Die
Mordtat der "Baralong"
Ankündigung deutscher Vergeltungsmaßregeln
Berlin,
14. Januar.
Die deutsche Regierung hat am 12. Januar dem amerikanischen Botschafter
in Berlin folgende Erwiderung auf die britische Erklärung vom 14.
Dezember 1915 über den Fall "Baralong" zur Übermittlung
an die britische Regierung übergeben:
Erwiderung der deutschen Regierung auf die Erklärungen der britischen
Regierung zu der deutschen Denkschrift über den "Baralong"-Fall.
Die britische Regierung hat die deutsche Denkschrift über den "Baralong"-Fall
dahin beantwortet, daß sie einerseits die Richtigkeit der ihr von
der deutschen Regierung mitgeteilten Tatsachen in Zweifel zieht, anderseits
gegen die deutschen Streitkräfte zu Lande und zu Wasser den Vorwurf
erhebt, vorsätzlich ungezählte Verbrechen wider das Völkerrecht
und die Menschlichkeit begangen zu haben, die keine Sühne erfahren
hätten und denen gegenüber die angebliche Straftat des Kommandanten
und der Mannschaft der "Baralong" völlig zurücktrete.
Für diesen Vorwurf hat die britische Regierung keinerlei Beweise
beigebracht, sondern sich darauf beschränkt, ohne irgendwelche Belege
drei im Seekriege vorgekommene Einzelfälle anzuführen, wo deutsche
Offiziere völkerrechtswidrige Grausamkeiten verübt haben sollen.
Die britische Regierung schlägt vor, diese Fälle durch einen
aus amerikanischen Marineoffizieren bestehenden Gerichtshof untersuchen
zu lassen, und ist unter dieser Voraussetzung bereit, dem bezeichneten
Gerichtshofe auch den "Baralong"-Fall zu unterbreiten.
Die deutsche Regierung legt die schärfste Verwahrung ein gegen die
unerhörten und durch nichts erwiesenen Anschuldigungen der britischen
Regierung gegen die deutsche Armee und die deutsche Marine sowie gegen
die Unterstellung, als ob die deutschen Behörden etwaige zu ihrer
Kenntnis gelangende Straftaten solcher Art unverfolgt lassen. Die deutsche
Armee und die deutsche Marine beobachten auch im gegenwärtigen Kriege
die Grundsätze des Völkerrechts und der Menschlichkeit, und
die leitenden Stellen halten streng darauf, daß alle dagegen etwa
vorkommenden Verstöße genau untersucht und nachdrücklich
geahndet werden. Auch die drei von der britischen Regierung aufgeführten
Fälle sind seinerzeit durch die zuständigen deutschen Behörden
einer eingehenden Untersuchung unterzogen worden. Dabei hat sich zunächst
in dem Falle der Versenkung des britischen Dampfers "Arabic"
durch ein deutsches Unterseeboot ergeben, daß der Kommandant des
Unterseeboots nach Lage der Umstände die Überzeugung gewinnen
mußte, der Dampfer sei im Begriff, sein Fahrzeug zu rammen; er glaubte
daher in berechtigter Notwehr zu handeln, als er seinerseits zum Angriff
auf das Schiff überging. Der weiter angeführte Fall des Angriffs
eines deutschen Torpedobootszerstörers auf ein britisches Unterseeboot
in den dänischen Hoheitsgewässern hat sich in der Weise abgespielt,
daß es in diesen Gewässern zwischen den beiden Kriegsschiffen
zum Kampfe gekommen ist und daß sich dabei das Unterseeboot durch
Geschützfeuer gewehrt hat; daß bei dem deutschen Angriff die
dänische Neutralität verletzt worden ist, wird von der britischen
Regierung um so weniger geltend gemacht werden können, als die britischen
Seestreitkräfte in einer Reihe von Fällen deutsche Schiffe in
neutralen Gewässern angegriffen haben. In dem Falle der Vernichtung
des britischen Dampfers "Ruel" endlich hat das deutsche Unterseeboot
lediglich die von der deutschen Regierung im Februar 1915 angekündigten
Vergeltungsmaßnahmen zur Anwendung gebracht; diese Maßnahmen
entsprechen dem Völkerrecht, da England bemüht ist, durch die
völkerrechtswidrige Lahmlegung des legitimen Seehandels der Neutralen
mit Deutschland diesem jede Zufuhr abzuschneiden und damit das deutsche
Volk der Aushungerung preiszugeben, gegenüber völkerrechtswidrigen
Handlungen aber angemessene Vergeltung geübt werden darf. In allen
drei Fällen hatten es die deutschen Seestreitkräfte nur auf
die Zerstörung der feindlichen Schiffe, keineswegs aber auf die Vernichtung
der sich rettenden wehrlosen Personen abgesehen; die entgegenstehenden
Behauptungen der britischen Regierung müssen mit aller Entschiedenheit
als unwahr zurückgewiesen werden.
Das Ansinnen der britischen Regierung, die erwähnten drei Fälle
gemeinsam mit dem "Baralong"-Fall durch einen aus amerikanischen
Marineoffizieren gebildeten Gerichtshof untersuchen zu lassen, glaubt
die deutsche Regierung als unannehmbar ablehnen zu sollen. Sie steht auf
dem Standpunkt, daß die gegen Angehörige der deutschen Streitmacht
erhobenen Beschuldigungen von den eigenen zuständigen Behörden
untersucht werden müssen und daß diese jede Gewähr für
eine unparteiische Beurteilung und gegebenenfalls auch für eine gerechte
Bestrafung bieten. Ein anderes Verlangen hat sie auch gegenüber der
britischen Regierung in dem "Baralong"-Fall nicht gestellt,
wie sie denn keinen Augenblick zweifelt, daß ein aus britischen
Seeoffizieren zusammengesetztes Kriegsgericht den feigen und heimtückischen
Mord gebührend ahnden würde. Dieses Verlangen war aber um so
berechtigter, als die der britischen Regierung vorgelegten eidlichen Aussagen
amerikanischer, also neutraler, Zeugen die Schuld des Kommandanten und
der Mannschaft der "Baralong" so gut wie außer Frage stellen.
Die Art, wie die britische Regierung die deutsche Denkschrift beantwortet
hat, entspricht nach Form und Inhalt nicht dem Ernst der Sachlage und
macht es der deutschen Regierung unmöglich, weiter mit ihr in dieser
Angelegenheit zu verhandeln. Die deutsche Regierung stellt daher als Endergebnis
der Verhandlungen fest, daß die britische Regierung das berechtigte
Verlangen auf Untersuchung des "Baralong"-Falles unter nichtigen
Vorwänden unerfüllt gelassen und sich damit für das dem
Völkerrecht wie der Menschlichkeit hohnsprechende Verbrechen selbst
verantwortlich gemacht hat. Offenbar will sie den deutschen Unterseebooten
gegenüber eine der ersten Regeln des Kriegsrechts, nämlich außer
Gefecht gesetzte Feinde zu schonen, nicht mehr innehalten, um sie so an
der Führung des völkerrechtlich anerkannten Kreuzerkrieges zu
verhindern.
Nachdem die britische Regierung eine Sühnung des empörenden
Vorfalls abgelehnt hat, sieht sich die deutsche Regierung genötigt,
die Ahndung des ungesühnten Verbrechens selbst in die Hand zu nehmen
und die der Herausforderung entsprechenden Vergeltungsmaßnahmen
zu treffen.
Berlin, den 10. Januar 1916.
1)
|