Die
zweite Antwortnote Wilsons an Deutschland
US-Präsident
Woodrow Wilson
Staatsdepartement,
14. Oktober 1918.
Mein Herr! In Erwiderung auf die Mitteilung der
deutschen Regierung vom 12. d. M., die Sie mir heute aushändigten,
habe ich die Ehre, Sie (d. h. den schweizerischen
Geschäftsträger) um die Übermittelung der folgenden Antwort
zu bitten:
"Die unbedingte Annahme der vom Präsidenten der Vereinigten
Staaten von Amerika in seiner Ansprache an den Kongreß der
Vereinigten Staaten vom 8. Januar 1918 und seinen späteren
Ansprachen niedergelegten Bedingungen durch die gegenwärtige
deutsche Regierung und eine große Mehrheit des Deutschen
Reichstages berechtigt den Präsidenten zu einer freimütigen und
unumwundenen Erklärung über die Entscheidung, die er auf die
Mitteilungen der deutschen Regierung vom 5. und 12. Oktober 1918 hin
getroffen hat.
Es muß Klarheit darüber herrschen, daß der Vorgang der Räumung
und die Bedingungen eines Waffenstillstandes Gegenstände sind, die
dem Urteil und dem Rat der militärischen Ratgeber der Regierung der
Vereinigten Staaten und der alliierten Regierungen überlassen
bleiben müssen, und der Präsident empfindet es als seine Pflicht,
zu sagen, daß keine Vereinbarung von der Regierung der Vereinigten
Staaten angenommen werden kann, die nicht völlig befriedigende
Sicherheiten und Bürgschaften für die Aufrechterhaltung der
gegenwärtigen militärischen Überlegenheit der Armeen der
Vereinigten Staaten und der Alliierten im Felde vorsieht. Er glaubt
mit Sicherheit annehmen zu dürfen, daß dies auch das Urteil und
die Entscheidung der alliierten Regierungen sind. Der Präsident
hält es ebenfalls für seine Pflicht, hinzuzufügen, daß sich
weder die Regierung der Vereinigten Staaten, noch, wie er sicher
annimmt, die Regierungen, mit denen die Vereinigten Staaten als
kriegführende Macht verbunden sind, aus die Erörterung eines
Waffenstillstandes einlassen werden, solange die deutschen
Streitkräfte die ungesetzlichen und unmenschlichen Handlungen
fortsetzen, auf denen sie immer noch beharren.
Zu derselben Zeit, wo die deutsche Regierung an die Regierung der
Vereinigten Staaten mit Friedensvorschlägen herantritt, sind ihre
U-Boote beschäftigt, auf der See Passagierschiffe zu versenken, und
nicht nur die Schiffe, sondern auch die Boote, in denen ihre
Passagiere und Besatzungen versuchen, sich in Sicherheit zu bringen.
Die deutschen Armeen schlagen bei ihrem jetzigen erzwungenen
Rückzuge aus Flandern und Frankreich den Weg mutwilliger
Zerstörung ein, der immer als direkte Verletzung der Regeln und
Gebräuche der zivilisierten Kriegführung betrachtet worden ist.
Die Städte und Dörfer, wenn sie nicht zerstört sind, sind von
allem, was sie enthalten, oft sogar ihrer Einwohner, beraubt. Es
kann nicht erwartet werden, daß die gegen Deutschland verbundenen
Nationen einem Waffenstillstand zustimmen werden, solange die
unmenschlichen Handlungen, Plünderung und Verwüstung, fortgesetzt
werden, auf die sie mit Recht mit Schrecken und empörtem Herzen
blicken.
Zur Vermeidung jeder Möglichkeit eines Mißverständnisses hält es
der Präsident weiter für nötig, die Aufmerksamkeit der Regierung
Deutschlands in feierlichster Form auf den Wortlaut und den klaren
Sinn einer der Friedensbedingungen zu lenken, die die deutsche
Regierung soeben angenommen hat. Sie ist in der Ansprache des
Präsidenten in Mount Vernon am 4. Juli d. J. enthalten und lautet:
"Vernichtung jeder Willkür und Macht, die für sich allein und
heimlich den Frieden der Welt stören kann, und wenn ihre
Vernichtung jetzt nicht möglich ist, mindestens ihre Herabdrückung
zu tatsächlicher Machtlosigkeit."
Und die Macht, die bisher die deutsche Nation beherrscht, ist von
der hier beschriebenen Art. Es liegt innerhalb der Wahl der
deutschen Nation, das zu ändern. Die soeben angeführten Worte des
Präsidenten bilden natürlich eine (die) Bedingung, die dem Frieden
vorangehen muß, wenn anders der Friede durch die Handlungsweise des
deutschen Volkes selbst kommen soll. Der Präsident fühlt sich
verpflichtet, zu sagen, daß nach seinem Urteil die ganze
Durchführung des Friedens von der Bestimmtheit und dem
zufriedenstellenden Charakter der Bürgschaften abhängen wird, die
in dieser grundlegenden Frage gegeben werden können. Es ist
unumgänglich notwendig, daß die gegen Deutschland verbundenen
Regierungen unzweideutig wissen, mit wem sie es tun haben."
Der Präsident wird eine besondere Antwort an die kaiserliche und
königliche Regierung von Österreich-Ungarn senden.
Empfangen Sie, mein Herr, die erneute Versicherung meiner
Hochschätzung.
Robert
Lansing. 1)
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