Der Weltkrieg am 1. November 1914

DEUTSCHER HEERESBERICHT - ÖSTERREICHISCHER HEERESBERICHT - TÜRKISCHER HEERESBERICHT

 

 Der deutsche Heeresbericht:

Deutsches Vordringen bei Ypern

Großes Hauptquartier, 1. November, vormittags.
In Belgien werden die Operationen durch Überschwemmungen erschwert, die am Yser-Yper-Kanal durch Zerstörung von Schleusen bei Nieuport herbeigeführt sind. Bei Ypern sind unsere Truppen weiter vorgedrungen; es wurden mindestens 600 Gefangene gemacht und einige Geschütze der Engländer erbeutet. Auch die westlich von Lille kämpfenden Truppen sind vorwärts gekommen.
Die Zahl der bei Veilly gemachten Gefangenen erhöhte sich auf etwa 1500. In der Gegend von Verdun und Toul fanden nur kleinere Kämpfe statt.
Im Nordosten standen unsere Truppen auch gestern noch im unentschiedenen Kampfe mit den Russen.
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Vom belgischen Kriegsschauplatz

London. 1. November. (Priv.-Tel.)
Der Korrespondent der "Daily Mail" berichtet, daß die Kämpfe nördlich von Lille mit verzweifelter Erbitterung zwischen Engländern und Bayern ausgefochten würden. Mehrere Tage hätten die Engländer gegen eine bedeutende Übermacht gestanden und unter dem bayerischen Artilleriefeuer, das in den Schützengräben Verheerungen anrichtete, gelitten. Sie hätten andauernd die Stellungen wechselseitig gestürmt und wieder verlassen; auch zwischen La Bassee und Bethune kam es zu erbitterten Kämpfen. Die großen deutschen Geschütze, die die Entfernungen genau abgeschätzt hätten, hätten furchtbare Verheerungen angerichtet.
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Die Kathedrale von Reims

Rom, 1. November. (Priv.-Tel.)
Heute Morgen überreichte der preußische Gesandte beim Vatikan im Auftrage des Reichskanzlers dem Kardinalstaatssekretär eine formelle schriftliche Protestnote, weil die französische Heeresleitung aufs neue vor der Kathedrale von Reims eine Batterie und auf dem Turm einen Beobachtungsposten aufgestellt hat. Die Note verwahrt sich dagegen, daß, falls die Kathedrale beschädigt werde, Deutschland verantwortlich gemacht werde, wie die Franzosen es schon einmal heuchlerisch versuchten. Die Note ist dem Papst bereits mitgeteilt worden.
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Die Lage des belgischen Heeres

Rom, 1. November. (Priv.-Tel.)
Der belgische Kriegsminister schilderte einem Berichterstatter der "Tribuna" die Lage des belgischen Heeres als trostlos. Es seien noch 105 000 bis 110 000 Mann geblieben, die aber erschöpft und desorganisiert seien. Die Festungstruppen seien nach Calais gesandt, die anderen nach Frankreich. Die belgischen Rekruten werden in der Normandie ausgebildet.

 

Der österreichisch-ungarische Heeresbericht:

Die Kämpfe im Osten

Wien, 1. November. (W. B.)
Amtlich wird verlautbart:
1. November mittags: In Russisch-Polen entwickeln sich neue Kämpfe. Angriffe auf unsere Stellungen wurden zurückgeschlagen und ein feindliches Detachement zersprengt.
Die mehrtägige, erbitterte Schlacht im Raume nordöstlich Turka und südlich Stary Sambor führte gestern zu einem vollständigen Sieg unserer Waffen. Der hier vorgebrochene Feind, zwei Infanteriedivisionen und eine Schützenbrigade, wurde aus allen seinen Stellungen geworfen.
Czernowitz wird von unseren Truppen behauptet. Das namentlich gegen die Residenz des griechisch-orientalischen Erzbischofs gerichtete Artilleriefeuer der Russen blieb ohne nennenswerte Wirkung.

Potiorek,
Feldzeugmeister.
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Die Russen in der Bukowina

Budapest, 1. November. (Priv.-Tel.)
Über die Kämpfe in der Umgebung von Czernowitz in den letzten Oktobertagen liegen jetzt eingehende Berichte vor. Um die verloren gegangenen Gebiete in der Bukowina wiederzugewinnen, erfolgten von den Russen östlich von Czernowitz in der Richtung der Gemeinde Mahala und südlich davon stärkere Truppenkonzentrationen in verschanzten Stellungen. Der allgemeine Angriff begann am 27. Oktober, doch konnten die Russen trotz heftigster Kämpfe keinen Erfolg erzielen. Der Führer der östlich von Czernowitz etwa in einer Entfernung von 18 bis 20 Kilometer stehenden russischen Truppen forderte den Kommandanten von Czernowitz, Oberst Eduard Fischer zur Übergabe der Stadt auf, was dieser rundweg ablehnte, worauf das Bombardement von Czernowitz begann. Etwa 30 Geschosse erreichten Czernowitz, wobei jedoch nur vereinzelte Häuser Schaden erlitten. Am 30. Oktober wurde die Beschießung von Czernowitz erneuert und mehrere hundert Schüsse auf die Stadt abgegeben, ohne jedoch auch diesmal größere Verwüstungen anzurichten. Nördlich und nordöstlich von Czernowitz haben in den letzten Tagen gleichfalls erbitterte Kämpfe stattgefunden, welche mit dem Zurückweichen der Russen endeten. Die Rückzugskämpfe der Russen ziehen sich in die Gegend von Kolomea. Das Serethtal ist von den Russen gesäubert.

Wien, 1. November. (W. B.) (Meldung des Wiener Korr.- Bur.)
Wie erst jetzt bekannt wird, haben die Russen in den von ihnen besetzt gewesenen Teilen der Bukowina arg gehaust. Zahlreiche Meierhöfe und sonstige Gebäude wurden niedergebrannt, viele Wohnungen geplündert und Passanten auf der Straße von Kosaken beraubt. Vom Lande werden mehrfach grundlose Hinrichtungen und andere Gewaltakte gemeldet. In Czernowitz führten die Russen unter Nichtachtung des Roten Kreuzes Sanitätsoffiziere und Inspektionsbeamte zum Teil mit Ketten gefesselt als Kriegsgefangene ab. Insbesondere auch die Rumänen in der Bukowina hatten vielfach zu leiden. Die ausschließlich von Rumänen bewohnte Gemeinde Maidom bei Storozynets ist in geradezu vandalischer Weise zerstört worden und völlig niedergebrannt und ausgeplündert. Viele Einwohner haben ihr gesamtes Hab und Gut verloren und sind davongejagt worden. Das Schloß des rumänischen Schriftstellers Ritter Wolezynski in Budenitz wurde unter der Führung eines Offiziers geplündert. Auf dem Gutshofe des rumänischen Grundbesitzers Janosz in Panka wurde bestialisch gehaust. Alle Gebäude wurden niedergebrannt und die Vorräte geplündert, wodurch ein Schaden von mehreren hunderttausend Kronen angerichtet wurde . Die Gemeinde Roposo, in der auch sonst arge Gewalttaten vorkamen, wurde geplündert Der Bürgermeister, ein Rumäne, entging nur mit knapper Not durch das Eingreifen unserer zufällig ankommenden Patrouillen dem sicheren Tode. Auch die Gemeinde Kuszurwars wurde geplündert. Ähnliche Meldungen gehen noch ständig in großer Zahl ein.
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Von unserer kühnen Flotte

Amsterdam, 1. November. (Priv.-Tel )
Ein Reutertelegramm meldet aus London: Ein deutsches Unterseeboot hat heute im Kanal den alten Kreuzer "Hermes", der von Dünkirchen zurück kam, durch einen Torpedo in den Grund gebohrt. Beinahe alle Offiziere und Matrosen sind gerettet.
Der "Hermes" ist 1896 gebaut, hat 5700 Tonnen Wasser-Verdrängung und eine Fahrgeschwindigkeit von 19 bis 20 Knoten. Er hatte elf 15 Zentimeter-, acht 7,5 Zentimeter- und 4,5 Zentimeter-Kanonen an Bord.
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Die Aktion im Schwarzen Meere

Mailand, 1. November. (Priv.-Tel.)
Die "Agence Havas" meldet über Bordeaux aus Petersburg: Es wird bestätigt, daß der dreifache Angriff im Schwarzen Meer von den deutschen Kreuzern "Göben" und "Breslau" ausging. In ihrer Begleitung befand sich der Kreuzer "Hamidie". Alle drei wurden von vier Torpedojägern begleitet, die deutsche Offiziere an Bord hatten.

Konstantinopel, 1. November. (W. B.)
Die gefangen genommenen russischen Offiziere und Mannschaften sind mit dem gekaperten russischen Kohlendampfer am Abend nach Kawak am oberen Bosporus gebracht worden.
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Aus Persien

Konstantinopel, 1. November. (W. B.)
Nach Meldungen hier eingetroffener persischer Blätter soll Rußland seine Truppen aus Persien zurückziehen, um sie nach Polen zu schaffen, aber es verpflichte sich nicht, sie nicht mehr nach Persien zurückzusenden. Die Erregung gegen Rußland hält an. Da die Russen die Bevölkerung von Targuevar und Marguevar angriffen, so unternahmen die Bevölkerung und persische Reiter einen Gegenangriff. Etwa 100 Kosaken sollen getötet oder verwundet worden sein. Der russische Konsul in Ispahan soll infolge des Wandels der öffentlichen Meinung der Perser in eine derartige Erregung versetzt worden sein, daß er plötzlich gestorben ist. - Der bekannte persische Führer Salar ed Dauleh hat ein Abkommen mit dem Bachtiarenchef Emir Musaham geschlossen. Sie erließen einen Aufruf, in dem die Bevölkerung ihrer Stämme aufgefordert wird, das Vaterland zu retten. - Es hat sich ein Ausschuß zur Befreiung des Kaukasus von den Russen gebildet, der eifrig nach Mitgliedern fahndet. - Der Ausschuß hat einen Aufruf erlassen, in dem alle Mohammedaner im Kaukasus aufgefordert werden, sich für den bedrohten Islam zu erheben.
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Die Rüstung Italiens

Mailand, 1. November. (Priv.-Tel.)
In einem Interview mit dem "Corriere della Sera" machte Rubini interessante Angaben über das italienische Militärprogramm. Von der Kammer wurden 194 Millionen verlangt. Der Kriegsminister Grandi forderte weitere 350, Zupelli 400, so daß für das Heer allein bis zum 31. März 1915 944 Millionen aufzugeben sind. Dazu kommen 50 Millionen für die Marine, wodurch die Rüstungskredite, die der Ministerrat schon bewilligt habe, eine runde Milliarde erreichen. Rubini vertrat die Ansicht, vorläufig eine innere Anleihe aufzunehmen und sämtliche direkten Steuern um 10 Prozent zu erhöhen. Letzterer Vorschlag traf auf Widerspruch, weshalb Rubini zurückgetreten ist.
Nach einer Information der "Stampa" hängt die Lösung der Krise von Sonnino ab. Ohne Sonninos Eintritt wäre das Ministerium Salandra nicht lebensfähig. Alsdann
würde der König Sonnino selbst mit der Kabinettsbildung betrauen. Es sei auch möglich, daß Giolitti mit den hervorragendsten Persönlichkeiten ein großes Ministerium bildet.
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Das Eiserne Kreuz für Kaiser Wilhelm II.

München, 1. November. (W. B.)
Die Korrespondenz Hoffmann meldet: König Ludwig von Bayern hat, sich eins wissend mit allen deutschen Bundesfürsten, Kaiser Wilhelm gebeten, die hohe Kriegsauszeichnung des Eisernen Kreuzes erster und zweiter Klasse. die jetzt die Brust so vieler tapferer deutscher Krieger schmückt, als oberster Bundesfeldherr zur Ehre der ruhmreichen deutschen Armee anlegen zu wollen. Der Kaiser dankte darauf dem König und den Bundesfürsten durch ein Telegramm aus dem Hauptquartier. Er werde das Kreuz von Eisen tragen im Andenken an die Entschlossenheit und Tapferkeit, welche alle deutschen Stämme in unserem Kampf um Deutschlands Ehre auszeichnet. Der König hat außerdem dem deutschen Kaiser das Großkreuz des Militär-Max-Josefordens verliehen und dem Kaiser dasselbe im Hauptquartier durch den Flügeladjutanten Obersten Grafen Castell überreichen lassen.
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Der Kampf um die Feldbefestigungen

Der Berichterstatter der "Frankfurter Zeitung" im Großen Hauptquartier schrieb am 1. November 1914:

Die Kämpfe der letzten Monate haben nach den kurzen Offensivschlachten in Lothringen fast ganz die Formen des Festungskrieges angenommen. Seit Wochen liegen sich die beiden Heere in außerordentlich stark befestigten Feldstellungen gegenüber, in deren Anlage und Ausbau auch ich während meiner Anwesenheit an der Front einen gewissen Einblick erhielt. Ich möchte daher kurz schildern, nach welchen Grundsätzen eine solche Feldstellung ausgewählt, ausgebaut und bekämpft wird.
In fast allen Fällen wird man eine Feldbefestigung an hervorragende Geländepunkte, an Wasserläufe, beherrschende Höhenzüge usw. anlehnen, wobei die Linienführung stets dem Gelände angepaßt wird, so daß also keine zusammenhängende gerade Linie, sondern eine Art Gruppenbefestigung entsteht. Das Leitmotiv der ganzen Anlage ist gutes Schußfeld und der im deutschen Heere geltende Grundsatz "Wirkung geht vor Deckung" ist in allen Anlagen deutscher Truppen, die ich gesehen habe, stets einwandfrei durchgeführt worden. Die Anlage der Feldbefestigung findet in der Weise statt, daß zunächst das Gelände mit Rücksicht aus das Schußfeld erkundet und dementsprechend die Tracenführung festgelegt wird. Dann beginnt das Eingraben. Man stellt einen Schützengraben für stehende Schützen her, der gruppenweise durch Schulterwehren abgeteilt wird, indem man den bewachsenen Boden stehen läßt und den Graben um diese Traverse herumführt. Auf diese Weise wird erreicht, daß im Fall des Einschlagens einer Granate in den Graben nur diejenige Gruppe getroffen werden kann, die sich in diesem Abschnitt befindet. Der Graben an sich wird ziemlich schmal gehalten, bei weiterem Ausbau aber doch so weit vertieft, daß hinter dem Auftritt für den Schützen noch ein schmaler Gang bleibt, um sich gedeckt hinter der Schützenlinie bewegen zu können und der dem Schützen nach Heruntertreten von seinem Stande völlige Deckung gewährt. Beim Ausheben des Grabens wird ferner eine Armauflage im gewachsenen Boden vorgesehen, aus der man auch Patronen zum sofortigen Gebrauch zurechtlegen kann. Zwischen den deutschen Schützengräben und denen unserer Gegner besteht ein großer Unterschied. Wir gehen tief in die Erde und benutzen möglichst den gewachsenen Boden als Deckung, der Franzose gräbt halb in die Erde und schüttet halb auf.
In die Brustwehren werden dann auch Unterstände eingebaut, die falls der Boden nicht trägt, mit Holz und Brettern abgesteift werden und die man oben mit Brettern, Schienen usw. abdeckt und dann mit Erde beschüttet. Diese Unterstände, die mit Stroh ausgelegt werden, gewähren den Truppen, die vorn im Graben liegen müssen, einen besonders bei kalter und regnerischer Witterung verhältnismäßig behaglichen Unterschlupf. Außerdem werden sie stets splittersicher angelegt. Gegen Volltreffer schützen sie selbstverständlich nicht. Ein sehr wichtiger Punkt bei der Anlegung solcher Feldstellungen ist die Anbringungen von Wasserabzugsgräben und Latrinen, beides Maßnahmen, die im hygienischen Interesse dringend nötig sind.
Die zu dieser Vorderlinie führenden Annäherungswege werden stets ebenfalls eingegraben. Es sind tiefe, schmale Gräben, die im Zickzack geführt werden und eine ausgeschüttete Brustwehr auf der dem Gegner zugekehrten Seite besitzen. Ich habe diese einmal auch beim Gegner in der Anschlußstellung an Fort Lier in mustergültiger Ausführung gesehen.
Soweit ich in diesem Feldzuge bisher beobachten konnte, ist man bei den Feldbefestigungen in allen Heeren dem Prinzip treu geblieben, den Kampf in einer Verteidigungslinie durchzuführen, also nicht mehrere Verteidigungslinien von vornherein hintereinander zu schachteln. Das hat damit nichts zu tun, daß man in einem so durchschnittenen Gelände, wie der Argonnenwald es beispielsweise ist, sich nach Wegnahme eines Abschnittes hinter dem nächsten von neuem Widerstand leistet. Scheinstellungen leisten gute Dienste. Sie können bei richtiger Anlage sehr Gutes wirken, um das feindliche Artilleriefeuer dorthin zu ziehen. Sobald der Infanterieangriff angesetzt ist, erkennt der Angreifer sehr rasch an dem schwachen Feuer, daß er hier nur eine Scheinstellung vor sich hat. Besondere Feldwege in einer reinen Feldstellung habe ich nirgends gesehen. Angesichts der enormen Wirkung der schweren Batterien vermeidet man es überhaupt, diesen durch Anhäufung ein gutes Ziel zu bieten.
Die Verteidigung der vordersten Linie einer Feldstellung, erfolgt durch Infanterie und Maschinengewehre. Die Stahlschilde an Maschinengewehren haben sich gut bewährt, ich habe selbst belgische Maschinengewehre mit Stahlschilden gesehen, die zahlreiche Treffer auswiesen, aber trotzdem gebrauchsfähig blieben und ihre Bedienung schützten. Als Hindernis wurde bei Feldstellungen fast immer das Drahthindernis verwendet, das in einer Breite zwischen sechs und zehn Metern in einer Entfernung von meist 30 bis 40 Meter vor die Befestigung vorgeschoben wird. Bei Franzosen und Belgiern sah ich in Einzelfällen Astverhaue und spanische Reiter angewendet. Der Angriff gegen eine derartig mit allen Schikanen ausgebaute Feldstellung ist oftmals nur mit Hilfe der Gegenbefestigung möglich. Nachdem durch Erkundungspatrouillen genau festgestellt ist, wo man die Gegenlinie führen will, gehen unter dem Schutz einer Schützenlinie in dunkler Nacht lautlos Arbeiterkolonnen vor. Oftmals wird man die letzte Strecke auch kriechend zurücklegen müssen. Arbeitet der Verteidiger mit Scheinwerfer, so bleibt während des Ableuchtens alles bewegungslos. Sobald man in der ausgewählten, durch Band, Papierstreifen oder mit Gips bezeichneten Linie angelangt ist, beginnt das Eingraben, und dann wird allmählich die Gegenstellung ausgebaut, die dann ebenfalls durch Annäherungswege nach rückwärts gesichert wird. Von dieser Stellung aus gräbt man sich dann mit regelrechter Laufgrabenführung unter Benutzung von Sandsäcken und Stahlschilden. von denen wir übrigens eine sehr große Anzahl in den belgischen Forts gefunden haben, bis auf Sturmstellung heran. Je näher man kommt, desto gefährlicher wird die Sache, denn die Franzosen haben stets eine Anzahl ausgesuchter Schützen auf Baumkronen und Kanzeln sitzen, wie jetzt vor allem im Argonnenwalde, so daß man auch Deckung nach oben haben muß.
Dann muß das Hindernis zerstört werden. Die Drahthindernisse werden entweder durch Artillerie oder mittels der Drahtscheren entfernt. Pioniere kriechen vor und schneiden mit Drahtscheren eine Gasse in die Drähte. Es ist dies ein außerordentlich gefährliches Wagnis, denn erstens sind die Drähte bisweilen elektrisch geladen, weswegen die Pioniere auch Kautschukhandschuhe anziehen, und dann sind allerhand lärmmachende Sachen, Konservenbüchsen, Glöckchen usw. oft an die Drähte gehängt, um jede Berührung sofort anzuzeigen. Inwieweit die Verwendung von Sprengpatronen zur Zerstörung von Drahthindernissen beigetragen hat, konnte ich leider nicht in Erfahrung bringen. Bei den Drahthindernissen, die ich sah, war der Zugang stets durch Drahtscherenausschnitt erzwungen worden. Wird der Sturm angesetzt, so gehen die Truppen in tiefem Schweigen aus dem Graben in der Richtung auf die durch die Pioniere vorbereiteten Gassen im Hindernis vor. Nochmals erweitern die Pioniere rasch die Durchgänge, und dann werfen sich die Stürmenden in geschlossener Masse auf den Gegner. Da diese Stürme ausnahmslos bei Nacht oder im Morgengrauen ausgeführt werden, so entscheiden Bajonett und Kolben im Kampfe Mann gegen Mann.
Das ist in kurzen Zügen der Krieg, wie ihn unsere tapferen Truppen zurzeit auf dem größten Teile des westlichen Kriegsschauplatzes zu führen haben, Ein hartes, unsäglich mühevolles Ringen. Zoll für Zoll des Bodens, vor allem in den schluchtenreichen Dickichten des Argonnenwaldes, muß dem Gegner entrissen werden. Doch ob in offener Feldschlacht oder ob maulwurfsgleich sich in der Erde vorwärts wühlend, der eiserne Wille zum Siege überwindet alle Schwierigkeiten, und gegen diese hartnäckig durchgeführte Offensive unserer tapferen Truppen helfen dem Gegner auch seine kunstvollsten Bauten nicht. Er muß zurück.

Walter Oertel,
 Kriegsberichterstatter.

 

Der 1. Weltkrieg im November 1914

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Textquellen:
1) Amtliche Kriegs-Depeschen nach Berichten des Wolff´schen Telegr.-Bureaus  
Band 1
Nationaler Verlag, Berlin (1915)

2) "Frankfurter Zeitung" (1914)

 

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