Die
Kämpfe in Tirol
Kriegspressequartier,
12. Juli.
Die offiziellen Berichte verzeichneten in den letzten Tagen Kämpfe
nordöstlich vom Kreuzbergsattel und vom Col di Lana in Buchenstein.
Es sind dies die Endpunkte des Ampezzaner Abschnittes der österreichisch-italienischen
Grenze, dessen Verteidigung ein besonderes Interesse durch den Umstand
gewinnt, daß er eines der bekanntesten Tourengebiete Tirols enthält,
die Ampezzaner und Seltener Dolomiten. Seit Vollendung der großartigen
Dolomitenstraße von Toblach bis Bozen ist diese Wunderwelt der Südtiroler
Kalkalpen vielen Tausenden von Reisenden vertraut geworden, und Tauende
haben auch schon ihren Fuß auf diese aus üppig grünen
Matten und Wäldern in den bizarrsten Formen aufragenden grau-gelbroten
Zacken und Türme gesetzt. Und um und in diesen Zacken und Türmen
wird heute gekämpft, gekämpft auf Zinnen und Wänden, die
zum großen Teile vor gar nicht langer Zeit noch als unersteiglich
gegolten haben und auf die nun von kühnen und bergvertrauten Landesverteidigern
sogar Maschinengewehre emporgebracht werden. Es ist noch weniges von diesen
Kämpfen in die Öffentlichkeit gedrungen, obwohl sie speziell
in den Sextener Dolomiten schon seit Wochen andauern.
Die österreichisch italienische Grenze zieht vom Kreuzbergsattel,
1638 Meter, über Paternkofel und Rotwandspitze zum Elferkofel, 3115
Meter, über die Hochbrunnerschneid und die Einsenkung des Giralbajochs, 2436 Meter, zum Zwölferkofel,
3091 Meter, dann zum Büllelejoch, 2504 Meter, über den Paternkofel,
2744 Meter, und den Paternsattel, 2450 Meter, auf die Drei Zinnen, 3003
Meter, fällt dann zum Rienztal ab, steigt wieder zum Monte Piano,
2325 Meter, auf und erreicht, nach Überquerung des Popenatals bei
Schluderbach, den Monte Cristallo, 3195 Meter. Die Zsigmondy- und die
Dreizinnen-Hütte liegen hart an der Grenze auf österreichischem
Gebiet; Schluderbach ist von der Grenze nur 1½ Kilometer, Landro
3 Kilometer, der Fischleinboden vom Giralbajoch 5 Kilometer, Moos in Sexten
vom Kreuzbergsattel nur 7 Kilometer entfernt. Am Kreuzbergsattel kommt
die italienische Grenze dem Pustertal und damit der Hauptverbindungslinie
zwischen Tirol und Kärnten am nächsten. Die Entfernung von Innichen
bis zum Joch beträgt nur 18 Kilometer. Das Sextental wird überragt
im Westen vom Haunold und den Gipfeln des Dreischusterstocks, im Osten
vom Helm und seinen Ausläufern; es steigt von Moos aus ganz allmählich
zur Grenzhöhe und Wasserscheide an, von der die Straße dann
steil in das Pavola- und Piavetal hinabführt. Daß Italien der
Wichtigkeit dieses Überganges seit Beginn seiner bundesbrüderlichen
Angriffsvorbereitungen gebührende Beachtung geschenkt hat, ist selbstverständlich,
ebenso selbstverständlich aber auch, daß es die österreichisch-ungarische
Heeresleitung an entsprechenden Sicherungsvorkehrungen nicht hat fehlen
lassen. Einige ältere Werke sind den Besuchern des Sextentales wohlbekannt;
man hat sich hier so wenig wie in anderen Grenzabschnitten auf deren Erhaltung
beschränkt und auch neue feste Stellungen geschaffen, die den oberen
Talgrund ausreichend beherrschen. Eine unliebsame Flankierung der italienischen
Stellungen am Kreuzbergsattel bilden die ihm südöstlich vorgelagerten
oben erwähnten Gipfel der Seltener Dolomiten, wenn sie auch nur zu
kleineren, in Anlage und Ausführung bewundernswerten und den Gegner
sehr beunruhigenden Unternehmungen benützt werden können. Der
im österreichischen Generalstabsbericht vom 10. ds. gemeldete Angriff
auf unsere Stellungen nordöstlich des Kreuzbergsattels scheint der
erste zu sein, der von den Italienern mit größeren Kräften
unternommen wurde; er brach in unserem Artillerie- und Nahfeuer zusammen.
Um die Mitte Juli waren die Italiener wiederholt bemüht, ihre Schützengräben
vorzubringen, das Feuer einer unserer Batterien trat aber immer wieder
hinderlich dazwischen. Seitdem verstärkten sie wieder ihr Artilleriefeuer,
und es gab Tage, an welche Lage aus Lage über unsere Stellungen nieder
ging. Unsere Werke blieben die Antwort nicht schuldig und hatten wiederholt
guten Erfolg. Am 4. Juli überschütteten die Italiener den Porzenwald
mit Granaten.
Um die Mitte Juni begannen auch die Patrouillenkämpfe in den Dolomitenfelsen
an der Grenze. Unseren berggewohnten, von ortskundigen und als tüchtige
Bergsteiger und Kletterer bekannten Offizieren und Unteroffizieren geführten
Tirolern traten dabei meist nicht weniger gut ausgebildete und wagemutige
Alpini gegenüber, nichtsdestoweniger gelang es den Unseren, ihre
Ausgaben stets mit Glück durchzuführen. Über eines der
kecksten der Wagestückchen unserer Patrouillen berichtet ihr Kommandant
Erich Wisiol, Kadett der Reserve im 1. Tiroler Kaiserjäger-Regiment
und Mitglied des Akademischen Alpenclubs Innsbruck in einem Briefe an
seinen Klub. Die Patrouille bestand aus 15 Landes- und Standschützen,
darunter der bekannte Bergführer Sepp Innerkofler. Aufbruch vom Fischleinboden
um 11 Uhr nachts. aufwärts durch Latschen, Geröll und steile
Schneerinnen bis zum Einstig in die Westwand des Elferkofels, der um 3
Uhr morgens erreicht wurde. Auf diesem Wege Gewehrfeuer der Welschen,
deren Stellungen mitunter nur 300 Schrate entfernt waren und die offenbar
das Geräusch beim Aufsteigen gehört hatten. Vier Mann waren
der Anstrengung nicht gewachsen und mußten umkehren. Nun zweistündige
Kletterei im Morgengrauen auf die Spitze und nach entsprechender Rast,
aus schmalen Felswänden kriechend, zu guten Ausschuß auf die
etwa 600 Meter tiefer eben aus ihren Zelten in den Sonnenschein herausgekrochenen
Alpini. Die Überraschung gelang vollkommen. Auf die ersten Schüsse
wandten sie verdutzt die Köpfe, dann eilten sie in ihre Gräben
und erwiderten das Feuer, machten sich aber bald gänzlich unsichtbar.
Dafür kamen noch einige Granaten herauf und unsere Patrouille machte
sich aus den Heimweg. Eine Stunde zurück auf einer dem Feinde ganz
ausgesehen Schneefläche mit starkem Gewehrfeuer und einem Schrapnell
als Begleitung. Nach kurzer Rast auf der Spitze die Wahrnehmung, daß
der Patrouille durch die Welschen der weitere Rückweg abgesperrt
sei, doch fand Innerkofler bald einen anderen Abstieg, der aber harte
Arbeit machte. Zuerst eine Kletterei über einen Grat bis zu einer
Scharte, nun mußten wir uns über eine sehr steile Schneerinne
300 Meter tief auf italienisches Gebiet abseilen, wo wir ziemlich sicher
waren, da sich die Welschen auf der anderen Seite auf österreichischem
Gebiet befanden. Glücklich waren wir hinuntergekommen, als sich ein
tiefer Abgrund auftat. Zudem fing es an in Strömen zu regnen, und
dichter Nebel fiel ein. Aber unser Sepp kannte sich gut aus. Wir gingen
über eine andere Schneerinne hinauf, dann wieder hinunter und nochmals
hinauf und erreichten endlich ganz ausgepumpt die letzte Scharte, von
wo aus wir dann nach herrlicher Abfahrt den Fischleinboden wieder erreichten."
Im nächsten Bereich seiner Dreizinnenhütte, auf dem Paternkofel,
ist dann Sepp Innerkofler gefallen Während er Handgranaten auf die
unten befindlichen Italiener warf, traf ihn ein Schuß und er stürzte
ab und fand so den Bergsteigertod, falls ihm die Kugel das Leben gelassen
hatte. Seine Leiche konnte noch nicht geborgen werden Am 6. Juli ging auch
die in dem großartigen Felsenrund des obersten Bacherntals vom Elfer
bis zum Einser gelegene Zsigmondy-Hütte des Österreichischen
Alpenklubs in Flammen auf; sie wurde von den Italienern in Brand geschossen
Die Hütte war bis dahin von den Unseren besetzt gewesen, doch war
man von Anfang an überzeugt, daß sie nicht zu halten sein werde,
da sie sowohl vom Büllelejoch wie auch vom Giralbajoch aus unter
Feuer genommen werden konnte.
Aus diesen Kämpfen in den Seltener Dolomiten war auch übereinstimmend
von Beteiligten berichtet, daß sich dabei die Italiener sehr tapfer
und wagemutig verhalten haben; ihre Alpini und ihre Artillerie seien nicht
zu unterschätzende Gegner. Noch Schöneres hört man auch
hier von unseren Standschützen. Die allzu jungen. 15- bis l7-jährigen
Burschen sollen jetzt von der Front zurückgenommen werben. Da meldete
sich ein noch nicht 16jähriger Standschütze, Sohn des Fuchsenbauers
in Sexten, bei dem inspizierenden Obersten, er war ganz verzweifelt und
bettelte so lange, bis ihm der Oberst das Verbleiben im Schützengraben
erlaubte. Der Oberst hat als aktiver Offizier 1866 und 1878 mitgemacht,
ist jetzt freiwillig eingerückt und Inspektor der Standschützen,
ein Mann von 72 Jahren, dabei rüstig wie ein Junger und voll Begeisterung.
Ein Offizier photographierte die beiden, den Alten und den Jungen: ein
Sinnbild der Treue und Opferfreudigkeit unseres Tiroler Volkes.
|