Aus
dem Großen Hauptquartier wird der "Frankfurter Zeitung"
geschrieben:
In
den Vogesen, dem schönen Bergland an der Grenze zwischen Deutschland
und Frankreich stehen unsere Truppen vor schweren Aufgaben, die mit den
Bedingungen der Kämpfe in den Karpathen und in Serbien zu vergleichen
sind. Es ist ein Gebirgskrieg mit all der Romantik, aber auch mit all
den Schwierigkeiten, die die Berge den Truppen entgegenstellen. Von solchem
Gelände gibt die Karte, so groß auch der Maßstab sein
mag, ein unzureichendes Bild, und nur persönlicher Augenschein an
Ort und Stelle kann eine wahre Vorstellung von den erstaunlichen Leistungen
unserer Truppen geben, die sich hinter den nüchternen Worten der
amtlichen Gefechtsberichte verbergen. Die Karte der Vogesen zeigt zwischen
Tal und Gipfel bedeutende Höhenunterschiede; aus einer mittleren
Höhe von 200 Metern am Westrande der Rheinebene erhebt sich das Bergland
bis über 1400 Meter. Die Einzelheiten des Geländes aber, die
im Gebirgskrieg eine bedeutendere Rolle spielen, als beim Kampf in der
Ebene, lassen sich aus der Karte nicht erkennen. Karte und Wirklichkeit
zeigen im Gebirge nicht selten Abweichungen, die für die Führung
von entscheidender Bedeutung sein können, und nur unmittelbare Anschauung
kann die Grundlage für die Operationen schaffen, die den Erfolg verbürgt.
Auf der Karte kann die Besetzung eines Punktes eine taktische Notwendigkeit
scheinen, während in Wirklichkeit der Besitz desselben Punktes die
allgemeine taktische Lage verschlechtern könnte, so daß die
zu bringenden Opfer zu dem Gewonnenen in keinem Verhältnis stehen
würden. Die Vogesen sind dem Deutschen weniger bekannt als die übrigen
Bergländer innerhalb seiner Heimat, aber sie stehen an Schönheit
und Reichtum der Formen, in denen sich der schroffe Charakter des Harzes
mit den weichen Formen des Thüringer Waldes verbindet, keinem nach.
Von dem "Loch von Belfort" dessen Festungsgebiet die Übergänge
aus dem südlichen Elsaß nach Frankreich sperrt, beginnen die
Vogesen. Bereits 20 Kilometer nördlich der Festung gipfelt der Kamm
mit 1245 Meter im Welschen Belchen, und nordöstlich vorgelagert überragt
der Große Belchen (1423 Meter) seine Umgebung. Von diesem höchsten
südlichen Teil, den Oberen Vogesen, senkt sich das Bergland mählich
über die Mittleren und Unteren Vogesen gleichlaufend mit dem Rheintal
zu dem Hügelland der Rheinpfalz.
Größere zusammenhängende Operationen fanden nur in dem
offenen Süd-Elsaß statt, in das die Franzosen wiederholt den
Einbruch von Belfort her versuchten, ohne dauernde Erfolge erringen zu
können. Es ist nur ein ganz schmaler Streifen diesseits der Grenze,
den sie zu behaupten vermochten. Nordwestlich Colmar tritt die deutsche
Gefechtslinie auf französisches Gebiet über. Wie auf der ganzen
Westfront, so sind auch im Süd-Elsaß und in den Vogesen die
Operationen vorübergehend in einen Stellungskampf übergegangen.
dessen Einförmigkeit einzelne offensive Unternehmungen unterbrechen.
Ihren Schauplatz bildeten in letzter Zeit die Oberen Vogesen in denen
der Gegner Schritt für Schritt gegen den Kamm zurückgedrängt
wird. Die Einnahme des Hartmannsweilerkopfes südwestlich Sulz ist
noch in Erinnerung und dieser Tage meldete die Oberste Heeresleitung siegreiche
Kämpfe bei Münster.
Die Leistungen unserer Truppen in diesen Gefechten sind über alles
Lob erhaben. Hier ist kein langsames Vorarbeiten unter der Erde mit
Laufgraben-
Schützengraben- Sappen und Minenstollen in einem Gelände, das
Zusammenhang und Übersicht bietet. Die Oberen Vogesen sind vielmehr
ein dicht bewaldetes, zerklüftetes Bergland, in dem nur wenige aus
dem Rheintal gegen den Kamm führende Täler durchgebende Verbindungen
zur französischen Grenze öffnen. Zahllose Seitentäler und
Tälchen zerlegen das Zwischengelände in ein Gewirr vieler Kuppen
und "Köpfe" die die Querverbindung erschweren und den militärischen
Operationen bisweilen im vollen Sinn des Wortes unübersteigbare Hindernisse
in den Weg zustellen scheinen. Die leichte Verteidigungsfähigkeit
der Straßen und Wege zwingt aber den Angreifer, diese zu verlassen
und sich über steile Abstürze auf
und ab den Weg zu Bahnen. Geröll und umgestürzte Bäume,
die das Alter oder das Feuer der schweren Artillerie gefällt haben,
decken die Hänge, und jeder Stein, der ins Rollen kommt, droht den
Hintermann zu erschlagen. Unten am Hang sinkt der Fuß in weichen
Schnee, weiter hinauf ist selbst mit Eisstollen nur ein mühsames
Vorwärtskommen über gefrorene Hänge. Rein sportlich betrachtet,
sind solche Kletterübungen bereits eine gute Leistung. Der deutsche
Soldat aber, der den Winterfeldzug in den Vogesen führt, sieht sich
einem entschlossenen und gewandten Gegner gegenüber, der ihn nicht
nur vom halben Hang aus kunstvoll angelegten Feldkanzeln und hinter sicherer
Deckung von der Höhe aufs Korn nimmt, sondern der vorwärts der
eigenen Stellung in den dunklen Kronen mächtiger Tannen nistet, über
und hinter dem Angreifer unsichtbar lauern, um den sicheren Schuß
abzusenden. Diese "Baumschützen" erklettern die höchsten
Wipfel mit Steigeisen, binden sich oben fest und decken sich durch Zweige
gegen Sicht von unten; nur wenige von ihnen kommen lebend von ihrem Hochsitz
herunter, denn mit Recht findet diese hinterlistige Kampfart keine Gnade
vor den Augen unserer Soldaten. Ist der Höhenkamm genommen dann macht
der Felsboden nicht selten den Ausbau einer Stellung unmöglich, und
eine Mauer aus zusammengetragenen Felsblöcken und Steinen muß
notdürftigen Schutz gegen das Feuer des Gegners geben der sich von
neuem auf der nächsten Höhe über dem Tal festgesetzt hat.
Solcher Arten waren die Bedingungen, unter denen die Kämpfe nördlich
und südlich Münster vom 19. bis 23. Februar geführt wurden,
an denen fast alle deutschen Stämme zum Schutz des Elsaß
teilnahmen. Das Städtchen Münster liegt in dem malerischen Tal
der Fecht, durch das Bahn und Straße von Colmar nach Gerardmer auf
der französischen Seite der Vogesen über den bekannten Schluchtpaß,
eine der wichtigsten Querverbindungen der Oberen Vogesen führen.
Münster war in deutschem Besitz, aber die Franzosen hielten die Höhen
unmittelbar nordwestlich und Südwestlich des Ortes, von wo ihre "Baumschützen"
eine unerwünschte Wirkung gegen unsere Schützengräben hatten.
Besonders bemerkbar machte sich einer dieser unsichtbaren Freischützen,
den unsere Leute "August" tauften. An seinem Platze wurden später
30 Konservenbüchsen gefunden, ein Beweis, wie lange sich " Baumschützen"
in ihrem Versteck halten können. Die südlich und nördlich
an Münster angrenzenden deutschen Stellungen waren von den französischen
überhöht, die die talaufwärts gelegenen Ortschaften und
die für den Gegner als rückwärtige Verbindung wichtige
Schluchtstraße deckten. So erwies sich die Verschiebung der eigenen
Stellung als notwendig, um taktisch günstigere Stellungen zu gewinnen.
Der Führung war die Schwierigkeit der Aufgabe bewußt aber sie
wußte, daß die Truppen sie lösen würden. Gefangene
Franzosen sagten später aus, daß man auf ihrer Seite nicht
an die Möglichkeit eines Angriffs geglaubt hätte. Die Geschichte
hat um die Kämpfe am Gaisberg und an den Spicherer Höhen im
August 1870 einen romantischen Schleier gewoben, der Sturm auf den Barren-,
den Klein- und Reichsackerkopf stellte sich als eine unvergleichlich schwierigere
Leistung dar. Bayrische und württembergische Infanterie und Pioniere
haben ihn am 19. und 20. Februar ausgeführt.
Bis zum 19. Februar zog sich die deutsche Stellung im Norden von Münster
über Haslach - Genesungsheim - Frauenackerkopf, dann im weiten Bogen
nach Osten zum Lingekopf, während sie Südlich des Ortes über
den Ober-Solberg zum Klein-Belchen verlief. Das Tal zwischen Münster
und dem ein Kilometer nordwestlich gelegenen Stoßweier trennte den
Angriffsraum in zwei natürliche Abschnitte. Es war anzunehmen, daß
der lang hingestreckte, das Tal abschließende Ort Stoßweier
von den Franzosen hartnäckig verteidigt werden würde, eine Voraussetzung,
die Gefangene nachträglich bestätigten. Es wurde daher beschlossen,
den Angriff über die Berge seitlich der Straße so vorzutragen,
daß Stoßweier, von beiden Seiten umfaßt, geräumt
werden mußte.
Den Kämpfen bei Münster waren deutsche Angriffe im Gebweiler
Tale vorausgegangen, durch die der Gegner mehrere Kilometer zurückgedrängt
worden war. Von dort erfolgte der Anmarsch gegen das obere Fechttal, der
sich infolge der verschneiten Höhen, die sich über 1100 Meter
erheben, und über die Schneeschuhtruppen Wege gebahnt hatten, sehr
schwierig gestaltete. In den frühen Stunden des 19. Februar begann
der Angriff auf der ganzen Linie; Bayern und Württemberger trugen
ihn vor.
Bereits im Laufe des Vormittags nahm württembergische Landwehr die
Vorberge dicht westlich Münster und den Kleinen Hörnleskopf.
Indessen gewannen die Truppen des südlichen Abschnitts im Fechttal
nur langsam Raum an den Hängen des Reichsacker- und Sattelkopfes.
Besonders schwere Kämpfe entwickelten sich im nördlichen Abschnitt,
auf dem Barrenkopf und Kleinkopf die wie natürliche Festungen hervorragen.
Ein bayrisches Regiment und württembergische Landwehr haben hier
Außerordentliches geleistet, die Bayern waren junge Truppen, die
hier ihre Feuertaufe erhielten, die aber eine Ausdauer und eine unerschrockenheit
bewiesen, wie die ältesten kampferprobten Bataillone. Den Spaten
in einer Hand, das Gewehr in der anderen, Eisstollen an den Füßen,
krochen sie die fast senkrechten, glatten Hänge hinan, von der Höhe
und von Baumschützen überall umlauert und beschossen. Fünfmal
erklommen die Tapferen die steilen Höben und fünfmal wurden
sie von dem übermächtigen Feuer des Gegners zur Umkehr gezwungen.
Aber immer wieder sammelten sie sich auf der Straße, die im halben
Hang eingeschnitten, einige Deckung bot, und wo sie, in ihre Mäntel
gehüllt, eine bange Nacht verbrachten. Am zweiten Tage, dem 20. Februar,
gab der sechste Ansturm den blutig erkauften Kamm in ihre Hände.
Die Reihen der Führer und der Mannschaften waren lichter geworden:
ein Bataillonskommandeur, der seinen Leuten voranstürmte, fiel, als
er eine Handgranate in die französische Stellung warf. In ihr und
hinter ihr am jenseitigen Hang war die weiße Erde mit den dunklen
Gestalten gefallener Alpenjäger besät; nur wenige entgingen
dem Tode durch die Flucht. Sie sind in den französischen Alpen zu
Hause und der Gebirgskrieg ist ihr eigentliches Element, jeder einzelne
ist ein Scharfschütze. Bei diesen ausgezeichneten Eigenschaften des
gefährlichen Gegners sind die Leistungen der jungen Angriffstruppen,
die nicht aus den Bergen stammen, ganz besonders bemerkenswert. Fünf
Tage und fünf Nächte lagen sie unter freiem Himmel in den verschneiten
Gefechtsstellungen und lebten von dem Brot und den Konserven, die sie
mitgenommen hatten. Erst am 23 Februar war die Lage vollkommen geklärt,
und die ganze Stellung, gegen die der Angriff angesetzt war, in deutschen
Händen.
Eigentümlich hatte sich die Lage bei dem Dorfe Stoßweier entwickelt.
Als der Gegner am 21., dem dritten Gefechtstage, den Ort noch nicht geräumt
hatte, wurde beschlossen, ihn im Sturm zu nehmen. Bayrische Kavallerie,
württembergische Landwehr und badischer Landsturm gingen im Tal gegen
die schmale Ostfront des Dorfes vor, das sie im erbitterten Nahkampf von
Haus zu Haus nahmen. Die Lage des siegreichen Detachements gestaltete
sich indessen recht schwierig, da der hartnäckige Gegner das unmittelbar
westlich angrenzende Dorf Kilbel und die südlich und nördlich
ansteigenden Hänge behauptete und von dort die Verbindung nach Münster
unter Feuer hielt. Da kam die Artillerie dem bedrängten Detachement
zu Hilfe, indem sie den Alpenjägern das Verbleiben in Kilbel unmöglich
machte und den Nachbartruppen das vorgehen über die Stoßweier
von beiden Seiten beherrschenden Höhen erleichterte. Kilbel wurde
am frühen Morgen des 23. besetzt und damit war der Zusammenhang der
neu gewonnenen Linie vom Barren- und Kleinkopf über Eichwald bis
zum Reichsackerkopf und Sattel hergestellt. Das Ziel fünftägiger
Schwerer Kämpfe war erreicht und wieder begann unter Leitung und
Beistand der Pioniere die Arbeit mit Beilpicke und Spaten, die in dem
unübersichtlichen, Überraschungen begünstigenden Waldbergen
ebenso wichtig wie im Felsboden schwierig ist. Was den Gräben an
Tiefe fehlt, muß die Höhe durch mühsam aufgetürmte,
erdbedeckte Steinmauern gewonnen werden, und an manchen Stellen kann der
fehlenden Laufgraben nur die geschickte Führung des Schützengrabens
ersetzen. Mancher sorgsam ausgebaute Unterstand der Alpenjäger leistet
gute Dienste, nachdem er an der neuen Front verstärkt und vor allem
gründlich gereinigt worden ist.
Das Ergebnis der heißen Gefechtstage war außer rund 800 gefallenen
Franzosen 600 Gefangene und mehrere Maschinengewehre. Die Beute an sonstigem
Material konnte in dem unübersichtlichen Gelände noch nicht
abschließend festgestellt werden.
"In den Vogesen nahmen wir die feindliche Hauptstellung auf den Höhen
östlich Sulzern in einer Breite von zwei Kilometern, sowie den Reichsackerkopf
westlich Münster im Sturm . . In der Gegend südöstlich
Sulzern nahmen wir Hohrodberg . . . wurden die Orte Hohrod und Stoßweier
nach Kampf, der Sattel nördlich Mühlbach im Sturm genommen .
. . ." So lauten die Mitteilungen der Obersten Heeresleitung über
die Kämpfe bei Münster. Von denen, die sie lasen, ahnten wohl
nur wenige etwas von dem stillen Heldentum unserer Jungen und Alten, die
Grenzwacht in den Vogesen halten.
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