Der Weltkrieg am 23. März 1915

DEUTSCHER HEERESBERICHT - ÖSTERREICHISCHER HEERESBERICHT

 

 Der deutsche Heeresbericht:

3000 von den Russen verschleppte Deutsche befreit

Großes Hauptquartier, 23. März.
Westlicher Kriegsschauplatz:
Zwei Nachtangriffe der Franzosen bei Carenchy, nordwestlich von Arras, wurden abgewiesen.
In der Champagne nahmen unsere Truppen einige erfolgreiche Minensprengungen vor und schlugen einen Nachtangriff nördlich von Beau Séjour ab.
Kleinere Vorstöße der Franzosen bei Combres, Apremont und Flirey hatten keinen Erfolg.
Ein Angriff gegen unsere Stellung nordöstlich von Badonviller brach mit schweren Verlusten für den Feind in unserem Feuer zusammen.
Auf Ostende warfen feindliche Flieger wieder mehrere Bomben ab, durch die kein militärischer Schaden angerichtet, dagegen mehrere Belgier getötet und verletzt wurden. Ein französischer Flieger wurde nordwestlich von Verdun zum Absturz gebracht, ein mit zwei französischen Unteroffizieren besetztes Flugzeug bei Freiburg zur Landung gezwungen; die Insassen wurden gefangengenommen.
Östlicher Kriegsschauplatz:
Auf der Verfolgung der aus Memel vertriebenen Russen nahmen unsere Truppen Russisch-Krottingen und befreiten über 3000 deutsche, von den Russen verschleppte Einwohner.
Russische Angriffe beiderseits des Orzyc wurden zurückgeschlagen.

Oberste Heeresleitung. 1)

 

Der österreichisch-ungarische Heeresbericht:

Guter Fortgang der Karpathenkämpfe

Wien, 23. März.
Amtlich wird verlautbart:
Die Kämpfe im Karpathenabschnitt vom Uzsoker Paß bis zum Sattel von Konieczna dauern fort. In den letzten zwei Tagen wurden wieder starke Angriffe des Feindes zurückgeschlagen, 3300 Russen hierbei gefangen. In einem Gefecht, das um eine Höhe bei Wyszkow geführt wurde, gelang es, den Gegner aus seinen Stellungen zu werfen und 8 Offiziere, 685 Mann gefangen zu nehmen. An den übrigen Fronten hat sich nichts Wesentliches ereignet.

  Der Stellvertreter des Chefs des Generalstabes.
v. Hoefer, Feldmarschalleutnant. 1)

 

Wieder Luftschiffe über Paris und Calais

Paris, 23. März (Priv.-Tel.)
Havas meldet:
Gestern abend 9 Uhr wurde Paris neuerdings alarmiert. Es waren Luftschiffe von Creil und Villers-Cotterets (zwei Vororte der Hauptstadt) signalisiert worden. Sofort wurden die nötigen Vorsichtsmaßregeln getroffen und die Beleuchtung unterbrochen. Die vielen noch auf den Straßen befindlichen Spaziergänger begaben sich auf die freien Plätze, um die Luftschiffe zu sehen. In den französischen Linien wurde ein Zeppelin signalisiert, der auf Villers-Cotterets Bomben abwarf. Um 10.40 Uhr war der Alarm für Paris beendigt.

Berlin, 23. März.
Wie der "Täglichen Rundschau" aus dem Haag gemeldet wird, wurde die Zahl der über Paris abgeworfenen Bomben nunmehr auf über 45 festgestellt. Neun Häuser sollen vernichtet sein.

London, 23. März. (W. B.)
"Daily Mail" meldet aus Nordfrankreich vom 21. März:
Calais wurde am 22. März abends zum dritten Mal von einem deutschen Luftangriff heimgesucht. Genau um Mitternacht wurden die Schläfer durch schweres Kanonenfeuer geweckt. Die Scheinwerfer spielten nach allen Richtungen. Kleine Flammenkegel, die in der Luft wahrgenommen wurden, zeigten die Stellen an, wo die Geschosse explodierten. Das Feuer dauerte etwa 20 Minuten, worauf alles ruhig wurde und die Scheinwerfer erloschen. Das Luftschiff wurde vertrieben, ehe es über die Stadt gelangte. Bomben hatte es nicht abgeworfen.
2)

 

Englische Verlustlisten

London, 23. März. (Priv.-Tel.)
Die englischen Blätter melden seit Samstag noch einen Verlustzuwachs von 205 Offizieren. Die Kämpfe von Neuve Chapelle und St. Eloi haben den Engländern also den enormen Gesamtverlust von 724 Offizieren gebracht. Zu der indischen Armee zählen hiervon 27 englische Offiziere und 44 eingeborene Offiziere. Angesichts dieses ganz außergewöhnlichen Verlustes muß in England die Tatsache, daß nur ein kleines Stückchen Terrain gewonnen worden ist, besonders peinlich empfunden werden. Der offizielle Augenzeuge bei dem englischen Heere beeilt sich deshalb, in seinem letzten Berichte klarzulegen, daß der Terraingewinn nicht der Maßstab für einen Erfolg sei. Die Pflicht der britischen Armee in Frankreich sei, soviel wie möglich Deutsche unschädlich zu machen unter dem geringsten Eigenverlust. Wie sich aus den obigen Ziffern für Offiziere ergibt, ist dieser geringste Eigenverlust aber ein ganz beträchtlicher, denn er dürfte etwa den fünften Teil der Gesamtzahl aller englischen Offiziere in Frankreich und Flandern ausmachen. Hierzu kommt noch ein Mannschaftsverlust, den die "Times" selbst bisher auf 12 000 Mann angenommen hat.
Aus der Verlustliste für die Kämpfe an den Dardanellen geht hervor, daß allein auf dem "Inflexible" durch eine Granate, die auf Deck traf, 40 Mann getötet worden sind, wozu noch eine Anzahl von Verwundeten kommt, die noch höher eingeschätzt werden muß. Außerdem ist der "Inflexible" noch an der Seite getroffen worden, sodaß man annehmen kann, daß er außerordentlich schweren Schaden davongetragen hat. Die Verlustliste weist ferner noch Verwundete und Tote auf auf den Schiffen "Albion" und "Majestic" und natürlich auch auf den Schiffen, die zum Sinken gebracht worden sind.
2)

 

Neue Opfer unserer U-Boote

London, 23. März. (Priv.-Tel.)
Reuter meldet:
Das Dampfschiff "Concord" aus Whitby ist vor dem Leuchtschiff "Royal Souverain" torpediert worden. Die Besatzung, die aus 26 Personen bestand, ist in Dover an Land gebracht worden. Die "Concord" hatte 2861 Tonnen und war 1902 gebaut worden.

London, 23. März. (W. B.)
Die 30 Mann betragende Besatzung des Dampfers "Rivaulx Abbey" (1166 Tonnen),
der zwischen Hull und den Niederlanden verkehrte, ist gestern von einem Torpedoboot in Immigham gelandet und nach Hull gebracht worden. Das Schiff sank am Freitag Abend in der Nähe von Bridlington aus unbekannter Ursache und strandete bei Withernsea.

London, 23. März. (W. B.)
Nach dem Wochenbericht der Admiralität wurden in der Woche vom 10. bis zum 17. März
acht britische Handelsschiffe mit 22 825 Tonnen Bruttogehalt torpediert und versenkt. Drei Schiffe, die torpediert wurden, erreichten den Hafen. 1539 Schiffe sind abgefahren und angekommen. Seit Beginn des Krieges sind 96 Handelsschiffe verloren gegangen. 54 davon wurden durch Kreuzer, 12 durch Minen und 30 durch Unterseeboote versenkt, Fischerfahrzeuge sind in der Zählung nicht einbegriffen.
2)

 

Grey über den Ursprung des Krieges


Sir Edward Grey

London, 23. März. (W. B.)
Staatssekretär Grey sagte in einer Rede über den Ursprung des Krieges:
Der Krieg hätte durch eine einfache Konferenz unter den Großmächten verhindert werden können, wenn Deutschland zugestimmt hätte.
Frankreich, Italien und Rußland hätten sich im Juli 1914 bereit erklärt, die Konferenz anzunehmen, und nachdem England einen Vorschlag dazu gemacht hatte, schlug man dem Zaren und dem Deutschen Kaiser vor, daß der Streit an das Haager Schiedsgericht verwiesen werden sollte. Aber Deutschland habe jeden Vorschlag abgelehnt, den Streit auf solche Weise zu schlichten. Daher ruhe die Verantwortung, Europa in diesen Krieg gestürzt zu haben, allezeit bei Deutschland. Der Streit zwischen Österreich und Serbien, den Deutschland als Gelegenheit zum Kriege benutzte, war viel leichter zu schlichten als zwei Jahre früher die Balkankrise, die mit gutem Erfolg überwunden wurde. Deutschland habe aus seinen Erfahrungen mit der Londoner Konferenz gewusst, daß es auf guten Willen für den Frieden auf jeder Konferenz rechnen konnte. Wir suchten in der Londoner Konferenz keinen diplomatischen Triumph, intrigierten nicht und arbeiteten unparteiisch und ehrenhaft für den Frieden. Wir waren im Juli bereit, das wieder zu tun. Wir gaben in den letzten Jahren Deutschland wiederholt die Versicherung, daß kein Angriff auf das Deutsche Reich von unserer Seite Unterstützung erhalten würde, wir lehnten nur das unbedingte Versprechen ab, neutral zu bleiben, wie aggressiv auch immer Deutschland sich gegen seine Nachbarn verhalten würde. Wir wissen jetzt, daß Deutschland sich so sehr auf den Krieg vorbereitete, wie nur ein Volk es tut, das den Krieg will. Dieses ist das vierte Mal in der Erinnerung des noch lebenden Geschlechtes, daß Preußen in Europa Krieg führt. Wir wissen urkundlich, daß Preußen in den Jahren 1864, 1866 und 1870 den Krieg gewollt habe. Dasselbe geschah jetzt, und wir sind entschlossen, daß es das letzte Mal sein soll. Grey fuhr fort, er habe längst vor dem Kriege Belgien versprochen, daß England niemals seine Neutralität verletzen würde, so lange sie von anderen respektiert bliebe. Wenn Deutschland in Belgien einrückte, so waren wir verpflichtet, dem mit allen unseren Kräften entgegenzutreten. Wenn wir das nicht im ersten Augenblick getan hätten, glaubte jemand heute noch, daß, wie Deutschland Belgien angriff, die Zivilbevölkerung niederschoß und das Land verwüstete in einer Art, die alle Regeln der Kriegsgebräuche und der Humanität verletzte, glaubte da jemand, daß wir hätten stillsitzen und zuschauen können ohne ewige Schande. Eine wesentliche Friedensbedingung muß die Wiederherstellung des unabhängigen, nationalen Lebens und der freie Besitz seines Gebietes für Belgien sein und, soweit möglich, eine Entschädigung für das ihm geschehene grausame Unrecht. Die große Idee, für die die Alliierten kämpfen, ist die, daß die Nationen Europas ihr eigenes unabhängiges Leben führen und die eigenen Regierungsformen und die nationale Entwicklung in voller Freiheit ausbilden können, gleichviel ob es große oder kleine Nationen sind. Wir lernten seit Beginn des Krieges von deutschen Professoren und Publizisten das deutsche Ideal kennen. Es ist dieses, daß die Deutschen ein überlegenes Volk sind, dem alles erlaubt ist, was zur Macht führt, und gegen das jeder Widerstand Unrecht ist. Die Deutschen erstreben die Herrschaft über die Nationen des Kontinents, diesen nicht Freiheit, sondern Dienstbarkeit bringend. Grey schloß, er selbst wolle lieber umkommen oder den Kontinent verlassen, als unter solchen Bedingungen leben.

Die "Frankfurter Zeitung" bemerkt dazu:
"Sir Edward Grey verschweigt, daß es sich während der Balkankrisis um eine Konferenz handelte, die bezweckte, die Interessen der verschiedenen Großmächte an der endgültigen Regelung der Verhältnisse auf dem Balkan auszugleichen. Der Streitfall zwischen Österreich-Ungarn und Serbien betraf nur zwei bestimmte Staaten. Die Entscheidung dieses Streites einer Konferenz von Mächten zu übertragen, die in keiner Weise daran beteiligt waren, wäre mit der Würde einer Großmacht nicht vereinbar gewesen. Es hätte lediglich Rußland die Zeit gegeben, durch Mobilisierung seiner ungeheuren Armeen die Freiheit der Entschließungen der Konferenz illusorisch zu machen. Welche Macht sich in jeder Weise auf den Krieg vorbereitet hat, das ergeben die von der englischen Regierung stets geleugneten geheimen politischen und militärischen Abmachungen mit Rußland, Frankreich und Belgien. Daß nicht die Rücksichtnahme auf Belgien, dessen Unabhängigkeit und Integrität durch die bekannten Erklärungen Deutschlands gesichert war, Englands Beteiligung am Kriege bedingt hat, hat selbst die "Times" in einem plötzlichen Anfall von Wahrheitsliebe unlängst zugegeben. Welches Land die Freiheit der kleinen Völker tatsächlich bedroht, das zeigt die ganze Geschichte des englischen Kolonialreiches sowie der Gebrauch, den England von den gewaltigen Mitteln seiner Flotte in dem gegenwärtigen Kriege machte.

 

Der 1. Weltkrieg im März 1915

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Textquellen:
1) Amtliche Kriegs-Depeschen nach Berichten des Wolff´schen Telegr.-Bureaus  
Band 2
Nationaler Verlag, Berlin (1915)

2) "Frankfurter Zeitung" (1915)

 

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