Der
Reichstag über Krieg und Frieden - Zwei Reden des Reichskanzlers
- Sozialdemokratische Interpellation über Friedensmöglichkeiten
Bethmann Hollweg |
Scheidemann |
Landsberg |
Berlin,
9. Dezember.
Der Reichstag trat heute wieder zusammen. Bei Beginn der Sitzung
hielt der Reichskanzler Dr. von Bethmann Hollweg eine Rede, in der er
einen Überblick über die Lage gab. Er sagte u. a.:
Durch die serbischen Siege ist die Donau frei geworden, die Verbindung
mit der Türkei hergestellt. Heute stehen die Dardanellen fester denn
je. Der offene Weg nach dem nahen Orient bedeutet einen Markstein in der
Geschichte dieses Krieges.
Der Reichskanzler schilderte dann die günstige militärische
Lage im Osten, Westen und an der italienischen Front und sagte: Von dem
Umfang des gewaltigen Ringens gewinnt man einen Eindruck, wenn man bedenkt,
daß die Franzosen allein in der Champagne nicht sehr viel weniger
Truppen eingesetzt haben als die waren, mit denen Deutschland in den Krieg
von 1870 gezogen ist. (Hört, hört!) Es gibt kein Wort, das tief
genug empfunden wäre, um die Dankesschuld des Vaterlandes gegen unsere
Krieger abzutragen, die trotz eines unerhörten feindlichen Trommelfeuers
und in vielfacher zahlenmäßiger Unterlegenheit mit ihren Leibern
dem Feinde einen Wall entgegengesetzt haben, den er nicht durchbrechen
konnte. Unvergängliche Ehre dem Andenken aller, die dort ihr Leben
für ihre Freunde gelassen haben.
Ausführlich legte der Redner dar, was Deutschland hinter der Front
in Nordfrankreich, Belgien und den besetzten Teilen Rußlands geleistet.
Er bemerkte dazu: Wohl nie in der Weltgeschichte ist in einem Kriege,
wo Millionen vorn an der Front stehen, hinter der Front so viele Friedensarbeit
geleistet worden. (Lebhaftes Bravo!) Diese Arbeit steht weder nach Hunnen
aus noch nach Zerstörung. (Wiederholtes Bravo!)
Danach widerlegte der Reichskanzler die feindlichen Behauptungen von der
wirtschaftlichen Erschöpfung Deutschlands, wobei er u. a. sagte:
Wir haben genug an Lebensmitteln, wenn wir sie richtig verteilen. Das
ist die grundlegende, die bestimmende Tatsache. Ich weiß wohl, welche
Bürde von Sorgen und Entbehrungen viele deutsche Frauen mit ihren
Kindern in dieser Zeit zu tragen haben, ich habe volle Bewunderung für
das stille Heldentum ihres Kampfes, für das auch ihnen der Dank des
Vaterlandes gebührt. Unsere Feinde bezahlen höhere Preise für
die wichtigsten Lebensmittel, für Getreide und Kartoffeln. Unsere
Feinde können sich beruhigen. Wir haben zwar keinen Überfluß,
aber wir haben genug. (Beifall.)
Der Redner schloß: Wenn unsere Feinde sich jetzt den Tatsachen noch
nicht beugen wollen, so werden sie es später müssen. Das deutsche
Volk, unerschütterlich im Vertrauen auf seine Stärke, ist unbesiegbar.
(Beifall.) Nein, meine Herren, wir lassen uns durch Worte nicht beugen,
wir kämpfen den von unseren Feinden gewollten Kampf entschlossen
weiter, um zu vollenden, was Deutschlands Zukunft von uns fordert. (Stürmischer,
sich vielfach wiederholender Beifall und Händeklatschen, in welchem
ein Zwischenruf des Abgeordneten Liebknecht untergeht.)
Das Haus trat in die Tagesordnung ein. Einziger Gegenstand der Tagesordnung
war die Interpellation Albrecht und Genossen (Soz.):
Ist der Herr Reichskanzler bereit, Auskunft darüber zu geben, unter
welchen Bedingungen er geneigt ist, in Friedensverhandlungen einzutreten?
Nachdem sich der Reichskanzler zur sofortigen Beantwortung bereit erklärt
hatte, erhielt das Wort zur Begründung
Abgeordneter Scheidemann (Soz.). Er sagte u.a.: Alle Völker wollen
den Frieden, aber wie Lord Courtney sagte, die verantwortlichen Staatsmänner
wissen noch nicht, wie sie aus der Sackgasse herausfinden sollen. Vom
Frieden kann und sollte zuerst der reden, dessen militärische Stellung
und wirtschaftliche Stärke ihm gestatten, auch jede Mißdeutung
seiner Bereitschaft als "Zeichen der Schwäche" mit ruhigem
Kraftbewußtsein hinzunehmen. Demnach können wir und müssen
deshalb vom Frieden reden. Meine Partei hat bei den verantwortlichen Stellen
gegen die Eroberungspläne sofort entschiedene Verwahrung eingelegt.
Annexionen volksfremder Gebiete verstoßen gegen das von uns vertretene
Selbstbestimmungsrecht der Völker. Ebenso scharf aber weisen wir
auch die gegen das Deutsche Reich und seine Verbündeten gerichteten
Eroberungsabsichten der feindlichen Mächte zurück.
Den Gedanken einer Angliederung Elsaß-Lothringens an Frankreich,
einerlei, in welcher Form sie erstrebt wird, lehnen wir ab. Die Frage
unserer Volksernährung im Kriege ist eine Frage der Organisation
und rücksichtsloser Entschlossenheit. Ebenso wie hier, haben sich
auch die Hoffnungen der Gegner auf militärischen Zusammenbruch Deutschlands
als unbegründet erwiesen. Es ist ein verbrecherisches Treiben, wenn
die uns feindlichen Staatsmänner und Politiker ihren Völkern
immer wieder vorgaukeln, daß die militärische Situation sich
zu unseren Ungunsten wesentlich ändern könnte. Nach diesen unerschütterlichen
Tatsachen sind wir es, die vom Frieden sprechen können und müssen.
Die Worte der Thronrede, daß uns nicht Eroberungslust treibe, sollte
man an keiner Stelle vergessen. Wenn der Reichsregierung sich die Möglichkeit
bietet, einen Frieden zu schließen, der dem deutschen Volke die
politische Unabhängigkeit, die Unversehrtheit des Reiches und die
wirtschaftliche Entwicklungsfreiheit sichert, dann fordern wir, daß
sie Frieden schließt.
In Beantwortung der Interpellation erklärte hierauf der Reichskanzler
v. Bethmann Hollweg u.a.: Bisher hat tatsächlich keiner unserer Feinde
uns Friedensangebote gemacht, unsere Feinde haben es vielmehr als in ihrem
Interesse gelegen angesehen, uns - ich habe darauf vorhin hingedeutet
- fälschlich Friedensangebote anzudichten. Beides hat denselben Grund:
eine Selbsttäuschung sondergleichen, die wir nur verschlimmern würden,
wenn wir mit Friedensangeboten kämen (Lebhafte Rufe: Sehr wahr!),
statt daß sie uns kommen. Wenn ich über unsere Friedensbedingungen
sprechen soll, muß ich mir zuerst die Friedensbewegungen unserer
Feinde ansehen. "Statesman", ein als gemäßigt bekanntes
Blatt, enthält unter den Friedensbedingungen die Rückgabe Elsaß-Lothringens,
Vernichtung des preußischen Militarismus, Vertreibung der Türken
aus Europa usw. Ein früherer Minister verlangt die Abtretung des
ganzen Gebiets links des Rheins. Es bleibt eben alles beim alten. Deutschland
muß vernichtet werden. So klingt es aus der französischen Presse
heraus. Noch immer wird Elsaß-Lothringen gefordert. Hanotaux hat
noch ganz kürzlich im "Figaro" im Gegensatz zu der sonst
üblichen Legende von dem "überfallenen Frankreich"
das offene Bekenntnis abgelegt, Frankreich habe den Krieg gemacht, um
Elsaß-Lothringen zu erobern. (Hört, hört!) Völlig
entscheidend ist aber: Mister Asquith - auch darauf hat der Vorredner
schon hingewiesen - hat in seiner Guildhallrede verkündet, seine
Kriegsziele seien noch dieselben wie beim Ausbruch des Krieges: die Freiheit
der kleinen Völker und die Vernichtung des Militarismus. Briand hat
erklärt, Frankreich würde das Schwert nicht in die Scheide stecken,
bevor nicht der deutsche oder preußische Militarismus niedergekämpft
ist. Der englische Kolonialminister will in Elsaß und in Polen die
Durchführung des Nationalitätenprinzips. Es wird ganz interessant
sein aus England zu hören, was nach dem Nationalitätenprinzip
z. B. aus Indien und Ägypten werden müßte. (Große
Heiterkeit und Beifall.) Briand will außer der Wiederherstellung
Serbiens und Belgiens unter allen Umständen Elsaß-Lothringen
haben. Sasonow hat ziemlich deutlich auf Konstantinopel hingewiesen.
Ich kann aber auch nicht ihre Forderungen etwa als Bluff ansehen, um sie
nicht ernst zu nehmen. Unter der Protektion der Regierungen hat man die
Völker von Anfang an über die Wirklichkeiten getäuscht.
Nun sieht man, daß mit alledem keine Siege erfochten werden. Man
hat eine Reihe militärischer und diplomatischer Niederlagen erlitten.
Aber das Ceterum ceseo, daß Deutschland zertrümmert werden
soll, soll trotzdem nicht aufgegeben werden man hat sich so fest darauf
verbissen, daß man davon nicht mehr los kann, und deshalb will man
weitere Hunderttausende auf die Schlachtbank führen.
Wenn einmal die Geschichte die Schuld an dem ungeheuerlichsten aller Kriege
erwiesen hat, dann wird sie das entsetzliche Unheil aufdecken, daß
Haß, Verstellung und Unkenntnis angerichtet haben. (Hört, hört!
links.) Solange die Verstrickung von Schuld und Unkenntnis bei den feindlichen
Machthabern besteht und ihre Geistesverfassung die feindlichen Völker
beherrscht, wäre ein Friedensangebot von unserer Seite eine Torheit
(lebhafte Zustimmung), die die Kriegsdauer nicht verkürzt, sondern
verlängert. (Zustimmung.) Erst müssen die Masken fallen! Noch
wird der Vernichtungskrieg gegen uns gepredigt. Damit müssen wir
rechnen. Mit Theorien mit Friedensäußerungen von unserer Seite
kommen wir nicht vorwärts. (Zuruf des Abg. Liebknecht: Eroberungspläne!)
Kommen Friedensangebote, die der Würde und der Sicherheit Deutschlands
entsprechen, so sind wir jederzeit bereit, sie zu diskutieren. (Liebknecht:
Eroberungspläne!) In dem vollen Bewußtsein der großen,
von uns erstrittenen und unerschütterlich dastehenden Waffenerfolge
lehnen wir jede Verantwortung für die Fortsetzung des Unheils ab.
(Zuruf des Abgeordneten Liebknecht: Eroberungspläne!) (Heftiger Widerspruch
rechts. Rufe: Raus! Zurufe: Steckt den Kerl ins Irrenhaus!) Es soll nicht
heißen, daß wir den Krieg nur um einen Tag verlängern
wollen, weil wir noch dieses oder jenes Faustpfand dazu erobern wollen.
In meinen früheren Reden habe ich auf die allgemeinen Kriegsziele
hingewiesen. Ich kann auch heute nicht auf Einzelheiten eingehen, ich
kann nicht sagen, welche Garantien die kaiserliche Regierung z. B. in
der belgischen Frage fordern wird, welche Machtunterlagen sie für
diese Garantie fordern muß. Aber auch eins sollen sich unsere Feinde
selber sagen: je länger und erbitterter sie den Krieg führen,
um so mehr wachsen unsere Garantien. (Stürmisch anhaltender Beifall.)
Wenn unsere Feinde für alle Zukunft eine Kluft zwischen Deutschland
und der übrigen Welt aufrichten wollen, dann sollen sie sich nicht
wundern, daß auch wir unsere Zukunft danach einrichten. (Lebhafte
Zustimmung und anhaltender Beifall.) Weder im Osten noch im Westen dürfen
unsere Feinde von heute über Einfallstore verfügen, durch die
sie uns von morgen ab erneut und schärfer als bisher bedrohen. (Abermalige
Zustimmung, erneut einsetzender stürmischer, langanhaltender Beifall
im ganzen Hause, auch auf den Tribünen.) Es ist ja bekannt, daß
Frankreich seine Anleihe an Rußland nur unter der ausdrücklichen
Bedingung gegeben hat, daß Rußland seine polnischen Festungen
und Eisenbahnen gegen uns ausbaut (Sehr richtig!), und ebenso ist es bekannt,
daß England und Frankreich Belgien als ihr Aufmarschgebiet gegen
uns betrachteten. (Sehr richtig!) Damit müssen wir uns politisch
und militärisch und wir müssen auch wirtschaftlich die Möglichkeit
unserer Erhaltung sichern. (Lebhafte Zustimmung.) Was dazu nötig
ist, muß erreicht werden. (Zustimmung.) Ich denke, es gibt im deutschen
Vaterlande niemand, der nicht diesem Ziele zustrebt. (Hört, hört!
links, Sehr richtig !) Welche Mittel zu diesem Zwecke nötig sind,
darüber müssen wir uns die Entscheidung vorbehalten. Wie ich
schon am 19. August dieses Jahres gesagt habe: wir sind es nicht, die
die kleinen Völker bedrohen; nicht um fremde Völker zu unterjochen,
führen wir diesen uns aufgezwungenen Kampf, sondern allein um die
Zukunft unseres Lebens und unserer Freiheit.
(Zuruf des Abg. Liebknecht : Es ist nicht wahr! Große Unruhe und
Rufe: Raus! Zurufe des Abg. Liebknecht: Staatsinteressen! Eroberungen!)
Für die deutsche Regierung ist dieser Kampf dasselbe, was er von
Anfang an war und was in allen unseren Kundgebungen unverändert festgehalten
wurde: der Verteidigungskrieg des deutschen Volkes! Dieser Krieg darf
nur mit einem Frieden beendet werden, der nach menschlichem Ermessen Sicherheit
gegen seine Wiederkehr bietet. Darin sind wir alle einig. (Zuruf des Abg.
Liebknecht: Nein.) Das ist unsere Stärke. (Braufender Beifall im
Hanse und auf den Tribünen.) (Zuruf des Abg. Liebknecht: Eroberungspolitik!)
Das Haus tritt in die Besprechung der Interpellation ein. Im Namen sämtlicher
bürgerlichen Parteien erklärte
Abg. Dr. Spahn (Zentrum): Die Beendigung dieses uns aufgedrungenen Krieges
wünschen auch wir. Wir blicken dabei voll Bewunderung und Dankbarkeit
auf den ununterbrochenen Siegeszug aller unserer Truppen, die in Gemeinschaft
mit unseren tapferen österreichisch-ungarischen, bulgarischen und
türkischen Verbündeten von Erfolg zu Erfolg schreiten, ihre
ruhmreichen Fahnen weit in Feindesland hineingetragen und soeben das serbische
Heer zertrümmert haben. Wir vertrauen auf die unbeugsame, allen Angriffen
unserer Feinde gewachsene und überlegene Stellung unserer Heere in
Ost und West, die uns mit unseren Verbündeten den vollen Erfolg des
Krieges verbürgen. (Lebhafter Beifall.) Wir blicken auf die nicht
zu erschütternde wirtschaftliche und finanzielle Kraft unseres Volkes
und Landes, die uns Ernährung und Rüstung ausreichend sichert.
Mögen unsere Feinde sich erneut zum Ausharren im Kriege verschwören,
wir warten in voller Einigkeit mit ruhiger Entschlossenheit, und lassen
Sie mich einfügen, in Gottvertrauen die Stunde ab, die Friedensverhandlungen
ermöglicht, bei denen für die Dauer die militärischen,
wirtschaftlichen, finanziellen und politischen Interessen Deutschlands
im ganzen Umfang und mit allen Mitteln einschließlich der dazu erforderlichen
Gebietserwerbungen gewagt werden müssen. (Stürmischer Beifall
und Händeklatschen bei den bürgerlichen Parteien.)
Den Schluß der Besprechung bildete eine Rede des
Abg. Landsberg (Soz.): welcher u. a. sagte: Der Reichskanzler hat im Vertrauen
darauf, daß die militärische Lage Deutschland vor Mißdeutungen
schützt, seine Bereitwilligkeit zum Abschluß eines ehrenvollen
Friedens ausgesprochen. Von unbilligen Bedingungen, die er dem Gegner
zu ertragen zumutet, habe ich aus seiner Rede nichts vernommen, und das
ist für mich das Entscheidende. In der französischen Deputiertenkammer
ist neulich gesagt worden, Frankreich habe nicht die Absicht, sich auf
Kosten Deutschlands zu bereichern, nur Elsaß-Lothringen wolle man
selbstverständlich zurücknehmen. Ich will erklären, daß
wir für solche Ausführungen einfach kein Verständnis haben.
(Lebhafter Beifall.) Es wird Aufgabe der deutschen Regierung sein, dafür
zu sorgen, daß gewisse Hoffnungen auf eine Wiedereroberung von Elsaß-Lothringen
völlig vernichtet werden. (Lebhafter Beifall.) |