Der Weltkrieg am 19. November 1914

ÖSTERREICHISCHER HEERESBERICHT - TÜRKISCHER HEERESBERICHT

Generalquartiermeister v. Voigts-Rhetz tot

Generalmajor v. Voigts-Rhetz
Generalmajor v. Voigts-Rhetz

Großes Hauptquartier, 19. November. (W. B.)
Generalquartiermeister Generalmajor v. Voigts-Rhetz ist in der Nacht vom 18. zum 19. November unerwartet einem Herzschlag erlegen. Sein Nachfolger ist noch nicht bestimmt.
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Hindenburgs Zuversicht

Wien, 19. November. (W. B.)
Der Berliner Korrespondent der "Neuen Freien Presse" Paul Goldmann, berichtet ausführlich über seinen Besuch bei dem Generalobersten v. Hindenburg und gibt eine charakteristische Schilderung des Armeeführers und seines Stabes, besonders des Generals Ludendorff und des Oberstleutnants Hoffmann. Er gibt u. a. Äußerungen Hindenburgs bei einer zwanglosen Unterhaltung an der Abendtafel wieder. Auf die Frage nach seinen Erfahrungen bei dem Zusammenwirken mit der österreichisch-ungarischen Armee sagte Hindenburg: "Die Österreicher und Ungarn sind ausgezeichnete Soldaten; Mannschaften und Offiziere sind mutig und tapfer. Wir kämpfen Schulter an Schulter und setzen in den Fortgang dieser gemeinsamen Kämpfe die besten Hoffnungen. Wir schätzen die Österreicher und Ungarn als vortreffliche Kameraden. Der Verkehr zwischen den Oberkommandos der verbündeten Armeen vollzieht sich in den angenehmsten Formen. Gegenwärtig stehen wir namentlich in regen Beziehungen mit General Dankl, dem Führer der ersten Armee, mit der wir Fühlung haben." Über die Russen sagte Hindenburg im wesentlichen folgendes: "Die Russen sind gute Soldaten, sie halten Disziplin und Disziplin entscheidet schließlich den Feldzug. Aber die russische Disziplin ist etwas anders als die deutsche und österreichisch-ungarische Disziplin. In unseren Heeren ist sie das Resultat des Geistes und der Moral, im russischen Heere mehr stummer und stumpfer Gehorsam. Die Russen haben viel seit ihrem Krieg mit Japan gelernt. Ihre Stärke sind die Feldbefestigungen; sie verstehen glänzend, sich einzugraben. Nur wird es mit dem Eingraben bald ein Ende haben, wenn die Erde hart friert. Das ist einer der Vorteile, die uns ein Winterfeldzug gegen die Russen bringt. Wenn sie nicht mehr in der Erde kriechen können, wird es den Russen schlecht gehen. Vor der russischen Übermacht fürchten wir uns garnicht. Die Übermacht gehört nun einmal zu den Russen, sie ist ihre hauptsächlichste Waffe. Bei Tannenberg waren sie uns dreifach überlegen; man sah, was es ihnen nutzte! Auch die Überzahl ist nicht entscheidend; im gegenwärtigen Stadium des Krieges noch weniger als bisher. Die Russen werden uns nicht "niederwalzen", im Gegenteil: die Russen sind mürbe. Alle Anzeichen deuten darauf hin, daß sie bald fertig sind. An Waffen und Munition beginnt es ihnen zu fehlen, auch hungern sie; selbst die Offiziere ermangeln der Nahrung. Auch das Land leidet Not. Lodz hungert. Das ist bedauerlich, doch es ist gut so. Mit Sentimentalität kann man keinen Krieg führen. Je unbarmherziger die Kriegführung ist, um so barmherziger ist sie in Wirklichkeit, denn umso eher bringt sie den Krieg zu Ende. Man merkt es auch an der Art, wie die russischen Truppen sich schlagen, daß sie bald nicht mehr weiter können. Der Krieg mit Rußland ist gegenwärtig vor allem eine Nervenfrage. Wenn Deutschland und Österreich-Ungarn die stärkeren Nerven haben und durchhalten werden - und sie werden sie haben und werden durchhalten! - so werden wir siegen!"

 

Der österreichisch-ungarische Heeresbericht:

Die Schlacht in Russisch-Polen

Wien, 19. November.
Amtlich wird verlautbart:
Die Schlacht in Russisch-Polen nimmt einen günstigen Fortgang. Nach den bisherigen Meldungen machten unsere Truppen 7000 Gefangene und erbeuteten 18 Maschinengewehre und auch mehrere Geschütze.

  Der Stellvertreter des Chefs des Generalstabes.
v. Hoefer, Generalmajor.
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Die Reise des Grafen Tisza

Wien, 19. November. (Priv.-Tel.)
Der ungarische Ministerpräsident Graf Tisza, welcher heute vom Kaiser in längerer Audienz empfangen wurde und mit dem Grafen Berchtold und Grafen Stürghk konferiert, hat sich heute Abend über Berlin ins deutsche Hauptquartier begeben. Wie ein offizielles Communique besagt, trat in der Konferenz der schon wiederholt erörterte und von der deutschen Regierung sympathisch aufgenommene Gedanke neuerlich in den Vordergrund, das bestehende volle Einvernehmen zwischen Deutschland und Österreich-Ungarn durch mündliche Aussprache zu bekräftigen. Auf Anregung und Wunsch der Konferenz hat sich Graf Tisza ins deutsche Hauptquartier begeben.
Berlin, 19. November. (Priv.-Tel.)
Der ungarische Ministerpräsident Graf Tisza ist heute Vormittag aus Wien hier eingetroffen und wird voraussichtlich schon heute Abend in das Große Hauptquartier weiterreisen.

 

 Der türkische Heeresbericht:

Türkische Erfolge gegen die Russen

Konstantinopel, 19. November. (W. B )
Amtlicher Bericht des Hauptquartiers:
Seit zwei Tagen greift unser Heer mit Macht das russische Heer an, das seine Stellung in der Linie Azab-Zazak-Khahab in der Umgebung der Grenze eingenommen hat. Mit der Hilfe Gottes eroberte unser Heer durch einen Bajonettangriff die Höhen in der Umgebung von Azab, die der Feind außerordentlich stark befestigt hatte. Der Kampf, der heftig ist, nimmt für uns einen sehr günstigen Verlauf.
Unsere in der Richtung auf Batum vorrückenden Truppen brachten dem Feinde eine weitere große Niederlage bei und besetzten die Stellungen von Zavotlar und Koura. Sie erbeuteten bei Zavotlar eine russische Fahne, machten sechs Offiziere, darunter einen Oberstleutnant und einen Hauptmann von den Kosaken sowie mehr als hundert Soldaten zu Gefangenen und eroberten vier Kanonen, ein Automobil, eine Menge Pferde und viel Lebensmittel. Die russischen Verluste sind groß. Der Rest rettete sich in ordnungsloser Flucht in der Richtung auf Batum.
Unsere Truppen, die in Aserbeidschan vorrückten, hatten am 16. November ein Gefecht mit einer starken russischen Abteilung in der Nähe von Salmas. Die Russen wurden geschlagen und verloren an Toten zwei Offiziere und hundert Mann.
Die Häupter der persischen Stämme, die bis jetzt zu den Russen gehalten haben, haben sich samt ihren Stämmen mit unseren Truppen vereinigt.
In den Kämpfen bei Köpriköi nahmen die türkischen Truppen den geschlagenen Russen außer den bereits gemeldeten noch fünf Maschinengewehre ab.

Konstantinopel, 19. November. (W. B.)
Das türkische Hauptquartier meldet:
Unsere Flotte, die ausgelaufen war, um nach der russischen Schwarze-Meer-Flotte, welche Trapezunt beschossen hatte, zu suchen, traf diese auf der Höhe von Sebastopol. Die feindliche Flotte bestand aus zwei Schlachtschiffen und Hilfskreuzern. In dem Kampfe, der sich entwickelte, wurde ein russisches Schlachtschiff ernstlich beschädigt; die übrigen russischen Schiffe ergriffen, von unseren Kriegsschiffen verfolgt, die Flucht in der Richtung auf Sebastopol.
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Der bisherige Verlauf des Krieges im Orient

Konstantinopel, 19. November. (Priv.-Tel)
Die bisherigen militärischen Operationen im kaukasischen Kampfgebiete ergeben folgendes Gesamtbild: Bevor noch die Kriegserklärung erfolgt war, unternahmen die Russen einen Handstreich auf die türkische Kaukasus-Grenze. Wenn der Handstreich vollständig gelungen wäre, so daß die Russen durch Überraschung bis nach Erzerum vorgedrungen wären, so hätten sie sich zwei Vorteile gesichert: einerseits wäre es für sie von politischer Bedeutung gewesen, durch ein rasches Vorgehen die mohammedanische Bevölkerung ihrer eigenen kaukasischen Gebiete einzuschüchtern; andererseits wäre der militärische Vorteil unabsehbar gewesen, weil durch eine sofortige Besetzung Erzerums die türkische Armee, bevor sie Zeit zur Konzentrierung gefunden hätte, schon geschlagen gewesen wäre. Auch hätten sich die besten türkischen Regimenter, vor denen sich die Russen besonders fürchten, vor die Unmöglichkeit eines wirksamen Vorgehens gestellt gesehen. Die Ereignisse haben aber die Pläne der russischen Heeresleitung gründlich zerstört. Die russischen Kolonnen, die sich in einem Atemzuge bis nach Köpriköi und sogar westlich darüber hinaus vorwagten, haben sich an den festen türkischen Stellungen blutige Köpfe geholt.
Nach dieser ersten, für die Russen anscheinend ganz unerwarteten Enttäuschung gingen sie zu einer sogenannten "wissenschaftlich-strategischen" Bewegung über. Die türkische Armee versäumte aber nicht einen Augenblick und ging sofort zu einem nachdrücklichen Offensivstoß über. Seit mehr als zwei Jahrhunderten ist zum ersten Male die türkische Armee aus ihrer Defensiv-Taktik herausgetreten. Das Ergebnis war, daß sich die Russen unter außerordentlich hohen Verlusten ostwärts hinter Köpriköi zurückziehen mußten. Die Besetzung des Hügels 1905 erfolgte nach einem furchtbar erbitterten Bajonettangriff der Türken, der in mancher Hinsicht an die Schlacht am Schipka-Paß erinnerte. Die türkische Armee leitete dann eine Umgehung ein, um dem Gegner eine entscheidende Niederlage zu bereiten. Starker Schneefall und dichter Nebel beeinträchtigten zwar den Erfolg dieses Unternehmens, doch erreichten die türkischen Bewegungen, daß die Russen nach zweitägigen energischen Angriffen sich aufgelöst in der Richtung auf Kars zurückziehen mußten.
Bei Lasistan, dem Küstengebiet am Schwarzen Meer, und vom Wilajet Wan aus rückten die türkischen Truppen über die Grenzen vor und drangen einerseits ins russische Gebiet von Transkaukasien ein, wo sie in der Richtung auf Batum operieren, anderseits in die von russischen Truppen besetzte persische Provinz Aserbeidschan. An beiden Stellen ist es bereits zu Kämpfen gekommen.

 

Der Feldzug gegen Ägypten

Damaskus, 19. November. (Priv.-Tel.)
Die Vorbereitungen für die Mobilisation der hiesigen Truppen sind jetzt vollständig durchgeführt. Sie kann als durchaus gelungen bezeichnet werden, obwohl sich ihr mannigfache Schwierigkeiten entgegenstellen. Es braucht nur auf eine Tatsache hingewiesen zu werden, daß die türkische Armee einen Wüstenmarsch von etwa drei Wochen vor sich hat und daß schon für die Nachfuhr von Wasser für so große Truppenkörper etwa 12000 Kamele requiriert werden mußten. Auch der Transport des Artillerie-Parks durch das sandige Gelände erforderte besondere Vorbereitungen. Hier in Damaskus wird demnächst der noch in Konstantinopel weilende Khediv von Ägypten, Abbas Hilmi Pascha, erwartet. Er wird mit mehreren Prinzen seiner Familie die türkische Armee auf ihrem Vormarsche nach dem Suezkanal begleiten.

Konstantinopel, 19. November. (W. B.)
Aus zuverlässiger Quelle erfährt der Privatkorrespondent des Wolffschen Bureaus, daß infolge des Vordringens der Beduinen in Ägypten die Zivilbehörden von Suez, Port Said und Ismailieh eiligst nach Zagazig verlegt worden sind. Die Verwaltung des Suez-Kanals hat das Militär übernommen.
Die Regierungsschulen in Zagazig sind geschlossen, die Schüler entlassen und die Gebäude in Militärhospitäler umgewandelt worden. Ein englischer Versuch, eine Spaltung unter den ägyptischen Notabeln und der Familie des Vizekönigs herbeizuführen, ist mißlungen. Hussein Kiamil ist von dem Polizei-Kommandanten Mamura nach Kairo gebeten worden, wo ihm der Zivilgouverneur Cheetham den höchsten Posten anbot Der Prinz lehnte entschieden ab. Diese Ablehnung ruft in ganz Ägypten große Genugtuung hervor. Es bestätigt sich, daß die männlichen Mitglieder der deutschen und der österreichischen Botschaft in der zweiten Novemberwoche, rücksichtslos in Eisenbahnwagen gepfercht, nach Alexandrien geschafft und dann nach Malta verschifft wurden.

 

Die Kämpfe in Ostafrika

London, 19. November. (Priv.-Tel.) 
Über die Kämpfe in Ostafrika teilte Lord Cresse im Unterhause mit, daß bei dem Beginn des Feldzuges die Lage der Engländer wenig sicher gewesen sei, da die Deutschen bedeutende Verstärkungen gehabt hätten. Darauf holten die Engländer aus Indien Verstärkungen. Diese nahmen bisher an sieben Gefechten teil und verloren 900 Mann. Jetzt sei die Lage der Engländer sehr gebessert, so daß sie bald die Offensive ergreifen würden.

 

Ein serbisches Blaubuch

Die "Agence Havas" meldet aus Nisch: 
Die serbische Regierung veröffentlicht ein Blaubuch, das die diplomatischen Aktenstücke über die Beziehungen zwischen Serbien und Österreich-Ungarn seit dem Attentat von Sarajewo bis zur Kriegserklärung enthält.

 

Der 1. Weltkrieg im November 1914

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Textquellen:
1) Amtliche Kriegs-Depeschen nach Berichten des Wolff´schen Telegr.-Bureaus  
Band 1
Nationaler Verlag, Berlin (1915)

2) "Frankfurter Zeitung" (1914)

 

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