Die
Wahrheit über Löwen
Frankfurt,
5. September.
Das deutsche Konsulat in Rotterdam hat dem "Nieuwe Rotterdamsche
Courant" folgendes Telegramm des Ministeriums der auswärtigen Angelegenheiten
zu Berlin vom 30. August mitgeteilt:
Die Obrigkeit hatte die Stadt Löwen übergeben. Montag den 24. August begann
in Löwen das Einquartieren der Truppen, und der Verkehr mit den Einwohnern
wurde freundschaftlich. Dienstag den 25. August nachmittags rückten auf
den Bericht von einem zu erwartenden Ausfall Truppen gegen Antwerpen aus.
Der Kommandierende General begab sich in einem Auto nach der Front. Bloß
Abteilungen des Landwehrbataillons Neuß für die Eisenbahnbewachung blieben
zurück. Als der zweite Teil des Generalkommandos dem kommandierenden General
zu Pferde folgen wollte und auf dem Markt antrat, wurde aus den rundum
stehenden Häusern geschossen.
Alle Pferde wurden getötet und fünf Offiziere verwundet, einer davon schwer.
Zu gleicher Zeit wurde in ungefähr zehn anderen Stadtteilen geschossen,
ebenso auf Soldaten, die gerade am Bahnhof angekommen waren, und auf einen
ankommenden Militärzug. An einem vorher verabredeten Zusammengehen mit
dem Ausfall aus Antwerpen ist nicht zu zweifeln. Zwei Priester waren bei
der Verteilung von Patronen zugegen. Der Straßenkampf dauerte bis Mittwoch
den 26. August nachmittags, wo es der inzwischen angekommenen Verstärkung
gelang, Herr der Situation zu werden. Die Stadt und die nördliche Vorstadt
standen an verschiedenen Orten in Brand und sind jetzt wahrscheinlich
abgebrannt.
Von der belgischen Regierung war dieser allgemeine Volksaufstand gegen
den anrückenden Feind schon lange vorbereitet; Waffendepots waren eingerichtet,
in denen jedes Gewehr mit dem Namen des Bürgers versehen war, der damit
bewaffnet werden sollte.
Ein spontaner Volksaufstand ist auf das Verlangen einiger kleiner Staaten
auf der Haager Konferenz als völkerrechtlich angenommen worden, wenn die
Waffen sichtbar getragen und die Kriegsgesetze befolgt werden, doch bloß,
wenn es gilt, einem heranziehenden Feind entgegenzurücken. In diesem Fall
hatte die Stadt sich aber bereits übergeben und die Bevölkerung dadurch
also von weiterem Widerstand abgesehen; die Stadt war durch unsere Truppen
bereits besetzt. Trotzdem fiel die Bevölkerung die Besatzung und die ankommenden
Truppen, welche, durch eine anscheinend freundliche Haltung irregeführt,
in Zügen und Autos ankamen, von allen Seiten an und es wurde ein mörderisches
Feuer auf sie eröffnet. Das war also kein erlaubte Kriegslist, sondern
eine verräterische Überrumpelung durch die bürgerliche Bevölkerung, ein
um so verwerflicherer Überfall, als dieser früher schon vereinbart war
und gleichzeitig mit dem Ausfall aus Antwerpen statthaben sollte.
Die Waffen wurden nicht sichtbar getragen, Frauen und junge Mädchen nahmen
an dem Gefecht teil und stachen den Verwundeten die Augen aus.
Das barbarische Auftreten der belgischen Bevölkerung in fast allen von
uns besetzten Teilen des Landes hat uns nicht allein das Recht zu strengen
Maßregeln gegeben, sondern uns im Interesse der Selbsterhaltung dazu gezwungen.
Der intensive Widerstand der Bevölkerung geht auch daraus hervor, daß
in Löwen mehr als 24 Stunden zur Unterdrückung des Aufstandes nötig waren.
Daß bei diesen Gefechten ein großer Teil der Stadt zerstört worden ist,
tut uns selbst leid, solche Folgen lagen selbstredend nicht in unserer
Absicht, können aber bei dem schändlichen gegen uns geführten Franktireur-Krieg
nicht vermieden werden. Wer den gutmütigen Charakter unserer Truppen kennt,
wird nicht im Ernst behaupten können, daß sie zu unnötiger oder sogar
mutwilliger Vernichtung geneigt seien.
Die ganze Verantwortung für das Geschehene trägt die belgische Bevölkerung,
die sich selbst außerhalb von Recht und Gesetz gestellt, und die belgische
Regierung, die mit verbrecherischer Leichtfertigkeit die Bevölkerung mit
Anweisungen dem Völkerrecht zum Trotz versehen und zum Widerstand angetrieben
hat und die auch nach unseren erneuten Warnungen nach dem Fall Lüttichs
nichts getan hat, um sie zu einem friedlicheren Verhalten anzuspornen.
Die "Frankfurter Zeitung" schrieb dazu:
Die Veröffentlichung einer amtlichen deutschen Darstellung der Vorgänge
in Löwen wird überall mit Genugtuung begrüßt werden, wo Lüge und Verleumdung
nicht zum Beruf oder zur nationalen Notwendigkeit geworden sind, um die
eigene Schande zu verdecken. Das Ziel des amtlichen Berichts ist das Ausland
und besonders die uns umgebenden neutralen Staaten. Das zeigt die Form
der Veröffentlichung. Die wenig schmeichelhafte Kritik, die das Vorgehen
unserer Truppen in Löwen in einem Teil der ausländischen Presse gefunden
hat, macht es begreiflich, daß wir Deutsche eine amtliche Erklärung mit
Ungeduld erwartet haben. Das Schriftstück kann seine Wirkung im Ausland
nicht verfehlen, denn durch die Erfahrungen dieses Feldzuges weiß man
dort, daß inmitten all des Ekels von Trug und Lüge, die unsere Grenzen
umgeben, das deutsche Wort sich stets als wahr und rein erwiesen hat.
Für uns Deutsche aber, für unser eigenes Urteil über das furchtbare Strafgericht
von Löwen, das wir als ein unvermeidliches Unglück beklagen, ist die amtliche
Bestätigung, daß die schweren Anklagen, die man gegen uns gerichtet hat,
unbegründet sind und daß unsere deutschen Truppen bei der Niederwerfung
eines gemeinen und schamlosen Überfalls so gehandelt haben, wie sie handeln
mußten, eine große Erleichterung und Beruhigung. Wohl hatten wir immer
die Zuversicht und die feste Überzeugung, daß unsere Söhne und Brüder
auch in dem Wahnsinn des Krieges und in der berechtigten Erbitterung über
die Greuel eines Volkes, dessen entmenschte Frauen, Männer und Kinder
unsere Verwundeten in der entsetzlichsten Weise verstümmelt haben, niemals
es übers Herz bringen könnten, mit den Schuldigen auch die Unschuldigen
so schwer leiden zu lassen, wie es in Löwen tatsächlich geschehen ist,
wenn sie es wirklich vermeiden können. Aber doch erschienen die Folgen
des Strafgerichts so ungeheuer, daß man danach verlangte, durch eine offene
Erklärung der deutschen Behörden das ausdrücklich bestätigt zu erhalten,
woran man sicher glaubte: daß wir frei von Schuld sind. Das amtliche Schriftstück
spricht für sich selbst. Bedarf es noch anderer Beweise für die Schuld
der belgischen Behörden und der Einwohner von Löwen, wenn man liest, daß
Waffendepots in Löwen bestanden, "in denen jedes Gewehr mit dem Namen
des Bürgers versehen war, der damit bewaffnet werden sollte". Muß
nicht jedes Mitleid verstummen, wenn man hört, daß "Frauen und junge
Mädchen an dem Gefecht teilgenommen und den Verwundeten die Augen ausgestochen"
haben? Und kann noch jemand den Mut haben, den deutschen Soldaten die
Zerstörungen, die angerichtet worden sind, zum Vorwurf zu machen, wo feststeht
daß unsere Truppen, die doch wahrlich zu kämpfen verstehen, vierundzwanzig
Stunden lang schwer haben fechten müssen, um den Aufruhr in den Straßen
und Häusern niederzuwerfen?
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