Die
zusammenfassenden Berichte aus dem deutschen Großen Hauptquartier
vom 7. Juni 1915
Als
am 2. Mai 1915 die Offensive der Verbündeten in Westgalizien einsetzte,
mochten Wohl nur wenige ahnen, daß schon vier Wochen später
die schweren Belagerungsgeschütze der Zentralmächte das Feuer
auf Przemysl eröffnen würden. Die russische Heeresleitung war
für diese Möglichkeit kaum vorbereitet und schwankte hin und
her, ob sie die Festung, wie ursprünglich geplant, "aus politischen
Gründen" halten oder "freiwillig räumen" sollte.
Unsere Flieger meldeten fortwährende Hin- und Hermärsche aus
der Festung. Am 21. Mai schien man sich zur Räumung der Festung entschlossen
zu haben, trotzdem wurde sie acht Tage später noch zäh verteidigt.
General v. Kneußl schob die Einschließungslinie seiner bayerischen
Regimenter von Norden her immer näher an die Festung heran. Am 29.
Juni um 11 Uhr vormittags begannen die schweren Batterien die Bekämpfung
der Forts der Nordfront. In der Nacht vom 30. zum 31. Mai rückte
die Infanterie bis an die Drahthindernisse vor und wartete die Wirkung
der schweren Artillerie ab. Diese bannte die Verteidiger in die Unterstände,
so daß unsere Infanterie aus ihren Schützengräben heraustreten
und von der Brustwehr aus dem gewaltigen Schauspiel der Vernichtung zusehen
konnte. Die leichteren Geschütze fanden in den von den Russen seinerzeit
ausgebauten Batteriestellungen ihrer damaligen Einschließungsstellung
eine ideale Aufstellung. Auch General v. Kneußl fand mit seinem
Stabe und denjenigen der Artillerieführer in den von den Russen bei
Batycze angelegten Beobachtungsstellen die beste Unterkunft. Von diesem
nur wenig mehr als zwei Kilometer von der Frontlinie entfernten Punkte
übersah man die ganze Front der Forts X bis XI. Am 31.
Mai, nachmittags
4 Uhr, schwiegen die schweren Geschütze, gleichzeitig trat die Infanterie
(bayerische Regimenter, ein preußisches Regiment und eine österreichische
Schützenabteilung) zum Sturme an. Die Vernichtung der Werke und ausgebauten
Stützpunkte der Festung durch das schwerste Artilleriefeuer hatte
auf die Besatzung einen derartig zersetzenden und niederschlagenden Eindruck
gemacht, daß diese nicht imstande war, der angreifenden Infanterie
nachhaltigen Widerstand zu leisten. Die Besatzung der Werke (X a, XI a
und XI), soweit sie nicht verschüttet in den zerschossenen Kasematten
lag, floh unter Zurücklassung ihres gesamten Kriegsgeräts, darunter
einer großen Anzahl neuester leichter und schwerer russischer Geschütze.
Dem Angreifer, der bis zur Ringstraße vorstieß und sich dort
eingrub, antwortete der Feind nur mit Artilleriefeuer, unternahm jedoch
in der Nacht keinerlei Gegenangriffe. Am 1. Juni führte der Feind
einzelne Bataillone zum Gegenangriff vor; diese Angriffe wurden mühelos
abgewiesen. Die schwere Artillerie kämpfte nunmehr die Forts X und
XII nieder. Das preußische Infanterieregiment Nr. 45 erstürmte
im Verein mit bayerischen Truppen zwei östlich von Fort XI gelegene
Schanzen, die der Feind zähe verteidigte.
Am 2. Juni, mittags 12 Uhr, stürmte das bayerische 22. Infanterieregiment
Fort X, in dem alle Unterstände bis auf einen einzigen durch die
Wirkung der schweren Artillerie verschüttet waren. Das Füsilierbataillon
des Augusta-Garde-Grenadierregiments nahm am Abend Fort XII; die Werke
Xb, IX a und IX b kapitulierten. Am Abend begannen die Truppen des Generals
v. Kneußl den Angriff in der Richtung auf die Stadt. Das Dorf Zurawica
und die dort gelegenen befestigten Stellungen des Feindes wurden genommen.
Dieser verzichtete jetzt auf jeden weiteren Widerstand. So konnten die
Deutschen Truppen, denen später die österreichisch-ungarische
4. Kavalleriedivision folgte, die wohlausgebaute innere Fortlinie besetzen
und um 3 Uhr morgens, nachdem sie noch zahlreiche Gefangene gemacht hatten,
in die befreite Stadt Przemysl einmarschieren.
Hier, wo als erste Truppe ein Bataillon des 3. Garderegiments zu Fuß
einzog, gab es noch einen letzten Halt vor den abgebrannten Sanbrücken,
die aber durch Kriegsbrücken schnell ersetzt waren.
Nach einer Belagerung von nur vier Tagen war die Festung Przemysl wieder
in der Hand der Verbündeten. Die Russen hatten vergeblich dieselbe
Festung monatelang angegriffen. Obwohl sie Hekatomben von Blutopfern gebracht
hatten, war es ihnen nicht gelungen, die Festung mit stürmender Hand
zu nehmen; sie brachten sie nur durch Aushungerung zu Fall und konnten
sich nur neun Wochen hindurch ihres Besitzes erfreuen. Eine energische
und kühne Führung hatte, unterstützt von den heldenhaft
fechtenden Truppen und der vorzüglichen schweren Artillerie, wiederum
in kürzester Zeit eine große Festung zu Fall gebracht. |