Der
Durchbruch von Flitsch Oktober 1917
Von
k. u. k. General der Infanterie Alfred Krauß
Die
elfte als Abwehrschlacht geschlagene Isonzoschlacht hatte das Armee-Oberkommando
in Baden zur Überzeugung gebracht, daß das weitere Abwarten
der italienischen Angriffe, die man bisher immer ruhig vorbereiten ließ,
ohne jemals mit einem Angriff in die Vorbereitungen der Italiener hineinzufahren,
dem Feinde den vollen Erfolg bringen müßte. Trotz allem Heldenmut
der Truppen mußte ein zwölfter italienischer Angriff infolge
der großen Blutopfer und der Einbuße an Gefangenen, die jede
einfache Abwehr solcher Angriffe mit sich brachte, den Zusammenbruch der
Front des Verteidigers herbeiführen. In dieser Erkenntnis entschloß
man sich in Baden zu einem Angriff und erbat sich dazu die Unterstützung
der Deutschen, die auch zugesagt wurde. Der Angriff sollte im Räume
Tolmein-Flitsch erfolgen und zwar von der 14. deutschen Armee, der auch
k. u. k. Truppen zugewiesen wurden, von Tolmein, von einem österreichisch-ungarischen
Korps von Flitsch her. Zum Kommandanten dieses nördlichen Flügelkorps
wurde ich bestimmt und mit dem 1. Korpskommando nach Kronau im Savetal
berufen. Ich hatte mich in Marburg beim Kommando der Südwestfront
(Erzherzog Eugen) zu melden. Dort erhielt ich meine Aufgabe. Danach unterstand
das 1. Korps dem deutschen 14. Armeekommando. Es hatte die italienische
Font bei Flitsch zu durchbrechen. Als Ziel des Angriffs der 14. Armee
war festgesetzt Gewinnung des Randes der Ebene bei Cividale-Gemona; wenn
es gut ginge, der Tagliamentolinie. Mein Plan war sofort gefaßt.
In der Überzeugung, daß und gegen der Friedensgewohnheit, die
Entscheidung in Gebirgskämpfen immer auf den Höhen zu suchen,
nur der Talstoß durchschlagende Erfolg bringen könne, war ich
entschlossen, im Tal durchzubrechen.
Es begann nun die mühsame und aufregende Vorbereitung des Angriffes.
Mühsam war sie für Kommando und Truppen, weil die Straßen
von den Eisenbahnendpunkten Tarvis und Kronau zur eigenen Stellung 30
und 40 km lang waren und über zwei hohe Gebirgssättel führten,
über den 1156 m hohen Predil und über die 1611 m hohe Mojstrovka.
Der Predil lag im italienischen Artilleriefeuer, konnte daher nur nachts
überschritten werden. Die Mojstrovka war für die schwerste Artillerie
unbenutzbar. Diese mußte über den Predil vorgezogen werden
und zum großen Teil nur 500 m hinter der eigenen Stellung ins Soca
(Isonzo)tal hinübermarschieren. Trotz dem großen Lärm,
den die schweren Autozugwagen machten, gelang dies in mehreren Nächten
ohne Unfall. Die großen Lasten an Gütern, Verpflegung und Munition
mußten über die Berge vorgebracht werden, um dann vorn in mühsamer
Arbeit in die hochgelegenen Stellungen der Truppen getragen zu werden.
Viele Wege waren nur bei Nacht benutzbar. Tausende von Trägern, teilweise
den zum Angriff bestimmten Truppen entnommen, und viele Tragtiere mühten
sich Tag und Nacht in diesem schweren Dienst ab.
Aufregend war die Vorbereitung, weil sich bei dieser langen, schweren
Arbeit zahllose Hindernisse, Widerstände und Erschwerungen ergaben.
Vor allem stellten sich schon Schwierigkeiten in der Zuweisung der nötigen
Artillerie ein. Erst spät wurde die verlangte Artillerie zugewiesen.
Der Eisenbahnverkehr war schleppend und nicht fest genug geregelt. Das
brachte Verzögerungen im Antransport der Truppen und Vorräte.
So kam es, daß wichtige Batterien erst im letzten Augenblick eintrafen,
die Munition nicht mehr vollzählig in die Stellungen gebracht werden
konnte. Die so wichtige Gasmunition ging zum Beispiel erst am 17. Oktober
von Budapest ab, konnte daher bis zum 22. Oktober, dem für den Angriff
bestimmten Tage, nicht in die Stellungen vorgebracht werden. So mußte
der Angriff auf den 24. Oktober verschoben werden.
Wenn auch noch am 23. abends durchaus nicht alle Vorbereitungen beendet
waren, mußte der Angriff am 24. Oktober erfolgen. Die Jahreszeit
war schon so ungünstig geworden, daß ein längeres Zuwarten
unmöglich erschien.
So standen denn am 23. Oktober abends die drei Divisionen des I. Korps
bereit, um am 24. früh den Angriff zu beginnen.
Der Angriffsraum des I. Korps umfaßte das Flitscher Becken und die
beiden das Becken einschließenden Gebirgsmassive. Das Flitscher
Becken stellt den etwa 10 km langen und bis 3 km breiten Talkessel des
oberen Isonzo dar, der tief eingebettet zwischen dem kahlen Felsmassiv
des Rombon-Caninstockes liegt und dem Polounik, einem Ausläufer des
felsigen Krn-Vrsicmassivs. Das Becken wird durchflossen von der Soca,
dem oberen Isonzo in einer etwa 20 m tiefen Flußrinne, längs
welcher am nördlichen Ufer die Straße von Flitsch nach Saga
führt. Dort wird der Isonzo durch den vorgelagerten, von Nordwest
nach Südost streichenden, 1668 m hohen Stolrücken gezwungen,
seine ost-westliche Laufrichtung in scharfem Knie nach Südost zu
wechseln. Er fließt dann in tiefer, enger Talschlucht über
Karfreit, wo der Stolrücken endet und das Tal sich weitet, nach Tolmein.
Wenn man am Ostende des Flitscher Beckens steht liegt es wie eine riesige
Badewanne vor dem Beschauer da. Rechts, im Norden, steigen die kahlen
Felswände des Rombon und des Canin auf 1800 bis 2100 m über
das Becken auf. Nur die 2063 m hohe Prevalascharte gestattet auf einem
Fußsteig den Verkehr hinüber ins Raccolanatal. In diesem Felsgewirr
zogen sich unsere und die italienischen Stellungen, im gelben Fels kaum
erkennbar, herunter zum Ort Flitsch, der im Besitz der Italiener war.
Links, im Süden, fällt der Polounik-Rücken, schütter
bewaldet, in schweren Felsplatten ungemein steil zum Becken ab. Vom Wurzelpunkt
des Polounik, einem 1772 m hohen kahlen Felsklotz, zieht dann, durch eine
10 m hohe Einsenkung, Pl. Za Kraju, getrennt, der schale zerklüftete
Felsrücken des Vrsic-Vrata-Krn-Kammes parallel zum Isonzo nach Südosten,
so daß zwischen dem Polounik, dem Vrsic-Krnrücken und einem
seiner Ausläufer ein gegen den Isonzo abfallender Kessel entstehet
in dessen Mittelpunkt der kleine Ort Ravna liegt. Von Flitsch zog die
italienische Stellung nach Süden auf den Vrsic-Krn-Rücken, so
daß der ganze Polounik, der 1270 m hohe Sattel Za Kraju und Ravna
in italienischem Besitz waren. Im Flitscher Becken zog etwa zwei Kilometer
hinter der ersten Stellung eine zweite italienische Stellung von den Felsabstürzen
des Rombon im Bogen zum Polounik. Bei Podcelom, 4 km westlich Flitsch
verengt sich das Becken zu einem mäßig breiten Tal, das durch
einen zum Isonzo vorspringenden niederen Feuerriegel gesperrt ist. Auf
diesem Feuerriegel lag eine dritte italienische Stellung. Im Westen wird
die Badewanne des Flitscher Beckens durch den in die Wolken aufragenden,
1668 m hohen, mächtigen Stolrücken abgeschlossen, der dort 1300
m über die Talsohle aufragt. Durch den fernen Nebeldunst schimmern
die Häuser von Saga herüber. Auch der Stolrücken trug mehrere
Linien italienischer Befestigungen, deren letzte den Rücken krönte.
Als ich das erstemal nach meinem Eintreffen in Kronau das mir wohlbekannte
großartige Bild des Flitscher Beckens wieder sah, klopfte mein Herz
doch bedenklich stark angesichts der schweren Aufgabe. Ich erkannte, daß
der Talstoß nur gelingen konnte, wenn man die Italiener überrannte,
wenn man ihnen also keine Zeit ließ, die rückwärtigen
Linien, vor allem den Stol, zu besetzen. Gelang es den Italienern den
Stol in Ordnung regelrecht zu besetzen, dann erschien ein Aufstieg aus
dem Becken wohl ausgeschlossen. Darauf gründete sich mein Plan. Danach
sollte die 22. Schützendivision, Generalmajor Rudolf Müller,
den Hauptstoß im Tale führen. sie hatte dazu drei Regimenter
hintereinander zu gruppieren; das Teteregiment hatte den Angriff zwischen
Flitsch und dem Abfall des Rombon zu führen und soweit als möglich
vorzudringen. Die linke Flanke dieses Angriffes sollte durch Vergasung
der angrenzenden italienischen Stellung bis zur Soca durch Gaswerfer geschützt
werden. Die anderen zwei Regimenter hatten den Angriff weiter zu tragen,
wenn das vorangegangene Regiment verbraucht war. So hatten die drei Regimenter
den Angriff, sich gegenseitig übergreifend, in Fluß zu halten.
Sofort nach Erreichung von Saga, des westlichen Endpunktes des Flitscher
Beckens, mußte der Stol erstiegen und erobert werden. Für diese
Aufgabe wurde eine eigene Gruppe aus zwei vorzüglichen Gebirgsbataillonen
- ein Kaiserjäger- und ein Kaiserschützenbataillon - bestimmt,
die am Ende der 22. Division folgend, von Saga ohne Halt auf den Stol
vordringen sollte. Der Talstoß hatte in einem Zug ohne Unterbrechung
bis auf den Stol zu erfolgen, der noch am ersten Angriffstag erreicht
werden sollte. Nun galt es noch die Flanke der Armee zu sichern und zu
diesem Zweck die anschließende Zona Carnia der Italiener, den Abschnitt
der Karnischen Alpen, zusammenbrechen zu machen. Diese Rolle fiel der
Edelweißdivision zu, die mit sechs Bataillonen dicht hinter der
Stolgruppe nach Saga zu folgen hatte. Von dort sollte sie mit schwerster
Artillerie ausgestattet, auf der angeblich bestehenden Straße über
Uccea und den Nizki-vrh nach Resiutta vordringen, in den Rücken der
in den Karnischen Alpen stehenden Italiener. Auf den Bergen beiderseits
des Beckens sollten die Italiener durch kräftige Angriffe gebunden
werden. Auf dem Rombon hatten vier Bataillone der Edelweißdivision
- das Salzburger 59. Inf.-Regt. und ein Kaiserjägerbataillon - die
feindliche Stellung anzupacken und bis zur Prevalascharte vorzudringen.
Zu dieser Scharte hatte nach erfolgtem Durchbruch im Tal auch ein Kaiserjägerbataillon
der Edelweißdivision von Flitsch aus aufzusteigen. Dadurch sollte
auch die benachbarte 10. Armee unterstützt werden. Südlich des
Beckens hatte die 55. Infanterie-Division anzugreifen, den Vrsic-Vratarücken
und den Polounik zu nehmen und mit der Hauptkraft über Ravna nach
Karfreit vorzustoßen. Sie hatte Verbindung zu halten mit der links
(südlich) anschließenden k. u. k. 50. Division, die der Gruppe
General von Stein angehörte. Das Gelände und die Anhäufung
der Truppen in tiefen Kolonnen schlossen es aus, die Truppen durch den
Nachschub ihrer Bedürfnisse zu versorgen. Man mußte froh sein,
wenn es gelang, auf der einzigen Straße die starke Artillerie und
die Truppentrains vorzuziehen und die Munition nachzuschieben. Die Truppen
wurden daher angewiesen, nicht auf den Zuschub von Verpflegung zu rechnen.
sie müßten von dem leben, was sie im eroberten Gebiet fänden.
Rascher Vorstoß allein werde ihnen so große Vorräte einbringen,
daß sie vorzüglich versorgt sein würden. Die Truppen waren
mit dem festen Willen zu erfüllen, die Italiener auf der ganzen Front
zu überrennen. Links vom Korps hatten die anderen Gruppen der 14
Armee in gleichem Sinne den Angriff zu führen; die ganze Armee hatte,
wie das Armeekommando in treffender Weise sagte, "in Tag und Nacht
fortgesetzten Angriffen" eine weit vorn gelegene Linie zu erreichen.
Das 1. Korps hatte danach die tiefe Natisoneschlucht westlich von Bergogna
hinter sich zu bringen. Eine gewaltige Leistung wurde mit diesem Befehle
von den Truppen gefordert - sie wurde in glänzender Weise von ihnen
erfüllt. Das 10. Armeekommando wurde bewogen, seine geringen Kräfte
Zusammenzufassen, um vom Raiblersee her den Neveasattel an zugreifen und
so die Italiener nördlich des Caninstockes wenigstens zu binden und
zu beunruhigen. Es wurde ihm Unterstützung durch schwere Artillerie
zugesagt. Um das Überrennen der Italiener zu erreichen, mußte
eine gründliche Vorbereitung des Durchbruches erfolgen. Reichliche
schwere Artillerie, schwere Minenwerfer und Gas mußten hiezu zusammenwirken,
schwere Artillerie mußte mir das Armeeoberkommando in Baden geben,
schwere Minenwerfer und Gas, welche Waffen wir nicht in wirksamer Form
besaßen, gaben mir in reichlichem Maße die deutschen Brüder.
Nur nach hartem Kampfe gelang es mir, vom Armee-Oberkommando die unbedingt
nötige Artilleriekraft zu erhalten. Dagegen stellte mir die 14. Armee
schwere Minenwerfer in so reichem Maße bei, daß dieses Kampfmittel
allein genügte, die erste italienische Stellung bei Flitsch sturmreif
zu machen. Daher konnte die weiterschießende Artillerie andere Aufgaben
erhalten. Die Artillerie hatte gleich bei Beginn des Angriffes die zweite
und dritte Stellung der Italiener im Becken unter Feuer zu nehmen und
den Eingang des Beckens bei Saga zu sperren; sie hatte die Angriffe der
Höhengruppen vorzubereiten. Etwa 80 Geschütze waren mit der
Aufgabe betraut, die zahlreichen italienischen in den Fels gesprengten
Geschützkavernen niederzuhalten. Dieser Plan für den Angriff
wurde am 28. September dem Kommando der Südwestfront gemeldet. An
diesem Tage kam der Kommandant der 14. Armee, General der Infanterie Otto
von Below, nach Kronau, um sich das Angriffsgelände zu besehen. Ich
trug ihm meinen Plan für den Durchbruch vor. Er faßte den Grundzug
meines Planes sofort auf und kleidete ihn in die treffenden Worten "Ich
verstehe, sie wollen ohne Halt auf den Stol hinauf, den Italienern soll
keine Zeit bleiben, ihre rückwärtigen Stellungen zu besetzen."
Nach dieser Besprechung ging es hinaus auf einen Beobachtungsstand bei
Koritnica. Das gewaltige Gesichtsfeld machte sichtlich Eindruck auf den
Armeekommandanten und seine Begleitung. Es wurde ihm der Verlauf der italienischen
und unserer Stellungen gezeigt, wie sie sich im Felsgewirr des Rombon
herunterzogen bis Flitsch und weiter durch das Talbecken, um südlich
davon wieder in den Felsbergen zu verschwinden. Besonders interessierten
ihn die zahlreichen, als dunkle Flecken im Fels erscheinenden Scharten
der italienischen Geschützkavernen. Er fragte, wie diese Kavernen
bekämpft werden sollten. Ich erklärte, daß für jede
Kaverne ein Geschütz bestimmt werde, das nichts zu tun habe, als
Schuß auf Schuß in die Kaverne senden. Bei der großen
Treffsicherheit unserer Geschütze hatten Probeschießen ergeben,
daß unter zehn Schüssen zwei bis drei Treffer in die Kaverne
erzielt werden könnten, was hinreichen mußte, die Kaverne außer
Tätigkeit zu setzen. De Armeekommandant zeigte dann auf den in nebliger
Ferne bis in die Wolken ragenden massigen Stol. "Und das ist der
Stol, da wollen sie hinauf?" Als der Armeekommandant den Beobachtungsstand
verließ. sagte er zu mir "Sie haben sich viel vorgenommen,
Exzellenz, ich wünsche, daß es gelingt." Nun folgten anstrengende
und aufreibende Tage der Vorbereitung. Die Offiziere meines Stabes arbeiteten
Tag für Tag vom frühen Morgen bis spät in die Nacht hinein,
um alles auf das Beste bereitzustellen. Ich habe alle, besonders den Generalstabschef
Oberst Primavesi, in ihrer unermüdlichen, aufregenden Arbeit bewundert
und bin auch heute noch voll des Lobes für diese selbstlose und von
der Öffentlichkeit so wenig anerkannte und bedankte Arbeit. Nur dieser
Arbeit war es zu danken, daß die Truppen alle Hilfsmittel besaßen,
die ihnen die Führung des Angriffes bei verhältnismäßig
geringen Verlusten ermöglichten. Aber selbst diese aufopferungsvolle
Arbeit konnte die sich auftuenden Schwierigkeiten nicht rechtzeitig beseitigen.
Am 16. Oktober wurde es klar, daß wir bis zum 22. Oktober, dem Tag
des Angriffes, nicht fertig werden konnten. Vor allem war es unmöglich,
die Artillerie und die Munition noch rechtzeitig in die Stellungen zu
schaffen. Das Armeekommando konnte sich nur schwer zu eine Verschiebung
verstehen, mußte sich aber schließlich doch entschließen,
den Angriff auf den 24. Oktober zu verlegen. Diese Verschiebung hatte
doch ihr gutes. Wie gewöhnlich vor einem großen Angriff gab
es auch jetzt Überläufer, nur daß diesmal bei Tolmein
zwei slawische Reserveoffiziere zu den Italienern übergingen, ihnen
alle Einzelheiten des Angriffes verratend. Die Italiener trugen den Mitteilungen
dieser Überläufer Rechnung, indem sie die Besatzung ihrer ersten
Stellung verstärkten. so setzten sie vor dem Korps eine ganze Infanteriedivision
als Verstärkung ein. Ich begrüßte dies freudig. Je stärker
die Italiener in der erstem Linie waren, desto wirksamer mußte der
Angriff ausfallen, desto weniger Kräfte blieben ihnen für die
rückwärtigen Stellungen. Als nun der 22. Oktober verging, ohne
daß der Angriff erfolgte waren die Italiener offenbar an der Nachricht
irre geworden. Der Angriff traf sie am 24. daher doch wieder, wenn auch
nur beschränkt, überraschend. Das Wetter war seit Anfang Oktober
recht ungünstig geworden. Häufiger strömender Regen, der
in den Bergen Schnee brachte, erschwerte Märsche und Transporte.
Je näher der Angriffstag rückte, desto ungünstiger wurde
das Wetter. Alle Wasserläufe führten schon vor dem Angriffstag
hohen Wasserstand. Am 23. Oktober wurde den Truppen folgender Befehl ausgegeben
"Soldaten des I. Korps! Zum zweitenmal in diesem Kriege geht es zum
Angriff gegen Italien! Für Euch gilt der Satz. Keine Ruh und keine
Rast bis die Italiener zerschmettert sind. Mit Gott vorwärts!"
Am 23. nachmittags begab sich das Korpskommando auf seinen am Rücken
des Svinjak hoch über dem Flitscher Becken gelegenen Gefechtsstand.
Das Wetter hatte sich am 23. nachmittags aufgeheitert. Doch schon vor
Mitternacht trat wieder schlechtes Wetter ein. Um zwei Uhr früh begann
das Gasschießen und Gaswerfen. Südlich Flitsch wurden über
800 Gaswerfer gleichzeitig abgefeuert, deren furchtbare Geschosse den
ganzen Raum zwischen dem Ort Flitsch und dem Isonzo (Soca) in ein weites
Totenfeld verwandelten. Die italienische Artillerie erwiderte das Feuer
lebhaft und sichtlich nervös. Die Lichtkegel mehrerer italienischer
Scheinwerfer durchdrangen gespenstig den das Becken erfüllenden Nebel.
Ihr fieberhaftes Herumfahren ließ auf die Nervosität der Italiener
schließen. Das italienische Artilleriefeuer wurde bald sichtlich
schwächer, das Gas, welches hauptsächlich der feindlichen Artillerie
zugedacht war, begann zu wirken. Zum Schluß antworteten nur mehr
wenige Geschütze. Gegen Morgen regnete es wieder ziemlich stark.
Zur festgesetzten Stunde begannen Artillerie und Minenwerfer ihre Arbeit.
Der Nebel, der die Höhen ganz einhüllte, verhinderte die italienischen
Geschützkavernen an ihrer Wirkung, daher entfiel auch ihre Bekämpfung.
Zur planmäßig festgesetzten stunde - 9 h vormittags - gingen
die Truppen zum Angriff vor. Bald danach - 9 h 5 Min. - kam die erste
Meldung der 22. Schützendivision "der Angriff ist im Gange"
und um 9 Uhr 30 Min., die Nachricht "Feindliche Stellung unmittelbar
südlich der Straße genommen, Stellung nördlich, die nicht
gesehen wird, vermutlich auch". Der Stoß der 22. Schützendivision
bei Flitsch gelang sofort und gewann Raum. Die braven Truppen mußten
sich allerdings den Boden der von den Italienern ausgiebig mit Maschinengewehrstützpunkten
versehen war, schrittweise erkämpfen; das Marburger Schützenregiment,
Oberstleutnant von Rasetti, tat ganze Arbeit. Als nun Kaiserschützen
sowohl südlich Flitsch vorstießen, als auch am Fuße des
Rombon auf dem sogenannten Kamelrücken vordrangen, war die Verteidigung
im Tal bald zusammengebrochen. Schon um 1 Uhr 5 Min. nachmittags kam die
Meldung, daß die ersten Abteilungen in die zweite italienische Stellung
eingedrungen seien. Dagegen kamen ungünstigere Nachrichten von den
Bergen. Dort wütete ein heftiger Schneesturm. Die Salzburger konnten
unter diesen Umständen am Rombon nicht durchdringen. Sie mußten
den Angriff abbrechen. Jeder Hochgebirgskundige wird es begreifen, daß
im Felsgebirge im wirbelnden Schneesturm jede Bewegung und damit jeder
Angriff unmöglich war. Eine Hochgebirgskompanie, die sich im Schneesturm
über eine Felswand in den Rücken der Italiener abgeseilt hatte,
mußte, weil sie jede Orientierung verlor, wieder umkehren. Der Kommandant
der Rombongruppe war trostlos. Ich mußte ihn trösten lassen,
daß seine Zeit noch kommen werde, wenn die Talgruppe den Stol genommen
habe. Die 55. Division hatte gleich anfangs in prachtvollem Angriff den
Vrsic und den Sattel 1270 genommen. stieß dann aber im Schneesturm
auf heftigen Widerstand, der weiteres Vordringen ausschloß. In der
Nacht zum 25. wurde sie sogar am Sattel 1270 von einem starken Gegenangriff
der Italiener getroffen, der nur mit Mühe abgewehrt werden konnte.
Auch für sie galt es, die richtige Zeit abzuwarten. Nur ihre rechte
Flügelgruppe - das Kärntnerregiment - konnte in erfolgreichem
Kampfe im schweren Felsterrain des Polounik Raum gewinnen. Die 10. Armee
verlangte dringend die versprochene Unterstützung, da sie sonst nicht
angreifen könne. Ihr wurde geantwortet, daß die Witterung die
Artillerieunterstützung ausschließe, sie möge nur frischen
Mutes anpacken, der Stoß auf den Stol werde auch ihr bald Luft machen.
Der 25. brachte auch Erfüllung dieser Voraussagen. Die 22. Schützendivision
hatte den Stoß im Tal erfolgreich fortgesetzt und ein Bataillon
von Flitsch aus gegen die Prevalascharte in den Rücken der Italiener
am Rombon entsandt. Die Schnelligkeit des Vorstoßes im Tal wurde
wesentlich dadurch beeinträchtigt, daß die Italiener alle Brücken
zerstört hatten. Der unaufhörlich strömende Regen machte
alle Bäche zu schweren Hindernissen. Eine gesprengte Brücke
bei Saga konnte nur einzeln mühsam überschritten werden. Trotzdem
wurde in der Nacht zum 25. Saga am Fuße des Stol erreicht und sofort
der schwierige Anstieg begonnen. Mehrere italienische Nachhutstellungen
wurden genommen. In den ersten Nachmittagsstunden waren die stark befestigten
Vorberge des Stol, Hum und Prvi-Hum genommen.
Der weitere Anstieg stellte an die gebirgsgewohnten Truppen die größten
Anforderungen. Nach den Meldungen der erfahrenen Truppenkommandanten waren
die Geländeschwierigkeiten für den Angriff gegen den Stolrücken
selbst ganz außerordentlich. Aber auch diese wurden überwunden
und am 25. um 11 Uhr nachts der erste Punkt des Stolrückens, der
1450 m hohe Straßenübergang erstürmt, wobei 200 Alpini
gefangen genommen wurden. Das Bataillon, das diesen wichtigen Erfolg errungen
hatte, blieb vor Erschöpfung liegen; es konnte seinen Erfolg nicht
ausnützen. Ein frisches Bataillon mußte dort eingesetzt werden.
Den Anstrengungen der braven Truppen gelang es dann in den frühen
Morgenstunden des 26., den ganzen Rücken mit dem beherrschenden Punkte
des Stol in Besitz zu nehmen. Mehrere Stützpunkte, die der Feind
hartnäckig verteidigte, mußten erstürmt werden. Ein Brigadier
mit seinem Stab, zahlreiche Offiziere und Mannschaften wurden gefangen
genommen. Während noch der Angriff auf den Stol im Zuge war, wurde
vom Straßenpunkt aus der Vormarsch auf Bergogna angetreten, wohin
bereits Detachements im Marsche waren.
So hatte die 22. Schützendivision ihre Aufgabe glänzend gelöst:
Sie war in einem Zuge vom Ausgangspunkt des Angriffes bis auf den Stol
vorgedrungen und war im Vormarsch auf Bergogna. Wenn dieser Stoß
mehr Zeit brauchte, als ich im Befehl angesetzt hatte, so lag der Grund
in der Zerstörung aller Brücken, die nicht verhindert werden
konnte, und in der ausnehmend schlechten Witterung.
Die Edelweißdivision, die der 22. dichtauf folgte, begann nun ihre
Aufgabe zu lösen - Vorstoß auf Resiutta in den Rücken
der Italiener, die in den Karnischen Alpen standen. Leider fehlte die
Straße, die unsere Karten von Uccea über den Nizki-vrh nach
Resiutta anzeigten: Dort führte nur ein elender, beschwerlicher Saumweg.
So mußte die wirkungsvolle Verwendung schwerer Artillerie unterbleiben.
Die Edelweißdivision, der bald die deutsche Jägerdivision folgte, drang über Uccea vor, wo das oberösterreichische Regiment
14 fünf, von den Italienern tapfer verteidigte schwere Geschütze
im Handgranatenkampf eroberte. Dieser Vorstoß der Gruppe des Generalmajors
von Wieden brachte bald die ganze italienische Front vom Rombon bis zum
Plöckenpaß zum Weichen.
Der Stoß auf den Stol machte, wie vorausgesehen, seine Wirkung auf
die beiden Höhenabschnitte geltend.
Auf dem Rombon begannen die Italiener schon am 25. früh abzuhauen.
Die Salzburger folgten ihnen auf dem Fuße nach, entrissen ihnen
bis zum 26. mittags das ganze Gelände bis zur Prevalascharte und
bis zum Canin. Nur die Scharte selbst blieb noch im Besitz der Italiener.
Von dort feuerte noch am 26., also zur Zeit als die 22. Schützendivision
Bergogna bereits erreicht hatte, italienische Artillerie nach Flitsch,
ohne den Vormarsch unserer Artillerie und der Trains aufhalten zu können.
Die Bedeutung schwer gangbarer Höhen im Vergleich zum Talweg kann
wohl nicht besser dargetan werden, als durch dieses Beispiel.
Es soll gleich hier erwähnt werden, daß die Angriffsgruppe
der 10. Armee, die seit dem 24. Oktober im Angriffe war, endlich am 28.
den Neveasattel nördlich des Rombon im Sturm nahm, und nun auch ohne
Rücksicht auf die noch besetzten Höhen im Tal vordrang. Die
feindlichen Höhenbesatzungen verfielen so der Gefangenschaft.
Auch im Süden des Flitscher Beckens begannen die Italiener am 25.
vormittags den Rückzug. Sie mußten wohl jeden Widerstand angesichts
der Tatsachen aufgeben, daß Karfreit seit dem 24. im Besitz der
Deutschen war, und daß auch der Stol bereits erstiegen wurde. So
konnte nun auch die 55. Division den Lohn für ihre Ausdauer im schwierigsten
Gebirgsgelände einheimsen: in der talab führenden Verfolgung
des weichenden Feindes. Reiche Beute an Gefangenen, Geschützen, Munition
und Fahrzeugen aller Art fiel ihr in die Hände.
So hatten die Talstöße über Karfreit und über Flitsch-Saga
auf den Stol, die mit geringen Verlusten einen durchschlagenden Erfolg
brachten, alle umfaßten Höhenstellungen samt ihren Besatzungen
in die Hände der siegreichen Truppen geliefert.
Groß waren die Erfolge, welche den Truppen für ihre Ausdauer
und Tapferkeit zufielen. Und doch mußte noch mehr gefordert werden.
Die 50. Division, die als linke Nachbardivision der 55. mir unterstellt
worden war, und die 22. Division hatten den Vormarsch ohne Aufenthalt
in die Ebene fortzusetzen. Die 55. hatte ihnen als Korpsreserve zu folgen.
Die 22. Schützendivision sollte noch am 29. Gemona erreichen, die
Befestigungen östlich Tarcento (Mte. S. Bernadia) und bei Osoppo
nehmen. Die Gruppe Wieden, Edelweißdivision und deutsche Jägerdivision,
hatte über Resiutta auf Tolmezzo vorzugehen und Verbindung nach Gemona
aufzunehmen.
Nach notdürftiger Rast nahmen die Truppen den Vormarsch wieder auf.
Die 22. Schützendivision konnte die Wegnahme der Befestigungen Mte.
S. Bernadia schon am 28. Oktober melden trotz einer sehr bösen Straßenzerstörung
- die Italiener hatten die Straße bei Platischis an einer Felswand
auf etwa 60 m Länge abgesprengt. Der Angriff des Marburger Schützenregiments
war so überraschend schnell erfolgt, daß die Italiener die
neu ausgehobenen Schützengräben gar nicht mehr besetzen konnten.
So hat auch hier rasche Vorrückung Blut gespart.
Am 29. standen die Truppen schon in der Ebene, am Torrente Torre vor Tarcento.
Leider konnten die Brücken über den tosenden Wildstrom nicht
gerettet werden: Die Italiener sprengten sie frühzeitig.
Die Truppen standen völlig durchnäßt, ermüdet, schlecht
genährt vor dem Fluß - am jenseitigen Ufer der Feind. Trotzdem
gelang es den braven Truppen noch am 29. das Hindernis und den Feind zu
überwinden: Abends war Tarcento in den Händen der Schützen.
Am 30. früh war eine Brücke über den Torrento Torre hergestellt.
Die Truppen mußten aber weiterstürmen, denn vor uns lag das
schwere Hindernis des Tagliamento.
Die 22. Schützendivision hatte Gemona und die dort liegenden Befestigungen
zu nehmen, Verbindung mit der Gruppe Wieden herzustellen.
Die 50. und nördlich davon die 55. Division hatten an den Tagliamento
vorzustoßen. Detachements waren zur Besitznahme der Brücken
vorauszusenden.
Das Detachement der 55. Division, das die Eisenbahnbrücke bei Cornino
zu nehmen hatte, traf bei Majano ein Bataillon des deutschen 63. Infanterie-Regiments,
das zur Gruppe Stein gehören, in unseren Raum gelangt war, im Kampf
mit überlegenem Feind. Den vereinten Kräften gelang es, den
Feind zu werfen.
Doch alle Anstrengungen der Infanterie, die Brücken zu retten, waren
vergebens. Als sie am Fluß anlangte, waren die Brücken bereits
gesprengt. Kavallerie, Radfahrtruppen oder Autotruppen standen uns leider
nicht zur Verfügung.
So war es aber an der ganzen Front ergangen. Auch weiter im Süden,
wo die geringeren Geländeschwierigkeiten ein rascheres Vorgehen der
Infanterie ermöglichten, gelang es nicht, eine Tagliamento-Brücke
zu retten. Bei Codroipo, wo die Deutschen am heftigsten nachdrängten,
sprengten die Italiener die großen Brücken so frühzeitig,
daß Tausende von Italienern abgeschnitten der Gefangenschaft verfielen.
Nun mühten sich die Truppen entlang dem ganzen Fluß, die hochangeschwollene
Torrente zu überwinden. Sie versuchten, durch den Fluß zu kommen.
Alle Mühe, den reißenden, in viele Arme geteilten Strom zu
durchwaten und zu durchschwimmen, waren vergebens. Durch zwei, drei Arme
kamen die Braven hindurch, am Hauptarm aber scheiterten alle Versuche,
selbst der besten Schwimmer.
Am 2. November morgens ging ich vor zur Eisenbahnbrücke von Cornino,
um mir die Lage dort zu besehen. Die Brücke besteht aus zwei, durch
eine Flußinsel getrennten Teilen. Die zur Insel führende Brücke
war unserem vorstürmenden Detachement brauchbar in die Hände
gefallen. Dagegen war beim zweiten Brückenteil das etwa 20 m lange
Mittelfeld derart an beiden Enden abgesprengt, daß die schwere Eisenkonstruktion
zwischen den beiden Brückenpfeilern im Flusse lag. Die Brückendecke
lag etwa ein bis zwei Meter über dem Wasserspiegel und etwa vier
Meter unter der Brückenbahn. Die breiten oberen Träger der Eisenkonstruktion
lagen etwa in gleicher Höhe mit der Brückenbahn, so daß
geschickte, schwindelfreie Männer leicht auf diesen Eisenträgern
über die Brücke hinwegkommen konnten.
Es war daher sofort erkennbar, daß der Weg hinüber nur über
die gesprengte Brücke ginge. Ich begab mich sogleich zum Divisionskommando und gab dort den Befehl, die vergeblichen Versuche, durch den
Fluß zu kommen, aufzugeben, und die Brücke für den Übergang
zu benützen.
Dem Divisionskommando wurde starke Artillerie zur Verfügung gestellt,
die ganze Durchführung besprochen und 6 Uhr abends des 2. November
als Zeitpunkt für den Infanterieangriff bestimmt.
Der Plan für den Angriff wurde nach diesen Weisungen vom Divisionär
Generalmajor Felix Prinz Schwarzenberg und vom Brigadier Oberst Graf Zedtwitz
so gut entworfen und die Unternehmung von Hauptmann Redl und vom 4. Bataillon
des bosnisch-herzegowinischen Infanterie-Regiments 4 so prachtvoll durchgeführt,
daß am Abend des 2. November die Brücke genommen und das westliche
Tagliamentoufer gewonnen war. Die stürmende Infanterie war auf Leitern
hinab auf das im Fluß liegende Brückenfeld und von dort wieder
auf Leitern auf die Brücke am Westufer gestiegen. Der erste Stoß
warf die Italiener aus der Brückenschanze. Die im Laufe der Nacht
und des 3. November folgenden Truppen der 55. Division drängten die
Italiener immer weiter zurück und säuberten das rechte Ufer
des Tagliamento bei Pinzano, so daß auch dort mit der Herstellung
der Brücke begonnen werden konnte. Die Eisenbahnbrücke bei Cornino
wurde für den Fuhrwerksverkehr hergerichtet, ohne den Übergang
der Truppen zu unterbrechen. Am 4. mittags wurde die Brücke fertig;
eine Senkung des abgesprengten Brückenfeldes stellte aber die ganze
Arbeit in Frage. Erst am 5. konnte der Schaden behoben werden.
Am 4. November früh ging ein Jägerbataillon der Gruppe Stein
als erste deutsche Truppe über unsere Brücke. Das Bataillon
sollte den Schutz des Brückenbaues bei Pinzano auf dem westlichen
Tagliamentoufer besorgen. Diese Brücke wurde am 4. nachmittags fertig,
so daß der 55. Division, die bisher ohne Artillerie geblieben war,
die nötigste Artillerie nachgesendet werden konnte.
Mit dem Übergange der 55. Division bei Cornino war die italienische
Tagliamentofront gebrochen. Unsere Truppen stürmten nun von neuem
in der italienischen Tiefebene nach Westen vor. Neue Heldentaten an rastlosem,
tatkräftigem Vordrängen wurden von allen deutschen und österreichisch-ungarischen
Truppen geleistet. So erbrachten diese Truppen den Beweis, daß sie
auch zu Beginn des 4. Kriegsjahres eine unvergleichliche Stoßkraft
besessen haben.
Der Durchbruch bei Tolmein-Flitsch konnte nur gelingen, wenn er so energisch
in einem Zuge erzwungen wurde, wie es tatsächlich geschehen und gelungen
ist. Wurde der Durchbruch so geführt, dann lag nach Gewinnung der
Ebene durch den rechten Flügel der Isonzofront (14. Armee) der Gedanke
nahe, durch sein Einschwenken nach links den bei Görz stehenden rechten
Flügel der Italiener - die starke 3. Armee - an die Meeresküste
zu drängen und ihr den Rückzug abzuschneiden. Gelang dies durch
Gewinnung der Brücken am unteren Tagliamento (bei Codroipo und Latisana),
dann konnten schwache dorthin geworfene Heereskörper der ganzen 3.
italienischen Armee den Rückzug verlegen.
Das Gelingen dieses Gedankens erforderte natürlich ein längeres
Verbleiben der italienischen 3. Armee bei Görz. Der linke Flügel
unserer Isonzofront durfte daher nicht angreifen; ja selbst ein geschicktes
Zurücknehmen dieses Flügels, um die Armee des Herzogs von Aosta
nachzuziehen, wäre gerechtfertigt gewesen. Da man aber nicht die
Vernichtung der Italiener, sondern nur ein Vorschieben der Front beabsichtigt
hatte, entfiel dieser Gedankengang. Der sehr stark gehaltene linke Flügel.
der Isonzofront, die beiden Armeen der Heeresgruppe Feldmarschall Boroevic,
sollte ebenso angreifen, wie der rechte Flügel der Front.
Aber das Glück wollte uns wohl. Die Heeresgruppe Boroevic kam trotz
ihrer großen Stärke nicht recht vorwärts. Nur ihr rechter
Flügel kam im Anschluß an die 14. Armee frühzeitig in
die Ebene, aber doch nicht, ohne daß er von den rascher vorstürmenden
Deutschen aus dem zugewiesenen Vorrückungsstreifen, Udine-Codroipo,
nach Süden verdrängt wurde.
Diese Sachlage brachte uns zweimal dem großen Wurfe nahe, die 3.
italienische Armee abzufangen.
Als die deutschen Truppen über Udine vorstürmten, indes die
3. italienische Armee noch weit im Osten gegen Boroevic kämpfte,
wollte das 14. Armeekommando mit einigen Divisionen nach Süden in
den Rücken der Italiener einschwenken. Boroevic verlangte nun, daß
diese deutschen Divisionen sobald sie in seinen Vorrückungsstreifen
kamen, ihm unterstellt werden. Darauf wollte das 14. Armee-Kommando nicht
eingehen. Daher unterblieb diese entscheidende Unternehmung.
Aber noch ein zweitesmal war uns das Glück hold.
Die Deutschen hatten Codroipo erreicht und dort gewaltige Beute gemacht,
als der nach Süden abgedrängte rechte Flügel der 2. Isonzoarmee,
die aus zwei Divisionen bestehende Gruppe Kosak, mit ihren vordersten
Truppen die von den Italienern in Brand gesteckte Brücke bei Madrisio,
südlich von Codroipo, erreichte. Die Brücke konnte gerettet
werden. Das Glück hatte uns im günstigsten Zeitpunkt eine Tagliamentobrücke
in die Hände gespielt. Der Kommandant der beiden Divisionen, Feldmaschalleutnant
Ludwig Goiginger - das Gruppenkommando war weit rückwärts abgeblieben
- erkannte die Lage ganz richtig und faßte den Entschluß,
am nächsten Tage bei Madrisio Ufer zu wechseln, diese Brücke
und die bei Latisana am westlichen Ufer zu besetzen und so der noch im
Osten stehenden Armee des Herzogs von Aosta den Rückzug zu verlegen.
Da kam am Abend ein Generalstabsoffizier des Heeresgruppen-Kommandos an,
der den Befehl überbrachte, daß die Gruppe sofort nach Codroipo
zu marschieren habe, das im Bewegungsstreifen der Heeresgruppe liege.
Feldmarschalleutnant Goiginger gab die Lage und seinen Entschluß
bekannt und sagte, daß in Codroipo die Deutschen stünden, daß
also seine Anwesenheit dort keinen Zweck habe. Der Generalstabsoffizier
betonte, daß der Befehl des Feldmarschalls Boroevic für alle
Fälle gelte, auch dann, wenn in Codroipo schon deutsche Trugen stünden.
Der General ließ sich durch diesen bestimmten Befehl leider von
seinem einzig richtigen Entschluß abbringen. Die Gelegenheit zu
entscheidendem Erfolg war unwiderruflich vorüber.
Das schönste Urteil über den Durchbruch von Tolmein-Flitsch
fällt die italienische Untersuchungskommission, die die Ursachen
der Niederlage von Caporetto erheben sollte.
Unter Hinweis auf die Tatsache, daß im Durchbruchsraum 238 italienischen
Bataillonen nur 171 deutsche und österreichisch-ungarische gegenübergestanden
sind, sagt die Untersuchungskommission:
"Die Offensive stellte sich im Hinblick auf die geringe Zahl als
eine Tat äußerster Kühnheit dar" und fügt bei:
"Die Genialität des Planes, der Feuereifer, die Energie und
die Kühnheit, die neuen Methoden in Zeit, Raum und Kampfart sind
anerkennenswert. Äußerste Ausnützung des unverhofften
Anfangserfolges und unermüdliche Verfolgung verhinderten jede Rückhaltstellung.
Der Feind führte seine Hauptkräfte mit großem strategischen
Verständnisse bis an die äußerste Grenze der Leistungsfähigkeit
von Mann und Material."
Die beiden siegreichen Armeen, die deutsche, die ihre glanzvolle Wiedererstehung
erleben wird, und die für immer versunkene alte k. u. k. Armee, die
von verständnislosen Menschen so oft falsch beurteilt worden ist,
sie können stolz sein auf dieses glänzende Lorbeerblatt in ihrem
Ehrenkranze. |