Bericht
eines englischen Offiziers
London,
5. März. (Priv.-Tel.)
In Tilbury sind am Freitag 18 Offiziere und Mannschaften der "Clan
Mactavish" angekommen, jenes Schiffes, das von der "Möwe"
aufgebracht und in den Grund gebohrt worden ist. Die Erzählungen
der Schiffsoffiziere über das Schicksal der "Clan Mactavish"
sind schon aus dem Grunde interessant, weil sie deutlich die Angriffstaktik
zeigen, die englische bewaffnete Schiffe gegenüber unseren Kriegsschiffen
an den Tag legen.
Der dritte Offizier Mac Intyre gibt folgende Erzählung:
Der Kampf mit der "Möwe" fand am Sonntag den 16. Januar
statt. Es war ein schöner Tag und die "Clan Mactavish"
fuhr ungefähr hundert Meilen südlich von Madeira, als sie zwei
Schiffe sichtete. Eines der Schiffe fuhr ungefähr parallel mit unserem,
doch wir sahen, daß es nach uns hinbog und näher kam. Das andere
Schiff richtete seinen Kiel direkt auf uns zu. Wir hielten sie beide für
gewöhnliche Kauffahrteischiffe. Um ½ 6 Uhr nachmittags ging
ich auf die Kommandobrücke, um den Kapitän und den vierten Offizier,
die zum Tee gehen wollten, abzulösen. Es wurde allmählich dunkel,
und wir segelten ohne Lichter. Das eine Schiff, das uns entgegenkam, hatte
ein Licht am Vordermast. Wir überholten es rasch. Um 5.55 Uhr gab
das Schiff ein Morse-Signal ab und ich antwortete. Das Schiff fragte:
"Was für ein Schiff?" Ich berichtete dies unserm Kapitän
(Kapitän Oliver), und dieser befahl mir, keine Antwort zu geben.
Dann rief uns das Schiff wieder an und zwar mit derselben Frage. Wir signalisierten
zurück und fragten, mit was für einem Schiff wir es zu tun hätten,
und erhielten die Antwort: "Author" von Liverpool. Daraufhin
teilten auch wir unseren Namen mit. Plötzlich erhielten wir das Signal:
"Sofort stoppen, ich bin ein deutscher Kreuzer!" Der Kapitän
gab allen Maschinisten Befehl, die größte Geschwindigkeit zu
entfalten. Ich signalisierte zurück, daß wir stoppen würden.
Es war dies also ein Bluff.
Als das deutsche Schiff das Signal erhielt, stoppte es seinerseits. Die
Folge war, daß es zurück blieb. Sobald das deutsche Schiff
merkte, daß wir nicht hielten, eröffnete es das Feuer. Unsere
Kanoniere erhielten Befehl, das Feuer zu erwidern, und nun begann der
Kampf. Die erste Granate, die ankam, riß die Windbüchse herunter
und tötete einen Wachmann, einen Laskaren. Die nächste Granate
ging durch die Kabine des Steward und des zweiten Offiziers und streute
Splitter überall an Deck umher. Ein weiterer Schuß war ein
Treffer auf die Kommandobrücke. Einige Granaten pfiffen uns über
die Köpfe hinweg, eine jedoch traf den Oberteil des Maschinenraumes
und tötete 17 Laskaren und verwundete fünf. Dann traf eine Granate
das Schiff unter der Wasserlinie. Jetzt gab der Kapitän Befehl, mit
dem Feuer Einhalt zu tun und das Schiff zu stoppen. Einige unserer Schüsse
müssen getroffen haben, denn wir waren nur 40 Yard entfernt. Man
sagte mir, daß ein Schuß sicher getroffen und zwei Mann getötet
habe. Wir riefen das deutsche Schiff nun telegraphisch an und sagten,
daß wir gestoppt hätten. Aber es verging immer noch einige
Zeit, bis die Deutschen durch den Rauch hindurch unsere Signale sehen
konnten. Während all dieser Zeit setzten sie das Feuer fort. Die
ganze Angelegenheit war in einer Viertelstunde vorüber. Sobald sie
unsere Signale sahen, gaben sie uns Antwort und stellten ihrerseits das
Feuer ein. Noch in dem Augenblick, da ich den Befehl signalisierte, das
Feuer einzustellen, ging ein Schuß los. Offenbar war der Befehl
nicht rechtzeitig angekommen. Die Deutschen fragten uns, ob wir Verwundete
an Bord hätten. Ich signalisierte zurück, wir hätten nur
einen. Ich kannte zu diesem Zeitpunkt noch nicht die Größe
unserer Verluste, denn ich war oben auf der Brücke. Sie sagten sie
würden ein Boot schicken. Mit mehreren Begleitmannschaften kam ein
deutscher Offizier an Bord. Der Offizier fragte: "Wo ist der Kapitän?"
Kapitän Oliver erschien und der Deutsche fragte, warum der Kapitän
auf den deutschen Kreuzer gefeuert habe. Der Kapitän erwiderte: "Ich
feuerte, um mein Schiff zu schützen. Wenn meine Regierung mir eine
Kanone an Bord meines Schiffes stellt, so benutze ich sie auch, denn eine
Kanone ist nicht nur zur Verzierung da."
Die Deutschen stellten uns nun auf Deck in einer Reihe auf und standen
uns mit gezogenen Revolvern gegenüber. Sie sagten, daß jeder
der eine Bewegung mache, niedergeschossen würde. Nach einiger Zeit
erhielten wir den Befehl, in die Boote zu gehen. Die Eingeborenenmannschaft
stürzte sich auf die Boote, und ein Boot wurde von ihnen mit Beschlag
belegt, ohne daß ein Offizier hineinkonnte. Die Eingeborenen hatten
eben den Kopf verloren. Das Boot des zweiten Offiziers und mein Boot erhielten
den Befehl zum Begleitschiff der "Möwe" der "Appam",
zu fahren, während der andere Schiffsoffizier und der Kapitän
auf die "Möwe" gebracht wurden. An Bord der "Appam"
wurde uns angekündigt, daß wir Kriegsgefangene seien und bei
dem geringsten Widerstand sofort erschossen würden. Alsbald wurden
wir unter bewaffneter Aufsicht in erstklassige Luxusräume gebracht
und dort festgehalten.
Am nächsten Tage teilten uns die Deutschen mit, daß wir auf
den Kreuzer "Möwe" verbracht werden sollten. Um 5 Uhr nachmittags
wurden die anderen gefangenen Mannschaften von der "Möwe"
auf die "Appam" gebracht und wir selbst auf die "Möwe".
Ein Name war nicht an dem Kreuzer angebracht, aber an Kaisers Geburtstag
erschienen die Deutschen in Gala mit dem Namen "Möwe" auf
den Mützen. Es wurde uns dann später erlaubt, eine Stunde morgens
und eine Stunde nachmittags auf Deck zu promenieren, nur nicht als die
"Möwe" nördlich der Mündung des Amazonas von
dem erbeuteten Dampfer "Corbridge" Kohlen nahm. Wir blieben
drei Tage und drei Nächte unten und schmolzen beinahe in der Hitze.
Als wir von der "Appam" fortfuhren, versenkten die Deutschen
die "Corbridge" und vermummten wiederum die "Möwe".
Sie pinselten ihr eine dunkelgelbe Farbe auf und nahmen noch andere Maskierungen
vor.
Nach 24 Tagen wurde die "Westburn" gekapert. In jener Nacht
wurde allen gefangenen Mannschaften mit Ausnahme der Leute der "Clan
Mactavish" mitgeteilt, daß sie das Schiff zu verlassen hätten.
Uns dagegen wurde gesagt, daß wir nach Deutschland gebracht würden,
oder daß man uns an Bord der "Möwe" halten werde,
bis das Schiff versenkt werde, weil wir gefeuert hätten. Tatsächlich
ließen sie uns in dieser Auffassung bis zur letzten Minute. Erst
als die anderen Mannschaften von Bord waren, wurde uns bedeutet, daß
wir mit Ausnahme des Kapitäns und der beiden Kanoniere gehen könnten.
228 Mann von uns wurden auf die "Westburn" gebracht. Das Schiff
stand unter Bewachung von acht Mann. Man hatte Bomben an dem Schiff angebracht,
und als wir am 22. Februar in Teneriffa ankamen, wurde uns gedroht, daß
wir alle in die Luft gesprengt würden, wenn wir uns rührten.
Die "Westburn" fuhr von der Südseite her in den Hafen von
Teneriffa ein, und ein britischer Kreuzer kam von Norden. Wir fuhren in
einem Abstand von 100 Yard an dem Kreuzer vorbei, der die "Westburn"
nicht anrühren durfte, weil wir in territorialen Gewässern waren.
Um 11 Uhr am nächsten Tage wurden wir auf die "Athenic"
gebracht. Als wir eben auf diesem Schiff angekommen waren, sahen wir,
wie die "Westburn" sank. Die Deutschen hatten sie nur eine halbe
Meile von Teneriffa herausgebracht und sie gerade vor den Augen des britischen
Kreuzers versenkt. 2)
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