III.
Der
Angriff der Armee Below ging weiter - Tag und Nacht. Warum ermattete der
italienische Widerstand in gigantischen Alpenfestungen? Warum ergaben
sich ganze Brigaden? Warum fluteten Divisionen in wilder Auslösung
durch das Gebirge? "Hindenburg ist drüben bei euch!" so
sagten kleinlaut die Gefangenen. Die Erinnerung an die Cimbern und Teutonen
lähmte in Schreckensstarre den Italiener. Germanische Urkraft zerschmetterte
römische Legionen.
Der 25. Oktober erweiterte die Ziele der XIV. Armee. Westlich und südwestlich
Saga kämpften die k. u. k. Truppen und deutschen Jäger um die
Höhen des Skutnik und Stol. Der schroffe Gipfel des Stol wurde in
tapferem Anlauf von einer k. u. k. Schützendivision erstürmt.
Aus dieser Linie sollte sich die Gruppe Krauß mit Teilen gegen Resiutta
entfalten, mit den Hauptkräften über die Rücken des Monte
Maggiore und Monte le Zuffine vorstoßen. Das Vorgehen auf Resiutta
sicherte die Flanke der XIV. Armee und sollte den Verstoß des Südflügels
der im Rombon-Gebiet sich anschließenden österreichischen X.
Armee vorbereiten. So wurde die schnelle Erstürmung des Stol-Rückens
und der sichere Besitz des Geländes bis zur Pta di Monte Maggiore
von strategischer Bedeutung. Dort lag der feste Punkt für die Durchführung
des Angriffs gegen das weitere Ziel des Fella-Abschnittes Pontebba-Gemona.
Auf der Talstraße über Karfreit vorstoßende Divisionen
sperrten seit Tagesanbruch das Natisone-Tal bei Robic und entwickelten
sich mit Teilen gegen den Matajur-Rücken, den beherrschenden Stützpunkt
aller rückwärtigen italienischen Stellungen. Schlesier erkletterten
die steilen Hänge. Vor 23 Stunden hatten sie noch 16 km rückwärts
tief unten im Tal um die vordersten feindlichen Gräben gekämpft.
Jetzt stürmte 7 Uhr 30 Minuten vormittags die 4. Kompanie des Regiments
63 unter Leutnant Schnieber die Felsgipfel des 1641 m hohen Matajur. Der
kühne Sturmangriff brachte dieses ganze Stellungssystem zu Fall.
Kaiserlichen Dank spendete der Oberste Kriegsherr für diese prächtige
Tat: den jungen Offizier schmückt der Orden Pour le mérite.
Die ganze 4. Kompanie trägt das Band des Eisernen Kreuzes.
Inzwischen stürmte ein deutsches Korps nach heftigen Kämpfen
den stark befestigten Punkt 1114. Ein herrlicher Angriff dieser ausgezeichneten
Truppe über den breiten Rücken des Kolovrat rollte die ganze
Stellung bis zum Gipfel des Kuk auf. Im kühnen Anlauf nahmen andere
Divisionen die mächtigen Stellungen des Jeza-Blockes.
Schnelle Gewinnung der Gebirgsausgänge in Richtung Cividale - das
war ihr Angriffsziel. Auf dem Wege dorthin mußte das Gebiet des
Monte San Martino und Monte Hum genommen werden. Die schnelle Ausräumung
der feindlichen ersten, zweiten und dritten Stellung, sowie die Säuberung
des ganzen Kolovrat-Rückens waren nur Vorbedingungen und Teilaufgaben
dieses Angriffs mit weitem Ziel. Die Wegnahme des Jeza-Blockes öffnete
nun die erste und zweite Stellung, während der Sturmangriff auf den
wichtigen Stellungsknoten der Höhe 1114 die dritte Stellung und die
ganze Kvlovrat-Stellung aufräumte. Auf dem linken Armeeflügel
wurden die starken Höhenstellungen des Globocak genommen.
Der Erfolg im Gebirgskriege gründete sich auf das Zusammenarbeiten
der einzelnen Stoßgruppen, auf die Wechselwirkung ihrer Teilaufgaben,
auf die Ausstrahlung der Teilerfolge auf die Nachbargruppen. Die Angriffsdurchführung
des 25. Oktober ist vorbildlich für den taktischen Angriff im Hochgebirge.
In glänzender Waffentreue drängten Deutsche, Österreicher
und Ungarn weiter in zäher Verfolgung ihrer Angriffsziele. Unaufhaltsam
blieb die Wucht des Stoßes, unaufhaltsam eilte das Schicksal der
Niederlage dahin über die ganze Front der II. italienischen Armee.
Von Stunde zu Stunde wuchsen die Zahlen der Gefangenen und an Beute. Bereits
23000 Mann mit 700 Offizieren und 200 Geschützen waren in unsere
Hände gefallen. Aber nicht diese Zahlen deuten den Erfolg der beiden
ersten Angriffstage. Die überstürzte Aufgabe fast unangreifbarer
Gebirgsstellungen, der schnelle Einsturz ganzer Verteidigungssysteme,
die beginnende Auslösung der italienischen Front: das war der Erfolg
des 25. Oktober. Der fechtenden Truppe gebührt der unvergängliche
Ruhm der Tat, ohne Beispiel aber ist der Plan und das Wagnis zur Tat!
Der folgende Tag erweiterte den Geländegewinn auf der ganzen Angriffslinie.
An der Straße Uccea - Resiutta wurde von der Gruppe Krauß
der Mrzli Vrh genommen. Weiter südlich wurde in unaufhaltsamem Vorstoß
die ungefähre Linie Südwesthang des Stol-Nordwesthang des Monte
Mia und der Monte Hum erreicht. Im Natisone-Tal, südlich Stupizza,
entfalteten sich Teile zum Angriff gegen den Monte Juanez, während
andere die Gegend von Savogna erreichten. Die inneren Flügel der
nebeneinander kämpfenden Gruppen hatten von nun ab die gemeinsame
Aufgabe der Wegnahme des Höhenmassivs am Monte Juanez; nach Öffnung
dieser Hochfläche war dann der Vorstoß des rechten Flügels
der Gruppen Krauß auf Gemona, des linken Flügels der Nachbargruppe
von Savogna über den Monte Madlessena durchzuführen. Stündlich
wuchsen die Angriffserfolge. Die Gesamtbeute hatte sich bereits auf das
Doppelte erhöht und betrug etwa 1000 Offiziere, 42000 Mann und 375
Geschütze. Überall brach der Widerstand zusammen. Die Kraft
der II. italienischen Armee war vernichtet, nur Trümmer versuchten
hier und dort verzweifelte Gegenwehr.
Vergeblich bemühte sich Cadorna, durch eiligst herangezogene, aber
unzulängliche Verstärkungen das Schicksal der Niederlage zu
wenden. Ganze Truppenteile vertilgte der Angriff der XIV. Armee. Die Brigaden
Foggia, Pescara, Roma, Friuli, Genova, Etna, Caltanissetta, Alessandria,
Taro, Spezia, Napoli, Elba, Puglie, Ravenna, Verona, Selo und Belluno
sowie zehn Alpinigruppen verschwanden aus der Kriegsgliederung der II.
Armee und wanderten - ganz oder größtenteils - gefangen über
die Julischen Alpen nach Osten.
Tiefer und tiefer bohrte sich der von der Grundlinie Flitsch - Tolmein
arbeitende eiserne Keil durch das Gebirge. Die Linie Canin - Pta di Monte
Maggiore - Monte Juanez - Gegend Azzida - Monte San Giovanni - Costanjevica
wurde durchbrochen. Alle Sturmgruppen wetteiferten im Lauf nach den Ausgängen
des Gebirges. Die Ebene bei Cividale war das nächste Ziel. Die über
die Rücken des Monte Hum und Monte San Maria vorstoßende Gruppe
öffnete sich bei Azzida den Austritt in das Talbecken östlich
Cividale. Der Angriff wurde unterstützt durch den Vorstoß der
nördlichen Nachbargruppe gegen die Höhen des Monte Craguenza
und im Süden durch den Angriff deutscher Truppen gegen das Castell
de Monte. Wieder erzwang das Zusammenarbeiten der einzelnen Gruppen den
Erfolg. Am Abend des 27. Oktober dringt eine Division in Cividale ein.
Am folgenden Tage fällt der tapfere General v. Berrer, der im Tatendrang
im Kraftwagen seiner Infanterie voraus in den Feind hineinfuhr.
Das Gebirge ist durchstoßen, die Tiefebene ist erreicht, Trümmer
der II. Armee eilen in kopfloser Flucht gegen den Tagliamento. Unhaltbar
wird nun auch die Lage der III. Armee. Sie räumt die Hochfläche
von Bainsizza-Heiligengeist, den mit ungeheuren Blutopfern erkauften Monte
Santo und die Stadt Görz. Der weichenden Armee folgt die Heeresgruppe
Boroevic auf dem Fuße; aus den Julischen Alpen ergießt sich
die Armee Below in die Ebene gegen die Linie Gemona - Tarcento - Udine.
Mochten 100000 oder 150000 Gefangene, mochten 1000 Geschütze oder
mehr in unsere Hände fallen: nicht Riesenzahlen kennzeichnen die
Bedeutung dieses Siegel Ein strategischer Durchbruch von unerhörter
Kühnheit durch stärkste Alpenstellungen, ein strategischer Zusammenbruch
des Feindes von unbeschreiblichem Umfang, die Zerstörung der ganzen
Grundlage eines zweieinhalbjährigen italienischen Offensivkrieges
- das ist der Sieg der Armee Below.
"Das Fehlen des Widerstandes eines Teiles der II. Armee, die sich
in verbrecherischer Weise oder schimpflich dem Feinde übergab, hat
den österreichisch-deutschen Kräften erlaubt, den linken Flügel
der italienischen Front zu durchbrechen. Die verdienstvollen Anstrengungen
der anderen Truppen vermochten nicht zu verhindern, daß der Feind
auf unsern heiligen Boden eingedrungen ist...." Diesen schmachvollen
Vorwurf der Feigheit und des Verrats schleuderte Cadorna am 28. Oktober
gegen dieselbe Armee, die ihre Vorbereitungen zur zwölften Isonzoschlacht,
zum Siegeszug nach Triest traf, als der tödliche Stoß der Armee
Below sie zerschmetterte. In Schimpf, Schande und Schmach endete die II.
italienische Armee - endete der Siegestraum des Verräters am Dreibund.
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