Bericht
aus dem deutschen Großen Hauptquartier vom 11. X. 17
General
v. Hutier
In
der Nacht vom 20. zum 21. August 1917 hatte der Russe die Westfront des
Brückenkopfes von Riga in allgemeiner Linie Kangern-See - Kemmern
und südlich geräumt, um in eine zweite Stellung bei Schlok und
hinter den Lauf der Aa zwischen Schlok und Kalnzem zurückzugehen.
Fast kampflos war der linke Flügel unserer V1II. Armee gefolgt und
hatte Boden gewonnen in einem Gelände, das jeden Schritt vorwärts
im Angriff mit schweren Opfern hätte erkaufen lassen. Verschiedene
Gründe mögen den russischen Oberbefehlshaber General Parski
veranlaßt haben, den Flügel der XII. Armee freiwillig aus dem
Wald- und Sumpfgelände zurückzunehmen. Unsere Angriffsabsichten
gegen Riga waren ihm nicht verborgen geblieben. In Unkenntnis über
die tatsächliche Stelle des deutschen Stoßes zog er es wohl
vor, den vorgeschobenen Abschnitt der Nordwestfront rechtzeitig zurückzunehmen.
Wahrscheinlich bleibt auch die Annahme, daß die Oberste Heeresleitung
unter dem Eindruck der großen Niederlage in der Bukowina die von
General Parski erbetenen Reserven nicht zur Verfügung stellen konnte.
Deshalb mag der General sich entschlossen haben, durch Verkürzung
des Westabschnittes aus den dort stehenden 12 Divisionen (insbesondere
Kräften des 43., 2. und 6. sibirischen Korps) etwa 2 Divisionen auszusparen,
um sie zur Abwehr des Angriffs einzusetzen. Ohne Zuversicht und in gedrückter
Stimmung sah Ende August die XII. Armee dem Tage der deutschen Offensive
entgegen. Ungewiß blieb Zeit und Ort des Angriffs. Plötzlich
und unerwartet traf die Wucht des deutschen Stoßes die XII. Armee
an starker, aber empfindlicher Stelle.
Während General Parski den Angriff gegen den Südabschnitt im
Gelände von Kekkau erwartete und dorthin starke Kräfte und die
Masse seiner Artillerie zusammenzog, entwickelte sich in aller Stille,
verschleiert durch vortreffliche taktische und technische Maßnahmen,
der Aufmarsch der Angriffskräfte der VIII. Armee in den Waldungen
im Dünabogen, südlich Üxküll. Bereits vor längerer
Zeit hatte das Oberkommando der VIII. Armee seine Erwägungen über
einen Angriff auf Riga östlich der unteren Düna abgeschlossen.
Pläne und Absichten ergänzten die Anschauungen des Oberbefehlshaber
Ost und seines Generalstabchefs. Dieser Gleichklang strategischer Erwägungen
schuf die Vorbedingung für ein reibungsloses Zusammenwirken und damit
zum Angriffserfolg. Die Weisungen der Obersten Heeresleitung, rechtzeitige
Bereitstellung der erforderlichen Kräfte durch den Oberbefehlshaber
Ost, mustergültige Anordnungen des Oberbefehlshabers der VIII. Armee,
Generals der Infanterie v. Hutier, und seines Generalstabschefs, Generalmajors
v. Sauberzweig, verbürgten den Sieg.
Kühn war der Angriffsgedanke, den die VIII. Armee in die Tat umfetzen
sollte: -Überwindung des Dünastromes angesichts starken Feindes,
der mit überlegenen Kräften zum Gegenangriff schreiten konnte
- schnelles Eindrücken der russischen Uferstellungen im Gelände
beiderseits Üxküll - rascher Vorstoß durch schwieriges
Wald- und Sumpfgelände nach Norden gegen Straße und Bahnlinie
Riga-Wenden - Vorgehen des linken Angriffsflügels östlich der
Düna gegen Riga - Flankendeckung der Operation gegen Osten: Pläne
einer zielbewußten oberen Führung, Ziele der angriffsfreudigen,
siegessicheren Truppe.
Der Dreiteilung der Aufgaben entsprach die Bereitstellung von drei Gruppen
auf dem südlichen Düna-Ufer im Abschnitt von Üxküll.
Nach Erzwingung des Flußüberganges sollte die rechte Gruppe
im Gelände von Oger-Galle die Ostfront eines Brückenkopfes bilden
und etwaige von Lennewaden - Friedrichstadt zu erwartende Flankenangriffe
abschlagen. Der mittleren Gruppe fiel die wichtige Aufgabe zu, in schnellem
Vortragen des Angriffs über den Kleinen und Großen Jägel
die feindliche Rückzugstraße Riga - Wenden zu erreichen und
in nördlicher Richtung zu überschreiten. Dieser Vorstoß
bedrohte die im westlichen Brückenkopf von Riga stehenden Divisionen
mit der Gefahr der Abschneidung. Nur eiligster Rückzug konnte sie
retten. Dann aber fiel die ganze westliche Front von Riga fast kampflos
in die Hand des vorgehenden linken Armeeflügel. Die linke Gruppe
erhielt den Auftrag, zwischen Kleinem Jägel und Düna - etwa
über Linie Maschin-Kirchholm - eine starke russische Riegelstellung
einzudrücken und Riga zu nehmen. Taktische Rücksichten geboten
das Vorgehen mit starkem rechten Flügel beiderseits des Kleinen Jägel,
um feindlichen Widerstand durch umfassenden Angriff von Nordosten schnell
zu brechen. Die schnelle Einnahme von Riga war leitender Gesichtspunkt
dieses Auftrages. Schnelle Besetzung bedeutete Rettung der Stadt vor Plünderung
und Brandstiftung durch die zurückgehende XII. Armee.
Am Abend des 31. August waren alle Vorbereitungen beendet. Südlich
Borkowitz - Üxküll standen die drei Gruppen bereit, nach Zertrümmerung
der russischen Uferstellung, über den breiten Dünastrom zu setzen
und im Vorstoß über die Bahnlinie zunächst Entwicklungsraum
für die nachfolgenden Divisionen zu schaffen. Das bewaldete Gelänge
hatte unsere Vorbereitungen der russischen Fliegererkundung entzogen.
Unbemerkt war Division dicht hinter Division in drei Gruppen aufmarschiert.
Unbemerkt waren starke Artillerie- und Minenwerfergruppen versammelt,
waren zahlreiche Pontons dicht am Ufer bei der Borkowitz- und Elsterinsel
bereitgestellt worden. In flachem, allmählich ansteigendem Gelände
zogen sich auf dem jenseitigen Ufer von Oger-Galle über Üxküll
nach Westen die vom russischen 21. Korps gehaltenen Uferstellungen entlang,
deren letzte (vierte) Linie auf stark ausgebautem Höhenkamm das Vorgelände
beherrschte. Nördlich der Bahn folgte eine zweite Stellung; hinter
dem Kleinen und Großen Jägel waren weitere rückwärtige
Stellungen vorbereitet.
Nach mondheller Nacht brach der 1. Septembermorgen heran. Tiefes Schweigen
herrschte in den Wäldern südlich der Düna. Da entfesselte
die vierte Morgenstunde wie mit einem Donnerschlage das Ungewitter unseres
Massenfeuers. Zwei Stunden wirkten Gasgeschosse verheerend in den Uferstellungen
und Batterien. Um 6 Uhr begann das Wirkungsschießen. Schnellfeuer
der Minenwerfer zertrümmerte die Gräben. Um 9 Uhr setzten auf
Pontons Schützen über den Fluß. Unaufhaltsam ergoß
sich Infanterie in die grauenhaft zerstörten Stellungen. Nur vereinzelt
feuerten noch russische Maschinengewehre. Weiter ging der Sturm über
die Bahn gegen die zweite Stellung. Der hier erwartete Gegenangriff blieb
aus. Es wurde klar, daß der Russe sich zu einem Gegenangriff in
großem Maßstabe nicht mehr aufraffte, sondern seine Flucht
durch starke Nachhutgefechte zu decken suchte. Die nachgezogenen Divisionen
gingen auf hergestellten Brücken über die Düna. Ohne Verzug
stieß die mittlere Gruppe bis an den Kleinen Jägel vor. Das
für den ersten Tag gesetzte Ziel konnte sogleich überschritten
werden.
Am folgenden Tage wurde der Jägel-Abschnitt überwunden. Heftige
Kämpfe entwickelten sich in dem äußerst schwierigen, von
Sumpf- und Moorstrecken durchsetzten Waldgelände bei und westlich
Draggun. Unter erneuten schweren Gefechten mußte der Große
Jägel angegriffen werden. Starke russische Kräfte stellten sich
hier im Gelände Rodenpois-Waldenrode. Todesbataillone sicherten als
Nachhuten den Abzug russischer Marschkolonnen. Der rechte Flügel
der Gruppe griff nach Abwehr starker Gegenangriffe über Gegend Bersin
auf Rodenpois an, während in doppelter Umfassung der Abschnitt Ww.
Bojar-Waldenrode überschritten wurde. Trotz heftigen Widerstandes
erreichte die Gruppe am 3. September abends die Tumschuppe, um noch in
der Nacht weiter nach Norden über die Bahnlinie mit rechtem Flügel
gegen Hinzenberg vorzustoßen. Am 4. September früh wurde die
große Rückzugstraße erreicht und überschritten.
Unabsehbare Beute bedeckte die Chaussee. In vier Kolonnen auf und längs
der Chaussee wälzte sich der fluchtartige Rückzug der Russen
nach Osten. An der Brücke von Birsnek hatten sich diese Massen gestaut.
Ein wirrer Haufen von Fahrzeugen, Geschützen und Beute zeichnete
hier die jagende Hast der fliehenden Armee.
Unmittelbar nach dem Düna-Übergang hatte sich die rechte Gruppe
unter heftigen Gefechten Raum geschaffen und in östlicher Richtung
entwickelt zur Sicherung der rechten Flanke. Waren von Osten zunächst
nur Teilangriffe von Reserven aus dem Nachbarabschnitt zu erwarten, so
mußte doch mit dem Abtransport stärkerer Kräfte aus Gegend
Jakobstadt und Dünaburg gerechnet werden. In allgemeiner Linie Oger-Galle-Turkaln
und nördlich mußte die Gruppe starke, gegen ihren Nordflügel
und gleichzeitig gegen den rechten Flügel der mittleren Gruppe von
Nordosten angesetzte Gegenangriffe abschlagen. Gegen den im Bruchpunkt
der Fronten beider Gruppen liegenden und von starkem Feind besetzten Kangern-Sumpf
stieß eine deutsche Kavalleriedivision siegreich im Feuergefecht
vor. So deckte in Abwehrkämpfen die Ostgruppe erfolgreich den Stoß
der mittleren Gruppe nach Norden.
Das befohlene schnelle Vorgehen der linken Gruppe auf Riga war abhängig
von dem baldigen Durchbruch durch die starke Riegelstellung Kirchholm-Maschin.
Sumpfniederungen auf dem östlichen Düna-Ufer machten hier das
Vorgehen des linken Flügels schwierig. Flankierende russische Artilleriewirkung
von der Insel Dalen nördlich Kekkau und vom westlichen Düna-Ufer
südlich Riga konnte den Angriff dieses Flügels verzögern.
Mit starkem rechten Flügel drückte deshalb im Vorgehen beiderseits
des Kleinen Jägel durch umfassenden Angriff die linke Gruppe am 2.
September die Stellung bei Maschin ein, während der Südflügel
der Stellung durch Artilleriefeuer geöffnet wurde. Gegenangriffe
aus Riga und aus Gegend Bickern wurden abgeschlagen. In schnellem Vorgehen
erreichte die Gruppe am 3. September gegen 11 Uhr vormittags mit den Vortruppen
die Stadt und trieb Spitzen bis Mühlgraben vor. Die deutsche Fahne
wehte über Riga!
Am 2. September hatten schwächere Kräfte westlich der Düna
die Insel Dalen besetzt. Landwehr und Landsturm hatten hier angegriffen.
Längs des linken Düna-Ufers und von Westen auf der Straße
über Olai erreichte der linke Armeeflügel die Mitauer Vorstadt,
während die Spitzen östlich der Düna sich Riga näherten.
Kurz zuvor hatte der Russe die beiden mächtigen Dünabrücken
zwischen beiden Stadtteilen gesprengt. Auf dem äußersten Nordflügel
erreichte eine Abteilung am folgenden Vormittag Dünamünde. Eine
Marineabteilung begleitete das Vorgehen auf der Aa und hißte die
Kaiserliche Kriegsflagge auf den am Abend zuvor von den Russen geräumten
und teilweise zerstörten Werken.
Großes hatte die VIII. Armee unter bewährter Führung ihres
Oberbefehlshabers geleistet: In drei Tagen fällt die starke, von
der russischen XII. Armee besetzte Riga-Front wie ein Kartenhaus zusammen.
In wilder Flucht eilt der Russe nach Osten. Ungeheure Beute an Gerät
und Geschützen bleibt liegen. In weitem Bogen östlich der Stadt
stehen die Truppen der VIII. Armee bereit - zur Verteidigung der Stadt
oder zum Angriff.
Fahnen in der Heimat feierten den Sieg, dankten Führern und Truppen
der VIII. Armee, grüßten die alte deutsche Stadt Riga. |