Verkündung
des uneingeschränkten U-Boot-Krieges
Das Meer um England und Frankreich
und der größte Teil des Mittelmeeres als Sperrgebiet erklärt
- Rede des Reichskanzlers (Deutsche Note an Amerika)
Berlin,
31. Januar.
In der heutigen Sitzung des Hauptausschusses des Reichstages
nahm der Reichskanzler Dr. v. Bethmann Hollweg das Wort zu folgenden Ausführungen:
Am 12. Dezember habe ich im Reichstage die Erwägungen dargelegt,
die zu unserem Friedensangebot geführt hatten. Die Antwort unserer
Gegner hat klipp und klar dahin gelautet, daß sie Verhandlungen
mit uns über den Frieden ablehnen, daß sie nur von einem Frieden
etwas wissen wollen, den sie diktieren. Damit ist vor aller Welt die Schuldfrage
wegen der Fortsetzung des Krieges entschieden. Die Schuld lastet allein
auf unseren Gegnern. Ebenso fest steht unsere Aufgabe. Über die Bedingungen
des Feindes können wir nicht diskutieren. Nur von einem aufs Haupt
geschlagenen Volke könnten sie angenommen werden. Kämpfen also
heißt es.
Die Botschaft des Präsidenten Wilson an den Kongreß zeigt seinen
ernsten Wunsch, den Weltfrieden wieder herbeizuführen. Viele der
von ihm aufgestellten Maximen begegnen sich mit unseren Zielen. Freiheit
der Meere, Beseitigung des Systems der balance of power das immer zu neuen
Verwicklungen führen muß. Gleichberechtigung der Nationen,
offene Tür. Was aber sind die Friedensbedingungen der Entente? Deutschlands
Wehrmacht soll vernichtet werden, Elsaß-Lothringen und unsere Ostmarken
sollen wir verlieren, die Donau-Monarchie soll aufgelöst, Bulgarien
abermals um seine nationale Einheit betrogen, die Türkei aus Europa
verdrängt und in Asien zerschlagen werden. Die Vernichtungsabsichten
unserer Gegner können nicht stärker ausgedrückt werden.
Zum Kampfe aufs letzte sind wir herausgefordert. Wir nehmen die Herausforderung
an. Wir setzen alles ein und werden siegen. Durch diese Entwicklung der
Dinge ist die Entscheidung über die Führung des U-Boot-Krieges
in ihr letztes und akutes Stadium gedrängt worden.
Die Frage des U-Boot-Krieges hat uns, wie die Herren sich erinnern werden,
gemeinsam in diesem Ausschuß dreimal beschäftigt: im März,
im Mai und im September vorigen Jahres. Ich habe jedesmal den Herren in
eingehenden Darlegungen das Für und Wider der Frage vorgetragen.
Ich habe mit Nachdruck darauf hingewiesen, daß ich jedesmal pro
tempore sprach, nicht als grundsätzlicher Anhänger oder grundfalscher
Gegner der uneingeschränkten Anwendung der U-Boote, sondern in Erwägung
der militärischen, politischen und wirtschaftlichen Gesamtsituation,
immer von der Prüfung der Frage ausgehend: Bringt uns der uneingeschränkte
U-Boot-Krieg dem siegreichen Frieden näher oder nicht? "Jedes
Mittel - sagte ich im März -, das den Krieg abzukürzen geeignet
ist, ist das allerhumanste.“ "Auch das rücksichtsloseste Mittel,
das uns zum Siege und zum schnellen Siege führt - sagte ich damals
-, muß angewandt werden.“
Der Reichskanzler führte dann weiter aus, weshalb er im März
und im Mai des vergangenen Jahres gegen den uneingeschränkten U-Boot-Krieg
gewesen sei und weshalb die Frage auch im September nach dem übereinstimmenden
Urteil der politischen und der militärischen Leitung nicht spruchreif
war. Er kam in diesem Zusammenhang auf seine frühere Äußerung
zurück: "Sobald ich in Übereinstimmung mit der Obersten
Heeresleitung zu der Überzeugung komme, daß uns der rücksichtslose
U-Boot-Krieg dem siegreichen Frieden nähert, dann wird der U-Boot-Krieg
gemacht werden." "Dieser Zeitpunkt," fuhr er fort, "ist jetzt
gekommen. Im vorigen Herbst war die Zeit noch nicht reif, aber heute ist
der Augenblick gekommen, wo wir mit der größten Aussicht auf
Erfolg das Unternehmen wagen können. Einen späteren Zeitpunkt
dürfen wir aber auch nicht abwarten. Was hat sich geändert?
Zunächst das Wichtigste. Die Zahl unserer U-Boote hat sich gegen
das vorige Frühjahr sehr wesentlich erhöht. Damit ist eine feste
Grundlage für den Erfolg geschaffen.
Dann der zweite mitausschlaggebende Punkt: die schlechte Weltgetreideernte.
Sie stellt schon jetzt England, Frankreich und Italien vor ernste Schwierigkeiten.
Wir haben die feste Hoffnung, diese Schwierigkeiten durch den unbeschränkten U-Boot-Krieg zur Unerträglichkeit
zu steigern. Auch die Kohlenfrage ist im Kriege eine Lebensfrage. Sie ist schon jetzt, wie
Sie wissen, in Frankreich und Italien kritisch. Unsere U-Boote werden
sie noch kritischer machen. Hierzu kommt namentlich für England die
Zufuhr von Erzen für die Munitionsfabrikation in weitestem Sinne
und von Holz für den Kohlenbergbau. Noch gesteigert werden die Schwierigkeiten
unserer Feinde auf diesen Gebieten durch die Zunahme der feindlichen Frachtraumnot.
Hier hat die Zeit und hat der Kreuzerkrieg der U-Boote dem entscheidenden
Schlag vorgearbeitet. Unter der Frachtraumnot leidet die Entente in allen
ihren Gliedern. Sie macht sich für Italien und Frankreich nicht weniger
als für England geltend. Dürfen wir so jetzt die positiven Vorteile
des uneingeschränkten
U-Boot-Krieges sehr viel höher einschätzen als im vorigen Frühjahr,
so sind gleichzeitig die Gefahren, die uns aus dem U-Boot-Krieg erwachsen, seit jener Zeit gesunken."
Der Reichskanzler erörterte darauf eingehend die allgemeine politische
Lage. Er fuhr dann fort: "Der Feldmarschall Hindenburg hat mir vor
wenigen Tagen die Lage wie folgt bezeichnet: Unsere Front steht auf allen
Seiten fest. Wir haben überall die nötigen Reserven. Die Stimmung
der Truppen ist gut und zuversichtlich. Die militärische Gesamtlage
läßt es zu, alle Folgen auf uns zu nehmen, die der uneingeschränkte
U-Boot-Krieg nach sich ziehen könnte. Und weil dieser U-Boot-Krieg
unter allen Umständen ein Mittel ist, um unsere Feinde auf das schwerste
zu schädigen, muß er begonnen werden. Admiralstab und Hochseeflotte
sind der festen Überzeugung, einer Überzeugung, die in den Erfahrungen
des U-Boot-Kreuzerkrieges ihre praktische Stütze findet, daß
England durch diese Waffe zum Frieden gebracht werden wird. Unsere Verbündeten
stimmen unseren Ansichten zu. Österreich-Ungarn schließt sich
unserem Vorgehen auch praktisch an. Ebenso wie wir um England und die
Westküste von Frankreich ein Sperrgebiet legen, in dem wir jede Schiffahrt
nach den feindlichen Ländern zu verhindern trachten werden, ebenso
erklärt Österreich-Ungarn ein Sperrgebiet um Italien. Allen
neutralen Ländern ist für den Verkehr untereinander außerhalb
des Sperrgebietes freie Bahn gelassen. Amerika bieten wir ebenso, wie
wir es schon 1915 getan haben, unter bestimmten Modalitäten gescherten
Personenverkehr auch mit den bestimmten englischen Häfen an."
Darauf verlas der Reichskanzler die Note an die Regierung der Vereinigten
Staaten und teilte mit, daß entsprechende Noten an die übrigen
Neutralen gerichtet worden sind.
Der Reichskanzler schloß mit folgenden Worten: "Niemand unter
uns wird vor dem Ernst des Schrittes, den wir tun, die Augen verschließen.
Daß es um unser Leben geht, weiß seit dem 4. August 1914 jeder.
Und durch die Ablehnung unseres Friedensangebotes ist dies Wissen blutig
unterstrichen. Als wir 1914 gegenüber der russischen Generalmobilmachung
zum Schwerte greifen mußten, da taten wir es in dem Gefühle
tiefster Verantwortung gegen unser Volk und in dem Bewußtsein entschlossener
Kraft, die da spricht: Wir müssen, darum können wir auch. Unendliche
Ströme Blutes sind seitdem geflossen, aber das Müssen und Können
haben sie nicht weggewaschen. Wenn wir uns jetzt zur Anwendung unserer
besten und schärfsten Waffe entschlossen haben, so leitet uns nichts
anderes als nüchterne Erwägung aller in Frage kommenden Umstände,
nichts als der feste Wille, unserem Volke herauszuhelfen aus der Not
und Schmach, die ihm unsere Feinde zudenken. Der Erfolg steht in höherer
Hand. Was Menschenkraft vermag, um ihn für unser Vaterland zu erzwingen,
seien Sie sicher, meine Herren, nichts dazu ist versäumt, alles dazu
wird geschehen."
Berlin, 31. Januar.
Der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika
ist heute folgende Note übermittelt worden:
Eure Exzellenz haben die Güte gehabt, mir unter dem 22. d. M. von
der Botschaft Mitteilung zu machen, die der Herr Präsident der Vereinigten
Staaten von Amerika am gleichen Tage an den amerikanischen Senat gerichtet
hat. Die Kaiserliche Regierung hat von dem Inhalt der Botschaft mit ernster
Aufmerksamkeit Kenntnis genommen, die den von hohem Verantwortlichkeitsgefühl
getragenen Darlegungen des Herrn Präsidenten zukommt. Es gereicht
ihr zu großer Genugtuung, festzustellen, daß die Richtlinien
dieser bedeutsamen Kundgebung in weitem Umfange mit den Grundsätzen
und Wünschen übereinstimmen, zu denen sich Deutschland bekennt.
Hierzu gehört an erster Stelle: das Recht der Selbstbestimmung und
die Gleichberechtigung aller Nationen; in Anerkennung dieses Prinzips
würde Deutschland es aufrichtig begrüßen, wenn Völker,
wie Irland und Indien, die sich der Segnungen staatlicher Unabhängigkeit
nicht erfreuen, nunmehr ihre Freiheit erlangten. Bündnisse, die die
Völker in den Wettbewerb um die Macht hineintreiben und in ein Netz
eigennütziger Intrigen verstricken, lehnt auch das deutsche Volk
ab. Dagegen ist seine freudige Mitarbeit allen Bemühungen gesichert,
die auf die Verhütung künftiger Kriege abzielen. Die Freiheit
der Meere als Vorbedingung für den freien Bestand und den friedlichen
Verkehr der Völker hat ebenso wie die offene Tür für den
Handel aller Nationen stets zu den leitenden Grundsätzen der deutschen
Politik gehört. Um so tiefer beklagt es die Kaiserliche Regierung,
daß das friedensfeindliche Verhalten ihrer Gegner es der Welt unmöglich
macht, schon jetzt die Verwirklichung dieser erhabenen Ziele in Angriff
zu nehmen. Deutschland und seine Verbündeten waren bereit, alsbald
in Friedensverhandlungen einzutreten und hatten als Grundlage die Sicherung
des Daseins, die Ehre und Entwicklungsfreiheit ihrer Völker bezeichnet.
Ihre Pläne waren, wie sie in der Note vom 12. Dezember 1916 ausdrücklich
betonten, nicht auf die Zerschmetterung oder Vernichtung der Gegner gerichtet
und nach ihrer Überzeugung mit den Rechten der anderen Nationen wohl
vereinbar. Was insbesondere Belgien anlangt, das den Gegenstand warmherziger
Sympathien in den Vereinigten Staaten bildet, so hat der Reichskanzler
wenige Wochen zuvor erklärt, daß eine Einverleibung Belgiens
niemals in Deutschlands Absichten gelegen habe. Deutschland wollte in
dem mit Belgien zu schließenden Frieden lediglich Vorsorge dafür
treffen, daß dieses Land, mit dem die Kaiserliche Regierung in guten
nachbarlichen Verhältnissen zu leben wünscht, von den Gegnern
nicht zur Förderung feindlicher Anschläge ausgenutzt werden
kann. Solche Vorsorge ist um so dringender geboten, als die feindlichen
Machthaber in wiederholten Reden und namentlich in den Beschlüssen
der Pariser Wirtschaftskonferenz unverhüllt die Absicht ausgesprochen
haben, Deutschland auch nach Wiederherstellung des Friedens nicht als
gleichberechtigt anzuerkennen, vielmehr systematisch weiter zu bekämpfen.
An der Eroberungssucht der Gegner, die den Frieden diktieren wollen, ist
der Friedensversuch der vier Verbündeten gescheitert. Unter dem Aushängeschild
des Nationalitätenprinzips haben sie als Kriegsziel enthüllt, Deutschland, Österreich-Ungarn,
die Türkei und Bulgarien zu zerstückeln und zu entehren. Dem Verföhnungswunsch stellen sie
ihren Vernichtungswillen entgegen. Sie wollen den Kampf bis aufs äußerste.
So ist eine neue Sachlage entstanden, die auch Deutschland zu neuen Entschlüssen
zwingt. Seit zwei und einhalb Jahren mißbraucht England seine Flottenmacht
zu dem frevelhaften Versuch, Deutschland durch Hunger zur Unterwerfung
zu zwingen. In brutaler Mißachtung des Völkerrechts unterbindet
die von England geführte Mächtegruppe nicht nur den legitimen
Handel ihrer Gegner; durch rücksichtslosen Druck nötigt sie
auch die neutralen Staaten, jeden ihr nicht genehmen Handelsverkehr aufzugeben
oder den Handel nach ihren willkürlichen Vorschriften einzuschränken.
Das amerikanische Volk kennt die Bemühungen, die unternommen worden
sind, um England und seine Bundesgenossen zur Rückkehr zum Völkerrecht
und zur Achtung vor dem Gesetz der Freiheit der Meere zu bewegen. Die
englische Regierung verharrt bei ihrem Aushungerungskrieg, der zwar die
Wehrkraft des Gegners nicht trifft, aber Frauen und Kinder, Kranke und
Greise zwingt, um ihres Vaterlandes willen schmerzliche, die Volkskraft
gefährdende Entbehrungen zu erdulden. So häuft britische Herrschsucht
kalten Herzens die Leiden der Welt, unbekümmert um jedes Gebot der
Menschlichkeit, unbekümmert um die Proteste der schwergeschädigten
Neutralen, unbekümmert selbst um die stumme Friedenssehnsucht bei
den Völkern der eigenen Bundesgenossen. Jeder Tag, den das furchtbare
Ringen andauert, bringt neue Verwüstungen, neue Not und neuen Tod.
Jeder Tag, um den der Krieg abgekürzt wird, erhält auf beiden
Seiten Tausenden tapferer Kämpfer das Leben und ist eine Wohltat
für die gepeinigte Menschheit.
Die Kaiserliche Regierung würde es vor ihrem eigenen Gewissen, vor
dem deutschen Volk und vor der Geschichte nicht verantworten können,
wenn sie irgendein Mittel unversucht ließe, das Ende des Krieges
zu beschleunigen. Mit dem Herrn Präsidenten der Vereinigten Staaten
hatte sie gehofft, dieses Ziel durch Verhandlungen zu erreichen. Nachdem
der Versuch zur Verständigung von den Gegnern mit verschärfter
Kampfansage beantwortet worden ist, muß die Kaiserliche Regierung,
wenn sie in höherem Sinne der Menschheit dienen und sich an den eigenen
Volksgenossen nicht versündigen will, den ihr von neuem ausgedrungenen
Kampf ums Dasein nunmehr unter vollem Einsatz aller Waffen fortführen.
Sie muß daher auch die Beschränkungen fallen lassen, die sie
sich bisher in der Verwendung ihrer Kampfmittel zur See auferlegt hat.
Im Vertrauen darauf, daß das amerikanische Volk und seine Regierung
sich den Gründen dieses Entschlusses und seiner Notwendigkeit nicht
verschließen werden, hofft die Kaiserliche Regierung, daß
die Vereinigten Staaten die neue Sachlage von der hohen Warte der Unparteilichkeit
würdigen und auch an ihrem Teil mithelfen werden, weiteres Elend
und vermeidbare Opfer an Menschenleben zu verhüten.
Indem ich wegen der Einzelheiten der geplanten Kriegsmaßnahmen zur
See auf die anliegende Denkschrift Bezug nehmen darf, darf ich gleichzeitig
der Erwartung Ausdruck geben, daß die amerikanische Regierung amerikanische
Schiffe vor dem Einlaufen in die in der Anlage beschriebenen Sperrgebiete
und ihre Staatsangehörigen davor warnen wird, den mit Häfen
der Sperrgebiete verkehrenden Schiffen Passagiere oder Waren anzuvertrauen.
Ich benutze diesen Anlaß, um Eurer Exzellenz den Ausdruck meiner
ausgezeichnetsten Hochachtung zu erneuern. (gez.) Zimmermann. |