Deutsches
Ersuchen an Wilson um Einleitung von Friedensverhandlungen
Die
Programmrede des Reichskanzlers Prinzen Max von Baden im Reichstage
Reichskanzler
Prinz Max von Baden
Berlin,
5. Oktober.
In der heutigen Sitzung des Reichstages hielt der Reichskanzler
Prinz Max von Baden seine Programmrede, in der er u. a. sagte:
"Was ich heute hier ausspreche, sage ich nicht nur im meinem
Namen und in dem meiner amtlichen Mitarbeiter, sondern auch im Namen
des deutschen Volkes. Das Programm der Mehrheitsparteien, auf die
ich mich stütze, enthält zunächst ein Bekenntnis zu der Antwort
der früheren Reichsregierung auf die Note des Papstes vom 1. August
1917 und die bedingungslose Zustimmung zu der Entschließung des
Reichstages vom 19. Juli desselben Jahres. Es bekundet ferner die
Bereitwilligkeit, sich einem allgemeinen Bunde der Völker auf Grund
der Gleichberechtigung aller, also der Starken und Schwachen,
anzuschließen. Die Lösung der viel umstrittenen belgischen Frage
sieht es in der völligen Wiederherstellung Belgiens, insbesondere
seiner Unabhängigkeit und seines Gebietsumfanges. Auch eine
Verständigung über die Entschädigungsfrage soll angestrebt
werden. Die bisher geschlossenen Friedensverträge will das Programm
kein Hindernis für den allgemeinen Friedensschluß werden lassen.
In der inneren Politik habe ich durch die Methode, in der sich die
Regierungsbildung vollzog, klare und feste Stellung genommen. Ich
habe das größte Gewicht darauf gelegt, daß die Mitglieder der
neuen Reichsleitung auf dem Standpunkt des Rechtsfriedens stehen,
unabhängig von der Kriegslage. Ich bin überzeugt, daß die Art, in
der jetzt die Reichsleitung unter Mitwirkung des Reichstages
gebildet worden ist, nicht etwas Vorübergehendes darstellt und daß
im Frieden eine Regierung nicht wieder gebildet werden kann, die
sich nicht stützt auf den Reichstag und die nicht aus ihm führende
Männer entnimmt."
Der Reichskanzler entwickelte dann sein innerpolitisches Programm
und fuhr darauf fort:
"Im Westen tobt seit Monaten eine einzige furchtbare
menschenmordende Schlacht. Dank dem unvergleichlichen Heldentum
unserer Armee, das als unvergleichliches Ruhmesblatt in der
Geschichte des deutschen Volkes fortleben wird für alle Zeiten, ist
die Front ungebrochen. Dieses stolze Bewußtsein läßt uns mit
Zuversicht in die Zukunft sehen. Gerade weil wir von dieser
Gesinnung und Überzeugung beseelt sind, ist es aber auch unsere
Pflicht, Gewißheit darüber herbeizuführen, daß das opfervolle
blutige Ringen nicht einen einzigen Tag bis über den Zeitpunkt
hinaus geführt wird, wo uns ein Abschluß des Krieges möglich
erscheint, der unsere Ehre nicht berührt. Ich habe deshalb auch
nicht erst bis zum heutigen Tage gewartet, ehe ich handelnd zur
Förderung des Friedensgedankens eingriff. (Beifall.)
Gestützt auf das Einverständnis aller dazu berufenen Sollen im
Reich und auf die Zustimmung der gemeinsam mit uns handelnden
Bundesgenossen habe ich in der Nacht zum 5. Oktober durch die
Vermittlung der Schweiz an den Präsidenten der Vereinigten Staaten
von Amerika eine Note gerichtet, in der ich ihn bitte, die
Herbeiführung des Friedens in die Hand zu nehmen und hierzu mit
allen kriegführenden Mächten in Verbindung zu treten. (Bewegung.)
Die Note trifft schon heute oder morgen in Washington ein. Sie
richtet sich an den Präsidenten der Vereinigten Staaten, weil
dieser in seiner Kongreßbotschaft vom 8. Januar 1918 und in seinen
späteren Kundgebungen, besonders auch in seiner New Yorker Rede vom
27. September, ein Programm für den allgemeinen Frieden aufgestellt
hat, das wir als die Grundlage für die Verhandlungen annehmen
können. Ich habe diesen Schritt auf dem Wege zu der Erlösung nicht
nur Deutschlands und seiner Verbündeten, sondern der gesamten, seit
Jahren unter dem Kriege leidenden Menschheit auch deshalb getan,
weil ich glaube, daß die auf das kündige Glück der Völker
gerichteten Gedanken, die Herr Wilson vertritt sich völlig mit den
allgemeinen Vorstellungen in Anklang befinden, in denen sich auch
die neue deutsche Regierung und mit ihr die weit überwiegende
Mehrheit unseres Volkes bewegt. (Zustimmung bei der Mehrheit.)
Was ich will, ist ein ehrlicher, dauernder Friede für die gesamte
Menschheit, und ich glaube daran, daß ein solcher Friede zugleich
der festeste Schutzwall für die künftige Wohlfahrt unseres eigenen
Vaterlandes wäre. So sehe ich denn mit der inneren Ruhe, die mir
mein Gewissen als Mensch und als Diener unseres Volkes verleiht, und
die sich zugleich auf das beste Vertrauen zu diesem großen, treuen,
jeder Hingebung fähigen Volk und seiner ruhmvollen Wehrmacht
gründet, dem Ergebnis der ersten Handlung entgegen, die ich als
leitender Staatsmann des Reiches unternommen habe. Wie dieses
Ergebnis auch ausfallen möge: ich weiß, daß es Deutschland fest
entschlossen und einig finden wird - sowohl zu einem redlichen
Frieden, der jede eigensüchtige Verletzung fremder Mächte von sich
weist - als auch zu dem Endkampf auf Leben und Tod, zu dem unser
Volk ohne eigenes Verschulden gezwungen wäre, wenn die Antwort der
mit uns im Kriege stehenden Mächte auf unser Angebot von dem
Willen, uns zu vernichten, diktiert werden sollte. (Lebhafte
Zustimmung.) Kein Zagen befällt mich bei dem Gedanken, daß
dieses zweite Ergebnis eintreten könnte, denn ich kenne die Größe
der gewaltigen Kräfte, die auch jetzt noch in unserem Volke
vorhanden sind, und ich weiß, daß die unwiderlegliche
Überzeugung, um gar nichts weiter, als um unser Leben als Nation zu
kämpfen, diese Kräfte verdoppeln würde. (Lebhafter Beifall.)
Ich hoffe daher um der gesamten Menschheit willen, daß der
Präsident der Vereinigten Staaten unser Angebot so aufnimmt, wie
wir es meinen. Dann wäre die Tür zu einem baldigen ehrenvollen
Frieden des Rechtes und der Versöhnung sowohl für uns wie für
unsere Gegner geöffnet." (Lebhafter stürmischer Beifall.)
Nach der Rede des Reichskanzlers ergriff der Reichstagspräsident
Fehrenbach das Wort zu einer Ansprache, die mit folgender Erklärung
schloß:
"Im Namen des deutschen Volkes und des Reichstages, dessen
große Mehrheit mit diesem bedeutungsvollen Schritt der Regierung
einverstanden ist, erkläre ich, daß wir das Friedensangebot
billigen und uns zu eigen machen." (Lebhaftes Bravo!) |