Die Kämpfe in Altserbien 

Serbische Kriegsgefangene
Serbische Kriegsgefangene

Bericht aus dem deutschen Großen Hauptquartier
vom 11. Dezember 1915

Generalfeldmarschall von Mackensen
Generalfeldmarschall von Mackensen

I.

In siegreich fortschreitender Offensive zog das deutsch-österreichische Heer zwischen Lukavica und Mlava in das Innere Serbiens, als die bulgarische Armee in heftigem Kampf an den Ufern des Timok rang. Zu jener Zeit hatte man wohl im serbischen Hauptquartier den schwerwiegenden Entschluß gefaßt, auf eine Gegenoffensive zu verzichten, die, selbst wenn sie glückte, nur einen Teilerfolg mit sich bringen konnte, dafür aber die Gefahr in sich barg, von allen rückwärtigen Verbindungen abgeschnitten zu werden. Unter möglichster Schonung der eigenen Kräfte wollte man nur notgedrungen und Schritt für Schritt den heimischen Boden ausgeben und dem Feind nach Möglichkeit Abbruch tun. Das Land und seine Bewohner sollten dabei helfend zur Seite stehen. Die verbündete Entente würde im Laufe der Zeit sicherlich nicht ausbleiben, mit ihr vereint mußte es dann glücken, des fremden Eindringlings Herr zu werden. So mochten damals die Hoffnungen bei der serbischen Heeresleitung sein, und alle Gefangenenaussagen, aufgefangenen Befehle und alle Erfahrungen bestätigten diese Vermutung.
Beim Oberkommando des Feldmarschalls Mackensen war man sich bewußt, daß es in diesem Feldzug hauptsächlich auf Schnelligkeit ankäme. Jeder einzelne Truppenkörper mußte davon überzeugt sein, daß nur ein rücksichtsloses Vorstürmen in der einmal angesetzten Richtung den sicheren Erfolg mit sich bringen würde. Der Serbe durfte, von verschiedenen Seiten angefaßt, nicht zur Besinnung kommen. Als tapferer Kämpfer war er wohl ebenbürtig einzuschätzen, in der Schnelligkeit des Handelns waren ihm die Heere der Verbündeten überlegen. So sollte das Heer des ersten Peter niedergerungen werden von einer Macht, bei der ein jeder vom Feldmarschall herab bis zum Musketier von felsenfester Siegeszuversicht durchdrungen war.
Man war beim Oberkommando der Auffassung, der Gegner werde, nachdem er durch den Save-Donau-Übergang völlig überrascht worden war, weiter rückwärts zwischen Lazarevac-Petrovac den ersten größeren Widerstand auf der ganzen Linie leisten. Die Gestaltung des Geländes und das Auftreten stärkerer Kräfte auf ganzer Front - es standen allmählich über 100000 Mann Serben gegen deutsch-österreichisch-ungarische Truppen im Kampf - berechtigten zu dieser Vermutung. Dann mußte es auch im Interesse des Serben liegen, die langsam sich vorwärts bewegende Walze des Feindes zum Stehen zu bringen, um die Hauptquelle jeglichen Nachschubes an Kriegsmaterial, die Stadt Kragujevac, zu schützen. Konnte auch kein dauernder Schutz gewährt werden, mußte man doch Zeit gewinnen, die dort aufgespeicherten Schätze weiter rückwärts zu verlegen. Schon der Besuch der Flieger, die mit Vorliebe ihre Bombengrüße auf die Arsenale und Magazine von Kragujevac sandten, brachte empfindlichen Schaden mit sich; die Stadt aber dem Feinde zu überlassen, in der die einzigen Waffen- und Munitionsfabriken sich befanden, das war für einen Staat, dessen Zufuhr an Kriegsmaterial nur mehr über Montenegro und Albanien erfolgen konnte, ein unersetzlicher Verlust.
Ein Widerstand beiderseits der Morava und weiter westlich bis an die Lukavica erschien um so aussichtsreicher, als er zunächst nur frontal getroffen werden konnte. Noch trennte die Bulgaren die tausend und mehr Meter übersteigende Gebirgsgruppe, und vor einer unmittelbaren schnellen Überflügelung schützte den Feind das unwegsame Gelände entlang der Mlava. Dort arbeiteten sich jene Truppen, die schon in den Kämpfen um die Anatema-Höhe Lorbeeren erworben hatten, nur langsam vorwärts. Schon schien es, wie wenn der Serbe die Schwäche des deutschen Heeres auf seinem linken Flügel erkannt hätte und mit einer Offensive größeren Stils aus südöstlicher Richtung drohe. Mit überwältigender Kraft warf er Bataillon um Bataillon gegen den Heeresflügel. In heißem Ringen galt es hier der Überlegenheit standzuhalten und den stellenweise schon eingedrungenen Feind wieder aus den notdürftig geschaffenen Stellungen herauszuwerfen. Ein heißer Kampf tobte mehrere Tage. Aber die Führung ließ sich hierdurch in den einmal gefaßten Entschlüssen nicht irremachen. Trotz der Gefahr von Osten her strebten die Truppen beiderseits der Morava, fest vertrauend auf den Mut und die Standhaftigkeit ihrer im Kampf stehenden Kameraden und beseelt von dem Willen zum Siege, ihrem Ziele zu. Und durch dieses Vorwärtsschreiten in der einmal angesetzten Richtung brachen sie den feindlichen Stoß, der wohl dazu angesetzt war, starke Kräfte auf sich zu ziehen und dadurch die gesamte Offensive zum Stehen zu bringen. Nunmehr war auch frontal kein Aufhalten mehr. Die Stellungen, die man anfangs zu halten hoffte, konnten einem Feind, dessen Stärke man vorher nie geahnt hatte, kein Halt gebieten. An einen Ausbau war aber jetzt nicht mehr zu denken. Dicht auf den Fersen folgten die Verbündeten. Der Weg nach Kragujevac war offen.

 

II.

Je mehr unsere Truppen in das Herz Serbiens drangen, um so ungangbarer wurde die Wege, um so größer die Entbehrungen. Konnte man im Tale der Morava noch von mangelhaften Straßen im europäischen Sinne sprechen, weiter östlich und westlich fehlte jeder Begriff für die Wege, die der Truppe zum Vormarsch zugemutet werden mußten. Auf lehmige, zum Teil tief eingeschnittene Pfade, die eines jeden Unterbaues entbehrten, war man mit seinem ganzen Troß angewiesen. Strecken, deren Zurücklegen in der Ebene wenige Stunden erforderte, mußten im tagelangen, mühevollen Marsch durchdrungen werden. An regelmäßigen Nachschub war nicht mehr zu denken. Was nach vorne gekarrt werden konnte, war Munition. Eisen ging vor Verpflegung. Zum Teil mit zehn Pferden bespannt, unter Beihilfe ganzer Kompanien wurden die Geschütze einzeln in Stellung gebracht. Manches brave Tier, das noch vor kurzem die Straßen des Westens oder Ostens geschmückt hatte, sank hier im Lehm und Schlamm erschöpft zusammen. Pferdefutter gab es von rückwärts schon lange nicht mehr; man konnte froh sein, den Menschen das Nötige zuführen zu können. Hin und wieder sorgte das Land für die Ernährung der Truppe. Obwohl die serbische Regierung den Abtransport des reichlichen Viehbestandes in das Innere des Landes organisiert hatte, gab es doch Gegenden, in denen noch mancher Vierfüßler in die Feldküche wandern konnte, zum Teil trieb der starke Schnee, der auf den Bergen fiel, das Vieh unseren Feldgrauen in die Arme. Ohne zu murren gaben auch die Einwohner ihr Letztes dem Sieger, um ihn selbst dann flehentlich zu bitten, sie vor Hunger zu bewahren. Die vermutete Heimtücke des serbischen Volkes war zur Mythe geworden, wohl hatten vereinzelt Einwohner versucht, einen Hinterhalt zu bereiten; sie haben ihr Verbrechen gebüßt. Im allgemeinen ertrugen die Zurückgebliebenen das über sie verhängte Schicksal mit Würde. Wer als Serbe, Soldat oder Nichtsoldat, im ehrlichen Kampfe in die Hände des Siegers geriet, wurde behandelt, wie es sich dem gegenüber geziemt, der für sein Vaterland dem Tod ins Auge sieht. Am 1. November 4 Uhr 30 Minuten vormittags wurde durch einen Parlamentär einem Zuge der 7. Kompanie eines deutschen Reserveinfanterieregiments beim Petrovackawirtshaus die Stadt Kragujevac feierlich übergeben. Die Gemeindevertretung hatte sich am 27. Oktober einstimmig aus eigenem Antrieb entschlossen, die Tore der Stadt ohne Widerstand den verbündeten Truppen zu öffnen, vertrauend auf die Menschenliebe der Sieger und um das Leben vieler Tausende von Kindern, Frauen und Greisen vor den Kriegsgreueln zu retten. Hin und wieder kam es zu kurzen Zusammenstößen mit zurückgebliebenen plündernden Komitatschis, sonst verhielt sich die Stadt ruhig, durch die noch im Laufe desselben Morgens die Massen der Infanterie gegen die die Stadt überragenden, vom Feinde besetzten Höhen vorging. Auch hier zog der Serbe, ohne erheblichen Widerstand zu leisten, ab. Dagegen bedurfte es äußerst heftiger Kämpfe, um den Feind aus seinen gut ausgebauten Stellungen auf den Höhen von Bagrdan zu werfen. Mit dem Vorrücken der Verbündeten beiderseits Kragujevac war auch ein längeres Halten für die Serben am Timok unmöglich geworden. Die gut ausgebauten Befestigungen von Knjazevac und Zajecar, vor denen sich der reißende Fluß hinzog, hatten den tapferen Bulgaren an dieser Stelle den Eintritt in serbisches Gebiet verwehrt. Jetzt im Rücken bedroht, mußten die Serben dem immer wieder anstürmenden feindlichen Nachbar das Feld räumen. In der dem Sohn der Berge eigenen Gewandtheit strebten sie durch das unwirtliche Hochland ihren Kameraden zu, die sich dem westlichen Moravatal näherten. Noch war die Macht des Feindes nicht gebrochen, noch war von Auflösung nichts zu merken. Wohl brachte jeder Tag allerorten Gefangene, die vor Hunger und erschöpft die eigene Sache für verloren erklärten, das Gros der serbischen Armee aber war noch in der Hand ihrer Führer, mit ihm konnte ein Durchbruch vielleicht über Pristina, Skoplje, gedeckt durch eine schützende Wand an der östlichen Morava, Aussicht auf Erfolg haben. Mußte dann eine Armee, die immerhin noch über 100000 Mann und den größten Teil ihrer Geschütze verfügte, den Kampf aufgeben, zumal einstweilen nur schwache bulgarische Kräfte den Weg zum Bundesgenossen verlegen konnten? Um so mehr kam es für die drei verbündeten Armeen, die sich jetzt bei Paracin die Hand gereicht hatten, darauf an, im rücksichtslosen Fortschreiten zu bleiben. Durch den Anschluß der Bulgaren an den linken Flügel der Deutschen war auch der unmittelbare Einfluß des Feldmarschalls über die ihm unterstehen Heereskörper sichergestellt. Während früher zur Armee des Generals Bojadjew der durch Witterungseinfluß oft behinderte Funke die Anweisungen übermittelte oder unsere kühnen Flieger im Kampf mit den unberechenbaren Windströmungen jener Gebirgstäler für den Nachrichtenaustausch Sorge trugen, war jetzt der Verkehr von Truppe zu Truppe möglich. Schulter an Schulter, in einer zusammenhängenden Linie von der Grenze Montenegros bis zum Timok, schoben die drei Armeen den Feind vor sich nach Süden her. Der König der Schwarzen Berge schien sich nicht auf Abenteuer einlassen zu wollen. An der westlichen Morava kam es zu erbitterten Kämpfen. Die nördlich und südlich das breite Flußtal krönenden Höhen können von heldenmütigen Opfern reden, die Deutsche und Österreicher in treuer Waffenbrüderschaft gebracht haben, unvergeßlich bleibt jener siegreiche Kampf eines Bataillons gegen eine zwölffache Überlegenheit an dem Wege Kragujevac-Kraljevo. Vier Geschütze, 1300 Gewehre und der Abzug der Serben war der wohlverdiente Lohn. Eng verknüpft sind die Orte Cacak und der Übergang bei Trstenik mit den tapfer geführten österreichisch-ungarischen Waffen. Die Geschichte der einzelnen Truppenteile wird später einmal Zeugnis von dem ablegen, was hier an Mut und Heldentum vollbracht worden ist.
Wo der Serbe angegriffen wurde, wehrte er sich verzweifelt. Bisher war es der zweifellos sehr guten serbischen Führung fast immer gelungen, durch die Nachhutkämpfe Zeit zu gewinnen, um die Masse des Heeres in Sicherheit zu bringen. Jetzt wurden aber die Nachhuten überrannt und der Angriff ging weiter gegen die Hauptkraft des Gegners.
Die Verwirrung und Auflösung der serbischen Armee steigerte sich mehr und mehr. Namentlich an den Bahnhöfen und Brücken von Kraljevo und Krusevac ging diese Auflösung fast bis zur Panik. Immer wieder versuchten Eisenbahnzüge mit Material aller Art den Bahnhof Kraljevo zu verlassen, um nach Osten durchzukommen. Das Sperrfeuer deutscher Geschütze hinderte aber bald jeden Verkehr auf der Strecke, so daß alles in die Hände der Verbündeten fiel. Die Zahl der Gefangenen steigerte sich von Stunde zu Stunde, ebenso die Zahl der genommenen Geschütze. Der Anfang vom Ende der serbischen Armee war gekommen.

 

III.

An ein Operieren, an ein Verschieben der Truppenkörper war nach dem Fall von Krusevac und Kraljevo für die serbische Führung nicht mehr zu denken, der Feind schrieb die Rückzugsrichtung vor. In den Kopaonik, den unwirtlichsten Teil Serbiens, flutete das feindliche Heer in südlicher und südwestlicher Richtung zurück. Es galt zu retten, was zu retten war. Schon machte sich der seitliche Druck der von der östlichen Morava unaufhaltsam nachdrängenden Bulgaren verhängnisvoll bemerkbar. Eine Katastrophe drohte. Da stürzten sich westlich Leskovac vier serbische Divisionen unter persönlicher Führung ihres Königs auf den verhaßten Verfolger und schüttelten ihn wieder für eine Weile ab. Am 13. November meldeten Flieger den Abmarsch einer zehn Kilometer langen Infanteriekolonne auf Kursumlija. Der Feind hatte sich der Umfaffung entzogen.
Den Serben jetzt noch mit der ganzen bisherigen Kraft zu folgen, erübrigte sich, da mit einem ernstlichen Widerstand größerer Massen nicht mehr zu rechnen war. Abgesehen davon stieß das Nachführen von Munition und Verpflegung bei dem schnellen Folgen und den trostlosen Witterungsverhältnissen auf derartige Schwierigkeiten, daß die vierfache Anzahl von Nachschubmitteln nicht genügte, das Nötigste heranzuschaffen. Was bisher zum Transport für ein Korps genügte, es reichte kaum mehr für eine Brigade aus. Kolonnen konnten nur selten mehr verkehren; man war zumeist auf Tragtiere angewiesen. Trotzdem durfte nicht locker gelassen werden. Brandenburger, Bayern, Thüringer und Preußen waren es, die gemeinsam mit ihren Bundesgenossen den letzten Teil Altserbiens kämpfend durchmaßen, den selbst die Reste des feindlichen Heeres nicht billig hergaben. Manch harter Gegenstoß mußte hier ausgefochten werden, manch erstem Anstoß folgte ein zweiter, ein dritter, um eine Höhe, einen Abschnitt sein eigen nennen zu können. Die Zeichen der Auflösung mehrten sich. Täglich wurden neue Gefangene eingebracht, in Zivilkleidern ging man massenweise zum Sieger über, Hunderte von feindlichen Verwundeten, notdürftig versorgt, wurden in sorgsame Pflege genommen; deutsche und österreichische Gefangene wurden von ihren Brüdern befreit.
Als in der zweiten Hälfte des November der letzte serbische Soldat die Grenze seines Mutterlandes überschritt und ihm somit der heimische Boden entzogen war, da brach seine letzte Kraft zusammen. Von den Bewohnern Neuserbiens, die nur gezwungen das Joch ihres einstigen Besiegers trugen, war kaum etwas Gutes zu erwarten. Den Feind dicht auf den Fersen, den Eingeborenen im Hinterhalt, Entbehrungen aller Art im Gefolge, so zogen die Trümmer des Serbenheeres über jenes Amselfeld, das schon einmal zum Verhängnis geworden war. Bei Pristina und Mitrovica ward die Macht der Serben gebrochen, der Mord von Sarajewo blutig gerächt.
Das einstige Königreich, weit über 150000 Gefangene und mehr als 500 Geschütze waren der Siegespreis.
Aber auch manch einen der Unsrigen, der für diesen Siegerpreis in treuer Pflichterfüllung sein Letztes hergab, drückt heute die Last fremder Erde. Jenen Helden gebührt vor allem der Dank des Vaterlandes für den siegreichen Feldzug.

 

Berichte aus dem deutschen Großen Hauptquartier 1914-1918

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