Der Luftkrieg
gegen England
Die "Frankfurter
Zeitung" schreibt: Einst galt der Satz, daß England für Feinde
unerreichbar sei. Er schien das Ergebnis geschichtlicher Tatsachen zu sein, und
Philipp II. wie der erste Napoleon hatten vor diesen harten Tatsachen
zurückweichen müssen. Die große Insel war von den Wogen des Meeres und den auf
ihm schwimmenden stahlgepanzerten Schiffen, so sagten die Engländer gelbst, aber
auch die Festlandsbewohner, besser und sicherer geschützt als durch
Festungswälle und ein Millionenheer, und mit großem Eifer war England bis vor
etwa einem Jahrzehnt darauf bedacht, seine Eigenschaft als Insel rein und
ungemindert aufrecht zu erhalten, und alle Bestrebungen, unter dem Kanal
hindurch einen Tunnel für einen trockenen Verkehrsweg zu bauen, scheiterten an
der vollkommen sinnlosen Besorgnis, das Land könne dadurch einem feindlichen
Einfall der Franzosen geöffnet werden. Erst in der letzten Zeit hat sich die
Meinung hierüber, teilweise wohl infolge des politischen Stellungswechsels
gegenüber Frankreich, geändert; vielleicht werden die Erfahrungen dieses Krieges
mit dazu beitragen, diese Meinungsänderung noch zu beschleunigen. Denn England
muß erfahren, daß sein Inseldasein seine Bewohner keineswegs vor feindlichen
Angriffen sichert, daß es sich nicht mehr damit begnügen kann, die Regie der
festländischen Kriege zu übernehmen, sondern sich seiner Haut wehren muß wie
jede andere Nation. Der Besuch der deutschen Luftschiffe in England, der wohl
nur eine Vorbereitung für größere Unternehmungen sein sollte, macht den Briten
klar, daß für ihre Insel das Gefühl der Unnahbarkeit aufgehört hat, berechtigt
zu sein. Freilich hatte schon die Beschießung von Hartlepool und Searborough
dieses Gefühl stark erschüttert, aber der Admiralität freundliche Blätter
versicherten, es sei eigentlich nur ein Zufall gewesen, daß die englische Flotte
nicht da war, um die deutschen Schiffe von der Küste von Yorkshire fernzuhalten.
Das Erscheinen eines Teils der deutschen Luftflotte wird niemand mehr als Zufall
ansehen können, und England hat ja auch bereits gegen einen Angriff aus der Luft
Vorbereitungen getroffen. Wieweit diese zur Abwehr und zum Schutze genügen, das
zu sehen, werden vermutlich die nächsten Wochen und Monate genug Gelegenheit
geben. Aber mag der Schaden, den die Luftangriffe der militärischen Macht
Englands zufügen, groß oder gering sein. Soviel wird er den Engländern unter
allen Umständen begreiflich machen, daß heute England von den Kriegen, in die es
eingreift, nicht nur die Ergebnisse benimmt, sondern auch ihre Leiden
mitzutragen hat. England war es gewohnt, an Kriegen aus dem Festlande sich mit
kleinen Teilen seines Heeres oder auch nur mit Geld zu beteiligen. Selbst bei
Waterloo befanden sich unter den 120000 Mann des Heeres der Verbündeten nur
24000 Briten. Und doch nimmt England den Ruhm dieses Sieges, der es von seinem
gefährlichsten Gegner befreite, fast allein für sich in Anspruch. Kein Wunder,
wenn aus diesem Gefühl heraus, daß Kriege für England nicht viel Schlimmeres
sind als eine mehr oder weniger stark empfundene Unbequemlichkeit, eine Politik
erwuchs, die in dem blutigen Ringen der Staaten eine Art Rechenexempel
erblickte. Kalt und gefühllos rechnete man, und je nach dem Ergebnis dieser
Rechnung beteiligte man sich am Kriege oder nicht Auch diesen Krieg hat Grey wie
ein Rechenexempel behandelt. England werde, wenn es an ihm teilnehme, nicht viel
mehr zu leiden haben, als wenn es fernbleibe; damit erleichterte er dem
Parlament den Entschluß zum Kriege. Das war der Standpunkt des richtigen
Insulaners, der meinte, daß das unnahbare Britannien durch seine gewaltige
Flotte den Krieg leicht beendigen könne, ehe ein Feind es wagen könne, sich
seiner Küste zu nähern. Es wäre reizvoll zu erfahren, wie Sir Edward Grey und
die übrigen Mitglieder der Regierung heute diesen Krieg ansehen. Wie hoch sich
der Schaden beläuft, den Britannien an seinen Gütern bereits erlitten hat und
noch erleiden wird, das wird man erst übersehen können, wenn der Krieg zu Ende
ist. Daß aber Englands Bevölkerung jetzt schon ernstlich unter den Wirkungen des
Krieges leidet, daß es Aufwendungen hat machen müssen, wie noch in keinem seiner
früheren Kriege, und daß seine Verluste an toten und verwundeten Offizieren und
Mannschaften weit über hunderttausend hinausgehen, das weiß man trotz aller
Beschönigengen jetzt auch in England. Auch die Presse, die diesen Krieg gewollt
hat, steht ihn jetzt sehr ernst an, umso mehr, da sie wohl erkannt, daß das
größte Opfer von England erst noch gebracht werden muß. Der Trost, mit dem man
sich und die Bevölkerung über das Verzweifelte der Lage hinwegzutäuschen sucht,
ist der, daß man schließlich doch siegen und dann sich für alle Lasten
entschädigen werde. Von den neuen Heeren, die England ins Feld stellen will,
erwartet man diese wundersame Wendung des Geschickes Aber diese Heere, deren
Ziffern natürlich sorgfältig geheim gehalten werden, werden nur einen Bruchteil
ausmachen, was Deutschland noch als Reserven ins Feld stellen kann. Aber je mehr
Soldaten England in die Kampflinie schickt, um so stärker werden die Opfer
werden, die es bringt, und so schmerzvoller werden die Engländer den groben
Betrug empfinden, durch den eine gewissenlose Regierung das Land in diesen Krieg
gestürzt hat. Wenn vollends der Plan durchgeführt wird, die englischen Häfen
durch eine Flotte deutscher Unterseeboote zu blockieren und dem Lande die
Lebensmittelzufuhr abzuschneiden, dann wird der insulare Charakter Englands sich
gerade in das Gegenteil dessen wandeln, was er bisher war er wird nicht ein
Schutz, sondern eine lebensgefährliche Blöße sein. Deutschland kann dem
weiteren Gang des Krieges, den England uns erklärt hat, nicht nur mit voller
Ruhe, sondern siegesgewiß entgegensehen. Schon redet man drüben auf der Insel
davon, daß man die allgemeine Wehrpflicht einführen müsse, um die dem Lande
drohenden Gefahren abzuwehren. Mag man das nun tun oder nicht, wir können es
kühl abwarten. Wenn man die Wehrpflicht einführte, so würde das für den jetzigen
Krieg kaum noch etwas ausmachen. Aber es würde dem britischen Volke etwas mehr
Verständnis für die Opfer beibringen, welche die Verteidigung des Vaterlandes
erfordert und es würde auch in der Regierung mehr Verständnis für die Gefahren
eines Krieges und die furchtbare Verantwortung erzeugen, die ein Entschluß zum
Kriege in sich schließt. Je mehr England auch in dieser Einsicht seine
Eigenschaft als Insel verliert, desto stärker werden die Engländer und ihre
Regierung empfinden, was Kriege bedeuten, und um so besser wird es um den
Frieden der Menschheit stehen. |