An
der Swinka, Anfang August.
Großangelegte, wohl vorbereitete und mit wuchtiger überraschender
Schnelligkeit durchgeführte mächtige Schläge gegen den Feind haben ihren
leichten Ruhm, der durch hohe Gefangenenzahlen und große Beute aller
Welt verkündet wird. Es ist Freude und Genuß, Vorbereitung und Durchführung
solch großer Operationen zu erleben, mitten in den Ereignissen zu stehen,
wenn diese ganze Gedankenarbeit sich in Befehle und Bewegungen umsetzt
und dann zur festgesetzten Stunde große befreiende Tat wird. Aber den
wahren Heroismus der deutschen Truppen spürt und empfindet man doch
noch mehr in jener täglichen Kleinarbeit, von der kein Tagesbericht
mit prunkenden Zahlen sprechen kann, wenn es nicht wie bei großen Durchbruchsschlachten
um viele Kilometer vorangeht, sondern wenn jeder Fuß neuen Bodens in
hartem blutigen Ringen teuer erkauft werden muß. Da gibt es dann nicht
mehr jene ungeheure Zusammenziehung von Artillerie, deren stundenlange
gewaltige Vorarbeit die Durchbruchsstelle in einzelne Erdtrichter auflöst
und Nerven und Kampfkraft des Gegners erschüttert. Da wirken nicht mehr
starke Truppenmengen nach solcher Vorbereitung auf schmalem Raume zusammen
und sichern so eine unwiderstehliche Stoßkraft. Die Linien werden wieder
lang und dünn, es ist alles wieder mehr auf sich selbst gestellt, die
Verantwortung und das schwere Gefühl dafür wachsen beim kleineren Stabe
bis hinab zum Kompanieführer von selbst. Wenn dann die Truppe Tage und
Wochen lang gegen den zähen und erbitterten Verteidiger anstürmt, dann
erst offenbart sich die gewaltige geistige Kraft, die dem deutschen
Volksheere innewohnt, in den stillen und so ganz schmuck- und phrasenlosen
Worten der Soldaten, in dem klagelosen Ertragen von Entsagungen und
Schmerzen, in jener sieghaften Überzeugung von der Gerechtigkeit und
Notwendigkeit des Kampfes, die die Quelle ist, aus der dem Heere immer
wieder verjüngende Ströme zufließen.
Nach dem schönen Erfolg des Durchbruchs am Wieprz der uns in den Besitz
der Cholm-Lubliner Bahn brachte, der zur Rechten wie zur Linken die
festen Verteidigungsbollwerke des Feindes öffnete und so die ganze Schlachtfront
um ein erkleckliches Stück voranschob, standen die Truppen der Division
vor einem Gelände, wie es sich ein Verteidiger gar nicht besser wünschen
kann. Ringsum nur Wald und Sumpf und hindurch nur eine, gleichsam wie
ein Deich hochgelegte, feste, allerdings leidlich gute, Straße in nordöstlicher
Richtung auf den Bug zu, schilfige und morastige Seen zu beiden Seiten
und hier und dort eine leichte Bodenwelle mit dem natürlichen Schutz
der Bodenbeschaffenheit ringsum und mit dem künstlichen Schutz russischer
Gräben und Drahtverhaue. Sie mochten nicht von so langer Hand vorbereitet
und so stark ausgebaut sein, wie die bei Krasnostaw und Fajslawice,
dafür lagen sie auch in einem unübersichtlichen Gelände, das der Aufklärung
im großen durch Flieger, wie der im kleinen durch Reiterei und Infanteriepatrouillen
die größten Schwierigkeiten bot. Die zahlreichen Holzbrücken der Hauptstraße
waren vom Gegner abgebrannt und zerstört, kaum einer der Stege, die
auf Seitenpfaden über Pfützen und Bächlein führten, war seinem Scharfsinn
im Zerstören entgangen. Da gab es für die braven Pioniere reichlich
Arbeit und Gelegenheit zu beweisen, wie schnell und zuversichtlich sie
solche Hindernisse beseitigen können.
Ob der im Denken recht trägen und faulen russischen Masse schon Gedanken
gekommen sind über die Zwecklosigkeit ihrer Zerstörungsarbeit? Was hilft
es den Russen, daß sie Brücken verbrennen und ganze Ortschaften in rauchende
Trümmerhaufen verwandeln? Welchen Nutzen stiftet es für sie, wenn sie
die Ernte fleißiger Bauernarbeit vernichten und die auf dem Felde aufgeschichteten
Korngarben verbrennen? Das ist nicht mehr Rücksicht auf eigene militärische
Sicherheit, es ist auch kein Behindern des Gegners, es ist rachsüchtige
Zerstörungswut, der man allerdings von oben nur freien Lauf lassen kann,
wenn man jegliche Hoffnung auf Wiedergewinnung dieses Bodens im Krieg
oder im Frieden aufgegeben hat.
Die Russen weichen nun langsam unter heftigem Widerstand zurück. Der
Druck, der von Nord und West und Süd auf die noch vor dem Bug stehenden
Truppenmengen ausgeübt wird und der sie allmählich immer stärker auf
schmäleren Raum zusammenpresst, hat auch gewisse Vorteile für sie, wie
die bessere Möglichkeit der Heranziehung von Reserven und die stärkere
Verwendung von Artillerie. So konnte das Armeekorps der Sibirier, das
vor dem Wieprz durch das vernichtende Feuer unserer Artillerie entsetzliche
Verluste gehabt hatte, jetzt durch andere frische Truppen abgelöst werden
und wir konnten in diesen Tagen bei den Russen Artillerie feststellen,
wie sie in solcher Fülle und mit solchem Reichtum an Munition seit den
ersten Wochen des russischen Feldzuges nicht mehr beobachtet worden
ist. Allein auf den Raum unserer Division waren neun leichte und zwei
schwere Batterien eingesetzt, denen es nie an Geschoßmaterial zu fehlen
schien. Und da die Russen unaufhörlich immer weiter zurückgeworfen werden
und so ihren Versorgungszentren immer näher kommen, wird dieser relative
Vorteil immer stärker ausnutzbar werden. Dabei kennen sie das schwierige
Gelände und die wenigen vorhandenen Anmarschstraßen ganz genau. Sie
verstehen es vorzüglich, kleine Hinterhalte zu legen, eine Kompanie
sich im Sumpfgras des Waldes vorarbeiten zu lassen, um sie dann in der
Flanke zu fassen, oder umgehen zu wollen. Ihre Maschinengewehre sind
äußerst geschickt eingebaut und schweigen mit berechneter Zurückhaltung,
um dann in der Dämmerung oder in der Nacht, wenn ein feindlicher Sturm
kommt, um so überraschender und wirksamer zu arbeiten. Ihre Schützengräben
sind in vielfachen Reihen hintereinander angelegt, überall wo ein Fleckchen
trockenen Bodens ist. Sie haben keine einheitlich geschlossene Frontrichtung,
sondern zergliedern sich mehr in einzelne Stützpunkte, was auch uns
zwingt, beim Angriff mit starker Kräfteverteilung nach den verschiedensten
Richtungen hin vorzugehen, was die Arbeit der Führung, nämlich die Truppe
zu möglichst stark geschlossener Gesamtwirkung zu bringen, beträchtlich
erschwert. Alle Augenblicke ändert sich da das Kampfbild, hier entsteht
plötzlich eine gefährliche Lücke, die ausgefüllt werden muß, dort ist
zu achten, daß die Artillerie nicht die eigenen Truppen befunkt. Und
ist man in zäher Arbeit des Abends so weit, daß die Truppe glaubt, sich
eingraben zu können, dann machen gegnerische Angriffe gegen das Nebenregiment
oder die Nebendivision neue Verschiebungen nötig, schwierige Nachtmärsche
durch den Sumpf oder sogar neue eigene Angriffe, die solchen des Gegners
zuvorkommen sollen. Das alles vollzieht sich im Hagel feindlicher Schrapnells.
Dann löst sich plötzlich in der Nacht der Russe vom Feinde. Er hat inzwischen
die Artillerie, so weit es geht, zurückgeschafft und neue günstige Stellungen
einnehmen lassen, er hat durch die Straßen und Wege seine Gräben gezogen
und Bäume so gefällt, daß sie sich beim Stürzen quer überlegen und sperren,
er hat seine Nachhuten durch lebhaftes Feuer den Rückmarsch decken lassen.
Aber nach drei oder vier Kilometern ist der Halt schon wieder gefunden.
Ein Hügel, ein Flußlauf scheinen zur Verteidigung günstig, und schon
vorher dazu ausgesucht und hergerichtet und werden nun besetzt und ausgebaut.
Vorsichtig stoßen unsere Patrouillen nach und fühlen nach dem Feind.
Wiederum dauert es ein bis zwei Tage, bis man sich herangearbeitet hat
und anpacken kann. Dauernd erfolgen kleinere Angriffe, Einzelgefechte,
bei denen der Gegner durch die genaue Kenntnis des ja kurz vorher noch
von ihm besetzten Geländes in starkem Vorteil ist. Seine Scharfschützen
sitzen auf hohen Bäumen, vor seinen Gräben steht das Sumpfwasser. Kleine,
an sich unbedeutende Flüßchen, wie die Mogilnica und die Swinka, werden
so zu starken Abschnitten und kosten Zeit und Blut. Dabei sind die Unterkunftsverhältnisse
für unsere Truppen in den kalten Nächten mehr als bescheiden. Selbst
unser Divisionsstab biwakiert seit Tagen im Wald und Feld auf schwarzem,
grasbestandenem Torfboden. Stroh wird direkt dem Felde gebracht. Wenigstens
ist uns das Wetter hold und es regnet nicht. Aber wenn es sein müßte
- es ginge auch dann. Lange Zeit war bei den Truppen der Wunsch sprichwörtlich
geworden: Wir wollen unsere Pferde im Dnjestr tränken. Jetzt geht der
Wunsch weiter. Das Dnjestrwasser kennen wir längst, der Bug ist das
Ziel.
Dr.
Fritz Wertheimer,
Kriegsberichterstatter. 2)
|