Die
zweite deutsche Antwortnote an Wilson
Militärische
Regelung der Räumungsfrage - Einstellung der Versenkung von Passagierschiffen
Berlin, 21.
Oktober.
Die deutsche Antwort auf die amerikanische Note vom 14. d. M. lautet
wie folgt:
Die Deutsche Regierung
ist bei der Annahme des Vorschlages zur Räumung der besetzten Gebiete
davon ausgegangen, daß das Verfahren bei dieser Räumung und
die Bedingungen des Waffenstillstandes der Beurteilung militärischer
Ratgeber zu überlassen seien, und daß das gegenwärtige
Kräfteverhältnis an den Fronten den Abmachungen zugrunde zu
legen ist, die es sichern und verbürgen. Die Deutsche Regierung gibt
dem Präsidenten anheim, zur Regelung der Einzelheiten eine Gelegenheit
zu schaffen. Sie vertraut darauf, daß der Präsident der Vereinigten
Staaten keine Forderung gutheißen wird, die mit der Ehre des deutschen
Volkes und mit der Anbahnung eines Friedens der Gerechtigkeit unvereinbar
sein würde.
Die Deutsche Regierung legt Verwahrung ein gegen den Vorwurf ungesetzlicher
und unmenschlicher Handlungen, der gegen die deutschen Land- und Seestreitkräfte
und damit gegen das deutsche Volk erhoben wird.
Zerstörungen werden zur Deckung eines Rückzuges immer notwendig
sein und sind insoweit völkerrechtlich gestattet. Die deutschen Truppen
haben die strengste Weisung, das Privateigentum zu schonen und für
die Bevölkerung nach Kräften zu sorgen. Wo trotzdem Ausschreitungen
vorkommen, werden die Schuldigen bestraft.
Die Deutsche Regierung bestreitet auch, daß die deutsche Marine
bei Versenkung von Schiffen Rettungsboote nebst ihren Insassen absichtlich
vernichtet hat.
Die Deutsche Regierung schlägt vor, in allen diesen Punkten den Sachverhalt
durch neutrale Kommissionen aufklären zu lassen.
Um alles zu verhüten, was das Friedenswerk erschweren könnte,
sind auf Veranlassung der Deutschen Regierung an sämtliche Unterseeboot-Kommandanten
Befehle ergangen, die eine Torpedierung von Passagierschiffen ausschließen,
wobei jedoch aus technischen Gründen eine Gewähr dafür
nicht übernommen werden kann, daß dieser Befehl jedes in See
befindliche Unterseeboot vor seiner Rückkehr erreicht.
Als grundlegende Bedingung für den Frieden bezeichnet der Präsident
die Beseitigung jeder auf Willkür beruhenden Macht, die für
sich, unkontrolliert und aus eigenem Belieben den Frieden der Welt stören
kann. Darauf antwortet die Deutsche Regierung: Im Deutschen Reich stand
der Volksvertretung ein Einfluß auf die Bildung der Regierung bisher
nicht zu. Die Verfassung sah bei der Entscheidung über Krieg und
Frieden eine Mitwirkung der Volksvertretung nicht vor. In diesen Verhältnissen
ist ein grundlegender Wandel eingetreten. Die neue Regierung ist in völliger
Übereinstimmung mit den Wünschen der aus dem gleichen, allgemeinen,
geheimen und direkten Wahlrecht hervorgegangenen Volksvertretung gebildet.
Die Führer der großen Parteien des Reichstages gehören
zu ihren Mitgliedern. Auch künftig kann keine Regierung ihr Amt antreten
oder weiterführen, ohne das Vertrauen der Mehrheit des Reichstages
zu besitzen. Die Verantwortung des Reichskanzlers gegenüber der Volksvertretung
wird gesetzlich ausgebaut und sichergestellt. Die erste Tat der neuen
Regierung ist gewesen, dem Reichstag ein Gesetz vorzulegen, durch das
die Verfassung des Reichs dahin geändert wird, daß zur Entscheidung
über Krieg und Frieden die Zustimmung der Volksvertretung erforderlich
ist.
Die Gewähr für die Dauer des neuen Systems ruht aber nicht nur
in den gesetzlichen Bürgschaften, sondern auch in dem unerschütterlichen
Willen des deutschen Volkes, das in seiner großen Mehrheit hinter
diesen Reformen steht und deren energische Fortführung fordert.
Die Frage des Präsidenten, mit wem er und die gegen Deutschland verbündeten
Regierungen es zu tun haben, wird somit klar und unzweideutig dahin beantwortet,
daß das Friedens- und Waffenstillstandsangebot ausgeht von einer
Regierung, die, frei von jedem willkürlichen und unverantwortlichen
Einfluß, getragen wird von der Zustimmung der überwältigenden
Mehrheit des deutschen Volkes.
Berlin, den 20.
Oktober 1918.
gez. Solf, Staatssekretär
im Auswärtigen Amt. 1)
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