Die Kämpfe um Mlawa und Prasznysz bis zum Frühjahr 1915 

Der Marktplatz von Prasznysz
Der Marktplatz von Prasznysz

Zusammenfassende Darstellung aus dem deutschen Großen Hauptquartier vom 13. Juli 1915

Wer den Heldenkampf um die Befreiung und Verteidigung des deutschen Nordostens recht würdigen will, muß ein besonderes Augenmerk auf die Stelle richten, wo das südliche Masuren an Westpreußen grenzt. Die Aufmerksamkeit der ganzen Welt war hierher gelenkt, als der General von Hindenburg den Russen bei Tannenberg die erste vernichtende Niederlage beibrachte. Seitdem sind in dieser Ecke gewaltige Schlachten von weithin klingenden Namen nicht mehr geschlagen worden; wohl aber haben dort zahllose schwere Gefechte stattgefunden, die von unseren Truppen äußerste Spannkraft und Widerstandsfähigkeit forderten und daher verdienen, einmal in großen Zügen dargestellt zu werden. Die schwerwiegende Bedeutung eines russischen Einbruchs auf Osterode - Deutsch-Eylau lehrt ein einziger Blick auf die Karte: es dreht sich um die Abtrennung des deutschen Landes rechts der Weichsel vom Reiche. Das war natürlich nicht nur den Ostpreußen klar, die immer - so lange überhaupt noch eine Gefahr bestand - mit mindestens gleicher Sorge nach Süden wie nach Osten blickten, sondern auch den Russen. Diese haben für eine Operation auf den Unterlauf der Weichsel hin günstige Eisenbahn-Verbindungen. Die zwei bei Ostrolenka endenden Bahnstrecken ermöglichen dort schnell Ausladungen großer Truppenmassen, und die Linie Warschau-Mlawa-Soldau führt geradewegs in das Einmarschgebiet hinein. Darum ist der Besitz Mlawas von sehr hohem Wert. Es klingt glaubhaft, daß der russische Oberbefehlshaber im Februar 1915 befohlen haben soll, Mlawa zu nehmen, koste es, was es wolle.
Als die Narewarmee, die den ersten großen Einbruchsversuch an dieser Stelle unternahm, ihr furchtbares Ende zwischen und in den südmasurischen Seen gefunden hatte, gingen die Russen längere Zeit hindurch hier nicht mehr mit starken Kräften vor. Immerhin hatten die verhältnismäßig wenigen Truppen des Generals v. Zastrow, die in breiter Front die Grenze schützen und während der Vorbereitungen zu dem zweiten deutschen Einfall in Polen die Aufmerksamkeit des Feindes auf sich lenken sollten, eine recht schwere Aufgabe. Sie drangen weit in Feindesland ein, mußten vor einem überlegenen Gegner bis an die Grenze zurückweichen und gingen kurz vor Weihnachten wieder vor, um Mlawa endgültig zu besetzen. Die Front verlief west-östlich, der rechte Flügel hing also zurück. Da tauchte im Januar 1915 bei den Russen ein "neuer gigantischer Plan" auf: sie wollten mit großen Kavalleriemassen, gefolgt von starken Kräften, zwischen Mlawa und der Weichsel nach Westpreußen einbrechen und gleichzeitig von Kowno her die im nördlichen Ostpreußen stehenden deutschen Truppen umfassend angreifen. Der neue Plan war also im wesentlichen nur eine Wiederholung des alten, im Herbst gescheiterten. Diesmal blieb er jedoch in den ersten Anfängen stecken, da er mit einem schneller durchgeführten deutschen Offensivplan zusammenfiel. Alle verfügbaren deutschen Kräfte wurden zu dem großen umfassenden Gegenstoß bereitgestellt, der dann in der masurischen Winterschlacht zur Vernichtung der 10. russischen Armee östlich der Linie Johannisburg - Gumbinnen führte.
Zugleich wurden auch die deutschen Truppen an der Südgrenze West- und Ostpreußens etwas verstärkt. Die Führung erhielt der General der Artillerie v. Gallwitz. Er hatte den Auftrag, die rechte Flanke der in Masuren angreifenden Armeen zu schützen und seinen Grenzabschnitt gegen den russischen Einbruchsversuch zu sichern. Dazu ging er offensiv vor. Zunächst wurde der rechte Flügel in scharfem Draufgehen nach vorwärts geschoben, bis er Plozk erreichte, das inzwischen zu einer starken deutschen Festung ausgebaut war. Garderegimenter und eine Kavalleriedivision ernteten bei diesem schneidigen Einmarsch reiche blutige Lorbeeren in der Gegend von Sierpc und Racionz. Sie trieben einen überlegenen Gegner vor sich her und leisteten schließlich einer dreifachen Übermacht erfolgreichen Widerstand. Ein besonderer Glücks- und Ehrentag der Gardetruppen war der von Dobrin, wo sie einen bereits geglückten russischen Überfall in eine schwere Niederlage des Feindes verwandelten, der dabei 2500 Gefangene verlor. Das war Mitte Februar 1915. Aber General v. Gallwitz plante Größeres. Er wollte durch einen umfassenden Angriff von beiden Flügeln her das ganze vor seiner Front liegende Gebiet zwischen Weichsel und Orzyc säubern. Der rechte Flügel sollte weiter nach Osten einschwenken, und die in Willenberg eingetroffenen Heeresteile erhielten Befehl, vom Orzyc her die offene rechte Flanke des Feindes zu umgehen. Sie kamen, weit ausgreifend, östlich an Prasznysz vorbei und schwenkten südlich um die Stadt herum, die nur schwach besetzt sein sollte. Da ergab sich aber, daß angesichts des überraschend schnellen Vormarsches der Deutschen eine russische Division nach Prasznysz geeilt war. Der Angriff wurde beschlossen. Inzwischen hatten jedoch die Russen große Truppenmassen am Narew zusammengezogen und gegen Prasznysz in Marsch gesetzt. Zwei russische Korps gingen gegen den linken Flügel der deutschen Truppen vor. Trotzdem wollten diese auf die große Beute, die sich bot, nicht verzichten. Ein Teil noch verfügbarer Kräfte wurde zur Sicherung gegen den nahenden, weit überlegenen Gegner im Halbkreise aufgestellt und unter diesem Schutze stürmte am 24. Februar 1915 eine Reservedivision Prasznysz. Über 10000 Gefangene, darunter 57 Offiziere, 36 Geschütze, 14 Maschinengewehre und viel anderes Kriegsgerät fielen in die Hand der Sieger. Allein es war höchste Zeit, die Beute in Sicherheit zu bringen, denn schon war die russische Übermacht, gegen die ein Widerstand auf diesem vorgeschobenen Posten fruchtlos gewesen wäre, in bedrohliche Nähe gerückt. Unter sehr erheblichen Schwierigkeiten zogen sich unsere Truppen nordwärts in die große Verteidigungslinie im Orzycbogen zurück, nachdem sie den russischen Drängern noch riesige Verluste zugefügt hatten.
Der kecke Sturm auf Prasznysz hatte eine sehr beträchtliche Wirkung; er täuschte den Feind, der nun an dieser Stelle den Feldmarschall von Hindenburg selber mit starken Kräften vermutete. Das machte sich in der Folgezeit für die Truppen des Generals von Gallwitz aufs schwerste fühlbar. Denn nun warfen die Russen immer neue Korps hierher, um die Scharte der masurischen Winterschlacht auszuwetzen und die deutsche Linie in Richtung Soldau-Neidenburg zu durchbrechen. Unter solchen Umständen konnte der deutsche Führer an die Fortsetzung seiner Offensive nicht mehr denken, sondern mußte eine hartnäckige Verteidigung vorbereiten, auf deren Gelingen die beteiligten Truppen stolz sein dürfen als auf eine der besten Waffentaten des deutschen Heeres. Unsere Stellung bildete bei Mlawa einen Winkel, da sie einerseits nach Südwesten auf Plozk hin, anderseits nach Ostnordost über die Höhen nördlich Prasznysz hinweg verlief.
In diesem Winkel schoben die Russen Ende Februar-Anfang März 1915 ihre Truppenmassen Zunächst langsam hinein - dann brachen diese mit unerhörter Wucht vor. Mlawa war ihr Ziel. In dichten, sich ständig erneuernden Kolonnen stürmten sie, ohne jede Rücksicht auf die furchtbaren Verluste, gegen die Stellungen östlich und südlich von Mlawa an. Aber die Menschenwogen brachen sich an dem Felsen deutscher Tapferkeit. Unsere Truppen hielten aus. Bei Demsk, östlich von Mlawa, findet man heute eine lange Reihe flacher, mit weißen Steinen eingefaßter russischer Massengräber vor den deutschen Drahthindernissen - ernste Zeugen des Mißerfolges, den 48 russische Kompagnien im Sturm auf zehn deutsche davongetragen haben. Der Frost hatte die Sumpfgegend, aus der hier der Orzyc entspringt, gangbar gemacht und so dem Feinde die Annäherung gestattet.
Nachdem über 1000 Geschosse aus schweren Geschützen in und hinter Demsk eingeschlagen waren, folgten die unaufhörlichen Angriffe der Infanterie. In der Nacht des 7. März 1915 kamen sie bis unmittelbar an den Stacheldraht. Aber unsere Scheinwerfer und Leuchtpistolen verbreiteten genug Licht, um nun dem verheerenden Infanterie- und Maschinengewehrfeuer den Weg zu weisen. Was vom Feinde nicht fiel, floh in die nächste Bodenfalte zurück, wo das Scheinwerferlicht die Verzweifelten bis zum Tagesanbruch festhielt. Dann ergaben sie sich den vorgesandten deutschen Patrouillen. Viel Munition, 800 Gewehre wurden genommen. Vor der Front fand man an dieser Stelle 300 tote Russen. Einige Kilometer nördlich aber, bei Kapusnik, wo der Feind in unsere Schützengräben eingedrungen war und durch einen verzweifelten Bajonettkampf wieder vertrieben werden mußte, liegen 906 Russen begraben - und 164 Deutsche.
Im ganzen hatte der Feind bei seinen vergeblichen Angriffen auf Mlawa viele Tausende verloren; so viel, daß seine Kampfkraft erschüttert schien, und General von Gallwitz mit teilweise frischen Kräften nun seinerseits einen Vorstoß versuchen konnte.
Dieser begann am 8. März 1915, kam aber am 12. März nördlich Prasznysz zum Stehen, da auch die Russen von neuem bedeutende Verstärkungen erhielten. Sie waren bald in großer Überzahl. Auf etwa zehn Armeekorps und sieben Kavalleriedivisionen wurde ihre Stärke geschätzt. Wir mußten uns wieder auf die Verteidigung einrichten, und unsere Truppen, die zum Teil schon vier Wochen lang in fast ununterbrochenem Kampf gestanden hatten, mußten einen neuen harten Stoß aushalten. Der ging diesmal nicht auf Mlawa zu, sondern nordöstlich von Prasznysz am Orzryc und Omulew hinaus. Er wurde nach russischer Eigenart in zahlreichen und sehr heftigen Angriffen geführt. Man zählte vom 13. bis zum 23. März 46 ernstere Sturmversuche, 25 bei Tage, 21 bei Nacht. Fast alle brachen bereits im Feuer unserer Truppen zusammen, wenige gelangten bis in die deutschen Gräben. Besonders schwere Kämpfe fanden bei Jednorozez statt. Wieder erlitten die Russen erhebliche Verluste, ohne ihrem Ziel näherzukommen: die Südgrenze Altpreußens war wohlverteidigt und ein Einbruch in die Flanke unserer Oststellung undurchführbar. In der letzten Märzwoche flauten die russischen Angriffe ab, und seit Ostern herrscht an dieser Stelle der Kampffront meist Ruhe. Sie ist dem heldenmütigen Widerstande der Truppen des Generals von Gallwitz zu danken. Sechs Wochen lang haben sie in Kälte und Nässe, in Schnee und Sturm ruhelos, unermüdlich die Heimat verteidigt und sich glänzend bewährt. Es war keine Schlacht mit weithin klingenden Namen - aber es waren viele, viele harte Kämpfe, deren Erfolg den mancher großen Schlacht übertrifft. In diesem Sechswochenringen um das südliche Einfallstor in Altpreußen haben die Truppen des Generals von Gallwitz 43000 Russen gefangen genommen und gegen 25000 getötet. Der Gesamtverlust des Feindes überschreitet sicherlich die Zahl 100000. Wer unsere braven Truppen jetzt fröhlich in ihren Waldhütten und geräumigen Schützengräben hantieren sieht, vergißt beinahe, welch harte, blutige Zeit hinter ihnen liegt. Aber die zahllosen Soldatengräber, die über das ganze blühende Land verstreut sind, und die Trümmer der Städte und Dörfer halten die ernste Erinnerung wach. Auch dieser Teil des Kriegstheaters hat viel Leiden, hat viele Helden gesehen.

 

Berichte aus dem deutschen Großen Hauptquartier 1914-1918

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