Der Weltkrieg am 28. Oktober 1914

DEUTSCHER HEERESBERICHT - ÖSTERREICHISCHER HEERESBERICHT

 

 Der deutsche Heeresbericht:

Neugruppierung der deutsch-österreichen Streitkräfte in Polen -
Sechzehn englische Kriegsschiffe im Kampf bei Nieuport

Großes Hauptquartier, 28. Oktober, vormittags.
Die Kämpfe bei Nieuport - Dixmuiden dauern noch an. Die Belgier erhielten dort erhebliche Verstärkungen, unsere Angriffe wurden fortgesetzt. Sechzehn englische Kriegsschiffe beteiligten sich am Kampf gegen unseren rechten Flügel, ihr Feuer war erfolglos.
Bei Ypern ist die Lage am 27. Oktober unverändert geblieben, westlich Lille wurde unser Angriff mit Erfolg fortgesetzt.
Im Argonner Walde sind wieder einige feindliche Schützengräben genommen worden, deren Besatzung zu Gefangenen gemacht wurde.
Auf der Westfront hat sich weiter nichts Wesentliches ereignet.
In Polen mußten die deutsch-österreichischen Truppen vor neuen russischen Kräften, die von Iwangorod, Warschau und Nowogeorgiewsk vorgingen, ausweichen, nachdem sie bis dahin in mehrtägigen Kämpfen alle russischen Angriffe erfolgreich abgewiesen hatten. Die Russen folgten zunächst nicht. Die Loslösung vom Feinde geschah ohne Schwierigkeit Unsere Truppen werden sich der Lage entsprechend neu gruppieren.
Auf dem nordöstlichen Kriegsschauplatz sind keine wesentlichen Änderungen.

Oberste Heeresleitung. 1)

 

Der strategische Rückzug im Osten

Die "Frankfurter Zeitung" schrieb:
Als in der zweiten Septemberhälfte die österreichisch-ungarischen Heere sich nach dem strategischen Rückzug aus Ostgalizien hinter der Dunajec-Linie neu ordneten, sammelten die Deutschen eine Armee hinter der Nida, die dann bis Krakau größtenteils mit der Bahn befördere wurde und gegen Ende September in starken Märschen gemeinsam mit den verbündeten Truppen der Österreicher und Ungarn zu beiden Seiten der Weichsel vorging. Diese Truppen warfen am 4. Oktober auf der Linie Klimontow-Ostrewiez russische Kräfte zurück, die auf zwei oder drei Korps geschätzt wurden; sie mußten bis auf die Weichsel zurückgehen. Die deutsche Armee, die ununterbrochen in engster Gemeinschaft mit ihren Verbündeten kämpfte, nützte den Erfolg nachdrücklich aus und konnte kurz darauf bei Radom neue russische Kräfte zurückweisen, die auf die Festung Iwangorod zurückgeworfen wurden. Daß an diesem Kampfe die Besatzung dieser russischen Festung teilnahm, bewies schon, daß die Offensive den Russen ganz unerwartet kam.
Gleichzeitig hatte sich aber auch im Abschnitt Breslau-Posen eine zweite deutsche Armee gebildet, die trotz der außerordentlich beschwerlichen Wegeverhältnisse sehr rasch vorrückte, sodaß ihre Spitze schon am 12. Oktober die Weichsel erreichen konnte. Die Russen, die auch von diesem Gegner anfangs überrascht wurden, erkannten aber bald, daß in seinem Vorgehen eine starke Bedrohung des Mittelpunktes ihrer ganzen Stellung in Polen, Warschaus und seiner unmittelbaren Flankenfestungen Nowogeorgiewsk und Fegrshes lag und versammelten in aller Eile alle irgendwie verfügbaren Truppen, die mit Hilfe der nordsüdlichen Eisenbahnen hinter der Weichsel herangebracht werden konnten, um ihm entgegenzutreten. Am 14. und 15. Oktober versuchten sie mit acht Armeekorps einen Vorstoß über die Weichsel, der aber unter furchtbaren Verlusten mißlang. Gleichzeitig aber müssen russische Kräfte, die kaum zu unterschätzen sein dürften, unter dem Schutze des Brückenkopfes Iwangorod die Weichsel überschritten haben, denn schon am nächsten Tage (16.) wurden, wie der deutsche Generalstab berichtete, russische Angriffe aus Iwangorod und Kozienize abgewiesen. Um einen bloßen Ausfall der Festungsbesatzung kann es sich dabei kaum gehandelt haben; nach der blutigen Lehre, die sie kurz vorher von der südlicher vorrückenden deutschen Armee empfangen hatte, war sie kaum imstande, einen auf breiter Front angesetzten Angriff überhaupt zu unternehmen.
Über die einzelnen Vorgänge der unmittelbar folgenden Tage geben weder die deutschen Berichte, die vom östlichen Armeeoberkommando stets außerordentlich knapp gehalten wurden, weil die Art der bisherigen Kämpfe eine Verschleierung der strategischen Absichten durchaus nötig macht, noch die um so wortreicheren russischen Berichte Auskunft, die uns nunmehr vorliegen. Die deutschen Truppen standen in der Nähe von Warschau, ohne daß eine Belagerung eingeleitet oder auch nur geplant sein konnte. Weiter südlich schien Iwangorod fast unmittelbar bedroht, da schon schwere Artillerie gegen die Stadt angesetzt worden sein soll; um eine ernst gemeinte Aktion gegen die Festung kann es aber der deutschen und der verbündeten Heeresleitung noch nicht zu tun gewesen sein. Denn die russischen Berichte erklären, die Weichselbrücke bei Iwangorod habe bei der Beschießung nur "geringen Schaden" erlitten; es ist klar, daß wirklich schwere Kaliber die Brücke mit Leichtigkeit zerstört hätten. Solange die russische Feldarmee, die sich von Tag zu Tag mehr verstärkte, ungeschwächt blieb, konnte der Besitz eines Einzelstücks der russischen Festungslinie keine entscheidende Bedeutung haben. Nur ein Durchbruch durch die feindlichen Linien konnte das Ziel der Deutschen sein. Eine Besetzung Iwangorods hätte dieses Ziel noch nicht verwirklicht, da die russischen Heeresstraßen, auf die sich die Besatzung der Festung zurückziehen konnte, um die Verbindungen zwischen den Flügeln zu halten, ziemlich weit ostwärts der Weichsel angelegt sind.
Ernster muß den Russen die Bedrohung Warschaus erschienen sein, denn zum Schutze dieser an sich bedeutenden Lager-Festung, deren Verlust auch politisch für sie von Bedeutung wäre, sammelten sie allem Anschein nach ungeheure Kräfte, die ihren eigenen Angaben nach zum großen Teil durch Gewaltmärsche herangeholt werden mußten. Ungefähr am 20. Oktober war der russische Aufmarsch hinter der Weichsel beendet, sodaß gleichzeitig von Iwangorod aus, wo zunächst schwächere Kräfte operierten, und auf Warschau - Novogeorgiewsk Vorstöße mit sehr bedeutenden Kräften unternommen werden konnten. Die hinter der Weichsel liegenden russischen Bahnen gestatteten dabei die Verschiebung auch größerer Truppenmassen von einem Kampfplatz auf den andern, sodaß das Übergewicht der Zahl, das die russische Heeresleitung inzwischen hergestellt hatte, sich in erhöhtem Maße bald da, bald dort geltend machen mußte. Da aber die Russen die stärkste Wucht ihres Vorstoßes aus dem Raume Warschau entfalteten, mußte die deutsche Heeresleitung zunächst darauf verzichten, an dieser Stelle durch kühnes Zugreifen Erfolge zu holen. Sie mußte vielmehr darauf bedacht sein, ihren linken Flügel, der nunmehr von den Russen bedroht wurde, gegen jede Umklammerung zu sichern. Die Russen glaubten sogar am 22. Oktober schon diesen Flügel abgeschnitten zu haben.
Die Neuordnung der verbündeten Heere, die durch den letzten Tagesbericht des deutschen Hauptquartiers angekündigt wird, machte einen allmählichen Abbau der bisher eingenommenen Stellung nötig, der einer gewaltigen feindlichen Übermacht gegenüber nur mit größter Vorsicht zu bewerkstelligen war. Die außerordentliche Zurückhaltung in der amtlichen Berichterstattung der letzten Tage erklärt sich aus der Notwendigkeit, dem Feinde jede Bewegung und jede Absicht nach Möglichkeit zu verbergen. Das ist denn auch in vollem Umfange gelungen. Aus den russischen Berichten geht klar hervor, daß man dort über die Absichten der deutschen Leitung im Unklaren blieb. Freilich widerspricht sich die russische Berichterstattung, wie dies schon früher festzustellen war, in wesentlichen Punkten, sodaß sie nur in geringem Umfang, eigentlich nur da, wo ihre Angaben von den deutschen Berichten mittelbar bestätigt werden, zur Information herangezogen werden kann. Immerhin bemerkt man in den russischen Bulletins eine schwankende Beurteilung der Lage. Dazu mag der Umstand beigetragen haben, daß vor Iwangorod auch am 25. und 26. noch lebhaft gekämpft wurde, sodaß die Russen über die eigentlichen Absichten der Verbündeten immer noch im Unklaren bleiben mußten. Sie wagten daher auch nirgends, mit solchem Nachdruck vorzugehen, daß ihnen ein entschiedener Erfolg zugefallen wäre. Alle ihre Angriffe, die sich oft gegen ziemlich schwache zurückgelassene Abteilungen gerichtet haben müssen, wurden immer wieder abgewiesen. Der gewaltigen russischen Übermacht gelang es wohl, die deutsche Heeresleitung zu einer Änderung ihrer Pläne zu veranlassen, nicht aber, ihre Truppen zu schlagen.
Die russischen Bulletins haben zwar in diesen Tagen mehrfach von Einzelerfolgen, von Gefangennahme kleinerer Abteilungen, von Eroberung einiger Batterien und ähnlichem berichtet, die deutsche Leitung hat aber diesen Berichten immer sofort ein Dementi entgegengesetzt. Wir wissen von vornherein, wem wir glauben dürfen. Aber selbst wenn wir Zweifel hegten, könnten uns die russischen Berichte selber lehren, daß der strategische Rückzug der Deutschen in geradezu musterhafter Ordnung vor sich gegangen ist. "Mit peinlicher Sorgfalt räumen die Deutschen ihre Stellungen" heißt es in einem der russischen Bulletins und in einem anderen wird als wichtiger Erfolg die Gefangennahme eines Zuges deutscher Infanterie berichtet. Wer sich mit solchen Kleinigkeiten begnügt, hat sicherlich keine großen Erfolge zu verzeichnen.
Den deutschen Angriff über die Weichsel hinüberzutragen, war ganz ausgeschlossen, solange Rußland die Weichselfestungen innehatte. Man mußte die Russen den Fluß überschreiten lassen, da die Schlacht für die russischen Heere weit ungünstiger ist, wenn sie hinter sich das starke Hindernis der Weichsellinie haben. Das Gelände, das den Russen nun zur Schlacht offensteht, wenn sie dem verbündeten Heeren folgen, ist in jeder Beziehung weit ungünstiger als das hinter der Weichsel gelegene, von dem aus sie bisher vorgingen. Die verbündeten Truppen aber dürften sich in einer Gegend ordnen, die abgesehen von dem Vorteil der größeren Nähe der an Verkehrswegen reicheren heimatlichen Basis auch feste natürliche Stellungen bietet, an denen der russische Vorstoß schnell genug zum Scheitern kommen wird.
Der bisherige Feldzug in Polen, der auf diesem Kampfplatz den weitaus größten Teil der russischen Kräfte band, hat auf den beiden Flügeln der gewaltigen Stellung, die von Ostpreußen bis in die Karpathen reicht, unsere Lage entscheidend verbessert. Im Nordosten ist Ostpreußen wohl endgültig gegen jede neue russische Belästigung gesichert, nachdem sich die Russen an der festen Stellung im Gouvernement Suwalki nichts als blutige Köpfe geholt haben und ihr kurzer Einmarsch nach Lyck mit einem überstürzten Rückzug und einem neuen Offensivstoß der Deutschen endigte. In Galizien konnte Przemysl entsetzt werden, ein Ereignis von gewaltiger Tragweite für den Verlauf des ganzen Krieges. Über die dortigen Kämpfe, die zum Teil zu Stellungsgefechten geworden sind, wird später noch eingehender zu reden sein, wenn ein greifbarer Abschluß einen Überblick ermöglicht.
Die Russen haben auch den polnischen Feldzug mit schweren Verlusten bezahlt, obwohl ihre Führung nach den bitteren Erfahrungen in Ostpreußen vorsichtiger geworden zu sein scheint. Mindestens 20000 Gefangene sind in unsere Hände gefallen, die Verluste an Toten und Verwundeten müssen auch nach Berichten aus russischer Quelle gewaltig gewesen sein. Was aber für Rußland fast noch schwerer wiegt, ist die Einbuße von weiterem Artilleriematerial, das zum Teil ebenfalls in unseren Besitz kam. Der Ersatz der verlorenen Batterien, die schon einen sehr fühlbaren Teil des gesamten Artilleriebestandes der russischen Armee ausmachen, ist mit den größten Schwierigkeiten verbunden, da nur ein einziges Werk (Putilow) dafür in Frage kommt und eine Zufuhr aus dem Ausland nur noch auf dem ungeheuer beschwerlichen, langwierigen und kostspieligen Umwege über Wladiwostok möglich ist, seit die Türkei die Dardanellen verschlossen hält. Die Feldhaubitzen, die Rußland stets aus dem Auslande bezogen hat, können vermutlich überhaupt nicht ersetzt werden. Auch die übrigen Materialverluste sind schon ungeheuer groß. Noch schwerwiegender dürfte aber der Mangel an Offizieren sein, der in Rußland, wo die Zahl der ausreichend ausgebildeten Reserveoffiziere sehr klein ist, schneller fühlbar werden mußte als anderswo. Die russischen Verlustlisten, die nur Offiziere umfassen, füllen täglich Spalten in den Tagesblättern. Man hat schon zu verzweifelten Mitteln gegriffen, um das Offizierkorps zu ergänzen. Wie kürzlich gemeldet wurde, sollen die diensttauglichen Studenten innerhalb vier Monaten zu Offizieren ausgebildet werben; aus anderer Quelle vernehmen wir, daß der Zar sogar die während der Revolution wegen Meuterei verurteilten Offiziere begnadigt und mit ihrem früheren Dienstgrad wieder ins Heer eingestellt hat.
Die Niederringung Rußlands ist zum großen Teil eine Frage der Zeit; darum tut Geduld vor allem not. An Zuversicht fehlt es uns nicht - der Führer unserer Ostarmee hat sie schon überreich verdient.

 

Der österreichisch-ungarische Heeresbericht:

Österreichisch-ungarische Erfolge in Serbien

Wien, 28. Oktober, mittags.
Amtlich wird verlautbart:
In Galizien ereignete sich auch gestern nichts Wesentliches. An manchen Teilen der Front haben sich beide Gegner eingegraben. Unsere schweren Geschütze vernichteten mehrere feindlichen Batterien und Stützpunkte.

Der Stellvertreter des Chefs des Generalstabes.
v. Hoefer, Generalmajor.

Über die Kriegslage in Polen berichtet der österreichisch-ungarische Generalstab gleichlautend mit der deutschen Obersten Heeresleitung.

Wien, 28. Oktober.
Amtlich wird verlautbart:
Am 27. dieses Monats haben wir in Serbien neuerliche Erfolge errungen. Der Ort Ravnje und stark befestigte feindliche Stellungen an der Dammstraße nördlich Crnabara in der Macva wurden nach starker feindlicher Gegenwehr von unsern Truppen erstürmt. Hierbei wurden vier Geschütze und acht Maschinengewehre erbeutet, fünf Offiziere und 500 Mann gefangengenommen und viel Kriegsmaterial erbeutet.

Potiorek,
Feldzeugmeister.
1)

 

Die Opfer der "Emden"

Unter der schmerzvollen Überschrift "The Emden´s Victims" bringt die "Times" eine Tabelle derjenigen Schiffe, die von dem Kreuzer "Emden" versenkt, gekapert oder wieder freigegeben sind. Die Tabelle ist übersichtlich und hübsch zusammengestellt und wird hoffentlich bald ergänzt werden, auch durch diejenigen Schiffe, die von anderen deutschen Kreuzern in gleicher oder ähnlicher Weise behandelt worden sind. Die Tabelle ist folgende:

 

Name der Schiffe Tonnenzahl
Benmohr 4806 versenkt
Buresk (Kohle) 4350 gekapert
Chilkana 5140 "
City of Winchester 6800 "
Clan Grant 3948 "
Clan Matheson 4775 "
Diplomat 7615 "
Exford (Kohle) 4512 gekapert und dann freigegeben
Indus 3871 versenkt
Kabinga 4657 "
Killin 3544 "
King Lud 3650 "
Lovat 6102 "
Ponrappel 473 "
Pontoropos 4049 In Obhut genommen von der "Emden"
Riberia 4147 versenkt
St. Egbert 5596 Gekapert und mit Passagieren und Mannschaften
nach Cochinchina gesandt
Trabboch 4014 versenkt
Troilus 7562 "
Tymeric 3314 "

 

Die Urteile gegen die Mörder des
Erzherzog Franz Ferdinand

Sarajewo, 28. Oktober. (W. B.)
Im Hochverratsprozeß ist folgendes Urteil gefällt worden:
Die Angeklagten Ilitsch, Veljko Tschubrilowitsch, Nedo Kerowitsch, Jowanowitsch und Milowitsch wurden zum Tode durch den Strang verurteilt. Mitar Kerowitsch wurde zu lebenslänglichem schwerem Kerker, Princip, Tschebrinowitsch und Grabesch zu 20 Jahren, Vaso Tschubrilowitsch zu 16 Jahren, Popowitsch zu 13 Jahren, Kranjewitsch und Gjukitsch zu 10 Jahren, Stjepanowitsch zu 7 Jahren, Zagoratz und Perin zu 3 Jahren schwerem Kerker verurteilt. Die übrigen Angeklagten wurden freigesprochen.

 

Der 1. Weltkrieg im Oktober 1914

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Textquellen:
1) Amtliche Kriegs-Depeschen nach Berichten des Wolff´schen Telegr.-Bureaus  
Band 1
Nationaler Verlag, Berlin (1915)

2) "Frankfurter Zeitung" (1914)

 

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