisch-ungarischen Armee geführt hatte, gegen die ohnehin der Stoß der russischen Hauptmacht gerichtet war. Ein Erfolg der russischen Westarmeen hätte daher zu einer erdrückenden Umklammerung und einer schließlichen Katastrophe der in Ostgalizien ohnehin schwer gegen die russische Übermacht kämpfenden Armeeteile führen können. Viel weniger bedenklich war der Vorstoß der anderen russischen Westarmee über Lublin, da dieser im Falle des Erfolges doch zu weit von den in Ostgalizien engagierten österreichischen Truppen geendet hätte. Wie besonders die Bedeutung der russischen Offensive über Zamosc vom Armeeoberkommando eingeschätzt wurde, erhellt wohl daraus, daß man trotz des Bewußtseins, daß ein übermächtiger Stoß von Osten zu gewärtigen sei, die noch nicht eingesetzte Armee Auffenberg nordwärts dirigierte und sie schließlich noch durch das Korps des Erzherzogs Josef Ferdinand verstärkte. Im Osten konnte man hoffen, allerdings nur im festen Vertrauen auf die eherne Widerstandskraft und Disziplin der Truppen, genügend lang ausharren zu können. Freilich gehörte zu diesem Entschlusse auch ein ungewöhnliches Maß von Großzügigkeit und Mut der Verantwortung. Alle Voraussetzungen sind glänzend eingetroffen. Ein für die künftige Kriegsgeschichte mustergültiges Beispiel für Kämpfe größten Stiles auf der inneren Linie gegen einen übermächtigen Feind ist von der österreichisch-ungarischen Armee mit herrlichem Erfolge unter schwersten Verhältnissen durchgeführt worden.
Die genaueren Mitteilungen, die ich erhielt, ergänzen das gestern vom Generalstabe ausgegebene Communiqué. In den schweren, den endlichen Sieg der Armee Auffenberg vorbereitenden Kämpfen um Zamosc wetteiferten mährische Truppen und niederösterreichische Landwehr-Regimenter in ihrem unaufhaltsamen Drange nach vorwärts. Die Schwierigkeiten waren außerordentlich, da die Russen sich überall in stark befestigten Stellungen befanden und sich in Folge ihrer bereits zur Stelle befindlichen Reserveformationen in den Schützengraben ablösen konnten, während die unseren, wie übrigens auch um Lemberg, ihre Kampflinie Tag und Nacht nicht verlassen konnten und es stets mit gut ausgeruhten Gegnern zu tun hatten. Schließlich bildeten die Höhen um Komarow den Brennpunkt der Kämpfe und den Schlüssel der russischen Position. Die Russen erkannten dies sehr wohl und konnten infolge ihrer numerischen Überlegenheit den Durchbruch sackartig nach Westen versuchen, bis in diesem kritischsten Schlachtmomente das Korps des Erzherzogs durch die Erstürmung der Höhen von Tyszowce, die stark befestigt waren und auch eine Reihe feldmäßig verstärkter Ortschaften als Stützpunkte aufwiesen, der Krise die entscheidende Wendung zum Guten brachte. Im Westen schlossen sich die Truppen des Generals Boroevics dieser Aktion an.
Nun waren die Russen, deren Zentrum sich unmittelbar vor der gänzlichen Einschließung sah, gezwungen, den Angriff auf die Mitte der österreichisch-ungarischen Front einzustellen Unsere Truppen drängten aber den zurückgehenden feindlichen Abteilungen sofort mit allem Nachdruck nach und ließen die Russen nicht zu Atem kommen. Diese suchten durch die zähe Verteidigung der Höhen von Komarow den Abmarsch ihres östlichen Flügels soweit zu decken, daß er möglichst geordnet vor sich gehen konnte. In diesem Augenblick erst kam der ungemein kräftig geführte Vorstoß der Armee des Erzherzogs zu seiner vollen Geltung. Der Schneid der tiroler, salzburger und der oberösterreichischen Truppen war bewunderungswürdig. Sie erkämpften die Herrschaft über die beiden für den russischen Rückzug bedeutsamen Straßen von Staroe, Sielo und Tyszowce nach Krylow und Grubieszow zum Bug, sodaß die noch nicht entkommenen Teile der russischen Armee in schwere Bedrängnis gerieten Tatsächlich krönte dann die Gefangennahme großer Teile der zurückgehenden Russen sowie die Eroberung fast der ganzen russischen Artillerie das Werk des ruhmvollen Tages. Die Vernichtung des Artilleriebestandes der russischen Westarmee ist umso bedeutsamer, als die zahlenmäßige Überlegenheit der feindlichen Artillerie die österreichisch-ungarischen Truppen zeitweise stark leiden ließ.
Die ungeheure Bedeutung dieser gesamten Ereignisse liegt darin, daß die drohende nördliche Umfassung des österreichisch-ungarischen Zentrums endgültig verhindert ist.
Lemberg wurde gestern von unseren Truppen freiwillig geräumt. Die Russen beschossen noch heute morgen längere Zeit unsere verlassenen Stellungen.
 2)

 

Der 1. Weltkrieg im September 1914

ZURÜCK   HAUPTSEITE   WEITER

 

Textquellen:
1) Amtliche Kriegs-Depeschen nach Berichten des Wolff´schen Telegr.-Bureaus  
Band 1
Nationaler Verlag, Berlin (1915)

2) "Frankfurter Zeitung" (1914)

 

© 2005 stahlgewitter.com