Bericht
aus dem deutschen Großen Hauptquartier vom
9. November 1915
I.
Als
sich in der zweiten Hälfte des Monats September der Aufmarsch der
verbündeten Heere auf dem nördlichen Donauufer vollzog, dachte
man in Serbien noch nicht an die von dorther drohende Gefahr. Der Feind
hatte wohl Kenntnis von Truppenausladungen, er rechnete aber nur, wie
spätere Gefangenenaussagen bestätigen, mit einer stärkeren
Besetzung der Verteidigungsstellung der ungarischen Donauseite. Wie konnte
auch an eine Offensive der Verbündeten in einer ganz neuen Richtung
gedacht werden zu einer Zeit, in der die Entente Angriffe größeren
Stils auf allen Kriegsschauplätzen vorbereitete. So vereinigte Serbien
seine Hauptkraft gegen den Erbfeind Bulgarien, dessen Haltung sich immer
mehr der Entente zu entfremden schien. Es galt für die Verbündeten,
den Serben möglichst lange in seinem Glauben zu belassen, um dann
überraschend mit starker Kraft an verschiedenen Stellen gleichzeitig
serbischen Boden betreten zu können.
Welche Schwierigkeiten es macht, einen Fluß zu überwinden,
dessen Breite durchschnittlich 700 Meter und mehr beträgt, dessen
Wellen bei der herbstlichen Kossava-Wind denen der See gleichkommen und
der zumeist von Höhen überragt ist, die einer feindlichen Artillerie
denkbar günstige Wirkung ermöglichen, wird auch jedem Fernstehenden
klar sein. Hielten auch nicht die Hauptkräfte der Serben das südliche
Donauufer besetzt, so ergaben doch die angestellten Erkundungen, daß
der Feind ebenfalls hier auf der Hut war und die Nordgrenze seines Reiches
mit fortlaufenden Verteidigungsanlagen versehen hatte, zu deren Besetzung
nicht unerhebliche Truppen und Artillerie bereitstanden. Den Hauptstützpunkt
der Verteidigungsanlagen bildete die Festung Belgrad, jenes alte Bollwerk,
das, seinerzeit von den Türken angelegt, der ruhmvolle Kriegsschauplatz
Prinz Eugenscher Truppen gewesen war. Hier sollten 200 Jahre später
die Nachkommen jener siegreichen Heere, wiederum zum Bunde vereint, sich
ihrer Vorfahren würdig erweisen.
Unter dem Oberbefehl des Generalfeldmarschalls v. Mackensen hatte sich
der Aufmarsch der Armeen Koeveß und Gallwitz planmäßig
vollzogen. In den ersten Oktobertagen 1915 standen die deutsch-österreichisch-ungarische
Armee im Save-Donau-Dreieck die deutsche Armee zwischen Temes- und Karasfluß.
An der Savemündnng und an dem Donaubogen bei Ram sollte zuerst der
Übergang erzwungen werden, dort war die Masse der Geschütze
in Stellung gebracht, dort hatten die Pioniere in mühevoller nächtlicher
Arbeit Brücken und Übersetzmaterial aller Art bereitgestellt.
Vom Feinde war in den Zeiten der Vorbereitungen wenig zu merken; hin und
wieder feuerte serbische Artillerie vom südlichen Ufer, doch ohne
Erfolg, hier und dort mahnten serbische Flieger, noch nicht zu offen die
Karten aufzudecken. Ihrem zu häufigen Erscheinen wurde indessen bald
von den inzwischen eingetroffenen deutschen Fliegerabteilungen ein Ziel
gesetzt; in breiter Front überflogen sie serbisches Gebiet, bekämpften
im Luftkampf ihre Gegner, belegten die Arsenale und
Militärlager ausgiebig mit Bomben und ergänzten durch ihre Aufklärung
jenes Bild, das man sich an oberster Stelle über den serbischen Aufmarsch gemacht
hatte.
Am 6. Oktober begann an den genannten Stellen das sich von Stunde zu Stunde
steigernde Artilleriefeuer und mit ihm die unmittelbare Vorbereitung zum
Donauübergang. Das Oberkommando beabsichtigte, zunächst auf
den Höhen südlich Belgrad und beiderseits der Anatema-Höhe,
später rechts und links der Morava Brückenköpfe zu schaffen,
unter deren Schutz die Truppe befähigt sein sollte, das zur Offensive
erforderliche Material auf das südliche Donauufer zu ziehen. Gleichzeitig
ausgeführte kleinere Unternehmungen längs der Drina, an der
mittleren Save sowie an der Donau zwischen Vk. Gradiste und Orsova sollten
den Feind über die Absichten der Verbündeten im unklaren lassen.
Am späten Nachmittag des 6. Oktober stießen im Beisein des
Generalfeldmarschalls von Mackensen die ersten Freiwilligen bei Palank
vom ungarischen Donauufer ab. In schneller Fahrt wurde der reißende
Strom überwunden, und in gespanntem Schweigen begleiteten die zurückgebliebenen
Kameraden jene braven Thüringer, die als erste Deutsche serbischen
Boden betraten. Noch immer hatte sich beim Feind nichts gerührt,
zeitweise grüßte ein serbischer Kanonenschuß von der
Anatema-Höhe aus, sonst schien das feindliche Ufer wie abgestorben.
Direkter Widerstand war demnach hier nicht zu erwarten. Trotzdem entschied
man sich, den Übergang der Massen an dieser Stelle nicht in die Nacht
hinein vorzunehmen. Die steil vom Ufer aus steigende Goricahöhe konnte
in ihren Schluchten feindliche Kräfte bergen, deren Vorstoß
bei Dunkelheit den Unseren verhängnisvoll werden konnte.
Am frühen Morgen des 7. Oktober begann der Übergang der Infanterie
an drei verschiedenen Stellen. Komitatschis (Freischärler), die sich
in dem Dorfe Ram und seinem hart am Fluß gelegenen malerischen Kastell
zur Wehr setzen wollten, wurden überrannt. Was den deutschen Kolben
nicht kennen lernte, wanderte auf den zurückfahrenden Pontons in
guten Gewahrsam. Mit Bergstöcken ausgerüstet begleitet von zahllosen
kleinen Pferden, deren Rücken Munition und Maschinengewehre trugen,
so erkletterte unsere Infanterie das wegelose, ungewohnte Höhengelände.
Schwache, mit ungenügenden Kräften geführte Gegenstöße
der Serben vermochten das Fortschreiten deutscher Truppen nicht aufzuhalten.
Bis zum Abend war die Gorica-Höhe in unbestreitbarem deutschen Besitz,
starke Infanterie hatte sich eingegraben, Maschinengewehre waren eingebaut,
und Gebirgsgeschütze lauerten in Stellung auf den Versuch des Feindes,
uns das besetzte Gebiet wieder zu entreißen.
Anders stand es um den Übergang bei Belgrad; dort verfügte der
Feind schon zum Schutze seiner Hauptstadt über starke Artillerie.
Englische und französische Geschütze krönten gemeinsam
mit serbischen den Kalimegdan, jene der Hauptstadt vorgelegene, weithin
sichtbare Zitadelle, und mittlere und schwere Kaliber harrten auf den
überragenden Höhen des Topcider und Banovo ihrer Ziele. War
die Wirkung von der Karasmündung her eine mehr moralische, so galt
es hier, im schweren Artillerieduell erst seine Überlegenheit zu
beweisen. Noch war es nicht geglückt, die zum Teil gut eingedeckten,
schwer auffindbaren Geschütze zum Schweigen zu bringen, als bereits
die Zeit für den Übergang gekommen war. Die gegen Sicht schützende
Nacht mußte hier helfend beistehen. Als der Morgen graute, lagen
vier österreichisch ungarische Bataillone am Fuße der Belgrader
Zitadelle. Notdürftig durch einen Bahndamm gedeckt, mußten
jene Tapferen in schwerem Kampfe zwölf Stunden ausharren, bis die
Nacht ersehnte Verstärkungen brachte.
Deutsche Truppen waren unterdessen in fortlaufendem Übersetzen auf
die vom Feind besetzte, südwestlich Belgrad gelegene Große
Zigeunerinsel gewesen. Hier lauerte im dichten Buschwerk ein gut bewaffneter,
zäh sich verteidigender Gegner. Trotzdem viele Pontons, von Schüssen
durchbohrt, kenterten oder auf Minen liefen, trotzdem die Strömung
manches Fahrzeug mit sich riß, trotzdem durch Handgranaten und Maschinengewehrfeuer
große Lücken in die Reihen gerissen wurden, die bravem Mannschaften
ließen sich nicht aufgehalten, sie drangen vorwärts und entrissen
im Bajonettkampf dem Feinde Schritt für Schritt. Die Verbindung zum
nördlichen Ufer war abgerissen, da sämtliche Übersetzgelegensten
zerstört, die sie bedienenden Pioniere außer Gefecht gesetzt
waren. Sechs Kompanien aber hielten gegen starke Überlegenheit im
heldenhaften Kampfe eine notdürftig mit dem Spaten geschaffene uneinnehmbare
Stellung. Der Abend brachte Verstärkungen, und bis zum frühen
Morgen des 7. Oktober war das östliche Drittel der Großen Zigeunerinsel
in deutschem Besitz. Unverzüglich wurde der Übergang auf serbisches
Festland jetzt fortgesetzt; das Säubern der Insel von dem noch haltenden
Feind war nunmehr in zweite Linie gerückt, der Vormarsch zu den die
Stadt beherrschenden Höhen war in den Vordergrund getreten. Aber
auch dieser Weg mußte den sich zäh verteidigenden Serben mit
Blut entrissen werden. Auch hier waren es wieder die schweren Kaliber,
die der Infanterie den Weg zum Siege ebneten. Ihre verheerende Wirkung
war den Serben bis dahin nicht bekannt.
Am Abend des 8. Oktober stand die Infanterie eines deutschen Armeekorps
auf den Topcider Höhen und besiegelte damit den Fall der Stadt Belgrad.
Dort kämpften österreichisch-ungarische Truppen am Nordrand
um die Zitadelle einen erbitterten Straßen- und Häuserkampf.
Eine von Topcider aus zur Verbindung mit den Verbündeten entsandte
deutsche Abteilung erreichte am frühen Morgen die Mitte der Stadt.
Ihr Führer war jener Hauptmann, der in den Augusttagen in Südpolen
als erster mit seiner Truppe eines der Westwerke von Brest-Litowsk erstiegen
hatte. Er erstürmte am 9. Oktober bei Tagesanbruch das serbische
Königsschloß, das noch vom Feinde besetzt gehalten wurde, und
hißte auf ihm die deutsche Flagge. Gleichzeitig hatten sich die Verbündeten den
Zugang zum Kalimegdan erkämpft und die Zitadelle mit der österreichischen
Kaiserstandarte gekrönt. Um dem Druck der Umfassung zu weichen, hatten
die Serben Hals über Kopf die Hauptstadt geräumt.
Von Belgrad und der Gorica-Höhe schritt die Offensive langsam vorwärts.
In der berechtigten Annahme, der Feind werde dorthin die Kräfte seiner
Nordfront zusammenziehen, konnte zur schwierigsten Arbeit, dem Übergang
gegenüber der Moravamündung, geschritten werben. In einem deckungslosen,
beiderseits des Stromes von Sümpfen durchsetzten Gelände, ohne
ausreichende Artilleriestellungen, von serbischen Höhen überragt,
mußte hier der Strom überwunden werden. Brandenburger und Bayern
sollten an jener Stelle Schulter an Schulter den Feind deutsche Ausdauer
und Kraft lehren. Die einsetzende Kossava erhöhte die Schwierigkeit.
Nach mehrtägigem Ringen mit menschlicher und elementarer Kraft wurde
auch hier die Arbeit vollbracht. Im Anschluß an die Truppen, die
mittlerweile in mehr oder weniger leichten Kämpfen die Anatema-Höhe
überschritten hatten, ging es in fortschreitendem Angriff nach Süden
weiter, während sich Teile nach dem stark verteidigten Semendria
und dem westlich gelegenen, vom Feinde besetzten Höhengelände
wendeten. |