Der Weltkrieg am 15. August 1915

DEUTSCHER HEERESBERICHT - ÖSTERREICHISCHER HEERESBERICHT

Westfront 1. Weltkrieg: Die Zerstörte Tuchhalle und die Kathedrale von Ypern
Die zerstörte Tuchhalle und die Kathedrale von Ypern

 Der deutsche Heeresbericht:

Der Nurzecübergang erzwungen

Großes Hauptquartier, 15. August.
Westlicher Kriegsschauplatz:
In den Argonnen wurde das Martinswerk ausgebaut. 350 in ihm gefallene Franzosen wurden beerdigt.
Die mehrfache Beschießung der Stadt Münster im Fechttal beantworteten wir mit einer Beschießung des Eisenbahnviertels von St. Dié. Das daraufhin auf Markirch verlegte Feuer des Feindes wurde eingestellt, als sich unsere Artillerie gegen die französischen Unterkunftsorte wandte.
Östlicher Kriegsschauplatz:
Heeresgruppe des Generalfeldmarschalls v. Hindenburg:
Truppen des Generals v. Below warfen die Russen in der Gegend von Kupischky nach Nordosten zurück. Sie machten 4 Offiziere und 2350 Mann zu Gefangenen und nahmen 1 Maschinengewehr.
Ein russischer Ausfall aus Kowno wurde zurückgeschlagen, 1000 Gefangene fielen in unsere Hand. Unsere Angriffstruppen arbeiteten sich näher an die Festung heran.
Zwischen Narew und Bug hielten die Russen in der gestern gemeldeten Linie hartnäckig stand. Der Nurzecübergang ist am späten Abend von unseren Truppen erzwungen. Die Armee des Generals v. Scholtz machte gestern über 1000 Gefangene. Die Armee des Generals v. Gallwitz nahm 3550 Russen gefangen (darunter 14 Offiziere) und erbeutete 10 Maschinengewehre.
Der Ring um Nowo-Georgiewsk schließt sich enger. Auf allen Fronten wurde Gelände gewonnen.
Heeresgruppe des Generalfeldmarschalls Prinz Leopold von Bayern:
Dem Vordringen der Heeresgruppe setzte der Feind ebenfalls zähen Widerstand entgegen. Im Laufe des Tages gelang es, die feindlichen Stellungen bei und nördlich von Losice und halbwegs zwischen Losice und Miendrzyrzec zu durchbrechen; der Gegner weicht. Allein die
Truppen des Generalobersten v. Woyrsch machten vom 8. bis 14. August 4000 Gefangene (darunter 22 Offiziere) und erbeuteten 9 Maschinengewehre.
Heeresgruppe des Generalfeldmarschalls v. Mackensen:
Der geschlagene Feind versuchte gestern in der Linie Rosanka (nördlich Wlodawa) südwestlich von Slawatycze-Horodyszce-Miendrzyrzec wieder Front zu machen. Unter dem Druck unseres sofort einsetzenden Angriffs setzt der Gegner seit heute früh den Rückzug fort.

Oberste Heeresleitung. 1)

 

Die Kriegsziele der Nationalliberalen


Ernst Bassermann

Berlin, 15. Aug. (Priv.-Tel.)
Der Zentralvorstand der Nationalliberalen Partei hat heute in Berlin im Reichstage getagt und nach eingehenden Verhandlungen mit allen gegen zwei Stimmen folgende Entschließung gefaßt: "Der Zentralvorstand erklärt in Übereinstimmung mit den Beschlüssen des Geschäftsführenden Ausschusses und der Landesvorsitzenden vom 16. Mai, daß das Ergebnis des jetzigen Krieges nur ein Frieden sein kann, der unter Erweiterung unserer Grenzen im Osten und Westen und Übersee uns militärisch, politisch und wirtschaftlich vor neuen Überfällen sichert und die ungeheuren Opfer lohnt, die das deutsche Volk bisher gebracht und bis zum siegreichen Ende weiter zu bringen entschlossen ist. Der Zentralvorstand dankt seinem Vorsitzenden Bassermann einmütig und herzlich für seine vom Vertrauen der Gesamtpartei getragene Tätigkeit zur Durchsetzung seiner nationalen Kriegsziele. Der Zentralvorstand wird mit der gesamten Partei geschlossen hinter jeder Regierung stehen, die diese Ziele mit unbeugsamer Festigkeit verfolgt."
2)

 

Der österreichisch-ungarische Heeresbericht:

Der russische Rückzug westlich des Bug

Wien, 15. August, mittags.
Amtlich wird verlautbart:
Russischer Kriegsschauplatz:
Der Gegner machte gestern an der ganzen Front westlich des Bug in vorbereiteten Stellungen erneut halt. Die verbündeten Heere griffen an und bahnten sich an zahlreichen Punkten den Weg in die feindlichen Linien. Seit heute früh befinden sich die Russen abermals überall im Rückzuge.
Italienischer Kriegsschauplatz:
An der Südwestfront herrscht im allgemeinen eine erhöhte Gefechtstätigkeit. Im Görzischen sandte unsere Artillerie einige Bomben nach San Canziano, worauf der Feind aus dem Ort flüchtete; weiter zersprengte sie ein großes italienisches Lager bei Cormons. Ein schwächerer gegnerischer Angriff bei Redipuglia wurde durch unser Feuer schon im Keime erstickt. Gegen den Görzer Brückenkopf unterhielten die Italiener mäßiges Geschützfeuer. Am Abschnitt von Tolmein bis zum Krn setzte gestern früh nach starker Artillerievorbereitung ein Angriff beträchtlicher feindlicher Kräfte ein, der allenthalben abgewiesen wurde. Auch im Gebiete von Flitsch und an der Kärntner Front hatten die Geschützkämpfe größeren Umfang als gewöhnlich. Nachts setzte der Feind das Feuer auf unsere Kampflinien am Großen Pal, Freikofel und Kleinen Pal heftig fort. Ein gegen unsere Stellung am Kleinen Pal um Mitternacht unternommener Angriff brach vollständig zusammen. Im Tiroler Grenzgebiete wurden mehrere italienische Angriffe auf unsere Grenzstellungen westlich des Kreuzberges, im Gebiete der Rotwandspitze, des Bachertales und der Dreizinnenhütte abgewiesen. Auf den Plateaus von Lavarone und Folgaria beschoß unsere schwere Artillerie die feindlichen Werke Campomolon und Toraro mit sichtlichem Erfolg.

  Der Stellvertreter des Chefs des Generalstabes.
v. Hoefer, Feldmarschalleutnant.
1)

 

Bei der Armee Mackensen - Kämpfe im Sumpfland

An der Swinka, Anfang August. 
Großangelegte, wohl vorbereitete und mit wuchtiger überraschender Schnelligkeit durchgeführte mächtige Schläge gegen den Feind haben ihren leichten Ruhm, der durch hohe Gefangenenzahlen und große Beute aller Welt verkündet wird. Es ist Freude und Genuß, Vorbereitung und Durchführung solch großer Operationen zu erleben, mitten in den Ereignissen zu stehen, wenn diese ganze Gedankenarbeit sich in Befehle und Bewegungen umsetzt und dann zur festgesetzten Stunde große befreiende Tat wird. Aber den wahren Heroismus der deutschen Truppen spürt und empfindet man doch noch mehr in jener täglichen Kleinarbeit, von der kein Tagesbericht mit prunkenden Zahlen sprechen kann, wenn es nicht wie bei großen Durchbruchsschlachten um viele Kilometer vorangeht, sondern wenn jeder Fuß neuen Bodens in hartem blutigen Ringen teuer erkauft werden muß. Da gibt es dann nicht mehr jene ungeheure Zusammenziehung von Artillerie, deren stundenlange gewaltige Vorarbeit die Durchbruchsstelle in einzelne Erdtrichter auflöst und Nerven und Kampfkraft des Gegners erschüttert. Da wirken nicht mehr starke Truppenmengen nach solcher Vorbereitung auf schmalem Raume zusammen und sichern so eine unwiderstehliche Stoßkraft. Die Linien werden wieder lang und dünn, es ist alles wieder mehr auf sich selbst gestellt, die Verantwortung und das schwere Gefühl dafür wachsen beim kleineren Stabe bis hinab zum Kompanieführer von selbst. Wenn dann die Truppe Tage und Wochen lang gegen den zähen und erbitterten Verteidiger anstürmt, dann erst offenbart sich die gewaltige geistige Kraft, die dem deutschen Volksheere innewohnt, in den stillen und so ganz schmuck- und phrasenlosen Worten der Soldaten, in dem klagelosen Ertragen von Entsagungen und Schmerzen, in jener sieghaften Überzeugung von der Gerechtigkeit und Notwendigkeit des Kampfes, die die Quelle ist, aus der dem Heere immer wieder verjüngende Ströme zufließen.
Nach dem schönen Erfolg des Durchbruchs am Wieprz der uns in den Besitz der Cholm-Lubliner Bahn brachte, der zur Rechten wie zur Linken die festen Verteidigungsbollwerke des Feindes öffnete und so die ganze Schlachtfront um ein erkleckliches Stück voranschob, standen die Truppen der Division vor einem Gelände, wie es sich ein Verteidiger gar nicht besser wünschen kann. Ringsum nur Wald und Sumpf und hindurch nur eine, gleichsam wie ein Deich hochgelegte, feste, allerdings leidlich gute, Straße in nordöstlicher Richtung auf den Bug zu, schilfige und morastige Seen zu beiden Seiten und hier und dort eine leichte Bodenwelle mit dem natürlichen Schutz der Bodenbeschaffenheit ringsum und mit dem künstlichen Schutz russischer Gräben und Drahtverhaue. Sie mochten nicht von so langer Hand vorbereitet und so stark ausgebaut sein, wie die bei Krasnostaw und Fajslawice, dafür lagen sie auch in einem unübersichtlichen Gelände, das der Aufklärung im großen durch Flieger, wie der im kleinen durch Reiterei und Infanteriepatrouillen die größten Schwierigkeiten bot. Die zahlreichen Holzbrücken der Hauptstraße waren vom Gegner abgebrannt und zerstört, kaum einer der Stege, die auf Seitenpfaden über Pfützen und Bächlein führten, war seinem Scharfsinn im Zerstören entgangen. Da gab es für die braven Pioniere reichlich Arbeit und Gelegenheit zu beweisen, wie schnell und zuversichtlich sie solche Hindernisse beseitigen können.
Ob der im Denken recht trägen und faulen russischen Masse schon Gedanken gekommen sind über die Zwecklosigkeit ihrer Zerstörungsarbeit? Was hilft es den Russen, daß sie Brücken verbrennen und ganze Ortschaften in rauchende Trümmerhaufen verwandeln? Welchen Nutzen stiftet es für sie, wenn sie die Ernte fleißiger Bauernarbeit vernichten und die auf dem Felde aufgeschichteten Korngarben verbrennen? Das ist nicht mehr Rücksicht auf eigene militärische Sicherheit, es ist auch kein Behindern des Gegners, es ist rachsüchtige Zerstörungswut, der man allerdings von oben nur freien Lauf lassen kann, wenn man jegliche Hoffnung auf Wiedergewinnung dieses Bodens im Krieg oder im Frieden aufgegeben hat.
Die Russen weichen nun langsam unter heftigem Widerstand zurück. Der Druck, der von Nord und West und Süd auf die noch vor dem Bug stehenden Truppenmengen ausgeübt wird und der sie allmählich immer stärker auf schmäleren Raum zusammenpresst, hat auch gewisse Vorteile für sie, wie die bessere Möglichkeit der Heranziehung von Reserven und die stärkere Verwendung von Artillerie. So konnte das Armeekorps der Sibirier, das vor dem Wieprz durch das vernichtende Feuer unserer Artillerie entsetzliche Verluste gehabt hatte, jetzt durch andere frische Truppen abgelöst werden und wir konnten in diesen Tagen bei den Russen Artillerie feststellen, wie sie in solcher Fülle und mit solchem Reichtum an Munition seit den ersten Wochen des russischen Feldzuges nicht mehr beobachtet worden ist. Allein auf den Raum unserer Division waren neun leichte und zwei schwere Batterien eingesetzt, denen es nie an Geschoßmaterial zu fehlen schien. Und da die Russen unaufhörlich immer weiter zurückgeworfen werden und so ihren Versorgungszentren immer näher kommen, wird dieser relative Vorteil immer stärker ausnutzbar werden. Dabei kennen sie das schwierige Gelände und die wenigen vorhandenen Anmarschstraßen ganz genau. Sie verstehen es vorzüglich, kleine Hinterhalte zu legen, eine Kompanie sich im Sumpfgras des Waldes vorarbeiten zu lassen, um sie dann in der Flanke zu fassen, oder umgehen zu wollen. Ihre Maschinengewehre sind äußerst geschickt eingebaut und schweigen mit berechneter Zurückhaltung, um dann in der Dämmerung oder in der Nacht, wenn ein feindlicher Sturm kommt, um so überraschender und wirksamer zu arbeiten. Ihre Schützengräben sind in vielfachen Reihen hintereinander angelegt, überall wo ein Fleckchen trockenen Bodens ist. Sie haben keine einheitlich geschlossene Frontrichtung, sondern zergliedern sich mehr in einzelne Stützpunkte, was auch uns zwingt, beim Angriff mit starker Kräfteverteilung nach den verschiedensten Richtungen hin vorzugehen, was die Arbeit der Führung, nämlich die Truppe zu möglichst stark geschlossener Gesamtwirkung zu bringen, beträchtlich erschwert. Alle Augenblicke ändert sich da das Kampfbild, hier entsteht plötzlich eine gefährliche Lücke, die ausgefüllt werden muß, dort ist zu achten, daß die Artillerie nicht die eigenen Truppen befunkt. Und ist man in zäher Arbeit des Abends so weit, daß die Truppe glaubt, sich eingraben zu können, dann machen gegnerische Angriffe gegen das Nebenregiment oder die Nebendivision neue Verschiebungen nötig, schwierige Nachtmärsche durch den Sumpf oder sogar neue eigene Angriffe, die solchen des Gegners zuvorkommen sollen. Das alles vollzieht sich im Hagel feindlicher Schrapnells. Dann löst sich plötzlich in der Nacht der Russe vom Feinde. Er hat inzwischen die Artillerie, so weit es geht, zurückgeschafft und neue günstige Stellungen einnehmen lassen, er hat durch die Straßen und Wege seine Gräben gezogen und Bäume so gefällt, daß sie sich beim Stürzen quer überlegen und sperren, er hat seine Nachhuten durch lebhaftes Feuer den Rückmarsch decken lassen. Aber nach drei oder vier Kilometern ist der Halt schon wieder gefunden. Ein Hügel, ein Flußlauf scheinen zur Verteidigung günstig, und schon vorher dazu ausgesucht und hergerichtet und werden nun besetzt und ausgebaut. Vorsichtig stoßen unsere Patrouillen nach und fühlen nach dem Feind. Wiederum dauert es ein bis zwei Tage, bis man sich herangearbeitet hat und anpacken kann. Dauernd erfolgen kleinere Angriffe, Einzelgefechte, bei denen der Gegner durch die genaue Kenntnis des ja kurz vorher noch von ihm besetzten Geländes in starkem Vorteil ist. Seine Scharfschützen sitzen auf hohen Bäumen, vor seinen Gräben steht das Sumpfwasser. Kleine, an sich unbedeutende Flüßchen, wie die Mogilnica und die Swinka, werden so zu starken Abschnitten und kosten Zeit und Blut. Dabei sind die Unterkunftsverhältnisse für unsere Truppen in den kalten Nächten mehr als bescheiden. Selbst unser Divisionsstab biwakiert seit Tagen im Wald und Feld auf schwarzem, grasbestandenem Torfboden. Stroh wird direkt dem Felde gebracht. Wenigstens ist uns das Wetter hold und es regnet nicht. Aber wenn es sein müßte - es ginge auch dann. Lange Zeit war bei den Truppen der Wunsch sprichwörtlich geworden: Wir wollen unsere Pferde im Dnjestr tränken. Jetzt geht der Wunsch weiter. Das Dnjestrwasser kennen wir längst, der Bug ist das Ziel.

Dr. Fritz Wertheimer,
 Kriegsberichterstatter.
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Der 1. Weltkrieg im August 1915

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Textquellen:
1) Amtliche Kriegs-Depeschen nach Berichten des Wolff´schen Telegr.-Bureaus  
Band 3
Nationaler Verlag, Berlin (1916)

2) "Frankfurter Zeitung" (1915)

 

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