Auf
dem Schlachtfeld östlich von Drengfurt, im September.
Das hehre Schauspiel, dessen erster Akt mit der Vernichtung der russischen
Narew-Armee um Tannenberg seinen Abschluß gefunden hat, bietet nunmehr
den zweiten Aufzug, dessen Zeuge ich gegenwärtig bin. Noch ist es
nicht an der Zeit, den Inhalt dieses zweiten Aktes in seinen Einzelheiten
hier wiederzugeben, geschweige denn ein Gesamtbild oder gar ein abschließendes
Urteil über das Errungene hier zu liefern. Noch wütet der Kampf
auf der ganzen Linie zwischen Altenburg und Angerburg, und diese Linie
ist so vielfach gebogen und gewunden, wechselt so sehr fast von Stunde
zu Stunde, daß, selbst wenn das militärische Interesse ein
Bekanntwerden des bereits Gewonnenen und des noch Geplanten zuließe,
sich doch diese gewaltige Schlachtlinie nicht schildern ließe.
Der Morgen sah mich auf dem Wege von Rastenburg nach Drengfurt. Das wundervolle
Septemberwetter und die über die ganze Natur ausgebreitete friedliche
Ruhe läßt mich ganz vergessen, daß ich einem Schlachtfelde
zueile, das nur einige wenige Kilometer von mir entfernt liegt. Kurz vor
dem anmutigen Flecken Salzbach werde ich daran erinnert, daß mein
Weg mich zur Stätte des Ringens und Todes führt: in Staubwolken
gehüllt, zieht ein Trupp russischer Gefangener vor mir vorüber.
"Von welcher Division?" rufe ich in Russisch den laut- und teilnahmslos
Einhergehenden zu - und sofort kommt ein strammer Zug in die regellose
Soldatenmengen; die Gefangenen "fressen die Obrigkeit mit den Augen",
wie das russische Reglement es so schön verlangt, und ohne Nachklappen
erhalte ich zur Antwort: "Der sechsundzwanzigsten, Euer Hochwohlgeboren".
Also aus dem zweiten (Grodnower) Armeekorps, dessen Kommandeur, der alte
draufgängerische General Scheidemann, "Königsberg beiseite
lassen wollte, um desto eher nach Berlin zu gelangen". Sein Wunsch
wird vielleicht auch in Erfüllung gehen: er wird am Ende nach Berlin
gelangen, nur nicht gerade als Sieger an der Spitze seines Korps.
Nach elf Uhr nähere ich mich gerade dem reizend an einem See gelegenen
Städtchen Mühlbach - da hör´ ich deutlichen Geschützdonner
und gleichzeitig sehe ich Rauchwolken den Himmel im Nordosten umhüllen.
Immer und immer wieder jagen Munitions-Kolonnen an mir gegen Drengfurt
vorbei, Leiterwagen mit Leichtverwundeten kommen mir entgegen. "Gerdauen
gehört uns!"... "Unsere Artillerie hat endlich die ver...
Russen gepackt!" "Wir haben sie aus Nordenburg hinausgejagt!".
So rufen mir durcheinander die braven Jungen zu, die ihre blutbefleckten
Verbände ganz vergessen zu haben scheinen.
Bei meiner Ankunft in Drengfurt steht der ganze Horizont in Flammen und
Rauch, während das Brüllen der Geschütze ringsumher die
Fensterscheiben der verlassenen Häuser zittern und klirren macht.
Ich durcheile das Städtchen, das zu einem richtigen Feldlager geworden,
schlängle mich durch kommende und gehende Proviant- und Munitionskolonnen,
Ambulanzwagen, reitende Ordonnanzen, fauchende Kraftwagen des Oberkommandos
hindurch, passiere neben dem hübschen Bismarckturm eine unserer gerade
im Feuern begriffenen schweren Batterien und gelange schließlich
auf die Anhöhe des alten Kirchhofs, die einen überraschend weiten
Überblick über das ganze Schlachtfeld gestattet.
Zwischen Rehsau im Westen und weit über Thiergarten hinaus im Osten
ist gerade ein scharfer Artilleriekampf im Gange. Bei Nordenburg haben
wir uns bereits Luft gemacht und die russische Linie weit nach dem Nordosten
und Norden zurückgebogen; nun gilt es, die Russen auch über
Angerburg hinaus nach der gleichen Himmelsrichtung hin zurückzuschlagen;
ihre Linie entweder zu durchbrechen oder aber womöglich ihre linke
Flanke zu umklammern. Gerade vor mir liegt der "Fuchsberg",
eine recht gut dominierende Anhöhe östlich von Drengfurt, in
südlicher Richtung von Engelstein. Unsere bei Drengfurt aufgestellte
schwere Artillerie richtet ihr Feuer auf diese Anhöhe und zwingt
schließlich die dort stehenden Russen zum Rückzug. Nun heißt
es vorgehen nach dem Fuchsberge zu, während von Rehsau bis Thiergarten
unsere Granaten bereits alles in Feuer geschossen haben. Ich sehe die
charakteristischen weißen Wolkenknäul der Schrapnells: die
Russen suchen unser Vordringen dadurch zurückzuhalten. Vergebens
- auch der Fuchsberg ist nicht mehr zu halten, und gegen 3 Uhr erstirbt
das Feuer der russischen Geschütze. Man erzählt Wunderdinge
von unseren Belagerungsgeschützen, von unseren 42-Zentimeter-Mörsern.
Aber wer das Feuer unserer 15-Zentimeter-Haubitzen gesehen und beobachtet
hat, muß auch ihnen höchstes Lob zollen. Diese hatten auch
heute mit einem nicht zu verachtenden Gegner zu tun: die russische Artillerie
- dies stellt sich immer deutlicher heraus - bildet den verhältnismäßig
besten und ernsteren Teil der russischen bewaffneten Macht. Dennoch vermochte
die russische Artillerie gegen die unsre nicht anzukämpfen, konnte
verhältnismäßig nur kurze Zeit unserem Geschützfeuer
standhalten. Zunächst ist unser Geschoß im allgemeinen dem
russischen entschieden überlegen, zweitens steht die typische russische
leichte Haubitze mit 12.19 Zentimeter Rohrdurchmesser unsrer 15-Zentimeter-Haubitze
bedeutend nach, drittens ist die Treffsicherheit der Russen, obwohl in
den jüngsten Jahren nicht unwesentlich ausgebildet, bei weitem nicht
mit derjenigen unserer Artillerie zu vergleichen. Die Zünder des
russischen Schrapnells (Brennzünder bis 5500, Aufschlagzünder
bis 6400 Meter) scheinen, wie ich dies schon im russisch-japanischen Kriege
konstatieren konnte, nicht selten zu versagen; noch mehr scheint dies
bei den Aufschlagzündern der Granaten der Fall zu sein, während
der Bogenschuß der Haubitzen-Schrapnells als recht gut zu bezeichnen
ist. Im reinen Artilleriekämpfe - und um einen solchen handele es
sich heute bei dem, was ich beobachten konnte - wird daher der Russe gegen
uns nie etwas ausrichten können, umsomehr als das als entschieden
"nervös" zu bezeichnende russische Geschütz vorzeitige
Rückzugsgelüste zu empfinden pflegt.
Soviel für heute, soweit es sich aus und von dem Schlechtfelde berichten
lässt. Die Russen haben ihre stark befestigten Stellungen auch auf
der neugewählten Linie Altenburg-Angerburg (was an sich schon eine
deutliche Rückzugslinie ausmachte) nicht nur nicht behaupten können,
sondern dürften, mit umklammertem linken Flügel, den vielleicht
gar fluchtartigen Rückzug nach dem Norden bereits angetreten haben.
Ohne Prophet zu sein, kann man schon heute voraussehen, wie die zweite
- nach Tannenberg - Entscheidung in Ostpreußen ausfallen wird.
Max Theodor Behrmann,
Kriegsberichterstatter.2)
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