Die
Geheimsitzung der französischen Kammer
Paris,
23 Juni. (Priv.-Tel.)
Die geheime Sitzung der französischen Kammer, die mehrere Tage in
Anspruch nahm, ist gestern abend spät zu Ende gegangen. Vorher
wurden schwierige Verhandlungen geführt, da die Regierung die von
den Parteivorständen entworfene Tagesordnung nicht annehmen wollte
Die Parteivorstände arbeiteten sodann eine neue Tagesordnung aus,
die schließlich von der Regierung genehmigt wurde In der Kammer
wurde sie darauf in öffentlicher Sitzung mit 440 gegen 80 Stimmen
angenommen. Sie lautet: "Die Kammer erklärt sich als Ausdruck
der nationalen Souveränität entschlossen, gemäß ihrer Pflicht
fortzufahren, in enger Zusammenarbeit mit der Regierung der
nationalen Verteidigung einen immer stärkeren Impuls zu geben. Sie
wird sich strikte von jeder Intervention bei der Festsetzung der
Leitung und der Ausführung der militärischen Operationen
fernhalten. Sie wird darüber wachen, daß in Hinsicht auf diese
Operationen die Vorbereitung der industriellen und militärischen
Verteidigungswerke mit einer Sorgfalt, Tatkraft und Voraussicht geführt
wird, die dem Heldenmut der Soldaten der Republik entsprechen. Mit
der Festsetzung, daß die geheime Sitzung der Kammer erlaubte, sich
wirksam über die Führung des Krieges aufzuklären, reserviert sie
sich das Recht, wenn möglich wieder eine solche Geheimsitzung
abzuhalten. Sie beschließt eine direkte Delegation einzusetzen und
zu organisieren, die unter Beihilfe der Regierung eine direkte
effektive Kontrolle an Ort und Stelle über alle die Dienstzweige
ausüben wird, die die Vorsorge für die Bedürfnisse der Armee zur
Aufgabe haben. Sie nimmt von den Änderungen, die bereits gemacht
wurden, und von den Verpflichtungen, die die Regierung übernommen
hat, Kenntnis. Sie schenkt der Regierung Vertrauen, daß sie unter
Beihilfe der gemachten Erfahrungen fortfährt, ihre Autorität über
alle Organe der nationalen Verteidigung auszuüben, und daß sie
alle ihre Energie aufwendet, die Führung des Krieges zu befestigen.
Die Kammer stellt mit Befriedigung die erzielten Resultate fest, die
die Franzosen und ihre Alliierten dank dem engeren Zusammenwirken
aller ihrer Anstrengungen davongetragen haben. Sie begrüßt mit Rührung
den bewundernswerten Mut der Armee und der Flotte der Republik und
proklamiert, daß sie ein noch erhöhtes Vertrauen in den Sieg des
Rechtes und der Freiheit der Völker hat."
Aus dem Wortlaut geht hervor, daß die Mehrheit der Kammer das
Vertrauen in die Regierung an zwei demütigende Bedingungen geknüpft
hat; die Kammer hat beschlossen, für die Überwachung der Kriegsvorbereitung
einen ständigen Ausschuß einzusetzen, und die Regierung hat diese
bisher von ihrer Presse sehr entschieden abgelehnten
"Delegierten bei der Armee" annehmen müssen; die Kammer
hat sich ferner auch vorbehalten, die Regierung in einer neuen
Geheimsitzung zur Rede zu stellen, sobald sie es für notwendig
halten wird. 2)
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