Der Weltkrieg am 12. Juli 1915

DEUTSCHER HEERESBERICHT - ÖSTERREICHISCHER HEERESBERICHT - TÜRKISCHER HEERESBERICHT

 

 Der deutsche Heeresbericht:

Der Kirchhof von Souchez wieder genommen  - Russische Vorstellungen bei Lipina erstürmt

Großes Hauptquartier, 12. Juli.
Westlicher Kriegsschauplatz:
Am Nordhang der Höhe 60 (südöstlich von Ypern) wurde ein Teil der englischen Stellung in die Luft gesprengt.
Der Nahkampf am Westrand von Souchez schreitet vorwärts, der südlich von Souchez an der Straße nach Arras gelegene, vielumstrittene Kirchhof ist wieder in unserm Besitz; er wurde gestern abend nach hartem Kampf gestürmt. 2 Offiziere, 163 Franzosen wurden gefangen genommen, 4 Maschinengewehre und 1 Minenwerfer erbeutet.
Bei Combres und im Walde von Ailly ging der Gegner gestern abend nach starker Artillerievorbereitung zum Angriff vor; auf der Höhe von Combres gelang es dem Feinde, in unsere Linie einzudringen; er wurde wieder hinausgeworfen; im Walde von Ailly brach die feindliche Infanterie bereits vor unserer Stellung in unserem Feuer zusammen.
Nördlich der Höhe von Ban de Sapt wurde ein Waldstück vom Gegner gesäubert.
Bei Amerzweiler (nordwestlich von Altkirch) überfielen wir eine feindliche Abteilung in ihren Gräben; die feindliche Stellung wurde in einer Breite von 500 Metern eingeebnet; unsere Truppen gingen sodann planmäßig unter Mitnahme einiger Gefangener vom Feinde unbelästigt in ihre Linie zurück.
Östlicher Kriegsschauplatz:
An der Straße von Suwalki nach Kalwarja, in der Gegend von Lipina, stürmten unsere Truppen die feindlichen Vorstellungen in einer Breite von vier Kilometern.
Südöstlicher Kriegsschauplatz:
Die Lage bei den deutschen Truppen ist unverändert.

Oberste Heeresleitung. 1)

 

Der österreichisch-ungarische Heeresbericht:

Eroberung eines russischen Stützpunktes am Bug 

Wien, 12. Juli, mittags.
Amtlich wird verlautbart:
Russischer Kriegsschauplatz:
Am Bug, nordwestlich Busk, haben unsere Truppen bei Derewlany einen russischen Stützpunkt genommen.
An der ganzen sonstigen Front im Nordosten fanden auch gestern keine Kämpfe statt. 
Italienischer Kriegsschauplatz:
An der küstenländischen Front versuchten die Italiener wieder einige Angriffe, die, wie immer, abgewiesen wurden, so bei Vermegliano, Redipuglia und an mehreren Punkten südlich des Krngipfels.
Im Kärntner Grenzgebiet dauern die Geschützkämpfe fort, auch gegen unsere Stellungen auf den Grenzbergen nordöstlich des Kreuzbergsattels und gegen einzelne Tiroler Werke richtete sich feindliches Artilleriefeuer. Neuerliche Angriffe des Gegners auf den Col di Lana scheiterten gleich allen früheren.
Südöstlicher Kriegsschauplatz:
In letzter Zeit entwickelten die Montenegriner an der herzegowinischen Grenze eine lebhaftere, jedoch ganz erfolglose Tätigkeit; so griffen unlängst wieder etwa zwei montenegrinische Bataillone unsere Grenzstellungen östlich Avtovac nach längerer Beschießung durch schwere Artillerie an, sie wurden abgewiesen. Einer unserer Flieger bewarf zu dieser Zeit ein montenegrinisches Lager sehr erfolgreich mit Bomben. Weiter südlich stieß ein Bataillon des Feindes über die Grenze vor. Auch dieses wurde durch einen Gegenangriff unserer Truppen auf montenegrinisches Gebiet zurückgeschlagen.
Östlich Trebinje versuchte der Feind nach den Mißerfolgen der vorigen Woche vergebens, durch schweres Artilleriefeuer eine Wirkung zu erzielen.

  Der Stellvertreter des Chefs des Generalstabes.
v. Hoefer, Feldmarschalleutnant. 1)

 

Die Kämpfe in Tirol

Kriegspressequartier, 12. Juli.
Die offiziellen Berichte verzeichneten in den letzten Tagen Kämpfe nordöstlich vom Kreuzbergsattel und vom Col di Lana in Buchenstein. Es sind dies die Endpunkte des Ampezzaner Abschnittes der österreichisch-italienischen Grenze, dessen Verteidigung ein besonderes Interesse durch den Umstand gewinnt, daß er eines der bekanntesten Tourengebiete Tirols enthält, die Ampezzaner und Seltener Dolomiten. Seit Vollendung der großartigen Dolomitenstraße von Toblach bis Bozen ist diese Wunderwelt der Südtiroler Kalkalpen vielen Tausenden von Reisenden vertraut geworden, und Tauende haben auch schon ihren Fuß auf diese aus üppig grünen Matten und Wäldern in den bizarrsten Formen aufragenden grau-gelbroten Zacken und Türme gesetzt. Und um und in diesen Zacken und Türmen wird heute gekämpft, gekämpft auf Zinnen und Wänden, die zum großen Teile vor gar nicht langer Zeit noch als unersteiglich gegolten haben und auf die nun von kühnen und bergvertrauten Landesverteidigern sogar Maschinengewehre emporgebracht werden. Es ist noch weniges von diesen Kämpfen in die Öffentlichkeit gedrungen, obwohl sie speziell in den Sextener Dolomiten schon seit Wochen andauern.
Die österreichisch italienische Grenze zieht vom Kreuzbergsattel, 1638 Meter, über Paternkofel und Rotwandspitze zum Elferkofel, 3115 Meter, über die Hochbrunnerschneid und die Einsenkung des Giralbajochs, 2436 Meter, zum Zwölferkofel, 3091 Meter, dann zum Büllelejoch, 2504 Meter, über den Paternkofel, 2744 Meter, und den Paternsattel, 2450 Meter, auf die Drei Zinnen, 3003 Meter, fällt dann zum Rienztal ab, steigt wieder zum Monte Piano, 2325 Meter, auf und erreicht, nach Überquerung des Popenatals bei Schluderbach, den Monte Cristallo, 3195 Meter. Die Zsigmondy- und die Dreizinnen-Hütte liegen hart an der Grenze auf österreichischem Gebiet; Schluderbach ist von der Grenze nur 1½ Kilometer, Landro 3 Kilometer, der Fischleinboden vom Giralbajoch 5 Kilometer, Moos in Sexten vom Kreuzbergsattel nur 7 Kilometer entfernt. Am Kreuzbergsattel kommt die italienische Grenze dem Pustertal und damit der Hauptverbindungslinie zwischen Tirol und Kärnten am nächsten. Die Entfernung von Innichen bis zum Joch beträgt nur 18 Kilometer. Das Sextental wird überragt im Westen vom Haunold und den Gipfeln des Dreischusterstocks, im Osten vom Helm und seinen Ausläufern; es steigt von Moos aus ganz allmählich zur Grenzhöhe und Wasserscheide an, von der die Straße dann steil in das Pavola- und Piavetal hinabführt. Daß Italien der Wichtigkeit dieses Überganges seit Beginn seiner bundesbrüderlichen Angriffsvorbereitungen gebührende Beachtung geschenkt hat, ist selbstverständlich, ebenso selbstverständlich aber auch, daß es die österreichisch-ungarische Heeresleitung an entsprechenden Sicherungsvorkehrungen nicht hat fehlen lassen. Einige ältere Werke sind den Besuchern des Sextentales wohlbekannt; man hat sich hier so wenig wie in anderen Grenzabschnitten auf deren Erhaltung beschränkt und auch neue feste Stellungen geschaffen, die den oberen Talgrund ausreichend beherrschen. Eine unliebsame Flankierung der italienischen Stellungen am Kreuzbergsattel bilden die ihm südöstlich vorgelagerten oben erwähnten Gipfel der Seltener Dolomiten, wenn sie auch nur zu kleineren, in Anlage und Ausführung bewundernswerten und den Gegner sehr beunruhigenden Unternehmungen benützt werden können. Der im österreichischen Generalstabsbericht vom 10. ds. gemeldete Angriff auf unsere Stellungen nordöstlich des Kreuzbergsattels scheint der erste zu sein, der von den Italienern mit größeren Kräften unternommen wurde; er brach in unserem Artillerie- und Nahfeuer zusammen. Um die Mitte Juli waren die Italiener wiederholt bemüht, ihre Schützengräben vorzubringen, das Feuer einer unserer Batterien trat aber immer wieder hinderlich dazwischen. Seitdem verstärkten sie wieder ihr Artilleriefeuer, und es gab Tage, an welche Lage aus Lage über unsere Stellungen nieder ging. Unsere Werke blieben die Antwort nicht schuldig und hatten wiederholt guten Erfolg. Am 4. Juli überschütteten die Italiener den Porzenwald mit Granaten.
Um die Mitte Juni begannen auch die Patrouillenkämpfe in den Dolomitenfelsen an der Grenze. Unseren berggewohnten, von ortskundigen und als tüchtige Bergsteiger und Kletterer bekannten Offizieren und Unteroffizieren geführten Tirolern traten dabei meist nicht weniger gut ausgebildete und wagemutige Alpini gegenüber, nichtsdestoweniger gelang es den Unseren, ihre Ausgaben stets mit Glück durchzuführen. Über eines der kecksten der Wagestückchen unserer Patrouillen berichtet ihr Kommandant Erich Wisiol, Kadett der Reserve im 1. Tiroler Kaiserjäger-Regiment und Mitglied des Akademischen Alpenclubs Innsbruck in einem Briefe an seinen Klub. Die Patrouille bestand aus 15 Landes- und Standschützen, darunter der bekannte Bergführer Sepp Innerkofler. Aufbruch vom Fischleinboden um 11 Uhr nachts. aufwärts durch Latschen, Geröll und steile Schneerinnen bis zum Einstig in die Westwand des Elferkofels, der um 3 Uhr morgens erreicht wurde. Auf diesem Wege Gewehrfeuer der Welschen, deren Stellungen mitunter nur 300 Schrate entfernt waren und die offenbar das Geräusch beim Aufsteigen gehört hatten. Vier Mann waren der Anstrengung nicht gewachsen und mußten umkehren. Nun zweistündige Kletterei im Morgengrauen auf die Spitze und nach entsprechender Rast, aus schmalen Felswänden kriechend, zu guten Ausschuß auf die etwa 600 Meter tiefer eben aus ihren Zelten in den Sonnenschein herausgekrochenen Alpini. Die Überraschung gelang vollkommen. Auf die ersten Schüsse wandten sie verdutzt die Köpfe, dann eilten sie in ihre Gräben und erwiderten das Feuer, machten sich aber bald gänzlich unsichtbar. Dafür kamen noch einige Granaten herauf und unsere Patrouille machte sich aus den Heimweg. Eine Stunde zurück auf einer dem Feinde ganz ausgesehen Schneefläche mit starkem Gewehrfeuer und einem Schrapnell als Begleitung. Nach kurzer Rast auf der Spitze die Wahrnehmung, daß der Patrouille durch die Welschen der weitere Rückweg abgesperrt sei, doch fand Innerkofler bald einen anderen Abstieg, der aber harte Arbeit machte. Zuerst eine Kletterei über einen Grat bis zu einer Scharte, nun mußten wir uns über eine sehr steile Schneerinne 300 Meter tief auf italienisches Gebiet abseilen, wo wir ziemlich sicher waren, da sich die Welschen auf der anderen Seite auf österreichischem Gebiet befanden. Glücklich waren wir hinuntergekommen, als sich ein tiefer Abgrund auftat. Zudem fing es an in Strömen zu regnen, und dichter Nebel fiel ein. Aber unser Sepp kannte sich gut aus. Wir gingen über eine andere Schneerinne hinauf, dann wieder hinunter und nochmals hinauf und erreichten endlich ganz ausgepumpt die letzte Scharte, von wo aus wir dann nach herrlicher Abfahrt den Fischleinboden wieder erreichten." Im nächsten Bereich seiner Dreizinnenhütte, auf dem Paternkofel, ist dann Sepp Innerkofler gefallen Während er Handgranaten auf die unten befindlichen Italiener warf, traf ihn ein Schuß und er stürzte ab und fand so den Bergsteigertod, falls ihm die Kugel das Leben gelassen hatte. Seine Leiche konnte noch nicht geborgen werden Am 6. Juli ging auch die in dem großartigen Felsenrund des obersten Bacherntals vom Elfer bis zum Einser gelegene Zsigmondy-Hütte des Österreichischen Alpenklubs in Flammen auf; sie wurde von den Italienern in Brand geschossen Die Hütte war bis dahin von den Unseren besetzt gewesen, doch war man von Anfang an überzeugt, daß sie nicht zu halten sein werde, da sie sowohl vom Büllelejoch wie auch vom Giralbajoch aus unter Feuer genommen werden konnte.
Aus diesen Kämpfen in den Seltener Dolomiten war auch übereinstimmend von Beteiligten berichtet, daß sich dabei die Italiener sehr tapfer und wagemutig verhalten haben; ihre Alpini und ihre Artillerie seien nicht zu unterschätzende Gegner. Noch Schöneres hört man auch hier von unseren Standschützen. Die allzu jungen. 15- bis l7-jährigen Burschen sollen jetzt von der Front zurückgenommen werben. Da meldete sich ein noch nicht 16jähriger Standschütze, Sohn des Fuchsenbauers in Sexten, bei dem inspizierenden Obersten, er war ganz verzweifelt und bettelte so lange, bis ihm der Oberst das Verbleiben im Schützengraben erlaubte. Der Oberst hat als aktiver Offizier 1866 und 1878 mitgemacht, ist jetzt freiwillig eingerückt und Inspektor der Standschützen, ein Mann von 72 Jahren, dabei rüstig wie ein Junger und voll Begeisterung. Ein Offizier photographierte die beiden, den Alten und den Jungen: ein Sinnbild der Treue und Opferfreudigkeit unseres Tiroler Volkes.

 

Das Urteil im Attentatsprozeß von Sofia

Berlin, 12. Juli. 
Das Kriegsgericht in Sofia fällte gestern das Urteil gegen die Urheber des Bombenattentats im städtischen Kasino. Anastasow, Referent des obersten Rechnungshofes, und Dantow, welcher die Bombe gelegt hatte, wurden zum Tode durch den Strang, Liew infolge Minderjährigkeit zu 20 Jahren Kerker, Manow, welcher eingestand, ein Attentat auf den König geplant zu haben, zu 5 Jahren und die übrigen zu Kerker von 4 bis 10 Jahren verurteilt.

Berlin, 12. Juli. (Priv.-Tel.) 
Das "Berl. Tagebl." meldet aus Sofia: 
Der Präsident des Kriegsgerichts verlas nach der Verkündung des Urteils im Bombenattentats-Prozeß ein Protokoll, in dem es u. a. heißt, daß nach dem Geständnis Helene Anastasows sie mit dem Taschentuch das Signal zum Attentat gegen den König geben sollte, und daß der frühere Minister Dr. Genadiew die engsten Beziehungen zu Vikenti Anastasow unterhielt, dem er größere Summen in einer Gesamthöhe von 10000 Franken gab. Der Gerichtshof habe beschlossen, eine Untersuchung gegen die beiden Genannten einzuleiten. Der Beschluß hat großes Aufsehen hervorgerufen.

 

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Textquellen:
1) Amtliche Kriegs-Depeschen nach Berichten des Wolff´schen Telegr.-Bureaus  
Band 2
Nationaler Verlag, Berlin (1915)

 

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