Der
Durchbruch in Westgalizien
Zu
der vorstehenden Siegesmeldung schreibt die "Frankfurter
Zeitung":
Seit Wochen schon wiederholte sich in den Blättern der Entente
die bange Frage: Was macht Hindenburg? Daß des großen
Feldmarschalls geniale Strategie neue Überraschungen vorbereitete,
schien auch dem Feinde selbstverständlich. Die Siegesnachrichten,
die der heutige deutsche Tagesbericht bringt, geben die klare
Antwort.
Die Offensive in Nordwestpolen ist weiter vorgetragen worden, sie
bedroht über Kurland hinaus schon die russischen Gebiete in Livland.
Im Kampfraum von Suwalki, bei Kalwarja sind die Russen, die dort
seit einigen Tagen heftige Angriffe versuchten, zurückgeworfen
worden und mußten sich über eine schützende Flußstellung zurückziehen.
Südlich der Weichsel sind russische Angriffe in einer schweren
Niederlage zusammengebrochen. Das alles sind Nachrichten, die uns
mit stolzer Zuversicht erfüllen dürfen. Aber sie treten an
Bedeutung weit hinter dem zurück, was aus Westgalizien gemeldet
wird.
Etwa 150 Kilometer lang dehnte sich die Front der russischen Heere,
die sich südlich bei der ungarischen Grenze an die Karpathen
anlehnte, dem Dunajec entlang bis zu dessen Mündung in die
Weichsel. Seit Monaten lagen sich hier die Heere gegenüber und ihre
Stellungen waren mit allen Mitteln der Feldbefestigung ausgebaut, so
daß sie fast uneinnehmbar scheinen mußten. Aber die ganze Front
ist von den deutschen Truppen Mackensens und von unsern österreichisch-ungarischen
Verbündeten in einem Ansturm überrannt worden, dessen Wucht erst
ausführlichere Berichte ganz verstehen lassen werden. Noch kennen
wir das in Zahlen zu fassende Ausmaß des Erfolges nicht, aber wir
wissen, daß ein Sieg erfochten ist, der den größten Waffentaten
des Krieges ebenbürtig zur Seite tritt. Es wird die strategische
Lage in den Karpathen von Grund auf verändern und auf die
Gestaltung der Ereignisse im ganzen Osten entscheidend einwirken.
Unsere Feinde haben den Winter hindurch sich selber und die in
Spannung harrenden Neutralen auf das Frühjahr vertröstet, das im
Westen und im Osten mächtige Offensivbewegungen gegen die Zentralmächte
bringen sollte. Der Frühling ist gekommen und mit ihm gewaltige
Angriffe der Deutschen und unserer Verbündeten. Während vor Ypern
der deutsche Ring noch immer enger schließt und Deutsche Geschosse
die Festung Dünkirchen erreichen, schreitet das deutsche Ostheer
von Sieg zu Sieg. Was die französische Offensive in der Champagne,
die zu einer Zeit unternommen wurde, als man die deutschen Kräfte
im Osten gebunden glaubte, in mehrwöchentlichen, furchtbar
verlustreichen Stürmen nicht erreichen konnte, haben die Deutschen
und ihre Verbündeten verwirklicht. Wenn damals Joffres Plan eines
Durchbruchs bei Reims gelungen wäre, hätte er die deutschen
Aufmarschlinien durch ganz Belgien gefährdet, eine Aufrollung der
großen Flügel des Westheeres befürchten lassen. Die russische
Front in Westgalizien war für die in den Karpathenpässen und in Südpolen
kämpfenden russischen Heere von nicht minderer Bedeutung. Ihre
Stellungen sind jetzt nach dem Zusammenbruch der Linien am Dunajec
aufs schwerste gefährdet, so daß sich Nikolaj Nikolajewitsch wohl
oder übel zu einer neuen "Umgruppierung" wird entschließen
müssen, die unter dem Drucke der Verfolgung der siegreichen Verbündeten
schwer genug zu verwirklichen sein wird. Der Sieg, der in diesen
ersten Maitagen errungen wurde, bestimmt nunmehr die Lage im Osten,
er sichert wiederum Hindenburg das Recht des genialen Feldherrn,
seinem Feinde das Gesetz des Handelns vorzuschreiben. 2) |