Der
Kampf um die Feldbefestigungen
Der
Berichterstatter der "Frankfurter Zeitung" im Großen
Hauptquartier schrieb am 1. November 1914:
Die
Kämpfe der letzten Monate haben nach den kurzen Offensivschlachten
in Lothringen fast ganz die Formen des Festungskrieges angenommen.
Seit Wochen liegen sich die beiden Heere in außerordentlich stark
befestigten Feldstellungen gegenüber, in deren Anlage und Ausbau
auch ich während meiner Anwesenheit an der Front einen gewissen
Einblick erhielt. Ich möchte daher kurz schildern, nach welchen
Grundsätzen eine solche Feldstellung ausgewählt, ausgebaut und bekämpft
wird.
In fast allen Fällen wird man eine Feldbefestigung an hervorragende
Geländepunkte, an Wasserläufe, beherrschende Höhenzüge usw.
anlehnen, wobei die Linienführung stets dem Gelände angepaßt
wird, so daß also keine zusammenhängende gerade Linie, sondern
eine Art Gruppenbefestigung entsteht. Das Leitmotiv der ganzen
Anlage ist gutes Schußfeld und der im deutschen Heere geltende
Grundsatz "Wirkung geht vor Deckung" ist in allen Anlagen
deutscher Truppen, die ich gesehen habe, stets einwandfrei durchgeführt
worden. Die Anlage der Feldbefestigung findet in der Weise statt, daß
zunächst das Gelände mit Rücksicht aus das Schußfeld erkundet
und dementsprechend die Tracenführung festgelegt wird. Dann beginnt
das Eingraben. Man stellt einen Schützengraben für stehende Schützen
her, der gruppenweise durch Schulterwehren abgeteilt wird, indem man
den bewachsenen Boden stehen läßt und den Graben um diese Traverse
herumführt. Auf diese Weise wird erreicht, daß im Fall des
Einschlagens einer Granate in den Graben nur diejenige Gruppe
getroffen werden kann, die sich in diesem Abschnitt befindet. Der
Graben an sich wird ziemlich schmal gehalten, bei weiterem Ausbau
aber doch so weit vertieft, daß hinter dem Auftritt für den Schützen
noch ein schmaler Gang bleibt, um sich gedeckt hinter der Schützenlinie
bewegen zu können und der dem Schützen nach Heruntertreten von
seinem Stande völlige Deckung gewährt. Beim Ausheben des Grabens
wird ferner eine Armauflage im gewachsenen Boden vorgesehen, aus der
man auch Patronen zum sofortigen Gebrauch zurechtlegen kann.
Zwischen den deutschen Schützengräben und denen unserer Gegner
besteht ein großer Unterschied. Wir gehen tief in die Erde und
benutzen möglichst den gewachsenen Boden als Deckung, der Franzose
gräbt halb in die Erde und schüttet halb auf.
In die Brustwehren werden dann auch Unterstände eingebaut, die
falls der Boden nicht trägt, mit Holz und Brettern abgesteift
werden und die man oben mit Brettern, Schienen usw. abdeckt und dann
mit Erde beschüttet. Diese Unterstände, die mit Stroh ausgelegt
werden, gewähren den Truppen, die vorn im Graben liegen müssen,
einen besonders bei kalter und regnerischer Witterung verhältnismäßig
behaglichen Unterschlupf. Außerdem werden sie stets splittersicher
angelegt. Gegen Volltreffer schützen sie selbstverständlich nicht.
Ein sehr wichtiger Punkt bei der Anlegung solcher Feldstellungen ist
die Anbringungen von Wasserabzugsgräben und Latrinen, beides Maßnahmen,
die im hygienischen Interesse dringend nötig sind.
Die zu dieser Vorderlinie führenden Annäherungswege werden stets
ebenfalls eingegraben. Es sind tiefe, schmale Gräben, die im
Zickzack geführt werden und eine ausgeschüttete Brustwehr auf der
dem Gegner zugekehrten Seite besitzen. Ich habe diese einmal auch
beim Gegner in der Anschlußstellung an Fort Lier in mustergültiger
Ausführung gesehen.
Soweit ich in diesem Feldzuge bisher beobachten konnte, ist man bei
den Feldbefestigungen in allen Heeren dem Prinzip treu geblieben,
den Kampf in einer Verteidigungslinie durchzuführen, also nicht
mehrere Verteidigungslinien von vornherein hintereinander zu
schachteln. Das hat damit nichts zu tun, daß man in einem so
durchschnittenen Gelände, wie der Argonnenwald es beispielsweise
ist, sich nach Wegnahme eines Abschnittes hinter dem nächsten von
neuem Widerstand leistet. Scheinstellungen leisten gute Dienste. Sie
können bei richtiger Anlage sehr Gutes wirken, um das feindliche
Artilleriefeuer dorthin zu ziehen. Sobald der Infanterieangriff
angesetzt ist, erkennt der Angreifer sehr rasch an dem schwachen
Feuer, daß er hier nur eine Scheinstellung vor sich hat. Besondere
Feldwege in einer reinen Feldstellung habe ich nirgends gesehen.
Angesichts der enormen Wirkung der schweren Batterien vermeidet man
es überhaupt, diesen durch Anhäufung ein gutes Ziel zu bieten.
Die Verteidigung der vordersten Linie einer Feldstellung, erfolgt
durch Infanterie und Maschinengewehre. Die Stahlschilde an
Maschinengewehren haben sich gut bewährt, ich habe selbst belgische
Maschinengewehre mit Stahlschilden gesehen, die zahlreiche Treffer
auswiesen, aber trotzdem gebrauchsfähig blieben und ihre Bedienung
schützten. Als Hindernis wurde bei Feldstellungen fast immer das
Drahthindernis verwendet, das in einer Breite zwischen sechs und
zehn Metern in einer Entfernung von meist 30 bis 40 Meter vor die
Befestigung vorgeschoben wird. Bei Franzosen und Belgiern sah ich in
Einzelfällen Astverhaue und spanische Reiter angewendet. Der
Angriff gegen eine derartig mit allen Schikanen ausgebaute
Feldstellung ist oftmals nur mit Hilfe der Gegenbefestigung möglich.
Nachdem durch Erkundungspatrouillen genau festgestellt ist, wo man
die Gegenlinie führen will, gehen unter dem Schutz einer Schützenlinie
in dunkler Nacht lautlos Arbeiterkolonnen vor. Oftmals wird man die
letzte Strecke auch kriechend zurücklegen müssen. Arbeitet der
Verteidiger mit Scheinwerfer, so bleibt während des Ableuchtens
alles bewegungslos. Sobald man in der ausgewählten, durch Band,
Papierstreifen oder mit Gips bezeichneten Linie angelangt ist,
beginnt das Eingraben, und dann wird allmählich die Gegenstellung
ausgebaut, die dann ebenfalls durch Annäherungswege nach rückwärts
gesichert wird. Von dieser Stellung aus gräbt man sich dann mit
regelrechter Laufgrabenführung unter Benutzung von Sandsäcken und
Stahlschilden. von denen wir übrigens eine sehr große Anzahl in
den belgischen Forts gefunden haben, bis auf Sturmstellung heran. Je
näher man kommt, desto gefährlicher wird die Sache, denn die
Franzosen haben stets eine Anzahl ausgesuchter Schützen auf
Baumkronen und Kanzeln sitzen, wie jetzt vor allem im Argonnenwalde,
so daß man auch Deckung nach oben haben muß.
Dann muß das Hindernis zerstört werden. Die Drahthindernisse
werden entweder durch Artillerie oder mittels der Drahtscheren
entfernt. Pioniere kriechen vor und schneiden mit Drahtscheren eine
Gasse in die Drähte. Es ist dies ein außerordentlich gefährliches
Wagnis, denn erstens sind die Drähte bisweilen elektrisch geladen,
weswegen die Pioniere auch Kautschukhandschuhe anziehen, und dann
sind allerhand lärmmachende Sachen, Konservenbüchsen, Glöckchen
usw. oft an die Drähte gehängt, um jede Berührung sofort
anzuzeigen. Inwieweit die Verwendung von Sprengpatronen zur Zerstörung
von Drahthindernissen beigetragen hat, konnte ich leider nicht in
Erfahrung bringen. Bei den Drahthindernissen, die ich sah, war der
Zugang stets durch Drahtscherenausschnitt erzwungen worden. Wird der
Sturm angesetzt, so gehen die Truppen in tiefem Schweigen aus dem
Graben in der Richtung auf die durch die Pioniere vorbereiteten
Gassen im Hindernis vor. Nochmals erweitern die Pioniere rasch die
Durchgänge, und dann werfen sich die Stürmenden in geschlossener
Masse auf den Gegner. Da diese Stürme ausnahmslos bei Nacht oder im
Morgengrauen ausgeführt werden, so entscheiden Bajonett und Kolben
im Kampfe Mann gegen Mann.
Das ist in kurzen Zügen der Krieg, wie ihn unsere tapferen Truppen
zurzeit auf dem größten Teile des westlichen Kriegsschauplatzes zu
führen haben, Ein hartes, unsäglich mühevolles Ringen. Zoll für
Zoll des Bodens, vor allem in den schluchtenreichen Dickichten des
Argonnenwaldes, muß dem Gegner entrissen werden. Doch ob in offener
Feldschlacht oder ob maulwurfsgleich sich in der Erde vorwärts wühlend,
der eiserne Wille zum Siege überwindet alle Schwierigkeiten, und
gegen diese hartnäckig durchgeführte Offensive unserer tapferen
Truppen helfen dem Gegner auch seine kunstvollsten Bauten nicht. Er
muß zurück.
Walter
Oertel,
Kriegsberichterstatter. |