Die Eroberung des Kemmel 

Die Mondlandschaft des Kemmel in Flandern
Die Mondlandschaft des Kemmel in Flandern

Bericht aus dem deutschen Großen Hauptquartier vom 17. Juli 1918

Am Abend des 18. April verhallten nördlich des Kanals von La Bassée die letzten Feuerschläge der Schlacht von Armentieres. Die Front der siegreichen inneren Flügelkorps der Armeen Sixt v. Armin und v. Quast begann in den Formen zu erstarren, die ihrer Divisionen unbändige Stoßkraft, des Feindes zäher Widerstand und die Beschaffenheit des Kampfgeländes ihr gegeben hatte. An Stelle der alten, einspringenden Linie, die vor dem festen Armentières auf die Außenwerke von Lille zurückgewichen war, war ein halbkreisförmig vorgepreßter Bogen getreten. Seine Umrisse umschlossen, an drei Stellen abgeflacht, Armentières in Form eines halben Sechsecks. Im Süden hatte sich die Kampflinie breitgedrückt vor den Gegenstößen der englischen Reserven, die das Kohlen- und Industriegebiet von Béthune schützen sollten. Im Westen preßte sie sich gegen die hartnäckig verteidigten Ränder des Waldes von Nieppe, der den Knotenpunkt Hazebrouck deckt. Im Norden folgte sie dem Verlaufe des Höhenzugs, der über die Bodenwellen südlich von Poperinghe und Ypern sich erhebt, nach Norden im Massiv des Kemmel-Berges bis zur Höhe von 156 m emporsteigt und dann in sanftem Abfall in die flandrische Ebene sich verliert. Anschließend ging die Frontlinie in den Ypern-Bogen über, der im Zusammenhang mit den Kämpfen bei Armentières in die Linie Hollebeke-Zonnebeke-Langemarck vorgerückt worden war.
Den Verteidigern der Nordufer des La Bassée-Kanals und der Ränder des Nieppe-Waldes zum Trotz hatte der Sieg von Armentières die Kohlengruben um Béthune und die Straßen und Bahnen, die sich bei Hazebrouck schneiden, in wirksame Reichweite des deutschen schweren Flachfeuers gebracht. Andererseits gestattete der Besitz der Kemmel-Höhe der feindlichen Artillerie eine gefährliche Wirkung gegen unsere neugewonnenen Linien.
Seit sich in der ersten Flandern-Schlacht im Spätherbst 1914 der Ypern-Bogen als festungsartig ausgebauter Stützpunkt der englischen Front herauszubilden begann, hat der Kemmel dem Feinde als festestes Innenwerk, als Anlehnung für seine schweren Batterien und als Träger seiner Beobachtung gedient, deren Blicken das Land bis weit hinter die deutschen Linien, der einzigen Sichtdeckung seiner Häuser, Hecken und seines dichten Baumwuchses in unaufhörlichen Kämpfen beraubt, mehr und mehr offen lag. Durch die deutschen Waffenerfolge bei Armentières hatte der Besitz des Kemmel-Berges an Bedeutung noch gewonnen. Zu feiner frontal beherrschenden Lage war für die schweren Kemmel-Batterien die Möglichkeit getreten, weite Strecken des nunmehr ausspringenden Bogens von Armentières flankierend zu fassen. War der Kemmel deutsch, so mußten seine Vorzüge in erhöhtem Maße den deutschen Beobachtern und Batterien in ihrer Wirkung auf den Ypern- Bogen zugute kommen. So reifte der Entschluß, die bei Armentières erfochtenen Erfolge durch die Eroberung des Kemmel-Massivs zu krönen. Den Divisionen des linken Flügels der Armee Sixt v. Armin fiel die schwere Aufgabe zu, den Angriff durchzuführen.
Die Schlacht von Armentières fand ihren Abschluß am 18. April mit dem Angriff starker feindlicher Kräfte auf Wytschaete, der vor den Linien des Korps Sieger niederbrach. Während an den folgenden Tagen der Feind begann, sich in seinen neuen Stellungen zur Verteidigung einzurichten und die abgekämpften englischen Divisionen durch frische französische Truppen der Fochschen Reservearmee zu ersetzen, bereiteten die Korps der Generale Sieger und v. Eberhardt den planmäßigen Angriff auf den Kemmel vor. Im Verlaufe verschiedener Patrouillenunternehmungen gelang es, die Ausgangsstellungen näher an das Bergmassiv heranzuschieben. Von besonderer Bedeutung war es für den linken Flügel des Korps v. Eberhardt, Raum nach Norden zu gewinnen, und so einen zweiten, der Stellung des rechten Flügels Siegers nördlich Wytschaete entsprechenden Unterstützungspunkt zu schaffen, um den sich der linke Arm des doppelten Hebels drehen konnte, der die Kemmel-Stellung aus der gegnerischen Frontlinie herauswuchten sollte. Nachdem v. Eberhardts linker Flügel am 22. April Salon Ferme südwestlich Dranoeter kampflos besetzt hatte, ging er am Abend des 23. April nach kurzer, wirkungsvoller Artillerievorbereitung zum Sturm auf die Höhen von Vleugelhoek vor, die, dem Hauptstock des Kemmel nach Südwesten vorgelagert, vom Gegner als Vorwerk ausgebaut und stark mit Maschinengewehren bestückt worden waren. Mittel- und süddeutsche Regimenter erstiegen, begleitet von Sturmbatterien, die Höhe trotz schwerster Gegenwirkung. Mehrere Gegenstöße, die von frischen feindlichen Truppen unter dem Schutze einer starken Artillerie während der Nacht und an den folgenden Tagen vorgetragen wurden, brachen im Feuer zusammen.
So standen am Vorabend des 25. April, an dem der Hauptschlag fallen sollte, die zum Angriff bestimmten Divisionen der Korps v. Eberhardt und Sieger in einer Linie, die, bei Vleugelhoek beginnend, dicht nördlich der Orte Nieuwekerke, Wulverghem und Wytschaete verlief, somit das Kemmel-Massiv in einer gleichmäßigen Entfernung von etwa 3 km im Kreisbogen umgab, dann, nach rückwärts anbiegend, nördlich Hollebcke in den Ypern-Bogen überging. Bei Wulverghem stand der rechte Flügel v. Eberhardts mit dem linken Flügel Siegers in Fühlung. Die artilleristische Vorbereitung war, auf die Nachbarabschnitte übergreifend, seit dem 19. April planmäßig durchgeführt worden. Am 25. April früh 3 Uhr 30 Minuten schwoll das deutsche Artilleriefeuer zu voller Stärke an. 6 Uhr 45 Minuten begannen die Infanterieregimenter und Begleitbatterien die Sturmstellungen zu verlassen. Die äußeren Flügel als Drehpunkte nutzend, drängten die beiden Angriffskorps mit den inneren Flügeln die Hänge des Kemmel empor. Nach erbittertem Kampf um die auf halber Höhe dem Gipfel vorgelagerten Gehöfte überschritten Gebirgstruppen und Bayern auf dem rechten Flügel des Korps v. Eberhardt den Kamm. Zurückgebliebene Widerstandspunkte fielen durch Umfassung. Auf dem linken Flügel des Korps Sieger brachen nieder- und mitteldeutsche Regimenter zähe Verteidigung in den Waldstücken nordwestlich Wytschaete und 2 Grabenlinien der alten Wytschaete-Stellung. Die zahlreichen betonierten Maschinengewehrstände wurden im Nahkampf genommen. Dann fiel Dorf Kemmel im Sturm. Um die Mittagszeit stand v. Eberhardts rechter Flügel an den Nordhängen des Kemmel-Massivs, während Siegers linker Flügel in die Niederungen des Vyver-Bachs hinabstieg. Das Zentrum des Korps v. Eberhardt hatte Dorf Dranoeter genommen und sich auf die Höhen nordwestlich Vleugelhoek vorgeschoben, das des Korps Sieger stand in östlicher Verlängerung der von feinem linken Flügel genommenen Linie an den Nordrändern des Waldes nordwestlich Wytschaete. Die beiden zurückgehaltenen äußeren Flügel hielten Fühlung mit der alten Frontlinie bei St. Jans Cappel und am Ypern-Lys-Kanal. Der Nachmittag brachte weitere Erfolge, vor allem im rechten Gefechtsstreifen. Siegers rechter, anfänglich verhaltener Flügel nahm die Trichter der großen englischen Sprengungen am ehemaligen Wytschaete-Bogen, dann fiel St. Cloi durch beiderseitige Umfassung. Sein Zentrum drang über die nördlichen Ausläufer des Waldgebiets zum Wytschaete-Bogen vor und erreichte die Kreuzung der Straßen Kemmel-Ypern und Wytschaete-Poperinghe. Sein linker und v. Eberhardts rechter Flügel hatten Teile der zäh verteidigten dritten Grabenlinie der alten Wytschaete-Stellung von Süden aufgerollt und reichten sich südlich des Kemmel-Bachs die Hand. Rechter Flügel und Zentrum des Korps v. Eberhardt vermochten ihre Linie bis dicht östlich Loker (Locre) vorzutreiben. Die Kämpfe des linken Flügels standen im Zeichen der bevorstehenden schweren Gegenstöße. Angriffsabsichten des Gegners wurden im Artilleriefeuer niedergehalten.
In den frühen Morgenstunden des 26. April trug eine größere Anzahl frischer englischer und französischer Divisionen nach starker Artillerievorbereitung einen schweren Angriff aus nördlicher Richtung gegen Berg und Dorf Kemmel vor. Wie Gefangenenaussagen ergaben, lautete der Befehl, die verlorene Schlüsselstellung wiederzunehmen, koste es, was es wolle.
Die linke Flügeldivision des Korps Sieger sing den Hauptstoß elastisch aus und warf den
Feind im Gegenstoß. Auch die beiden Nachbardivisionen, die in zweiter Linie betroffen waren, wiesen den Angriff ab. Während noch im Zentrum der gesamten Kampffront
die Abwehrschlacht im Gange war, schob sich Siegers rechter Flügel über nachdrücklich verteidigtes, von alten Gräben und Stützpunkten durchzogenes Gelände längs des Ypern-
Lys-Kanals nach Norden vor und erreichte eine Linie dicht südlich des Kanalknies und des Südrandes von Voormezeele. Gegen Abend brach eine zweite Welle des groß angelegten feindlichen Angriffsunternehmens gegen Dranoeter vor. Das Zentrum des Korps v. Eberhardt wich unter dem Druck überlegener französischer Kräfte schrittweise, ging dann zum Gegenstoß über und warf den Feind weit über die alte Linie hinaus. Der Höhenzug bei Loker und das Dorf selbst wurden trotz hartnäckiger Verteidigung genommen. Während des ganzen Tages wurde auf breiter, über das Kampfgelände hinausgreifender Front der Feuerkampf von der deutschen Artillerie überlegen durchgeführt. Fliegergeschwader hatten wiederholt Gelegenheit zu erfolgreicher Beteiligung.
Der zweite Kampftag hatte nicht die Entlastung der Ypern-Front gebracht, die des Gegners Massenangriffe hatten erzwingen wollen. Vielmehr hatte sich der Druck durch die Erweiterung der deutschen Erfolge, vor allem auf dem rechten Flügel des Korps Sieger, ins Unerträgliche gesteigert. So setzte der Gegner die unter der Wirkung des Sieges von Armentières begonnene Aufgabe von Gelände im Ypern-Bogen am 27. April fort. Auf dem äußersten rechten Flügel des Korps Sieger und vor dem Abschnitt des rechts benachbarten Korps v. Böckmann, das den Ypern-Bogen umspannte, war seit dem Beginn der Kämpfe am Kemmel eine rege Erkundungstätigkeit durchgeführt worden. So konnten die gegnerischen Räumungsabsichten keinen Augenblick verborgen bleiben. In den Morgenstunden begann der Feind im Südabschnitt des Ypern-Bogens, vom West-user des Ypern-Lys-Kanals bis zur Straße Ypern-Gheluvelt, zu weichen. Die inneren Flügel des Korps Sieger und v. Böckmann blieben ihm hart auf den Fersen. Die rechts anschließenden Divisionen stießen gleichfalls vor und brachen den feindlichen Widerstand, der um so heftiger wurde, je weniger sich im Verlaufe des Ypern-Bogens nach Norden der Druck der Erfolge am Kemmel fühlbar machte. Bis zum Abend war die Linie Nordrand Voormezeele-Westrand Zillebeke - 1 km westlich Frezenberg - westlich St. Julien erreicht. Der Sieg bei Armentières hatte als Nebenergebnis, dessen Bedeutung hinter den im eigentlichen Kampfgebiet errungenen Erfolgen verschwand, den Deutschen an einem Tage, dem 16. April, den mühelosen Gewinn des gesamten Geländes gebracht, das dem Feind nach der Wytschaete-Sprengung und in den Schlachten am Ypern-Bogen, die von Mitte September bis Anfang November 1917 ohne Unterbrechung gewütet hatten, schrittweise überlassen worden war. Als erste Frucht der Eroberung des Kemmel war nun dem Sieger an einem weiteren Tage, dem 27. April, in derselben Weise der Boden zugefallen, den die groß angelegten englischen Angriffe des August und der ersten Septemberhälfte 1917 mit dem Opfer von Hunderttausenden erkauft hatten. Der ursprüngliche Frontverlauf am Ypern-Bogen von Merckem bis Wytschaete war im wesentlichen wiederhergestellt. Ein weniges hatte sich der Ypern-Bogen nach Norden hinaufgeschoben: gegen einen Streifen versumpfter Niederung am Ostufer des Yser-Ypern-Kanals haben wir
die Höhenstellung des Kemmel eingetauscht.
Die folgenden Wochen brachten eine Reihe schwerer feindlicher Angriffe gegen kleinere oder größere Abschnitte der neu gewonnenen Linie. Aus den fast täglich sich wiederholenden Teilvorstößen heben sich heraus die Angriffe vom 4. und 20. Mai, die nach Trommelfeuer von starken, tief gestaffelten Kräften gegen die Frontabschnitte Kemmel-Bailleul und Voormezeele-Dranoeter vorgetragen wurden. Sie teilten das Schicksal der örtlichen Unternehmungen des Feindes. Soweit sie nicht schon vor den Linien der deutschen
Divisionen oder im Nahkampf niederbrachen, stellten Gegenstöße die Lage wieder her. Die tapferen Verteidiger des Kemmel hatten schwer zu kämpfen. Sie haben die Leistung derer, die den Berg in glänzendem Anlauf erstürmten, in hartem Ringen noch übertroffen. Nach dem Mißerfolg des 20. Mai stellte der Feind seine Rückeroberungsversuche ein. Eine nennenswerte Frontverschiebung hatten sie nicht gebracht. Das Dorf Loker, das am 26. April von Teilen des Korps v. Eberhardt aus eigenem Entschluß im Nachstoß gewonnen worden war, war nach mehrfachem Wechsel in der Hand des Gegners geblieben. Dagegen hatten die Kämpfe im Mai Verbesserungen der Front des Korps Sieger zwischen Dickebusch-See und Voormezeele gebracht.
Bei der Eroberung des Kemmel, den sie vorbereitenden und ihr folgenden Kampfhandlungen fielen 8200 Gefangene, 53 Geschütze und 233 Maschinengewehre in deutsche Hand.

Verweste Leichen auf dem Kemmel
Verweste Leichen auf dem Kemmel

 

Berichte aus dem deutschen Großen Hauptquartier 1914-1918

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