Die
Schlacht am Wytschaetebogen
Bericht aus dem
deutschen Großen Hauptquartier vom 5. August 1917
I.
Das Dorf Wytschaete,
welches, südlich Ypern auf einem Höhenzug gelegen, zahlreiche
Straßen aus Norden, Westen und Süden zusammenlaufend verknüpft,
hat einer Schlacht den Namen geliehen, die durch den bis dahin unerhörten
Aufwand an technischen und menschlichen Energien in der Kriegsgeschichte
denkwürdig ist. Die Erstarrung der Fronten nach den Kämpfen
in Flandern hatte im Herbst 1914 einen Keil gebildet, der sich aus der
deutschen Linie bedrohlich in die englische Front hineinschob. Ein Bogen
von 15 km Länge verließ bei der Doppelhöhe 60 östlich
Zillebeke die von Nord nach Süd gestreckte Front und spannte sich,
den Ypern-Lyskanal überschreitend, um die Dörfer Wytschaete
und Messines, um südwestlich Warneton in die gerade Linie wieder
einzumünden. Vom Lys-Fluß und vom Kanalbett allmählich
ansteigend, führt ein von Flecken und Höfen, Waldstücken,
Alleen, Äckern und Triften, Baumgruppen und Hecken reich gemustertes
Gelände auf den Höhenzug, der auf beiden Flanken von den zu
Bastionen umgeschaffenen Dörfern gekrönt, ebenso allmählich
sich in die englischen Linien senkt. Drüben in der Tiefe der feindlichen
Stellungen erhebt sich der Kemmelberg zu einer den Umkreis beherrschenden
Höhe. An seinem Fuß entspringt der Douvebach, schlängelt
sich durch ein Wirrsal englischer Gräben um den Berg Rossignol und
läuft südlich Messines zu den Deutschen über; Hügelland
und Ebene im südlichen Bogen schneidend, mündet er bei Warneton
in die Lys. Gegen Osten begrenzen Eisenbahn und Kanal nebeneinanderlausend
das Schlachtfeld, gabeln sich jedoch bei Hollebeke; die Bahn verläßt,
zwischen den Höhen 59 und 60 durchgleitend, die deutschen Linien,
der Kanal krümmt ein Knie und tritt südlicher zum Engländer
über. Das so umschlossene Gelände ist 50 qkm groß; es
ist Bauernland, etwa 50 bis 60 Einzelhöfe, jeder ein kleines Fort,
durchsetzen das Schlachtfeld.
Der Wille des Engländers war seit 1914 auf den Wytschaetebogen gerichtet.
Lille beschützend, Ypern bedrohend, erschien ihm der Keil ein bedeutendes
Hindernis. Deutsche Batterien, hinter die Höhen von Wytschaete geduckt,
haben aus soweit vorgeschobenen
Stellungen ihre Reichweite verlängernd die feindlichen Gräben
in der Ypernbucht und nördlich Armentières flankierend bestrichen.
"Diesen bösen Geist des Wytschaetebogens", sagen englische
Kritiker, galt es zu bannen. So begann, da kein anderes Mittel angesichts
dieser natürlichen Festung zu fruchten schien, schon Ausgang 1914
der Feind den unheimlichen und mühevollen Krieg unter der Erde. Tiefer
liegend um 5 bis 10 m als der Deutsche unterfährt er mit seinen bis
zu 20 m tiefen Stollen unseren vordersten Graben und zwingt zur Abwehr.
Die deutschen Pioniere haben schweren Stand. Ehe der wasserführende
Schwemmsand durchstoßen und abgeteuft ist, bohrt sich der Engländer,
der nur wenige Meter Diluvialschicht zu überwinden hat, bereits in
den fetten Ypernton. Im Luftkampf gewinnt, wer von oben kommt, umgekehrt
gilt die Regel unter der Erde. Trotzdem gelingt es, den Gegner an mehreren
Punkten, so am Alfweg und bei Hollandsche Schuur, im Sommer 1915 zurückzuquetschen;
aber hartnäckig den Vorteil des Bodens sich nutzbar machend, setzt
der Engländer während des Winters die heimliche Arbeit fort.
Oben im Norden bohrt er sich unter die Eisenbahnhöhen, seitwärts
des Kanals werden flache Stollen vorgetrieben, bald ist die Höhe
von St. Eloi unterhöhlt, zwischen Maedelstede und Backhof unterfährt
er mit einer Reihe von Schächten die Stirn des Keils. Im März
1916 läßt er die Mine von St. Eloi aus 25 m Tiefe springen.
Vorbereitungen über Tage lassen erkennen, daß er im Hochsommer
zum Angriff schreiten will, da lenkt die Eroberung der Doppelhöhe
60 und der Hoogehöhe ihn nach Norden ab. Ununterbrochen indessen
gewinnt er an Tiefe, und im Herbst zwingt die erkannte unterirdische Umfassung
des Wytschaetebogens die deutschen Pioniere zur höchsten Anstrengung.
Den Vorsprung eines Jahres, während unsere Mineure auf den Loretto-
und Vimyflügeln, in Argonnen, Vogesen und Karpathen dringender am
Werk gewesen waren, gilt es einzuholen, die Feindseligkeiten des Bodens
müssen überwunden werden. Der stillen todesmutigen Arbeit der
Mineure gelingt es, die flachen Stollen am Kanal und am Douvebach abzuquetschen.
Mit versenkten Eisenbetonschächten wird man des Schwemmsandes Herr
und sprengt in Tiefen von 40 m beim Franseckyhof, an der Spanbroekmühle
und beim Noelhof den Feind zurück. Auf der Höhe von St. Eloi,
bei Maedelstede und am Backhof, wo der Gegner in 50 bis 60 m Tiefe unterfahren
hat, glückt es nur, ihn vom zweiten Graben abzudrücken. An den
gefährdetsten Punkten, wie bei Hollandsche Schuur, wird die Stellung
zurückgenommen und der Feind durch Gewaltsprengungen abgeriegelt.
II.
Im Frühjahr
1917 glaubt der Engländer die unterirdische Umfassung vollendet.
Inzwischen hat er, mit unerhörtem Aufwand die technische Rüstung
der Sommeschlacht weit überbietend, seine Vorbereitungen über
der Erde betrieben. Lager, Stellungen und Unterstandsgruppen wachsen sich
aus zu einer förmlichen Wabenstadt, ein Spinnwebnetz breit- und schmalspuriger
Bahnen, so dicht und verzweigt wie Straßenbahnen einer Großstadt,
rollt unablässig Munition, Material und Nahrungsmittel zu Stapelplätzen
und Truppe.
Der Monat Mai wirft Zerstörung über das fruchtbare, eben zur
Blüte ansetzende Land.
Eine Kette von 30,5 cm-Batterien spannt sich um den Wytschaetebogen. Mit
ihren beiden Augen, dem Kemmelberg und dem Rossignol, das Gelände
weit überblickend, hämmert die englische Artillerie auf den
deutschen Gräben und Werken und führt Buch über die lückenlose Zerstörungsarbeit. Tief im deutschen Hintergelände
werden Gefechtsstände und Knotenpunkte durch Fernkampfgruppen bekämpft,
kein Bau über der Erde, der nicht Ziel eines Geschützes würde.
Schwere Minenwerfer verwandeln die vorderen Gräben in Trichterstreifen.
Die Elemente sich dienstbar machen, mit Erz, Feuer und Gas den Feind so
vernichten, daß der Angriff zu einem Spaziergang über einen
Friedhof wird, ist britischer Plan und Ehrgeiz. Auch das Wasser, auf das
der deutsche Spaten in Metertiefe stößt, das uns gezwungen
hat, überirdische Betonklötze aufzurichten, kommt dem Engländer
zu Hilfe.
Währenddessen leisteten die deutschen Truppen übermenschliches
an Widerstandskraft. Vornehmlich Ostpreußen und Sachsen, die Verteidiger
von Wytschaete und Messines, dulden das Schwerste und werden auf den dem
Feind zugekehrten Hängen von Schlacht zu Schlacht, von Trichter zu
Trichter getrieben. Mit aufgestülpter Gasmaske schlummernd, findet
der Mann auch in der Nacht nur stundenweisen Schlaf. Die beiden Dörfer,
vormals mächtige Bollwerke, sind buchstäblich dem Erdboden gleichgemacht,
aus zerschlagenen Betonhäusern treibt es den Mann schutzsuchend ins Freie. Die deutschen
Batterien, in den Keil vorgezogen und dem Gelände angezwungen, sich
zu Nestern versammelnd, bieten dem Feind breites Ziel und werfen dennoch
unermüdlich Hemmung und Vernichtung in die Linie des Angreifers.
Wohl hat die deutsche Führung die vorderste Linie, der unterirdischen
Gefahr ausweichend, gelichtet oder entblößt, dennoch finden
australische und kanadische Kompanien, die zur Totenschau vorfühlen,
grimmigen Widerstand und melden verwunderten Befehlshabern, daß
die Deutschen immer noch nicht sturmreif sind. Was sie nicht melden können,
ist, daß hier und dort im Gelände versteckt abgespaltene Maschinegewehre
und versenkte Abwehrgeschütze heil auf den Angriff lauern.
Der 27. Mai 1917 leitet den allgemeinen 10 Tage langen, mit bis dahin
unerhörter Stärke anhaltenden Artilleriekampf und damit die
Schlacht ein. Geschossenes und geblasenes Gas vergiftet die Nächte.
Erkundungstrupps von wachsender Stärke bis zum Bataillonsverband
stoßen an verschiedenen Punkten vor; sie werden zurückgeworfen.
Lange geschonte Divisionen schiebt der Engländer in den Ring, allmählich wächst
die Angriffsarmee auf 60 bis 70000 Mann, 5 Mann auf den Meter Boden, 11
Divisionen stehen gegen 5 deutsche. Die ersten Junitage bündeln das Artilleriefeuer zu kurzen
Trommelschläger bestimmt, Angriffe vorzutäuschen und den Verteidiger
herauszulocken. Doch erst die unheimliche stille Nacht vom 6. auf den
7. Juni 1917 bringt den Morgen des Angriffs.
Am 7. Juni Punkt 4 Uhr früh verkünden dumpfe Erschütterungen
bis 25 km landeinwärts den Beginn der Schlacht. Eine grüne,
durch die Morgendämmerung schwebende Leuchtkugel gab das Zeichen,
und an 19 Punkten des Wytschaetebogens zerreißen Zehntausende von
Zentnern Dynamit den Erdboden, schleudern haushohe Wogen von Rauch. Flammen
und mächtige Brocken in die Luft. Spätere Photographien lassen
120 m breite aus 60 m Tiefe aufgewühlte Krater erkennen. Plötzliches
fieberhaftes Trommelfeuer stürzt sich kurze Minuten lang auf das
ganze Schlachtfeld, schiebt sich, die vorderen Gräben freigebend,
100 um 100 m vor, und von dichten künstlich gewälzten Rauchschwaden
gehüllt, tritt der Engländer auf ganzer Front von Zillebeke
bis St. Yvon zum Sturm an. Die Wirkung dieser gewaltigsten Sprengung des
Krieges ist überschätzt worden. Infolge der heldenmütigen
Anstrengung unserer Pioniere teils von unserer Linie gedrängt, teils
an den vordersten Graben gefesselt, an manchen Stellen ganz, an andern
zum Teil abgequetscht und unschädlich gemacht, haben die Explosionen
unter der dünnen Besatzung wenig Opfer gefunden. Stark aber, wie
jedes elementare Ereignis, war die seelische Wirkung auf unsere aus dem
Schlaf gerissenen Truppen. Die begleitenden Tageserscheinungen, der weitgetriebene
Luftdruck und die ausgestrahlten Hitzewellen verbreiten Verwirrung Auch
die rückwärtigen Besatzungen wissen von dem betäubenden
Eindruck der umfassenden Sprengungen zu berichten. Daß trotzdem
der Engländer stundenlang um den Besitz der benachbarten Höhen
ringen mußte, zeugt von erhabener Mannhaftigkeit unserer Leute die
mit Worten nicht gewürdigt werden kann.
III.
Eine Stunde nach
der Sprengung sind die vorderen Stellungen im Besitz des Feindes; zwischen
6 und 7 Uhr erscheint er auf der Höhe. Wie ein Schrittmacher gibt
der stufenweise vorrückende Feuervorhang den Takt für die Vorwärtsbewegung
der Sturmtruppen an. Nebelausquellende Panzerstreitwagen kriechen auf
den strahlenförmigen Straßen, die vorausgehenden Trupps verschleiernd,
gegen Wytschaete heran. Während, zwischen zwei Stützpunkten
durchbrechend, die englischen Spitzen schon vorgeschobene deutsche Geschütze
erreichen, toben nördlich und südlich Wytschaete und um den
Besitz von Messines in ihrem Rücken erbitterte Einzelkämpfe.
Grimmig klammern sich die preußischen und bayerischen Maschinengewehre
an die Stützpunkte fest und ringen, obschon von allen Seiten umstell,
im Vertrauen auf raschen Entsatz, um jeden Schritt Boden. Noch am späten
Abend, als längst der Tag entschieden war, hört man in Messines
klappernde Maschinengewehre.
Der auf den östlichen Höhen erscheinende Feind, von schnell
gefaßten Geschützen im direkten Feuer empfangen, sammelt sich
zum zweiten Stoß. Währenddessen ist der Angriff im Norden und
Süden nicht vorwärts gekommen. Am Kanal und an der Eisenbahn
waren die Sprengungen dank unseren Pionieren von geringem Erfolg, in den
dichten Waldungen westlich des Kanalrains versickerten die Sturmwellen.
Wohl waren im Süden, im Schutz der Douveniederung, die Angreifer
in den Rücken von Messines gelangt, aber zwischen Douve und Lys zerrieb
sich der Stoß an den bayerischen Reserven. Da es also nicht gelungen
war, die Flügel der deutschen Front aus den Gelenken zu reißen
und umfassend einzuschwenken, suchten die bei St. Eloi, Wytschaete und
Messines eingedrungenen Massen, sich vereinigend, das Zentrum zu durchstoßen,
um dann, den Kanal überschreitend, den nördlichen Flügel
aufzurollen. Die deutsche Sehnenstellung, die, gradlinig von Hollebeke
nach westlich Warneton verlaufend, die meisten Batterien verknüpfte,
war das nächste Hindernis; Zielpunkte wurden die Dörfer Wambeke
und Hollebeke. Mit äußerster Kraft wehren sich die deutschen
Reserven, Schulter an Schulter mit den um die verschossenen oder zertrümmerten
Geschütze gescharten Artilleristen, gegen die Übermacht. In
manchen Feuerstellungen wird das letzte Geschütz gesprengt, Minuten
ehe der Engländer anlangt. Kein deutsches Rohr ist unzerstört
in Feindeshand gefallen.
Es ist Nachmittag geworden, und die rückwärts bereitgehaltenen
Reserven treffen auf dem Schlachtfeld ein. Garde und Sachsen, von einem
bayerischen Regiment unterstützt, gehen gegen Messines vor, die Westfalen
setzen über den Kanal und werfen den schon über Wambeke hinaus
gelangten Feind gegen Wytschaete zurück. Die Artilleriekampftruppen
östlich Ypern und nördlich Lille streichen aus den Flanken,
frische Artillerie fährt auf und die von der Übermacht in schwankenden
Luftkämpfen über Comines zurückgedrängten Fliegergeschwader
stoßen noch einmal heldenmütig vor, um den Batterien das Ziel
zu weisen. Der Feind, dem Verstärkungen über Wytschaete zuströmen,
der sogar nördlich Messines berittene Schwadronen nutzlos in unsere
Maschinengewehre hetzt, sieht sich bald in dem schwierigen Gelände
in blutigen Kampf verstrickt. Um Hecke und Hof, um Baum und Busch wogt das Gefecht. Als die Garde im Süden, wo der Feind
nicht in gleiche Tiefe vorgestoßen war, raschere Fortschritte macht und die westfälische
Division hinter sich
läßt, bietet sich das Glück dem Engländer an, er
stößt in die Lücke. Aber der rechte Flügel der Garde biegt um und treibt den Feind aus der Sehnenstellung hinaus.
Der Abend verläßt den Engländer im Besitz der Höhenzüge,
aber an beiden Flügeln unbeweglich, von der Sehnenstellung zurückgeworfen und gezwungen,
sich einzugraben. Die deutsche Führung, Opfer und Gewinn einer neuen
Schlacht um Wytschaete abwägend, nimmt die Truppen während der
Nacht in eine vorbereitete Linie, die von der Doppelhöhe 60 über
Hollebeke und Waasten verläuft, zurück; Artillerie geht diesseits
und jenseits des Kanals in Stellung. An dieser gestreckten Front scheitern
Angriffsversuche der Engländer am 11. und 13. Juni. Die Schlacht
im Wytschaetebogen ist abgedämmt. Dennoch soll der Erfolg des Feindes
nicht verkannt werden. Auch nicht verkleinert dadurch, daß ihm Durchbruchsabsichten
untergeschoben werden, wofür die Anzahl der eingesetzten Divisionen
zu schwach bemessen war. Dagegen war sein Trieb nach vorwärts noch
am Nachmittage des 7. Juni unverkennbar; den Kanal zu gewinnen und seinerseits
einen Block in den Norden von Lille vorzutreiben, schien das angestrebte
Ziel. Dem hat der deutsche Gegenangriff die eiserne Barrikade vorgeschoben.
Auch auf deutscher Seite darf die Schlacht ins Haben gebucht werden. Physische
Energien, im Dienst des Feindes zu niemals höherer Leistung versammelt,
im Kampf gegen seelische Energien, in den Herzen unserer Truppen zu ebenso
unfaßbarer Größe gesteigert, das ist das Gepräge.
Infanterist und Artillerist, Mineure und Flieger haben den übermächtigen
Elementen das Äußerste abgerungen. Das Maschinengewehr als
Kampfeinheit, sich wehrend bis zum letzten Gurt und mit der letzten Handgranate,
hat die englische Phalanx in hundert Einzelkämpfen ausgelöst
und, wenn auch ein Teilerfolg nicht abzuwenden war, dem Feind das Blut
abgezapft, mit dem der Tag teuer erkauft werden mußte. Jahrelange
Vorbereitungen über und unter der Erde, die Monatsleistungen vieler
Fabriken und hingeopferte Menschenübermacht haben den "bösen
Geist von Wytschaete" gebannt. Der nutzbare Erfolg steht in keinem
Verhältnis zu solchen Opfern.
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