Eine
Unterredung mit Jagow und Bethmann Hollweg

Bethmann
Hollweg |

v.
Jagow |
Bern, 6. Februar.
(Priv.-Tel.)
Der Mitarbeiter des Berner "Bund", Hermann Stegemann, hat
während seinem Aufenthaltes in Berlin unter anderem Unterredungen mit dem
Reichskanzler und dem Staatssekretär von Jagow gehabt und berichtet darüber
im Berner "Bund":
"Nach einer Reise, die mir tiefste, unmittelbarste Eindrücke
gebracht hat, wurde ich heute vom Staatssekretär des Äußern Herrn v.
Jagow empfangen. Der Staatssekretär äußerte sich auf das liebenswürdigste
über die deutsch-schweizerischen Beziehungen und ermächtigte mich, seine
Erklärungen der Öffentlichkeit mitzuteilen. Wie er sagte, hat die streng
neutrale Haltung der Schweiz in Deutschland den günstigsten Eindruck
gemacht. Die Schweiz hält diese Haltung, welche sie schon vor dem Kriege
betätigte, unter den schwierigsten Umständen klug und tatkräftig
aufrecht. Man wird dem schweizerischen Bundesrat die höchste Anerkennung
zollen müssen, daß er es verstanden hat, die Lebensinteressen der
Schweiz mit diesem Standpunkt zu vereinigen. Die deutsche Regierung ist
wie das deutsche Volk von freundschaftlichen Gefühlen für dieses Land
erfüllt. Wir haben an einer neutralen, selbständigen, wehrhaften Schweiz
ein sehr lebhaftes Interesse. Wir sind auch gewillt, die Beziehungen in
diesen schweren Zeiten tunlichst zu pflegen, besonders auch auf
wirtschaftlichem Gebiete. Naturgemäß erleiden die Handelsbeziehungen
zwischen Deutschland und der Schweiz durch den Krieg gewisse Störungen
und Einschränkungen. Wir waren aber von vornherein der Auffassung, daß
die Schweiz, die, in ihrer Binnenlandstellung zwischen kriegführenden
Nationen eingebettet, der Zufuhr bedarf, alles erhalten muß, was sie zum
Leben nötig hat. Deutschland, fuhr der Staatssekretär fort, hat deshalb
auch z. B. soviel es konnte zur Aufrechterhaltung der Kohlenausfuhr getan
und auch nichts versäumt, der Schweiz das Getreide zukommen zu lassen,
das für sie noch in Mannheim eingelagert war. Ganz besonders hob der
Staatssekretär noch die humanitäre und charitative Tätigkeit der
Schweiz hervor, durch die sie sich in diesem Kriege die Dankbarkeit aller
kriegführenden Parteien gesichert habe. Schließlich gab der Staatssekretär
dem Gedanken Ausdruck, daß ein wahrhaft neutrales Land, wie es die
Schweiz, dank der weisen Staatsleitung und der Grundstimmung ihrer Bevölkerung
sei, nicht nur ein Recht auf absolute Respektierung habe, sondern daß die
Schweiz zweifellos auch die Kraft besitze, als lebendiges Staatsgebilde
ihre besondere Aufgabe und ihre friedliche Mission im Schoße Europas zu
erfüllen. Ich hatte soeben noch Gelegenheit. den Reichskanzler Herrn v.
Bethmann Hollweg zu sprechen, der sich in dem gleichen Sinne äußerte." 2)
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